Guten Tag,
Die Start-ups Climeworks und Synhelion haben das Potenzial, die Klimakrise abzuwenden. Die Ideen zu ihrer Technik stammen vom selben ETH-Professor – und klingen einfach. Der grossflächige Ausbau jedoch ist tricky und wird sehr viel Geld kosten.
Dirk Ruschmann
Die Synhelion-Gründer Gianluca Ambrosetti und Philipp Furler, ETH-Professor Aldo Steinfeld und die Climeworks-Gründer Christoph Gebald und Jan Wurzbacher (v.l.).
Nik Hunger für BILANZ, Getty Images; Montage: BILANZWerbung
Das ist die heimische Kampfgruppe gegen den globalen Klimakollaps: Christoph Gebald und Jan Wurzbacher mit ihrem Startup Climeworks, das in einem unscheinbaren Fabrikgebäude in Zürich-Oerlikon haust und Kohlendioxid, also das gefährliche Treibhausgas, aus der Luft fischen und im Boden endlagern kann.
Gianluca Ambrosetti und Philipp Furler mit ihrem Start-up Synhelion, das seine ersten Installationen in einer Halle in Horgen am Zürichsee gebaut hat und aus Kohlendioxid und Sonnenlicht synthetische Kraftstoffe wie Benzin oder Kerosin herstellt.
Und Aldo Steinfeld, ETH-Professor für Erneuerbare Energieträger, der die Grundlagen für die Technologien der zwei Start-ups legte.
Eine technische Manifestation des Ganzen im Versuchsmassstab thront auf der Dachterrasse des ETH-Maschinenlaboratoriums, zwei Etagen über Steinfelds Büro. Wer an der Zürcher Tramhaltestelle ETH-Unispital nach oben linst, erhascht einen Blick darauf: ein Hohlspiegel, flankiert von zwei Metallschränken und, von unten unsichtbar, dem Kontrollstand hinter einer Fensterwand, wo auf mehreren Bildschirmen eine selbst geschriebene Software den Betrieb überwacht.
Mit Glück kann man zudem Aldo Steinfeld beobachten, der auf diese Entfernung ein Double von Richard Branson sein könnte, wie er die Apparaturen inspiziert. Die Installation nennt sich «Solar-Mini-Raffinerie» und setzt die Idee einer Circular Economy in die Realität um: Luft und Sonnenstrahlen rein, hinten kommt Sprit in kleinen Fläschchen raus. Dieser Treibstoff ist CO2-neutral, weil einerseits Sonnenenergie zu seiner Herstellung verwendet wird und andererseits bei seiner Verbrennung nur so viel CO2 freigesetzt wird, wie zuvor bei der Herstellung aus der Luft entnommen wurde.
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ALDO STEINFELD MIT SOLAR-RAFFINERIE Diese Mini-Raffinerie vereint die Ideen von ETH-Professor Steinfeld zur Filterung von CO2 aus der Luft und der anschliessenden Spaltung von CO2 und Wasser. Es entsteht ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, das Synthesegas, aus dem Kraftstoffe hergestellt werden.
Nik Hunger für BILANZALDO STEINFELD MIT SOLAR-RAFFINERIE Diese Mini-Raffinerie vereint die Ideen von ETH-Professor Steinfeld zur Filterung von CO2 aus der Luft und der anschliessenden Spaltung von CO2 und Wasser. Es entsteht ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, das Synthesegas, aus dem Kraftstoffe hergestellt werden.
Nik Hunger für BILANZ«Wenn wir in Zukunft noch fliegen wollen, wird dieser synthetische Treibstoff die einzige Alternative sein», sagt der wichtigste Schweizer Klimaforscher, Reto Knutti. Er sieht in dieser Technologie ein «riesiges Potenzial». Der Weltklimarat IPCC schätzt, dass bis zum Jahr 2100 rund 310 Milliarden Tonnen CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre entfernt werden müssen, damit das Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erwärmung erreicht werden kann.
«Climeworks und Synhelion kommen mit ihren Technologien genau zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt», sagt ETH-Präsident Joël Mesot, auch wenn es noch «grosse Anstrengungen brauche, um diese zu skalieren». Mesot preist die zwei Start-ups als «besonders beeindruckende Beispiele» für die ganze Wertschöpfungskette: «Das Wissen aus langjähriger Grundlagenforschung konnte erfolgreich über eine Firmengrün-dung in Wirtschaft und Gesellschaft übergeführt werden.»
Climeworks, der erste Teil des Steinfeld-Kreises, ist derzeit spektakulär unterwegs. Satte 600 Millionen Franken sammelten die Gründer Christoph Gebald und Jan Wurzbacher im April ein, in der formal achten Finanzierungsrunde. Es war nicht nur eine der grössten der Schweiz und zugleich die global grösste im Segment der rapide wachsenden Kohlendioxidvernichtungs-Branche – auch zwischen Fintechs, Autohandelsplattformen oder Batterieherstellern, die längst gross im Geschäft sind, ist Climeworks damit in der Spitzengruppe klassiert.
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Die Enddreissiger Gebald und Wurzbacher, Ersterer aus der sogenannten Fränkischen Schweiz, einer Tourismusregion in Bayern, Letzterer aus Hamburg, stiessen beide im Oktober 2003 zur ETH. Am ersten Tag, wenn die Neuen, in Kennenlerngruppen eingeteilt, durch das Viertel gewandert werden (hier ist die ETH, da die Polybahn, dort die Bibliothek und da drüben gibts was zu essen) und beide noch kein Schweizerdeutsch verstanden, tauschten sie sich aus, wer bist du und was machst du – zwei junge Männer im Ausland, es klickte umgehend: beide eingeschrieben für Maschinenbau, beide mit dem Plan, eine Firma zu gründen, «das war unser Thema für die nächsten Tage», erinnert sich Wurzbacher.
Sie wurden beste Freunde, «Jan war dann mein Trauzeuge», sagt Gebald, den Bachelor legten beide bei Aldo Steinfeld ab. Längst hatten sie erkannt: Saubere Energie und der Treibhauseffekt, das sind die grossen Themen der Gegenwart. Zumal beide viel Bergsport betreiben, im Winter skitouren gehen, «da wird man Zeuge», sagt Gebald, «wie die Gletscher immer weiter schmelzen».
Auf jeder Studentenparty schlugen sie High fives auf ihren Gründungsplan, «dann war das Studium vorbei, und wir realisierten, Shit, jetzt müssen wirs wirklich machen». Auf Basis von Steinfelds Vorarbeit bauten sie eine Versuchsanlage, schraubten an der Effizienz der Technologie, bis sie einen funktionierenden Prototyp hatten, der Kohlendioxid aus der Luft abscheiden kann – der Durchbruch. Gemeinsam mit der Hochschule meldeten sie ein erstes Patent an, reichten ihre Masterarbeit ein und gründeten kurz darauf, im November 2009, Climeworks per Eintrag im Zürcher Handelsregister.
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EIN ERSTLING NAMENS CAPRICORN Christoph Gebald (l.) und Jan Wurzbacher auf ihrer ersten Anlage, die wie alle folgenden einen Tiernamen trägt. Sie steht oben auf der Müllverbrennungsanlage in Hinwil und nutzt deren Abwärme. Das hier aus der Luft gefilterte CO2 wird weitergenutzt für industrielle Zwecke.
Julia DunlopEIN ERSTLING NAMENS CAPRICORN Christoph Gebald (l.) und Jan Wurzbacher auf ihrer ersten Anlage, die wie alle folgenden einen Tiernamen trägt. Sie steht oben auf der Müllverbrennungsanlage in Hinwil und nutzt deren Abwärme. Das hier aus der Luft gefilterte CO2 wird weitergenutzt für industrielle Zwecke.
Julia DunlopDas Geschäft von Climeworks nennt sich «Direct Air Capture»: In grossen Containerboxen sind Filter eingebaut, die aus einem Granulat bestehen, ähnlich wie grober Sand, aber mit vielen internen Poren, sodass sie eine riesige Oberfläche bilden. Von der «Rückseite» wird Luft durch den Filter gesaugt, die CO2-Moleküle haften von allein an dieser Oberfläche, «wie Magneten an Metall», sagt Wurzbacher. Zeigt ein Messgerät an, dass hinten genauso viel CO2 wieder austritt, wie vorne eingesaugt wurde, bedeutet das: Filter voll. Also Saugventilator aus, Klappen schliessen und das Ganze auf 100 Grad Celsius erhitzen, dann löst sich das Kohlendioxid und kann als Gas abgesaugt werden.
Nun gibt es diverse Fortsetzungen, die Climeworks im Angebot hat: Von der Anlage in Hinwil etwa wird CO2 einem benachbarten Gemüsebauern geliefert, der damit das Wachstum seiner Pflanzen anregt, oder an die Coca-Cola Company verkauft, die damit die Bläterli in ihrem Valser Mineralwasser erzeugt; nach Vals wandert das CO2 verflüssigt, in Tankwagen.
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Standen solche industriellen Nutzungen anfangs noch im Vordergrund, wie ein Insider sagt, kristallisierte sich die Hauptanwendung im Lauf der ersten Jahre umso deutlicher heraus: das Treibhausgas endgültig der Atmosphäre entziehen, wie es die derzeit grösste Anlage von Climeworks, «Orca» genannt, auf Island macht: Das CO2 wird komprimiert und über Bohrlöcher tief in den Boden gepresst, wo es sich absetzt und versteinert.
Das System funktioniert, bisher vergräbt Orca 4000 Tonnen CO2 pro Jahr, das entspricht etwa dem ökologischen Fussabdruck von 600 Europäern. Climeworks arbeitet nun an der Verfeinerung der Technologie, macht analogisch aus einem Ford-T-Modell einen aktuellen Mercedes, schraubt zudem an der Industrialisierung, also an Skaleneffekten sowie Massenfertigung und -installationen: Noch sind Rohre und Leitungen im Verhältnis zur Kerntechnologie zu teuer, noch der Wirkungsgrad eines Containers zu gering.
DIE ZWEITE ANLAGE VON CLIMEWORKS In Hellisheidi auf Island steht Orca seit Herbst 2021 in Betrieb. Hier wird das gewonnene CO2 von einer Partnerfirma unter die Erde geleitet, wo es versteinert und damit dauerhaft der Atmosphäre entzogen ist. Orca filtert rund 4000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft.
ZVGDIE ZWEITE ANLAGE VON CLIMEWORKS In Hellisheidi auf Island steht Orca seit Herbst 2021 in Betrieb. Hier wird das gewonnene CO2 von einer Partnerfirma unter die Erde geleitet, wo es versteinert und damit dauerhaft der Atmosphäre entzogen ist. Orca filtert rund 4000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft.
ZVGWer heute schon mit Climeworks privat Gutes tun will, kann via Webshop für 1100 Franken eine Tonne CO2 vernichten lassen, und «damit machen wir aktuell kein echtes Geschäft», sagt Wurzbacher. Beobachter schätzen die reinen technischen Kosten von Climeworks derzeit auf rund 600 Franken. Bis zum Ende des Jahrzehnts hält er, angetrieben durch die genannten Kostensenkungen und Effektivitätssteigerungen, etwa 300 Franken pro Tonne für machbar, «als Zwischenschritt».
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Zumal dann das Ausstossen von Treibhausgas ein Preisschild tragen dürfte, davon gehen auch die Climeworks-Gründer aus. Selbst wenn die weltweit diskutierte Zielmarke von 100 Franken oder Dollar pro Tonne technisch nicht erreicht würde – «200 wären realistisch und durchaus tragbar», sagt Klimaforscher Reto Knutti. Immerhin liege die Lenkungsabgabe beim Heizöl bereits jetzt bei 120 Franken pro Tonne, «das wird sich annähern».
Ein Schlüsselelement für Climeworks werden neue Standorte sein. Filterprozess und Erwärmung verbrauchen viel Energie, daher arbeitet die Schweizer Anlage in Hinwil auf dem Dach der warmen Müllverbrennungsanlage, in Island steht Geothermie zur Verfügung, doch Island hat räumlich begrenzte Möglichkeiten, und nicht auf allen geologisch geeigneten Böden brummen Kraftwerke. Also dürften sonnenreiche Gebiete, wie Südspanien oder der Nahe Osten, in Frage kommen, wo Solarkraft genutzt werden kann – das wäre ganz im Sinne von Aldo Steinfeld.
Gebald und Wurzbacher sind ohne dickes Portemonnaie gestartet, die 100'000 Franken für das Gründen der AG haben sie per Kredit finanziert. Jan Wurzbacher fungiert eher als Techniker, schaut gern in Island nach dem Rechten, Christoph Gebald gibt den Aussenminister, der die Kontakte zu Investoren hält und zu Roadshows aufbricht. «Oft funktionieren Doppelspitzen nicht, aber hier klappt es bestens», hat Martin Haefner beobachtet, die beiden seien «ein wenig wie Yin und Yang». Haefner, Eigentümer des Automobilriesen Amag, stieg 2014 bei Climeworks ein, auf die er als Unterstützer der Start-up-Förderplattform Venture Kick gestossen war. Ihn reizte die Chance, bei etwas ganz Neuem dabei zu sein, «aus dem etwas Gutes entsteht, das den Unterschied machen kann», Geld darf aber dereinst auch einmal verdient werden.
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Haefner zog in jeder weiteren Finanzierungsrunde mit und gilt heute als Ankeraktionär. Was in seinen Worten heisst, dass sein Anteil «genügend hoch ist, damit ich unerwünschte Entwicklungen verhindern kann, die dem langfristigen, nachhaltigen Ansatz von Climeworks widersprechen würden», aber zugleich «wiederum nicht so hoch, dass sich andere Aktionäre nicht einbringen können, sofern sie am selben Strang ziehen» – diese Haltung liegt exakt auf der Linie der Gründer.
Geldgeber Climeworks: Martin Haefner ist Eigentümer von Amag und stieg 2014 ein. Er gilt heute als Ankeraktionär.
Gerry Nitsch / 13 Photo
Alfred Gantner: Seine Partners Group stieg gross in der jüngsten Finanzierungsrunde ein.
Joseph KhakshouriGeldgeber Synhelion: Dino Graf koordiniert bei der Amag die Kooperation mit der ETH. Die Amag ist bei Synhelion Aktionärin.
PDGonzalo Galindo Leitet die Abteilung Ventures beim Zementriesen Cemex, der bei Synhelion investiert ist.
PDDie Förderer ETH-Professor Reto Knutti ist der wohl wichtigste Klimaforscher der Schweiz.
ETH Zuerich / Giulia MarthalerJoël Mesot Physiker, seit 2019 Präsident der ETH. Unterstützt den Transfer von Wissenschaft zu Wirtschaft.
PD / ETH ZuerichDie beiden sprechen in den höchsten Tönen von Haefner, seinem philanthropischen Engagement und verantwortungsbewussten Investmentansatz. Er seinerseits lobt die Chemie mit den Gründern. Taucht Klärungsbedarf auf, nimmt er sich stets Zeit. Das Vertrauen geht so weit, dass Haefner auf einen Sitz im Verwaltungsrat verzichtet hat; «mir genügt es», sagt er, «wenn ich sehe, dass dort die richtigen Leute sitzen und die Richtung stimmt». Sein Anteil, den er nicht beziffern mag, dürfte zwischen 25 und 30 Prozent liegen.
Punkto Richtung hat Gebald eine markante Aussage: «Wir sind das Tesla des Carbon Dioxide Removal.» Gemeint ist: Climeworks sieht sich als Vorreiter, als bisher einziger Anbieter mit laufenden Anlagen, «Hinwil liefert schon seit fünf Jahren Messdaten, die sind Gold wert», während die Konkurrenz nach wie vor in ihren Labors an Prototypen bastelt. Als nächste Verfolger gelten Carbon Engineering aus Kanada und Global Thermostat (USA), zudem schiessen Nachrücker wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden. Carbon Engineering will nicht vor 2024 die erste Installation startbereit haben; «diesen Vorsprung wollen wir verteidigen», so Gebald.
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Und so soll die Zahl der Mitarbeiter, derzeit 200, bis 2025 auf rund das Fünffache steigen. Es brauche viel Geld, denn Banken finanzierten die Klimaprojekte nicht, sagt Gebald, und Climeworks wickelt von Standortsuche und Genehmigungen bis Bau und Betrieb alles selbst ab. Mit diesem Aufwand erklärt sich auch die neueste Finanzierungsrunde mit ihren monströsen 600 Millionen Franken, die eines Tages komplett auf einem Firmenkonto landeten, «das war schon leicht surreal».
Zu den Geldgebern gehörten die Schweizer Partners Group und Singapurs Staatsfonds GIC, aber auch wieder Martin Haefner mit seiner Privatholding Big Point. Der Firmenwert, über den natürlich alle schweigen, dürfte in den Bereich von 3 bis 3,3 Milliarden Franken gestiegen sein. Die Gewalten sind verteilt: Keiner, auch Gebald und Wurzbacher nicht, liegt in der Nähe einer Mehrheit. An Exit denken die Gründer, beteuern sie, noch lange nicht. Klar ist aber auch: Bald werden die Anlagen Milliarden kosten. Womöglich bleibt in nicht allzu ferner Zeit nur ein Börsengang, um das notwendige Kapital einzusammeln.
Bei ihm geht es nicht um Geld – Wissenschaft ist seine Leidenschaft: Aldo Steinfeld treibt die Grundlagenforschung voran und entwickelt innovative Ideen, das industrielle Skalieren der Technologien übernehmen die Spin-offs. Aus Uruguay stammend, in Montevideo aufgewachsen, studierte er zunächst Aeronautical Engineering am Technion, der Technischen Universität Israels. Den Doktortitel erwarb er in den USA an der University of Minnesota. 1991 stiess der heute 62-Jährige zum Paul-Scherrer-Institut, wo er das Labor für Solartechnologie leitete, bald darauf wechselte er zur ETH, wo er seitdem die Professur für Erneuerbare Energieträger hält.
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«Mein Forschungsschwerpunkt bestand schon anfangs darin, Wege zu finden, um Treibstoff mit Solarenergie herzustellen», sagt Steinfeld – und zwar «Drop-in»-Treibstoffe: synthetische Alternativen für die aus Erdöl gewonnenen flüssigen Kohlenwasserstoffe wie Kerosin und Benzin, die deshalb vollständig kompatibel sind mit den bestehenden Infrastrukturen für Lagerung, Verteilung und deren Endanwendung. Insbesondere Solarkerosin kann zu einem nachhaltigen Langstreckenflugverkehr beitragen. «Und weil nach deren Verbrennung nur CO2 und Wasser als Emissionen zurückbleiben, kam ich auf den Lösungsweg, CO2 und Wasser direkt aus der Luft zu filtern, um sie dann zurück in Treibstoff zu verwandeln», sagt Steinfeld. Damit wäre der Stoffkreislauf perfekt geschlossen; «ein gänzlich nachhaltiger Prozess».
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Steinfeld, der mit seiner Gruppe 25 Patente eingereicht hat, lieferte mit seiner Anlage auf dem ETH-Dach den Beweis, dass dieser Kreislauf funktioniert: Climeworks setzt nun den CO2-Filterprozess aus der Luft in industriellem Massstab um – «Direct Air Capture» als Werkzeug, das dem zweiten Teil dienen kann, den Synhelion verwirklicht: die Umwandlung in Kraftstoffe. «Natürlich bin ich stolz auf meine ehemaligen Doktoranden – und ich freue mich sehr, dass sie so viel Erfolg haben», lächelt Steinfeld. Er sei «ein Hyper-Visionär», schwärmt Christoph Gebald; die Sonne liefere alle paar Minuten mehr Energie zur Erde, als die Menschheit verbraucht, habe Steinfeld stets gepredigt, wozu also klimaschädliches Erdöl verwenden?
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Steinfeld selbst gibt die Komplimente zurück: «Alle drei, Jan, Christoph und Philipp, waren exzellente Studenten, hochintelligent und harte Arbeiter – und sie haben das Engineering im Blut.» Lob für die gesamte Klimapatrouille kommt von ETH-Präsident Joël Mesot, der Steinfeld gut kennt: «Seine Energie und Überzeugungskraft sind bemerkenswert. Dank seiner Forschung gelingt es ihm, die besten Talente anzuziehen.»
Einer fehlt bei Steinfelds Aufzählung: Synhelion-Mitgründer Gianluca Ambrosetti nahm einen anderen Weg. 2009, als Climeworks bereits am Leben war, begegnete er erst seinem späteren Mitgründer Philipp Furler; er selbst war damals Forschungsleiter einer Firma namens Airlight Energy, die Doktorarbeiten am Steinfeld-Lehrstuhl sponserte. Ambrosetti, heute 47 Jahre alt, hatte sein Doktorat bereits an der EPFL in Lausanne erworben. 2015 war Furlers (38) Dissertation fertig, und Ambrosetti wollte Airlight, wo es im Verwaltungsrat rumpelte, verlassen – ein beruflicher Wendepunkt für beide.
Zunächst starteten der Tessiner und der Zürcher noch getrennt: Furler gründete ein ETH-Spin-off namens Sunredox und trieb hier die Installation auf dem Dach des Gebäudes voran. Ambrosetti spannte mit Investoren und Giorgio Mazzanti zusammen, einst CEO bei Italiens Energieriesen ENI und noch heute, mit weit über 90, bei Synhelion als strategischer Berater dabei. Die Gruppe gründete ebenfalls eine Firma, um ein verwandtes Projekt mit ENI zu leiten. 2018 fusionierten sie dann zu Synhelion.
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Synthetische Treibstoffe, vor allem aus Sonnenlicht, waren damals noch kaum Thema, «Investoren waren davon noch nicht begeistert», erinnert sich Ambrosetti. Der frühere Tessiner Spitzenbanker Francesco Bolgiani, er ist Mitgründer und sitzt heute im VR, unterstützte sie in der frühen Phase. Den ersten Versuchsträger schraubten sie selber zusammen, etwa in Horgen, noch läuft ein Testbetrieb am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, und die Pilotanlage in industrieller Grösse geht derzeit im westdeutschen Jülich in Betrieb: Das Grundstück misst 80'000 Quadratmeter, die Spiegelfäche 20'000, die das Sonnenlicht gebündelt zu einem Receiver schickt, der in einem 60 Meter hohen Turm steckt, dort treibt die Hitze dann den chemischen Umwandlungsprozess im Reaktor an.
EIN FÄNGER FÜR SONNENSTRAHLEN Die beiden Synhelion-Gründer Gianluca Ambrosetti (l.) und Philipp Furler mit dem ersten ihrer Receiver, zu dem Spiegel das Sonnenlicht schicken, das dann im Reaktor für die nötige Hitze sorgt. Sie haben ihn selbst gebaut in einer Halle in Horgen, wo er bis heute steht.
Nik Hunger für BILANZEIN FÄNGER FÜR SONNENSTRAHLEN Die beiden Synhelion-Gründer Gianluca Ambrosetti (l.) und Philipp Furler mit dem ersten ihrer Receiver, zu dem Spiegel das Sonnenlicht schicken, das dann im Reaktor für die nötige Hitze sorgt. Sie haben ihn selbst gebaut in einer Halle in Horgen, wo er bis heute steht.
Nik Hunger für BILANZDas Ganze könnte, ideale Sonneneinstrahlung vorausgesetzt, pro Jahr rund 150'000 Liter Treibstoff herstellen. Wobei die Produktionskette hier nicht bis zu Benzin oder Kerosin reichen soll, sondern «nur» bis zum Vorprodukt Synthesegas, einem Gemisch von Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Das Ganze, Steinfelds zweiter grosser Schritt im Kreislauf, lässt sich als Umkehrung der klassischen Verbrennung begreifen: Bei dieser reagieren Kohlenwasserstoff und Sauerstoff, die entstehende Wärme treibt einen Prozess an, Endprodukte sind CO2 und Wasserdampf.
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Synhelion jedoch beginnt mit diesen beiden, muss aber nun viel Energie hineinstecken in Form von Hitze, dann spalten sich das CO2 und das Wasser, und es entsteht das Synthesegas; dieser Schritt markiert die Kerntechnologie von Synhelion. Die enormen Energiemengen liefert die Sonne über das Spiegelfeld; bis zu 1500 Grad sind notwendig, damit im Reaktor die Chemie zu arbeiten beginnt. Aus diesem Gas lassen sich über industriell etablierte Verfahren Treibstoffe herstellen: Das Gas wird mittels «Fischer-Tropsch-Synthese» in synthetisches Rohöl weiterverarbeitet und dann in Raffinerien zu Kerosin, Benzin oder anderen Endprodukten veredelt.
Aus Jülich sollen Swiss und Lufthansa ihre ersten Lieferungen Flugbenzin beziehen. Die weiteren Schritte sind klar: Skalierung, Ausweitung also. Die nächste Anlage wird im sonnenreichen Spanien stehen oder gleich mehrere nebeneinander; bis 2030 will Synhelion der Sonne rund 700'000 Tonnen – oder 875 Millionen Liter – Kerosin abzapfen, das wäre knapp die Hälfte eines Jahresverbrauchs der Schweiz. 2040 soll es bereits die Hälfte des Verbrauchs von ganz Europa sein. Aktionär Cemex mit seinen riesigen Landreserven und Zementwerken, die viel CO2 ausstossen und damit eine ergiebige Kohlenstoffquelle abgeben, dürfte beim weiteren Wachstum noch eine Rolle spielen.
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Auch Synhelion, die im Vergleich mit Climeworks noch klein ist, stehen also monströse Finanzierungsrunden bevor. Und viel Arbeit: Die Herstellungskosten sollen sinken, also wird an den Spiegeln optimiert, an Kontrollsystem und Wärmespeicher – der Reaktor soll auch nachts, wenn keine Sonne scheint, durchlaufen können, damit der nachgelagerte Verarbeitungsprozess nicht stetig hoch- und heruntergefahren werden muss. Diese Kostenbremse ist elementar, denn für die nächsten Jahre wird Synhelion wie ein Treibstoffproduzent arbeiten, also bis zur Spritlieferung vieles selbst machen, um die ganze Kette in den Griff zu bekommen – später «könnten wir auch als Technologielieferant in einem Lizenzmodell agieren», sagt Philipp Furler.
In der naturgemäss knappen Freizeit als Gründer entwickelt Furler auch noch das Leben seiner drei Kinder; auch Christoph Gebald und Jan Wurzbacher sind junge Väter. Gianluca Ambrosetti jedoch pflegt eine andere intensive «Nebenbeschäftigung»: Jazz, auf professionellem Niveau. Sohn des gefeierten Hornisten Franco Ambrosetti, spielt er selbst Sopran-Saxophon, «wir geben zusammen rund fünf Konzerte pro Jahr». Ihn und seine Frau hält obendrein der ziemlich neugierige Angu auf Trab: ein Dackel im Teenager-Alter.
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Vier promovierte Ingenieure und Gründer mit zwei Start-ups im Beschleunigungsmodus, dazu ihr mehrfach preisgekrönter Professor: Da geht was in Zürich, rein klimatechnisch. Dass die beiden Firmen noch nicht zusammengearbeitet haben, so wie in Aldo Steinfelds Solar-Raffinerie, dürfte mit den beiderseits zeitraubenden Aufbauarbeiten zusammenhängen – doch Christoph Gebald und Philipp Furler sind bereits häufig cross-company unterwegs: Sie joggen gemeinsam, Furler nennt es «rennen». Das trifft es womöglich besser.
Auch bei Synhelion halten die Gründer nicht mehr die Mehrheit. Direkter Aktionär ist die Amag als Unternehmen, wie hoch, «darüber sprechen wir nicht», sagt Dino Graf, der für den Autokonzern die Kooperation mit der ETH koordiniert, etwa im Rahmen der ETH-Initiative für Sustainable Future Mobility. Eine Amag-Anfrage zur Wirtschaftlichkeit von synthetischen Treibstoffen landete auf dem Pult von Aldo Steinfeld, «so lernten wir Synhelion und ihren spannenden Technologieansatz kennen», sagt Graf.
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Tatsächlich soll es keine andere Firma geben, die auf diesem Weg ähnlich weit vorangekommen ist; das E-Fuel-Projekt von Autobauer Porsche in Chile nutzt einen anderen, mehrstufigen Prozess, der als speziell geeignet gilt zur Herstellung von Benzin. Die SBB sollen bereits bei Steinfeld sondieren, wie es um Bezugsmöglichkeiten für synthetischen Diesel steht.
Von Synhelion will die Amag ab 2023 ersten synthetischen Sprit beziehen, mit Climeworks bis 2040 die Hälfte aller CO2-Emissionen eliminieren, die der Konzern bis dahin nicht anderweitig vermeiden kann. Halbwegs kurios: Die Engagements von Firma und Eigentümer bei den zwei Start-ups ergaben sich wie in jenem Sprichwort, in dem die linke Hand nicht weiss, was die rechte tut. «Die Amag wusste lange Zeit gar nicht, dass ich privat in Climeworks investiert bin», sagt Haefner. «Diese beiden Investments sind völlig unabhängig voneinander.»
Dass sich die Amag so konsequent dem Klimaschutz zugewandt hat, erklärt Eigentümer Haefner mit der offensichtlichen Alternativlosigkeit der E-Mobilität, der sich die Autobranche, vor allem aber Amag-Lieferant Volkswagen, verschrieben hat: «Also haben wir gesagt: Wir setzen uns in der Schweiz an die Spitze der Bewegung.» Tatsächlich liess Haefner Taten folgen. Konkurrent Emil Frey hält hingegen still.
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«Gerade Aldo Steinfeld wäre zu wünschen, dass er sich noch einmal täuscht.»
Verglichen mit ihrem potenziellen Arbeitsvolumen sind die beiden Start-ups noch winzig. 40'000 Tonnen CO2 will Climeworks mit der künftigen Anlage «Mammut» jährlich unschädlich machen, global fallen aber gut 40 Milliarden Tonnen an. «Dieser entstehende Sektor», sagt Reto Knutti, «muss einmal, um einen Anhaltspunkt zu geben, so gross werden wie die heutige Öl- und Gasindustrie.»
Als Anschubhilfe brauche es von der Politik die richtigen Rahmenbedingungen, etwa Preise auf CO2-Emissionen, Beimischquoten für synthetische Kraftstoffe zu den bisherigen fossilen oder feste Zielvorgaben für einzelne Wirtschaftssektoren. Ohne Verzicht werde es dennoch nicht gelingen, die Erwärmung des Globus aufzuhalten, warnt Knutti.
Aber: nur CO2-Vernichtungs-Technik im Stil von Climeworks hat das Potenzial, die Emissionsbilanzen ins Negative umzukehren. Und Synhelions Kraftstoffe könnten dereinst nicht nur Flugbenzin, sondern auch Benzin, Diesel und Heizöl ersetzen.
Es braucht also krisenfeste, skalierbare Produktionstechnik und schnelle Industrialisierung, in anderen Worten: Zeit, Geld und weitere technische Durchbrüche. Steinfeld geht heute davon aus, dass «wir in zehn Jahren Installationen im grossen Stil sehen werden», vor einigen Jahren hatte er noch deutlich mehr Zeit veranschlagt. Er habe «schon bisher nicht erwartet, dass sie so schnell vorankommen würden», und vielleicht überraschen ihn seine Start-ups ein weiteres Mal. Gerade Aldo Steinfeld wäre zu wünschen, dass er sich noch einmal täuscht.
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Der hat bereits das nächste Grossprojekt in Angriff genommen: Er forscht an Verfahren, die emissionsintensive Produktion von Ammoniak, dem wichtigsten Grundstoff für landwirtschaftlichen Dünger, nachhaltiger zu machen. Womöglich muss sich der Planet dereinst bei einigen Herren aus Zürich bedanken.
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