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Chefwechsel bei Amag: Neuer Trainer, neue Spielzüge

Die Amag hat einen neuen CEO: Helmut Ruhl wird beim Schweizer Autoriesen Methoden aus dem Profisport zur Anwendung bringen.

Dirk Ruschmann

Dirk Ruschmann

Helmut Ruhl

Amag-CEO Helmut Ruhl: Der Erfolg kommt, «wenn man Spielzüge so lange üben lässt, bis sie wirklich sitzen.»

Paolo Dutto für BILANZ

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Wenn der Chef die Angestellten trifft, nennt sich das im Grosskonzern gemeinhin «Townhall Meeting».

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Generalstabsmässig von der Kommunikationsabteilung vorgespurt und der CEO mit Sprechzetteln voll unbedenklicher Formulierungen und glücksversprechenden Botschaften sowie der festen Absicht bewaffnet, kritische Fragen ins Leere laufen zu lassen, verabschiedet sich die Belegschaft normalerweise anschliessend verstört in ihre Büros oder gleich in den Apéro.

Bei der Amag treffen zwanzig Mitarbeiter aus verschiedensten Teilen des Unternehmens für eine Stunde, die sich auch mal auf 90 Minuten ausdehnen kann, den Konzernleiter und sprechen über alles, was ihnen auf der Seele liegt. Hier heisst die Veranstaltung schlicht «Frag Helmut».

Helmut, das ist der Neue bei der Amag. Seit März amtet er als CEO des grössten Handels- und Importkonzerns im Schweizer Automarkt, führt 6500 Mitarbeiter und verantwortet vier Milliarden Franken Umsatz, die sich nach Corona wieder Richtung fünf Milliarden bewegen werden.

Wobei, so ganz neu ist Helmut Ruhl nun auch wieder nicht: Bei der Amag stieg er im September 2017 als Finanzchef ein und bildete mit seinem CEO-Vorgänger Morten Hannesbo die zweiköpfige Konzernleitung. Schon kurz nach seinem Antritt bauten beide an der wenige Monate später gegründeten Amag Group.

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Helmut Ruhl

Ein CEO im Driver’s seat: Helmut Ruhl im historischen Formel-V-Renner von 1967, der im Foyer der Amag-Zentrale in Cham steht.

Paolo Dutto für BILANZ
Helmut Ruhl

Ein CEO im Driver’s seat: Helmut Ruhl im historischen Formel-V-Renner von 1967, der im Foyer der Amag-Zentrale in Cham steht.

Paolo Dutto für BILANZ

Die Umstrukturierung war notwendig geworden, weil die Erben des Amag-Gründers Walter Haefner, die Geschwister Martin Haefner und Eva Maria Bucher-Haefner, ihre gemeinsame Careal Holding auseinanderdividierten – und Martin, der seine Schwester ausbezahlt hatte, zum Alleineigentümer der neuen Amag avancierte.

Mittendrin war Ruhl auch bei den folgenden internen Aufräumarbeiten der Geschäftsfelder, die in einzelne Business Units gegliedert wurden, um sich, intern wie extern, «marktfähig» zu machen.

Der Mann hat also seinen aktuellen Arbeitsplatz bereits mitgestaltet – und sich zur Vorbereitung auf den CEO-Job um eine «Schnupperlehre» in den Amag-Abteilungen beworben, «der Zuschlag kam ziemlich schnell», lacht Ruhl.

Der CEO als Lehrling

Also kommissionierte er Lieferungen im Ersatzteillager und liess sich von der besten Mitarbeiterin dort, einer Dame, die acht Wochen vor der Pensionierung stand, ihre Technik der Antizipierung logistischer Handgriffe erklären, arbeitete in der Garage Schinznach in Service-Annahme und Werkstatt («in den Verkauf haben sie mich nicht gelassen»), und im Porsche-Zentrum Maienfeld blickte er in die strahlenden Augen eines Mechanikers, unter dessen Anleitung «ich so tun durfte, als könnte ich einen 918 Spyder reparieren». Von dem millionenteuren Supersportler verkehren nur 23 in der Schweiz.

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Und nun, nach ziemlich genau 100 Tagen im Amt, spricht Helmut Ruhl zum ersten Mal mit einem Medium.

Neben einem erfrischend bodenständigen Auftritt ohne Anzeichen einer CEO-typischen Bedeutungs-Bugwelle und der offensichtlichen Begabung zur Selbstironie tut sich an der Amag-Spitze mit Ruhl auch eine ganz neue Welt der Vermittlung von Führungskultur auf: via Fussball-Metaphern.

Amag Hauptsitz

Der neue Hauptsitz: Mit dem Umzug vom Zürcher Utoquai nach Cham hat die Amag Platz gewonnen. Derzeit arbeiten noch viele im Homeoffice.

PD
Amag Hauptsitz

Der neue Hauptsitz: Mit dem Umzug vom Zürcher Utoquai nach Cham hat die Amag Platz gewonnen. Derzeit arbeiten noch viele im Homeoffice.

PD

Helmut Ruhl kickte einige Jahre bei der SG Randersacker, einem Vorortclub von Würzburg, in der vierthöchsten deutschen Liga – ein Niveau, auf dem bereits etwas Geld in die Taschen der Spieler fliesst.

Ruhl träumte zeitweilig von einer Karriere als Profifussballer, trug in der Jugend noch die 10, «also Michel Platini», und wurde später ins defensive Mittelfeld umgeschult, «rennen und grätschen war dann meine Position», grinst er.

Heute, als Manager, vergleicht er sich mit einem Fussballtrainer, der hohe Erwartungen an seine Spieler hegt und «die Aufgabe hat, die Organisation und jeden einzelnen Mitarbeitenden weiterzuentwickeln».

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Deshalb kommuniziere er «sehr direkt» seine Erwartungen, gebe «oft und detailliert Feedback». Er sucht nach Variabilität: «mit Ordnung im System und zugleich kreativen Einzelspielern, die sich in den Dienst der Mannschaft stellen» – wie an den Glanztagen der Nationalmannschaften Frankreichs oder Spaniens zu beobachten. «So stelle ich mir unsere Arbeit hier vor; mit dem Ziel, dass wir es jeden Tag besser machen wollen.»

Die ersten Ansätze zeigen in die richtige Richtung. Zwar hat Corona auch beim Marktführer kräftige Bremsspuren in der Bilanz hinterlassen, aber die Perspektiven stimmen. Audi, die Premium-Hauptmarke im Portfolio und einstiger Marktführer der deutschen drei, liegt «nun wieder auf Augenhöhe mit BMW und in Sichtweite zu Mercedes».

Strammes Training

Meistverkauftes Auto ist der Skoda Octavia, der VW-Bus T6 läuft wie geschnitten Brot, der VW-Stromer ID.3 hat den Tesla 3 überholt, sein später gestarteter SUV-Bruder ID.4 setzt seinerseits zum Siegeszug an.

««Da haben wir mehr Potenzial als die Wett­bewerber.»»

Helmut Ruhl, Amag-CEO

Die Produkte aus dem VW-Konzern seien «super», sagt Ruhl, und die Amag mit ihren vielen Markenpartnern könne junge Kunden etwa mit dem Einsteigerbrand Seat gewinnen und später bis in die Oberklasse zu Audi und Porsche begleiten, «da haben wir mehr Potenzial als die Wettbewerber».

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Dass der Marktanteil der Amag Ende Mai rekordverdächtige 31,9  Prozent erreichte, sei das Ergebnis, sagt Ruhl lächelnd, «wenn man im Training Spielzüge immer wieder abpfeift und so lange üben lässt, bis sie wirklich sitzen».

Da könne er «wie Thomas Tuchel Spieler in den Wahnsinn treiben». Tuchel hat mit dem FC Chelsea gerade die Champions League gewonnen. Der taugt also als Vorbild.

Ruhl, der im November 52 wird, hat bei der Amag die Chance, mehr als eine Dekade zu prägen – wie sein Vorgänger Morten Hannesbo, der seit Sommer 2007, zunächst als Direktor Import und bald CEO, operativer Konzernleiter war.

Im Vergleich zu dem Dänen, schon er ein kommunikativ begabter, unprätentiöser Typ, der aus einer träge-verschnarchten Unternehmung mit Reformstau eine moderne Gruppe baute, wirkt Ruhl sogar noch bodenständiger.

Er gilt als eher Finance-orientiert, werde sich dem Geschäft über Zahlen und Controlling nähern, während Hannesbo eher als Aussenminister wirkte und an Vertrieb und Volumen schraubte; «ein etwas anderer Weg, aber zum selben Ziel», sagt ein Amag-Topmann, der beide gut kennt.

Helmut Ruhl

Sportlicher Auftritt: Ruhl treibt viel Sport, spielt auch Eishockey in der Betriebstruppe Amag Lightnings. Früher dachte er zeitweilig an eine Karriere als Profifussballer.

Paolo Dutto für BILANZ
Helmut Ruhl

Sportlicher Auftritt: Ruhl treibt viel Sport, spielt auch Eishockey in der Betriebstruppe Amag Lightnings. Früher dachte er zeitweilig an eine Karriere als Profifussballer.

Paolo Dutto für BILANZ

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Noch ein Unterschied: Hannesbos Sport war ambitioniertes Velofahren, Ruhl hingegen ist, abgesehen von seiner morgendlichen 20-Minuten-Joggingrunde, Skifahren und einem professionellen Ruderboot («ein ziemlich cooler Sport»), ein Mann der Ballspiele: «Tennis, schlecht. Eishockey, sehr schlecht.»

Aber immerhin mit so viel Freude, dass er die Betriebsmannschaft Amag Lightnings beglückt, «da bin ich in der dritten Sturmreihe, in einer Minute auf dem Eis kann man nicht viel kaputtmachen».

Im Geschäft hat Ruhl fünf Bereiche definiert, in denen er Strategien schärfen oder neu ausarbeiten will: Entwicklung des Business, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Firmenkultur und Kundenbeziehungen. Inhaltlich lässt er noch wenig durchblicken; entweder ist er noch nicht so weit gekommen im ersten Vierteljahr als CEO, oder er möchte die neuen Ideen erst im fertigen Paket nach aussen kommunizieren.

Mit den beiden Leader-Zirkeln der Amag, die sich «Top30» und «Top300» nennen, hat er offenbar schon einiges auf den Weg gebracht.

Am weitesten scheinen die Pläne im unvermeidlichen Punkt Nachhaltigkeit. Drei Pilotprojekte zur Nutzung von Solarenergie laufen, und als Endziel soll Fotovoltaik über 80'000 Quadratmeter Fläche, was zehn Fussballfeldern entspricht, auf Amag-Liegenschaften installiert sein.

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Damit könnte ein knappes Drittel des Strombedarfs der Firma gedeckt werden. Mitarbeiter sollen beim Kauf von E-Autos Unterstützung erhalten, die Dienstwagen der Kader werden allmählich auf Batterieantrieb umgestellt, und bald dürfte Ruhl ein CO2-Neutralitäts-Ziel für die Amag ausrufen. Und den strammen Elektrifizierungskurs von Partner/Lieferant Volkswagen findet Ruhl so richtig wie alternativlos.

Haefners Vorgaben an das Management lassen sich in einer Vision zusammenfassen: «Führender Anbieter nachhaltiger Mobilität» soll die Amag sein, zudem eine untadelige Reputation sicherstellen.

Aufhorchen lässt Ruhls Aussage, punkto Unternehmensentwicklung sei der Auftrag, erst einmal offen zu sein – zu prüfen, wie man sich, natürlich im Umfeld der aktuellen Wertschöpfungskette, weiterentwickeln wolle.

Aber erstreckt sich die Offenheit auch auf Schritte ins Ausland? Gar einen möglichen Börsengang? Beides war bisher unvorstellbar. Doch offensichtlich sind alle Denkverbote aufgehoben. Ruhl sagt, «nach nur drei Monaten als CEO schliesse ich nichts ein und nichts aus». Das wird noch interessant.

Von China nach Cham

In Würzburg aufgewachsen und mit abgeschlossenem Studium der Betriebswirtschaftslehre, das er sich per Nebenjob im Baumarkt OBI finanziert hatte, stieg Ruhl bei der damaligen DaimlerChrysler ein. Am Stammsitz Stuttgart machte er Karriere im Controlling, arbeitete zwischenzeitlich mehrere Jahre in Prag und Peking, von 2007 bis 2010 auch als Finanzchef der Mercedes-Benz Schweiz AG in Schlieren, der hiesigen Vertriebsgesellschaft des Konzerns.

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In China stählte er seine kulturellen und verhandlungstaktischen Fähigkeiten, als er für Daimler mit den Joint-Venture-Partnern vor Ort die Verträge neu aushandeln musste – an einem Samstag.

Als sein CEO nach fünf Stunden per SMS den Stand der Dinge abfragte, waren sie immerhin auf Seite zehn des Papiers angelangt; die ersten acht Seiten bestanden allerdings nur aus dem Inhaltsverzeichnis. Doch es gelang. Solches Einfühlungsvermögen will Ruhl auch in der Schweiz an den Tag legen.

Als der Anruf vom Zürcher Headhunter Bjørn Johansson kam, fuhr Ruhl neugierig nach Zürich – den warmen Daimler-Schoss für eine Familienfirma zu verlassen, da sollte schon alles passen.

Audi e-tron GT

Hoffnungsträger Elektrosportler: Autos wie der Audi e-tron GT sollen ambitionierte und designorientierte Fahrer für das Stromern begeistern.

PD
Audi e-tron GT

Hoffnungsträger Elektrosportler: Autos wie der Audi e-tron GT sollen ambitionierte und designorientierte Fahrer für das Stromern begeistern.

PD

Und es passte: im ersten Gespräch mit Hannesbo menschlich, später auch mit Haefner, das Assessment sprach für ihn. Verhandlungsgegenstand war der Job als CFO, für den Ruhl zurück in die Schweiz kam.

CEO-Potenzial war zwar ein Auswahlkriterium, aber keine zwangsläufige Aufstiegsperspektive, weder für die Amag noch für Ruhl selbst. Diesen Job musste er sich erarbeiten.

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Früh um fünf steht er auf, das hat er sich in der Schweiz angewöhnt. Nach E-Mails und Frühsport fährt er von Küssnacht am Rigi, wo er mit seiner Familie wohnt und dem Skiclub Seebodenalp beigetreten ist, nach Cham ins Büro.

Beim Daimler ging es morgens erst gegen neun Uhr los. Und los geht es auch bald für die ältere der beiden Töchter, die Ruhl mit Ehefrau Barbara hat – die Matura und den frühestmöglich erworbenen Führerausweis in der Tasche, will sie nun mit Freundinnen im Ruhl’schen VW-Campingbus Europa erobern. Die jüngere, bald 16, geht noch zur Schule.

Martin Haefner (l.) und Morten Hannesbo

Ruhls Förderer: Der öffentlichkeitsscheue Inhaber Martin Haefner (links) und Modernisierer Morten Hannesbo, der Ruhl in die Schweiz geholt hat.

Gerry Nitsch / 13 Photo
Martin Haefner (l.) und Morten Hannesbo

Ruhls Förderer: Der öffentlichkeitsscheue Inhaber Martin Haefner (links) und Modernisierer Morten Hannesbo, der Ruhl in die Schweiz geholt hat.

Gerry Nitsch / 13 Photo

Die beiden könnten ähnliche Erfahrungen mit Vater Helmut gemacht haben wie seine Mitarbeiter, die von «intensiven Tagen» und unverblümter Ansprache berichten. «Ich mag Menschen sehr», sagt Ruhl, «und ich bin der festen Überzeugung, dass es zu wenig ist, einmal pro Jahr Mitarbeitergespräche zu machen».

Nach Abschluss der Schnupperlehre will er jeden Monat einen Amag-Betrieb besuchen und den Mitarbeitern dort den Puls fühlen. Diese Tour soll dann das virtuelle Format «Frag Helmut» ergänzen, möglicher Arbeitstitel: «Auf ein Sandwich mit Helmut». Der wäre in seiner Schnörkellosigkeit ganz passend.

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