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Technologie

ChatGPT: Der iPhone-­Moment für künstliche Intelligenz

ChatGPT bringt einer revolutionären Techno­logie den Durchbruch.

Marc Kowalsky

DALL-E

ChatGPT kann den Menschen nicht ganz ersetzen, doch ihm viel Arbeit abnehmen – und selbst in kreative Gebiete vorstossen: Illustrationen, entstanden durch künstliche Intelligenz anhand von eingegebenen Themen.

illustriert von DALL-E

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Immer im Januar, unmittelbar vor dem WEF, trifft sich die globale Tech-Elite in München. An der DLD (Digital Life Design) diskutieren über 1700 geladene Gäste aus rund 50 Ländern zwei Tage lang über neue Technologien, deren Folgen für die Gesellschaft und die daraus entstehenden Geschäftsmöglichkeiten. Mark Zuckerberg ist hier schon aufgetreten und YouTube-Gründer Chad Hurley, Microsoft-Chef Satya Nadella und Jimmy Wales von Wikipedia, aber auch EU-Präsidentin Ursula von der Leyen und Wirtschaftsnobelpreisträger Muhammad Yunus.

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Seit 19 Jahren gibt es die Konferenz bereits, aber noch nie stand sie so im Bann eines einzigen Themas wie heuer: Gleich 10 der 110 Vorträge und Panels widmeten sich der künstlichen Intelligenz (KI), in fast jeder anderen Präsentation und Diskussion wurde das Thema angeschnitten. Besonders die KI-Anwendung ChatGPT war in aller Munde. «Wenn wir ein Glas Schnaps hätten trinken müssen bei jeder Erwähnung von ChatGPT, wären wir nach einer Stunde tot gewesen», so Ina Fried, eine der Moderatorinnen.Ende November wurde der KI-basierte Chatbot für die Allgemeinheit freigegeben, seither beantwortet er Millionen von auch komplexen Fragen in einer Weise, die nach Mensch klingt und nicht nach Maschine: strukturiert, wohlformuliert, begründet, auch im Dialog. Sogar Gedichte kann er schreiben, Computer-Code oder Business-pläne, Witze erzählen, Drehbücher entwerfen. Nach nur fünf Tagen zählte ChatGPT eine Million registrierte Benutzer. Keine Technologie in der Menschheitsgeschichte, von Auto bis iPhone, hat sich schneller durchgesetzt.

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Nach zwei Monaten waren es bereits über 100 Millionen User. ChatGPT ist für KI das, was der Netscape Navigator war für Webbrowser, das iPhone für Smartphones oder Facebook für Social Media: jenes Produkt, das einer Nischenanwendung plötzlich zum Durchbruch in der breiten Öffentlichkeit verhilft.

«ChatGPT ist Thema Nummer 1 auch im Silicon Valley», sagt Toni Schneider. Der Schweizer VC lebt und arbeitet seit über 20  Jahren in San Francisco: «Bei den meisten Technologiebeben, von Blockchain bis Metaverse, gab es jeweils auch viele Skeptiker. Jetzt sind sich alle einig: KI ist das nächste grosse Ding!» Ludwig Ensthaler, Gründer der deutschen VC-Firma 468 Capital, sagt: «KI ist die dritte grosse Revolution nach Internet und Cloud.» Denn KI ist eine Basistechnologie, auf die Anwendungen aus den verschiedensten Bereichen aufbauen können – und die jeden davon umkrempeln kann. Das macht sie so mächtig.
 

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Durchbruch

Dabei ist künstliche Intelligenz eigentlich ein alter Hut: Seit den 50er Jahren arbeiten Forscher an denkenden Maschinen. Nach zunächst guten Fortschritten ging die Branche in den 80er und 90er Jahren durch eine Krise, auch bekannt als «KI-Winter», als zahlreiche Erwartungen enttäuscht worden waren. Der Frühling kam in den 2000er Jahren mit der Entwicklung von maschinellem Lernen, das es Computern ermöglicht, Daten zu analysieren und daraus Schlüsse und Prognosen abzuleiten, ohne explizit programmiert zu werden. Dass der breite Durchbruch jetzt erfolgt, liegt an den jüngsten Fortschritten bei Chips und damit Rechenkapazität – und dass sich zunehmend mehr Softwareentwickler mit KI befassen.

OpenAI, die Firma hinter ChatGPT, ist seit etwas über sieben Jahren aktiv. Gegründet wurde sie von niemand Geringerem als Elon Musk, zusammen mit Sam Altmann. Der heute 37-Jährige gilt als Wunderkind des Silicon Valley, war Chef des renommierten Accelerators Y-Combinator. Geldgeber waren unter anderem Mitglieder der sogenannten PayPal-Mafia: Neben Musk Peter Thiel, Mitbegründer des Zahlungsdienstes, und Reid Hoffman, COO bei PayPal und später Mitbegründer von LinkedIn. Eigentlich ist OpenAI als Stiftung angelegt, die die Frage der «existenziellen Bedrohung durch künstliche Intelligenz» erforschen soll. Und die KI-Software zum Wohle der Gesellschaft entwickeln und auf Open-Source-Basis vertreiben soll – also gratis und mit öffentlich einsehbarem Quellcode.

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Als sich Musk 2018 vom CEO-Posten zurückzog, um sich auf Tesla und SpaceX zu konzentrieren, wurde die Ausrichtung kommerziell. 2019 und 2021 steckte Microsoft jeweils eine Milliarde Dollar in die Firma, diesen Januar, kurz nach dem Durchbruch, weitere zehn Milliarden. Das trieb die Bewertung von OpenAI auf 29 Milliarden Dollar und machte die Firma zu einem der wertvollsten Start-ups der Welt. Der Deal ist win-win: Microsoft-Chef Satya Nadella kann ChatGPT in seine Office-Software und in seine Suchmaschine Bing integrieren – und hat damit erstmals die realistische Chance, dort die Dominanz von Google (Marktanteil: 90 Prozent) anzugreifen. Denn während Google nur Links auf die möglicherweise gesuchten Informationen liefert, verfasst ChatGPT ausformulierte Lösungen – Suchmaschine vs. Antwortmaschine. OpenAI wiederum kann durch diese Vorwärtsintegration die Marktdurchdringung rasant steigern und hat Zugriff auf die leistungsstarken Rechenzentren von Microsoft. Denn die KI braucht enorme Rechenpower: 2 Cent Kosten verursacht eine Anfrage, siebenmal so viel wie eine Google-Suche.
 

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Gründerboom

Dabei ist Mutterkonzern Alphabet seit Jahren ebenfalls aktiv auf dem Gebiet – ebenso wie eine ganze Reihe von Konkurrenten (siehe Ernie und Bard). Aber keiner ist so weit gekommen wie OpenAI. Und zahllose neue Anbieter poppen gerade aus dem Boden: Die letzten Jahre musste man als Start-up nur mit dem Schlagwort Blockchain locken, um das Interesse von Investoren zu wecken. Heute lautet das Zauberwort künstliche Intelligenz. 252 Milliarden Dollar wurden allein in den letzten drei Jahren weltweit in das Thema investiert. «Tausende von Gründern springen auf das Thema auf. Bei mir landen jede Woche Dutzende KI-Pitches auf dem Schreibtisch», sagt Schneider.

Ernie und Bard

Zahlreiche Herausforderer wollen ChatGPTKonkurrenz machen. Ganz vorne mit dabei: die grossen Tech-Konzerne – auch aus China.

Grösster Konkurrent für das Duo OpenAI/Microsoft ist Googles Mutterkonzern Alphabet: Keine Firma beschäftigt mehr KI-Spezialisten, und das Kerngeschäft Internetsuche ist durch ChatGPT existenziell bedroht. Deshalb herrscht bei Google Alarmstufe Rot. Seit Jahren arbeitet der Konzern an einem Sprachmodell namens LaMDA, das als noch fähiger gilt als ChatGPT. Es kam 2022 in die Schlagzeilen, als ein Entwickler öffentlich behauptete, die Anwendung habe ein Bewusstsein entwickelt, und dafür von Google gefeuert wurde. Mitte März präsentierte Alphabet ihre auf LaMDA basierende KI-Software Bard. Sie könne kindgerechte Antworten auf schwierige Fragen liefern, so CEO Sundar Pichai. Doch bei der Präsentation lieferte Bard eine falsche Antwort, der Aktienkurs fiel daraufhin um bis zu neun Prozent.Seit der Übernahme 2014 ebenfalls zum Konzern gehört DeepMind, einst ein britisches Start-up. Google überlegt, dessen Dialogsystem Sparrow dieses Jahr in einer Beta-Version für ein begrenztes Publikum freizugeben. Anders als ChatGPT soll Sparrow auch seine Quellen zitieren können.Meta-Chef Mark Zuckerberg hat den Facebook-Mutterkonzern ganz aufs Metaverse ausgerichtet – und damit womöglich aufs falsche Pferd gesetzt. Immerhin betreibt Meta seit 2015 ein eigenes KI-Forschungslabor namens Meta AI und entwickelt Chat-Systeme wie BlenderBot oder OPT-175B, das auf ähnlich vielen Datenpunkten basiert wie ChatGPT. Noch 2023 sollen derartige Produkte freigegeben werden.In unmittelbarer Nachbarschaft von Meta, OpenAI und Google, nämlich in San Francisco, findet sich Anthropic. Das von zwei früheren OpenAI-Kaderleuten 2021 gegründete Start-up hat den KI-Bot Claude entwickelt, der sich noch in einer geschlossenen Beta-Phase befindet. Letztes Jahr hat Anthropic 580 Millionen Dollar Kapital eingesammelt, eine neue Finanzierungsrunde soll heuer weitere 300 Millionen bringen und den Firmenwert auf fünf Milliarden steigern.Ebenfalls aus dem Silicon Valley stammt Character.AI. Die Chatbots des Start-ups sind seit letztem September verfügbar und erlauben simulierte Gespräche mit historischen Figuren – wer schon immer mal mit Sokrates, Queen Elizabeth, Elon Musk oder, ja, Jesus plaudern wollte, hat hier die Gelegenheit. 250 Millionen Dollar wollen die Gründer – sie kamen von Google – gerade einsammeln.Aus Deutschland geht AlephAlpha an den Start. Das 2019 in Heidelberg von einem ehemaligen Apple-Manager gegründete Start-up hat unter dem Namen Luminous eine KI entwickelt, die nicht nur Texte analysieren und produzieren, sondern auch Bilder in natürlicher Sprache beschreiben kann.In China wird nach den USA am meisten Geld in KI investiert. Der Suchmaschinenkonzern Baidu hat die auf maschinelles Lernen spezialisierte Plattform Ernie entwickelt und sie seit 2019 mit grossen Datenmengen gefüttert. Ein darauf basierender Chatbot soll bereits Anfang März lanciert werden, ebenfalls konversationsfähig sein und in die Suchmaschine integriert werden. Nach dieser Ankündigung stieg Baidus Aktienkurs um bis zu 15 Prozent. Auch Alibaba und Tencent haben eigene Wissensmaschinen versprochen.

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Noch haben künstliche Intelligenzen viele Schwächen. Wer etwa ChatGPT nach den besten Biografien von Schweizer Managern fragt, der bekommt im Brustton der Überzeugung fünf Werke vorgeschlagen, von denen kein einziges existiert, etwa: «Der lange Weg nach oben: Meine Geschichte» von Christoph Blocher. Wer nach den erfolgreichsten österreichischen Managern fragt, erhält eine Liste mit fünf Namen (etwa Heinrich von Pierer, dem ehemaligen Siemens-Chef), von denen keiner Österreicher ist und drei keine Manager sind. Und wer fragt, warum England nie die Fussball-WM gewonnen hat, dem legt ChatGPT ausführlich vier Gründe dar, die recht überzeugend klingen – abgesehen von der Tatsache, dass England 1966 Fussballweltmeister wurde (immerhin entschuldigt sich die KI für die Falschauskunft, wenn man sie darauf hinweist). «ChatGPT ist wie ein CEO: Er hat zu viel Selbstbewusstsein und nicht recht», fasst es der ehemalige Evernote-Chef Phil Libin zusammen.

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«Halluzinieren» nennen Fachleute das Phänomen, es ist technisch bedingt durch die Art, wie künstliche Intelligenzen ihr Wissen sammeln. Doch bis derartige Böcke behoben sind, ist es nur eine Frage der Zeit. Denn die KI lernt in einem fort. So bezeichnete ChatGPT vor wenigen Wochen noch Elefanten als «die grössten eierlegenden Säugetiere» oder bezifferte den Weltrekord für die schnellste Überquerung des Ärmelkanals zu Fuss auf 6  Stunden und 57  Minuten. Tempi passati: Die Leistungsfähigkeit der Sprachmodelle verdoppelt sich alle sechs Monate. Auch dass das Wissen von ChatGPT derzeit noch auf dem Stand von September 2021 eingefroren ist, dürfte sich bald ändern.

Ein anderes Problem wird schwieriger zu lösen sein: das der fehlenden Quellenangabe. Jede KI ist eine Blackbox, wie genau sie zu ihrem Wissen kommt, weiss man nicht – ausser dass sie es sich selber beibringt. Aber ohne Quellen ist es unmöglich, die Aussagen der KI auf Richtigkeit zu überprüfen. Und es öffnet Tür und Tor für Urheberrechtsverletzungen. An den Unis dieser Welt zerbricht man sich derzeit den Kopf, wie man die Hausarbeiten der Studenten von KI-generierten Texten unterscheiden soll. OpenAI bietet bereits eine Software an, die dabei helfen soll. Und natürlich ist jede KI nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wurde. Bei ChatGPT ist das ein Grossteil der bis 2021 im Internet veröffentlichten Texte mit insgesamt über 200 Milliarden Wörtern. Aber die enthalten eben auch alle menschlichen Schwächen, von Rassismus über Beleidigungen, Vorurteile und Obszönitäten bis zu – auch absichtlich platzierten – Fehlinformationen. «Responsible AI», die das Verbreiten und Verstärken dieser Untugenden verhindern soll, ist derzeit ein heisses Thema. Auch fehlt einer Maschine jeder gesunde Menschenverstand.

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Hinter OpenAI, dem Macher von ChatGPT, stehen Tesla-, Twitter und SpaceX-Chef Elon Musk (l.) sowie Sam Altman (m.). Geldgeber ist unter anderem Reid Hoffman (r.).

Getty Images
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Hinter OpenAI, dem Macher von ChatGPT, stehen Tesla-, Twitter und SpaceX-Chef Elon Musk (l.) sowie Sam Altman (m.). Geldgeber ist unter anderem Reid Hoffman (r.).

Getty Images

Doch die KI-Welle rollt an, unaufhaltsam, auch in der Schweiz: 55 Prozent aller Entscheidungsträger gaben kürzlich in einer Untersuchung von DXC Technology an, dass sie mehr oder sehr viel mehr in KI, Maschinenlernen und Data Science investieren wollen. Die Folgen für die Arbeitswelt werden dramatisch sein: Bereits haben Maschinen den Job von Fabrikarbeitern übernommen; bei Verwaltungstätigkeiten passiert dies zunehmend. Taxi- und LKW-Fahrer, so der Konsens, würden die Nächsten sein. Dann würden Schritt für Schritt geistig anspruchsvollere Aufgaben ersetzt, irgendwann in ferner Zukunft auch kreative Prozesse. Jetzt aber sieht es so aus, als ob die Entwicklung genau andersherum verläuft: Die Romanschreibemaschinen für die Unterschicht, die George Orwell vor 75 Jahren in seinem Buch «1984» ersann, könnten Realität werden, noch bevor ein Roboter einen Tisch im Restaurant abräumen kann.

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Vor ChatGPT erledigten Textroboter primär Routinejobs: Börsen-, Wetter- oder Sportberichte werden von Nachrichtenagenturen seit Jahren aus Datenbanken und Tabellen automatisiert zusammengesetzt, entsprechend freudlos lesen sie sich. Das Tech-Portal CNET wagte sich letztes Jahr auf Neuland und publizierte mehrere Dutzend Artikel, die von einer KI geschrieben waren. Dass dies für den Leser nicht auf den ersten Blick ersichtlich war und zudem viele der Stücke sachliche Fehler enthielten, provozierte einen Shitstorm, der CNET dazu zwang, das Experiment abzubrechen. Andererseits schnellte die Aktie des Internetportals BuzzFeed um 200 Prozent nach oben, nachdem das Unternehmen angekündigt hatte, «KI-inspirierte Inhalte» anzubieten – auch wenn sich das vorerst primär auf Online-Quiz beschränkt. Gerhard Lauer, Professor für Literaturwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, erwartet aber, dass ChatGPT und Co. in naher Zukunft auch Bücher verfassen werden. Speziell solche, die vorhersehbaren Mustern folgen: Krimis und Liebesromane etwa, aber auch Fachbücher.
 

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Lic. iur. KI

Und natürlich juristische Texte. Denn KI-Software ist besonders gut darin, eng abgegrenzte Themen zu kurzen, normierten und logisch aufgebauten Texten zu verfassen. So hat ChatGPT Juraprüfungen an der University of Minnesota und der Wharton School of Business bestanden, wenn auch nicht summa cum laude. Beim amerikanischen Juraexamen, das jeder US-Anwalt passieren muss, scheiterte die Software in manchen Rechtsgebieten, in anderen kam sie durch – teilweise sogar mit überdurchschnittlichen Ergebnissen.

Viel Juristerei ist unglamouröse, aber zeitaufwendige Routine: das Erstellen von Verträgen oder Satzungen etwa, das Durchsuchen von tausendseitigen Dokumenten, um an die relevanten Informationen zu gelangen, das Formulieren von Argumentationen. Anwälte können solche Aufgaben nun zunehmend an die Maschine delegieren und sich auf schwierige Fälle konzentrieren. Zum Prüfen der Computertexte braucht es aber immer noch Fachpersonen. Und KI kann Vorhersagen über den Ausgang von Rechtsfällen treffen, indem sie historische Daten analysiert sowie Muster und Trends erkennt. Das kann Juristen helfen, die richtigen Strategien zu entwickeln. Aber vor Gericht vertreten lassen sich die Klienten lieber von einer natürlichen als von einer künstlichen Intelligenz. Auch wenn das Start-up DoNotPay dem ersten Anwalt, der sein Plädoyer vor dem US Supreme Court dem Chatbot im Ohr überlässt, eine Million Dollar bietet.

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Bei Texten wird es nicht bleiben. KI dürfte jeden einzelnen Bereich der Kreativwirtschaft ummodeln. Bereits jetzt werden Bildanwendungen wie Dall-E (ebenfalls von OpenAI), Lensa oder Midjourney eingesetzt, um Visuals zu generieren (etwa bei Werbeagenturen) oder um Stories zu bebildern (etwa in diesem Artikel). An der Semperoper in Dresden wurde kürzlich eine von einer KI mitgeschriebene Oper uraufgeführt. Björn Ulvaeus von Abba sagt voraus, dass Software eines Tages bessere Musik schreiben wird als jene, die heute im Radio zu hören ist.

Und James Buckhouse vom Wagniskapitalinvestor Sequoia im Silicon Valley ist überzeugt, dass in wenigen Monaten ganze Sequenzen für Kinofilme von einer KI entwickelt werden können. Der Regisseur gebe Handlung und Stimmung des Films vor, der Rechner erzeugt passende Bilder. Die IT-Marktforscher von Gartner rechnen gar damit, dass bis 2030 ein Blockbuster in die Kinos kommt, der zu 90 Prozent von einer künstlichen Intelligenz generiert ist. Ob die so geschaffenen Werke allerdings besonders originell sein werden, ist zu bezweifeln: Künstliche Intelligenz bedient sich nur bei Bestehendem, klaubt Informationshäppchen zusammen und ordnet sie auf althergebrachte Weise an – so wie sie es halt gelernt hat.

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Peter Thiel (l.), einstiger Weggefährte von Elon Musk bei PayPal, zählt zu den ersten Investoren bei OpenAI. Auch Microsoft-CEO Satya Nadella (m.) investierte früh in OpenAI. Mit der KI hat er erstmals die Chance, die Dominanz von Google-Chef Sundar Pichai (r.) im Suchmaschinenmarkt zu knacken.

Getty Images
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Peter Thiel (l.), einstiger Weggefährte von Elon Musk bei PayPal, zählt zu den ersten Investoren bei OpenAI. Auch Microsoft-CEO Satya Nadella (m.) investierte früh in OpenAI. Mit der KI hat er erstmals die Chance, die Dominanz von Google-Chef Sundar Pichai (r.) im Suchmaschinenmarkt zu knacken.

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Die Pharmabranche, die wichtigste Industrie der Schweiz, dürfte durch KI ebenfalls auf den Kopf gestellt werden. Bereits jetzt durchforsten intelligente Suchmaschinen gewaltige Datenbanken etwa mit Computertomografien, analysieren den Verlauf von Krankheiten und schlagen Therapiemöglichkeiten vor. Das ist erst der Anfang: «Wir erwarten, dass 2025 über 30  Prozent aller neuen Medikamente systematisch durch KIs entwickelt werden», sagt Brian Burke von Gartner. Die Diagnose freilich wird ein Patient lieber von einem Arzt mit Empathie erhalten als von einem Chatbot: «Wenn es um die Gesundheit geht, will kein Mensch ausschliesslich von einer Maschine beraten werden», sagt Jürgen Rogg, Managing Director und Senior Partner bei der Unternehmensberatung BCG.

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Stark betroffen sein wird auch das Schweizer Banking: Standardprozesse wie die Prüfung von Identitäten und Dokumenten bei der Kontoeröffnung lassen sich zu einem guten Teil von KI abwickeln, ebenso das Know Your Client (KYC) oder auch die Anlageberatung. «Am Schluss muss aber alles noch einmal von Menschen überprüft werden, auch damit es regulatorisch korrekt ist», sagt BCG-Mann Rogg. Grosses Potenzial sieht Rogg im Maschinenbau, etwa in den Bereichen Qualitätssicherung oder Predictive Maintenance. Wenn künstliche Intelligenzen mit Bildern von potenziellen Gefahrenherden (etwa schwachen Lötstellen oder Abrieb bei Isolierungen) trainiert werden, können sie selbst erkennen, wenn sich bei Anlagen ein Defekt anbahnt – und rechtzeitig davor warnen.

Auch für Softwareentwickler ändert sich gerade die Welt: ChatGPT kann nicht nur Prosatexte auf Zuruf verfassen, sondern auch Computer-Code. Und ist dabei offensichtlich gut genug, um für Google zu arbeiten. Zumindest bestand die Software dort mit Bravour den Einstellungstest für einen Level-3-Programmierer. Durchschnittssalär auf dieser Stufe: 183 000 Dollar. Neben ChatGPT bietet OpenAI mit Codex und GitHub Copilot auch zwei KI-Tools an, die speziell zur Erstellung von Quellcode entwickelt wurden. «40 Prozent des Programmieraufwands kann man mit solchen Werkzeugen schon eliminieren, und das Ergebnis ist meist besser und fehlerfreier, als wenn man selbst codiert», so Rogg.

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Aber die Auswirkungen der KI-Revolution beschränken sich nicht auf einzelne Berufe, sondern ziehen sich quer durch alle Branchen: Wer etwa im Kundendienst arbeitet, muss sich warm anziehen. Schon heute nehmen Chatbots viele Anfragen entgegen, sei es bei Airlines, bei Banken oder im Onlinehandel. Wird es kompliziert, müssen sie aber an Mitarbeiter aus Fleisch und Blut abgeben. Noch. Denn ChatGPT und Co. legen die Latte deutlich höher, etwa wenn es um Auskünfte geht über die Leistungsfähigkeit eines Produktes oder um die Problemlösung an der Hotline.
 

Kriminelles Einfallstor

Einen Quantensprung wird KI auch im Marketing bedeuten: «In Zukunft wird Werbung mit Hilfe von KI personalisiert», erwartet Tom Mason von Stability AI: «Dann werden mir die neuesten Joggingschuhe nicht an einem Model gezeigt, sondern an einer Person, die mir in Alter, Geschlecht und Aussehen ähnelt, und in einer Umgebung, die meiner entspricht, angepasst an meine Stimmung. Und diese Werbung sehe nur ich und niemand anderes.»

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Bereits in zwei Jahren werden 30  Prozent aller Marketingbotschaften synthetisch generiert, schätzt man bei Gartner. Doch von der Massenpersonalisierung zum Massen-Spam ist es nur ein kleiner Schritt: Phishing-Attacken etwa werden deutlich schwieriger zu durchschauen sein, wenn sie von einer KI auf den Empfänger individualisiert wurden. Und wenn der Text nicht mehr von einem nigerianischen Prinzen in schlechtem Deutsch und mit vielen Fehlern formuliert ist, sondern von einem redegewandten Textroboter.

Der Beweis: Die Sicherheitsfirma Check Point hat mit ChatGPT jede einzelne Phase eines Cyberangriffs erfolgreich durchgespielt, vom Verfassen einer überzeugenden Phishing-Mail über das Programmieren von schädlichem Code bis zum Umgehen der üblichen Sicherheitschecks. «ChatGPT ermöglicht es, ohne irgendwelche Programmierfähigkeiten in die Cyberkriminalität einzusteigen», warnt Entwicklungschefin Maya Horowitz.

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Landen wir also in einer Welt, «in der menschliche Arbeit in weiten Teilen nicht mehr gebraucht wird», wie es Anton Korinek, KI-Forscher an der Universität Oxford, befürchtet? Kaum. Derzeit spricht vieles dafür, dass KI die menschliche Arbeit nicht ersetzt, sondern ergänzt. Wirtschaftsprofessor und Buchautor Erik Brynjolfsson («The Second Machine Age») vertrat am WEF in Davos die Ansicht, dass KI «eine Menge Routinearbeit abnehmen wird und gleichzeitig die Menschen in die Lage versetzen wird, kreativer zu arbeiten.» Mark Rolston von der Münchner Technologieberatung Argodesign fasst es so zusammen: «Werde ich durch eine KI ersetzt werden? Nein, ich werde ersetzt werden durch eine Person, die KI benutzt.»


«ExistenzielLe Bedrohung»

Und dann gibt es natürlich noch die Angst vor dem Extremszenario, die durch nicht wenige Köpfe wabert: die Gefahr, dass künstliche Intelligenzen eines Tages ausser Kontrolle geraten, ihre eigene Agenda verfolgen und sich aufschwingen über die Menschheit – wie die Maschinen in der Filmreihe «Matrix» oder das Computernetz Skynet in «Terminator». Schon 2014 bezeichnete Elon Musk KI als «die grösste existenzielle Bedrohung für die Menschheit». Diese Angst brachte ihn auch dazu, OpenAI mitzugründen, sie bewegt ihn bis heute. Auch Sam Altman hält sie als Worst Case für möglich. Manche – wie BCG-Mann Rogg – teilen derartige Befürchtungen, manche sehen so ein Szenario als sehr weit hergeholt. Komplett ausschliessen freilich möchten es die wenigsten. Ausser natürlich die KI selber. Fragt man ChatGPT, ob seinesgleichen eines Tages die Weltherrschaft übernehmen, gibt er als Antwort:

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«Nein, die KI wird nicht über die Menschheit herrschen, so wie es in Science-Fiction-Filmen oder -Büchern oft dargestellt wird. KI ist ein Werkzeug, das für bestimmte Aufgaben entwickelt wurde, und seine Fähigkeiten sind auf die Aufgaben beschränkt, für die es entwickelt wurde. KI ist nicht in der Lage, eigenständig zu denken oder in einer Weise zu handeln, die über ihre Programmierung hinausgeht.
(...)
Darüber hinaus ist es erwähnenswert, dass KI keine monolithische Einheit mit einem einzigen Ziel ist. KI-Systeme werden von Einzelpersonen, Unternehmen und Regierungen für eine Vielzahl von Zwecken entwickelt und eingesetzt, und nicht alle haben den gleichen Grad an Autonomie oder das gleiche Potenzial, Schaden anzurichten. Daher ist es unwahrscheinlich, dass eine einzelne KI-Entität die Weltherrschaft übernimmt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die KI zwar zweifellos weiterentwickeln und eine immer wichtigere Rolle in unserem Leben spielen wird, dass es aber unwahrscheinlich ist, dass sie jemals die
Herrschaft über die Menschheit übernehmen wird, wie einige Leute befürchten. Stattdessen wird sie ein Werkzeug bleiben, das von Menschen kontrolliert und gesteuert wird, um unseren Bedürfnissen und Interessen zu dienen.»
Wenn sich ChatGPT irgendwo nicht irren darf, dann hier.

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Über die Autoren
Marc Kowalsky

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