Guten Tag,
Matthias Breschan, seit diesem Sommer CEO von Longines, hat ein grosses Erbe angetreten und bereits eine klare Vorstellung, wohin damit.
Der Kooperative: Matthias Breschan (56) ist seit Juli 2020 CEO von Longines. Er folgt auf den 79-jährigen Walter von Känel, aka «Colonel».
PDWerbung
Die Türe zu seinem Büro steht weit offen. Es ist riesengross und spartanisch eingerichtet: In der Mitte steht ein raumfüllender, dicht bestuhlter Sitzungstisch, sein Pult in einer Ecke und dort auch noch ein kleines Pferd. Aber dazu später.
Matthias Breschan klemmt das laufende Telefongespräch ab, springt von seinem Stuhl auf, montiert die Gesichtsmaske, «willkommen, nehmen Sie Platz», und setzt sich selbst nicht ans Tischende, sondern in die Mitte.
Breschan ist seit dem 1. Juli CEO von Longines, die zur Swatch Group gehört. Gekommen ist er von Rado, ebenfalls eine Swatch-Group-Tochter. Er hat sie neun Jahre geführt, ihr ein neues Profil gegeben – neue Designs, neue Farben, neue Formen: «Das Ziel, jüngere Kunden anzusprechen, haben wir erreicht», sagt Breschan.
Der Kärntner folgt auf Walter von Känel. Der inzwischen 79-Jährige war über 50 Jahre bei Longines, ab 1988 als CEO. Intern hiess er «von K.» oder einfach «Colonel». Er hat aus Longines das gemacht, was sie heute ist: eine der grössten Schweizer Uhrenmarken der Welt.
Werbung
Im entsprechenden Ranking, demjenigen der Analysten der US-Bank Morgan Stanley und Luxeconsult, rangiert Longines in Sachen Umsatz auf Rang vier hinter Rolex (5,2 Milliarden Franken), Omega (2,4 Milliarden), und Cartier (2 Milliarden). Diese Zahlen resümieren das Jahr 2019. Es wird bis auf Weiteres wohl das Rekordjahr bleiben. An der Reihenfolge wird sich so bald aber nichts ändern: Rang fünf belegt Patek Philippe mit 1,4 Milliarden Franken Umsatz und Rang sechs Audemars Piguet mit 1,2 Milliarden Franken.
Als Chef von Longines bleibt Breschan auf dem gleichen Terrain wie als Chef von Rado, zumindest was das Budget angeht, hinter dem er her ist: Auch Longines’ Angebot bewegt sich im Preisband zwischen 1000 und 4000 Franken, «das wird auch so bleiben» (Breschan). Ein Aufstieg ist der Wechsel für ihn aber alleweil: Longines ist innerhalb der Swatch Group mit rund 1,7 Milliarden Franken Umsatz und 1500 Mitarbeitern ein viel grösserer Brocken als Rado.
Werbung
Grosse Geschichte: Howard Hughes verliess sich bei seinen Abenteuern auf Longines. Die Spirit ist eine Referenz an die Ära.
Getty Images/zvgGrosse Geschichte: Howard Hughes verliess sich bei seinen Abenteuern auf Longines. Die Spirit ist eine Referenz an die Ära.
Getty Images/zvgUnd es wird für ihn ungleich schwieriger sein als bei Rado, bei Longines zu brillieren, denn er übernimmt ein Unternehmen in «Superverfassung» (Breschan) – trotz Lockdown und Corona-Krise: «März bis Juni haben wir sehr gelitten, seither sind wir Monat für Monat wieder über Vorjahr», sagt er. Was er vorhat mit Longines? «Die Marke hat sich in den letzten 20 Jahren sehr gut entwickelt», antwortet er, «und ich werde dafür sorgen, dass es so weitergeht.» Zum Status quo ein paar Facts and Figures: Longines verkauft in 150 Ländern rund 1,5 Millionen Uhren im Jahr, 80 Prozent mit mechanischen, 20 Prozent mit Quarzwerken, die alle von der Swatch-Tochter ETA hergestellt werden.
Werbung
Das Geschlechterverhältnis bei der Klientel ist fifty-fifty. China, wo Longines bereits 1970 Fuss gefasst hat, ist mit Abstand der grösste Markt für die Marke. Via 12 Mono-Brand-Geschäfte, über 400 Uhrenhändler sowie via T-Mall und eine chinesische Website werden dort pro Jahr rund 700'000 Uhren abgesetzt. Diese Zahlen stammen nicht von der Swatch Group, von dort gibt es zu den einzelnen Marken keine Details. Sie sind Einschätzungen der chinesischen Marktforscher von Daxue Consulting.
Breschan wird den Kurs halten, «wir werden alles tun für unsere grosse bestehende Klientel», will Longines aber freilich auch weiterbringen. «In Märkten wie der Schweiz, Europa und den USA sehe ich grosse Chancen, insbesondere beim jüngeren Publikum», sagt Breschan. Von dem, was Jüngere wollen, hat der 56-Jährige eine klare Vorstellung: «Dinge, die nachhaltig sind und gehaltvoll und die auch eine Vergangenheit haben.»
Werbung
Vergangenheit hat Longines – lange 188 Jahre – und dazu eine, die Breschan richtiggehend geflasht hat: «Seit ich hier angefangen habe, habe ich so vieles entdeckt, was ich noch nicht gewusst hatte, trotz 20 Jahren in der Industrie.» Das Unerwartete sind keine Leichen im Keller, sondern Schätze im Estrich: das Longines-Archiv. «Es ist irre, was die Marke alles erfunden hat.»
Das zu sichten, zu ordnen und das Potenzial für die Zukunft zu qualifizieren, ist die Aufgabe der jüngsten Abteilung im Haus: Sie heisst Heritage & Branding und wird geführt von Daniel Hug, vormals Uhrenspezialist der «NZZ». Was er und sein Team ans Licht befördern, dürfte den einen oder anderen Schweizer Uhrenhersteller fuchsen. Zum Beispiel, dass Longines den ersten Zweidrücker-Chonographen 1925 herausgebracht hat, also neun Jahre vor Breitling, die diese Errungenschaft für sich reklamiert. Und die erste Armbanduhr mit zwei Zeitzonen war nicht wie bisher angenommen die erste Rolex GMT mit einem zweiten Stundenzeiger aus dem Jahr 1955; gemäss Archiv hat Longines die erste Armbanduhr mit zwei Zeitzonen schon 1925 hergestellt.
Werbung
Breschan ist kein Er-kam-sah-und-siegte-Manager. Eher das Gegenteil. Kollegen aus Rado-Zeiten beschreiben ihn als kooperativ und als einen, der zuhört. Bei Longines heisst es, er sei einer, der gut unterscheiden könne zwischen wichtig und unwichtig, nötig und unnötig und integrierend wirke. Breschan selbst attribuiert sich als «sehr begeisterungsfähig» und fügt an, «falls etwas Substanz hat». Fraglos wird er sich durch das superbreite Longines-Sortiment arbeiten und das eine und andere Modell rauskippen, Breschan spricht von «Markenprofil schärfen». Zudem: «Wir werden künftig wieder Werke haben, die exklusiv für Longines hergestellt werden», sagt er. Lieferantin bleibt freilich die Swatch-Tochter ETA.
««Wir werden uns auf die Vergangenheit stützen, um die Zukunft zu definieren.»»
Matthias Breschan, Longines-CEO
Werbung
Die Rückbesinnung auf die Wurzeln der Marke war schon in Gang, als Breschan das Steuer übernahm. Kurz vor der Stabübergabe von von Känel an ihn ist auf Basis von Archivrecherchen die Spirit-Kollektion lanciert worden. Breschan betont, das sei nicht einfach eine weitere Neuheit, sondern der Richtungsweiser. «Wir werden uns künftig auf die Vergangenheit stützen, um die Zukunft zu definieren», sagt er. Das Motto: «Authentisch, aber ohne Staub und technologisch state of the art.» Er blickt auf die «Spirit», die er ganz vorn am Handgelenk trägt, «schön, nicht wahr?», und fügt an: «Die Spirale des Automatikwerks ist aus Silizium.» Heisst: immun gegen die omnipräsenten und die Präzision störenden Magnetfelder, einer der Hauptgründe, warum Uhren in den Service müssen.
Die Spirit-Kollektion ist eine Fliegeruhr und im Fall von Longines nicht einfach ein Nice-to-have und der Claim «The Pioneer Spirit Lives On» auch nicht einfach Marketinggeschwurbel, sondern eine Referenz an eine wichtige Ära in der Firmenchronik: Luftfahrtpioniere wie Amelia Earhart, die erste Frau, die 1928 einen Soloflug über den Atlantik geschafft hat, und Howard Hughes, der 1938 in der damaligen Rekordzeit von 91 Stunden die Erde umrundete, haben sich bei ihren Wagnissen auf Präzisionsuhren aus Saint-Imier verlassen.
Werbung
Die Vergangenheit ist geweckt, der Stolz darauf erwacht. Breschan wird in naher Zukunft weitere Kollektionen herausbringen: «Wir haben einiges in der Pipeline.» Die Karten hält er verdeckt. Themen gibt es in der langen Geschichte von Longines aber viele. Autorennen zum Beispiel: «Longines war Zeitnehmer des Ferrari-Teams und beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans», sagt Breschan, «und zwar so diskret, dass niemand es registriert hat.» Was aber jeder registriert, der sich für die Marke aus Saint-Imier interessiert, ist die Liebe zum Pferdesport. So kam auch das Plüschtier in Breschans Büro. Es ist das Abschiedsgeschenk der Rado-Crew.
Werbung