Guten Tag,
Billig und klapprig war gestern. Heut gilt: preiswert und lässig. Rumäniens Renault-Tochter läuft es blendend, sogar in der Hochpreisinsel Schweiz.
Dirk Ruschmann
Das neue Design sorgt für breitschultrige Auftritte statt Duckmäuserei: Das Sandero-Sondermodell Stepway Extreme.
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Ein Franzose, der gern lacht und viel erzählt, beruflich oft nach Rumänien reist und ziemlich entspannt über die Perspektiven seines Arbeitgebers spricht, obwohl er in der Autoindustrie arbeitet, die derzeit durchgeschüttelt wird wie kaum eine andere – Denis Le Vot hat derzeit als einer von wenigen seiner Branche ganz gut lachen. Als CEO der Marke Dacia, die zur Renault-Gruppe gehört, kann er Ergebnisse verkünden, von denen andere gern träumen würden. Im ersten Halbjahr hat Dacia in Europa fast 350'000 Autos verkauft, ein Wachstum zum Vorjahr von fast einem Viertel und weit oberhalb des Gesamtmarktes. Der Marktanteil in Europa liegt heute bei 4,5 Prozent, und weil Dacia kaum in gewerblichen Fahrzeugflotten anzutreffen ist, liegt der Marktanteil bei den Privatkäufern fast doppelt so hoch. Und ähnliche Grössen erreicht auch der Schweizer Ableger – obwohl die helvetische Hochpreisinsel kaum als klassischer Absatzmarkt für Kleine und Günstige durchgeht. Aber auch in der Schweiz beträgt der Marktanteil inzwischen über drei Prozent, und die beiden wichtigsten Modelle, der schon zum Kult avancierte Klein-Geländewagen Duster sowie das Einsteigerfahrzeug Sandero, das für weniger als 15'000 Franken aus dem Showroom rollt, rangieren unter den Top 20 der meistverkauften Automodelle der Schweiz.
Und zuletzt hat Dacia auch noch die Spiessigkeit, die ihre Autos im Auftritt hatten, aus den Karossen geföhnt. Technizistisch-modern sieht das Ganze jetzt aus, vor allem die Fahrzeugfronten demonstrieren Selbstbewusstsein und signalisieren, dass sie alle zu einer Familie gehören; das Durcheinander an Designs, das sich andere Marken leisten, siehe im Günstigbereich zum Beispiel Suzuki, hat Le Vot eliminiert. Der Schriftzug des Brands, etwa auf dem Lenkrad, und das Logo mit einem stilisierten D und C würden sich auch auf der Raumstation «Enterprise» gut machen. Kräftige Blechflächen und Modernität sollen jetzt Dacia verkörpern, dazu passte auch das frühere Logo in Form eines Flaschenöffners nicht mehr. Le Vot lässt seine Showfahrzeuge inzwischen gern in Khaki-Farbtönen antreten; «Outdoor» ist sein neues Stichwort. Dazu passt der selbstbewusste Einstieg in den Motorsport: Ab 2025 wollen die Rumänen an der Rallye Dakar starten.
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Denis Le Vot führt Dacia seit Anfang 2021. Er will mit der Marke künftig grössere Autos bauen.
PDDenis Le Vot führt Dacia seit Anfang 2021. Er will mit der Marke künftig grössere Autos bauen.
PDDanke für das «bold». Khaki-Farben und kräftige Flächen, das ist unsere neue Designsprache, und damit sparen wir sogar Geld. Weil wir Chrom nicht mehr nutzen. Und Outdoor – doch, das sind wir, denken Sie an die hohe Bodenfreiheit und eine Reling, die mit zwei Griffen zum Dachträger wird. Dacia in der Rückschau, das sind vor allem der Sandero, aber auch der Duster. Und das sind echte Familienautos, nicht die Zweitwagen reicher Leute.
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Stimmt, wir sind noch nicht so präsent in den Citys. In Paris oder Berlin werden Sie nicht so viele Dacias sehen. Aber in Kleinstädten sind wir oft die stärkste Marke im Verkauf. Mit einem Duster geht man picknicken, jagen oder zelten … das sind wir.
Zwei Gründe: erstens die Zuverlässigkeit der Fahrzeuge. Immer mehr Kundinnen und Kunden nehmen das wahr. Wir haben sehr loyale Kunden, 82 Prozent der Kunden kaufen dann wieder einen Dacia.
Die weltweite Wirtschaftslage, Stichwort Inflation. Die Preise sind gestiegen, auch für Autos, die Löhne aber kaum. Das Auto hat auch ein wenig ausgedient als wichtigster Traum für junge Leute. Viele möchten auch nicht mehr so grosse Anteile ihres Geldes in ein Auto investieren. Mit Dacia entscheiden sie sich für den Smart Buy.
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Nehmen wir als Beispiel das Segment-C-Crossover.
Genau. In diesem Segment lagen die Einstiegspreise vor einigen Jahren noch bei rund 33'000 Euro. Heute eher bei 37'000. Und in einigen Jahren, denke ich, werden wir von 41'000 Euro reden. Das können oder wollen viele nicht mehr bezahlen. Und das spielt uns in die Hände.
Der SUV Bigster soll 2025 kommen.
PDDer SUV Bigster soll 2025 kommen.
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(Lacht.) Da kann ich noch nichts sagen. Vielleicht das: Der Preis wird sehr attraktiv sein. Wir kommen vom Kleinwagen und skalieren aufwärts, kämpfen gegen gigantische Maschinen der Konkurrenten. Da haben wir einen strategischen Vorteil. Unsere Plattformstrategie, wenige Modell- und Ausstattungsvarianten und geringe Ausgaben für Werbung, starke Digitalisierung – das alles ermöglicht uns, die preiswertesten Autos anzubieten.
Viele Kunden brauchen längst nicht alle der modischen Assistenzsysteme. Wir verkaufen etwa Einstiegsversionen ohne Bildschirme, denn die Leute haben ja alle ihr Handy, komplett konfiguriert – das kommuniziert dann mit unserem Auto, damit kann man alles machen. Warum also einen Screen verkaufen, den keiner braucht? Oder wenn man einen Siebensitzer benötigt: Die meisten haben viel unnötiges Zeug an Bord, sind sehr schwer und sehr teuer. Unseren Siebensitzer Jogger gibt es im Vergleich für 7000 Euro weniger. Mit diesem Geld kann man sich noch ein Motorrad leisten.
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Dacia vor allem billig – das war gestern. Zwar betonen die Vermarktungsstrategen immer noch den «preislichen Abstand zur Konkurrenz der Volumenmarken». Doch die Zeiten, als es den Sandero für weniger als 9000 Franken zu kaufen gab, sind vorbei. Heute sehe man sich als Marke «mit dem besten Preis-Leistungs-Angebot» und habe, Achtung: «nicht mehr den Anspruch, die günstigsten Autos anzubieten». In der Schweiz etwa bietet Dacia die günstigsten Einstiegsversionen gar nicht mehr an, weil die weder gekauft noch gewünscht worden seien – eine Praxis, die so ähnlich auch andere Hersteller praktizieren. Skoda Schweiz etwa ordert beim Werk die Limousinen-Versionen der Modelle Octavia und Superb längst nicht mehr, weil die Schweizer Kunden nur die Kombi-Versionen wollten. Das Modell Dacia Logan, mit dem die Marke gross wurde, wird in ganz Westeuropa nicht mehr angeboten. Im Heimatmarkt Rumänien ist es hingegen allgegenwärtig.
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Der Logan läutete Mitte der Nullerjahre den Aufstieg ein.
PDDer Logan läutete Mitte der Nullerjahre den Aufstieg ein.
PDDacia hat eine lange Reise hinter sich. Vor zwei Jahrzehnten von Renault übernommen, als Underdog mit belächelten, pannenanfälligen kleinen Kisten gestartet, ist der Mief längst verflogen. Auf Basis bewährter Renault-Technik verbesserte sich auch Dacia und verteidigt ihr tiefes Preisniveau dank hocheffizienter Fertigung. Produziert wird in drei hoch ausgelasteten Werken, die an Niedriglohnstandorten stehen: zwei Werke in Marokko, in Tanger und Casablanca, und der Stammsitz im rumänischen Pitesti – hier fährt alle 55 Sekunden ein Dacia vom Band, gearbeitet wird sechs Tage die Woche, rund um die Uhr.
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Ein Besuch in Pitesti zeigt: Dieses Werk kann es punkto Modernität und Effizienz mit allen Wettbewerbern aufnehmen, gut ausgebildet sind die rumänischen Mitarbeiter ohnehin. Fünf Hochgeschwindigkeits-Stanzpressen in Turnhallengrösse spucken präzise geformte Metallteile aus; weil sie als die besten Blechformer im gesamten Verbund gilt, beliefert die Abteilung zahlreiche andere Werke der Renault-Gruppe.
Dort sind wir noch nicht ganz so robotisiert. Aber das ist im Moment, da immer noch Halbleiter fehlen, sogar ein Vorteil. Denn die Mitarbeiter können oft agiler und flexibler auf neue Situationen reagieren.
Das Werk hat eine hohe Auslastung, folgt den Qualitätsstandards der Renault-Gruppe. Wir haben bei Dacia eigene Zentren für Design und für Engineering –und die sind spezialisiert auf «design to cost». Wir entwickeln also nur das, was unseren Kunden wichtig ist und sie cool finden.
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Klar. Das sehen Sie an unserem Wachstum. Unser Sandero etwa ist beliebt wie nie. Und: Früher, noch vor 15 Jahren, kamen unsere Kundinnen und Kunden mehrheitlich vom Occasionsmarkt. Heute sind das weniger als 30 Prozent. Wir bieten heute bewährte, aber moderne Technik an. «Low cost» sind wir schon lange nicht mehr.
Eher schon fährt Le Vot eine Strategie der Verknappung an Varianten, die als hochmodern gilt; auch andere Autobauer versuchen längst, die Komplexität in ihrem konfigurierbaren Sortiment abzubauen. Dacia bietet wenige Optionen an und hat kaum teure elektronische Fahrassistenten an Bord – beides vereinfacht die Fertigung und spart zudem, dank geringer Ausstattung, Fahrzeuggewicht ein. Was wiederum den Kraftstoffverbrauch senkt.
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Als Teil der Allianz von Renault, Nissan und Mitsubishi profitiert Dacia von diesem Verbund – die technischen Plattformen werden gemeinsam entwickelt. Gerade hat sich diese Allianz, in der es in der Vergangenheit auch kräftig gerumpelt hat, neu aufgestellt; Renault hat die Beteiligung an Nissan reduziert und damit die stolzen Japaner entspannt. Es sind nun gleich hohe Überkreuzbeteiligungen vorgesehen. Zudem soll beim geplanten Börsengang der Elektroauto- und Softwaresparte von Renault namens «Ampere» auch Nissan eine Beteiligung übernehmen. Insgesamt will die Allianz vier von fünf neuen Fahrzeugen auf gemeinsamen Plattformen bauen – das verspricht enorme Synergien in Produktion und Einkauf von Teilen. Mit nahezu sechs Millionen Autos liegt die Allianz auf Rang sechs der Grössenrangliste ihrer Branche, hinter Toyota, der VW-Gruppe, Hyundai, General Motors und Stellantis (Fiat, Peugeot, Opel, Jeep, Chrysler), aber noch vor Ford und Honda.
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Viel vom neuen Erfolg verdankt Denis Le Vot auch seinem Chef Luca de Meo – der Renault-Boss ist ein Vordenker der Autoindustrie, zudem einer der selten gewordenen Charismatiker mit CEO-Titel. De Meo hat mit seiner Komplettrenovation namens «Renaulution» die ganze Gruppe wachgerüttelt.
Es ist great! Zumindest für mich. Er hat ein profundes Verständnis vom Automarkt. Und er pusht uns und lässt uns machen, «do what you think is right, go for it», das schätze ich. Dass wir Dacia innerhalb von zwei Jahren mit einem völlig neuen Design aufstellen konnten, gelang auch dank ihm. Er gibt mir Verantwortung, ich muss keine Details reporten.
Wir setzen uns vielleicht alle zwei Monate zusammen, gehen von A bis Z alles durch und diskutieren. Normalerweise sind wir einer Meinung (lacht). Also, das läuft smooth.
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Renault-Gruppenchef Luca de Meo hat dem Unternehmen neues Selbstbewusstsein gebracht. Die Tochter Dacia lässt er machen.
Julien Faure/opale.photo/laifRenault-Gruppenchef Luca de Meo hat dem Unternehmen neues Selbstbewusstsein gebracht. Die Tochter Dacia lässt er machen.
Julien Faure/opale.photo/laifWarum auch nicht: Während die gesamte Renault-Gruppe für 2022 nur 5,6 Prozent operative Marge einspielte, soll Tochter Dacia im zweistelligen Bereich liegen – ein Hinweis auf den überproportionalen Wertbeitrag der Rumänen. Die ersten Schritte Richtung moderner Antriebe sind bereits erledigt, den Siebensitzer Jogger gibt es in einer Hybridversion, und mit dem Spring hat Dacia auch einen reinen Stromer im Sortiment. Der schafft zwar nur 230 Kilometer Reichweite, aber Le Vot sagt, wenn er den Spring noch einmal entwickeln würde, «dann nur mit halb so grosser Batterie». Denn durch das Tracking der Fahrprofile wisse man, dass die Kunden im Schnitt nur 31 Kilometer täglich fahren. Halbe Batterie wäre gleichbedeutend mit mehreren tausend Euro Einsparung. Grundsätzlich setzt sich Le Vot für Technologieoffenheit ein, man sei ja nicht nur in Europa aktiv, sondern auch in Lateinamerika und Indien, und die Weltregionen hätten unterschiedlichen Drive auf dem Weg zur Dekarbonisation. Autogas (LPG), komprimiertes Erdgas (CNG), Kleinstverbrenner, womöglich E-Fuels und Brennstoffzellen, all diese Lösungen würden wohl weltweit Kunden finden.
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Sicher ist er sich in seiner Strategie: Dacia soll grösser werden. Zunächst mit den Fahrzeugen aus dem Kleinwagensegment B, wo etwa der VW Polo verkehrt, ins rentablere und punkto Marktgrösse viel bedeutendere E-Segment wachsen, in die Kompaktklasse also. Erster Schritt ist der Bigster, der 2025 starten wird, bald danach sollen zwei weitere Modelle kommen. Was heisst das für das Wachstum – 2022 wurden immerhin bereits 574'000 Autos verkauft? Einen Zeitpunkt nennt Denis Le Vot nicht, aber: «Wir werden die Million knacken, ganz sicher.»
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