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Luxus

Cartier-CEO Vigneron: «Die Uhrenbranche ist extrem stereotyp»

Cyrille Vigneron, Lenker des Uhren- und Schmuckkonzerns Cartier, über die Transformation der Marke, den Zeitgeist und die Lehren aus der Pandemie.

Iris Kuhn Spogat

Cyrille Vigneron, CEO Cartier - Portrait darf nur im Zusammenhang mit Cartier verwendet werden.

Als Chef von Cartier lenkt Cyrille Vigneron die mit Abstand wichtigste Richemont-Marke. Sie steuert rund 40 Prozent zum Umsatz von 14,2 Milliarden Euro (2020) bei.

Nicolas Guerbe

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Cyrille Vigneron liebt grosse Auftritte und kam während der diesjährigen digitalen «Watches & Wonders» auf seine Kosten: hier die Neuheiten, dort seine Sicht auf die Welt – stets vor Tausenden zugeschalteter Zuhörer. Kurz nach seiner Abschlussrede erscheint er zum Zoom-Interview, hemdsärmelig, in der Hand eine Tasse Tee.

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Herr Vigneron, ist Cartier eigentlich mehr ein Schmucklabel oder ein Uhrmacher?
Bei der Gründung war Cartier ein Juwelier, die erste Armbanduhr, eine Santos, datiert aber schon von 1904. Im Schmuck ist Cartier weltweit führend. Gäbe es unsere Designs nicht, müsste man sie erfinden. Wenn ich andererseits unseren Einfluss auf die Uhrenindustrie bedenke, dann sind wir klar Uhrmacher.

In Cartier-Uhren steckt vergleichsweise wenig Uhrmacherkunst.
Bei allem, was wir herstellen, geht es zuerst um Schönheit, alles andere kommt danach, muss ihr dienen. Es gab vor ein paar Jahren den Versuch, komplizierte und noch kompliziertere Uhrwerke zu machen, was schliesslich dazu führte, dass man die Proportionen, für die Cartier so berühmt und geschätzt ist, opferte. Damit haben wir wieder aufgehört.

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Ihre Entscheidung?
Ich bin seit 1988 bei Cartier, habe das Unternehmen zwischendurch für ein paar Jahre verlassen. Als ich als Präsident und CEO zurückkehrte, nahm ich mir die Zeit, alles genau anzuschauen und zu analysieren, was funktioniert und was nicht. Dann haben wir uns neu ausgerichtet.

Das dürfte aufreibend gewesen sein.
Es war notwendig. Wenn man massiv in etwas investiert und es nicht funktioniert, muss man sich das eingestehen. Das war eine schwierige Übung, aber wir haben uns nicht davor gescheut.

Konkret?
Mit den Uhren wollten wir mit aufwendigen Werken und entsprechenden Gehäusen Männer als Kunden gewinnen. Aber: Cartier ist im Wesen eine feminine Marke, berühmt für ihren Schmuck, und kann Männer, die sich vor Feminität fürchten, nicht erreichen, auch nicht mit den kompliziertesten, grössten Zeitmessern. Zudem haben wir so viele Produkte in die Märkte geschickt, es gab eine regelrechte Obsession für Neuheiten.

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Monsieur CV

Cyrille Vigneron (61) führt Cartier als Präsident und CEO in Personalunion. Das war vermutlich seine Bedingung, um zur grössten Luxusmarke in der Richemont-Gruppe zurückzukehren. Seit 1988 im Unternehmen, wechselte er 2014 zum Rivalen LVMH, um nur zwei Jahre später sein Comeback an der Spitze von Cartier zu geben. Dass sein Frontwechsel eine Protestnote war, legt auch die Transformation nahe, die er in den letzten fünf Jahren mit der altehrwürdigen Marke hingelegt hat. Wenig überraschend gilt der Vater von drei erwachsenen Kindern bereits heute als der nächste CEO der ganzen Richemont-Gruppe.

Die Folge?
Statt Marktanteile zu gewinnen, verloren wir Kunden. Als wir uns für die neue Strategie entschieden hatten, haben wir Produkte zurückgekauft, die Preispolitik revidiert und das Verkaufsnetz redimensioniert – und dann an unseren Produktkategorien gearbeitet: Wir haben die Neuheiten der vergangenen Jahre angeschaut und sind zum Schluss gekommen, dass kaum etwas darunter war, das schöner war als das, was davor schon existiert hatte. Deshalb haben wir die Marke transformiert und verjüngt.

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Wie verjüngt?
Nicht indem wir auf jung gemacht hätten, denn schliesslich will die junge Generation gar nichts, was total anders ist als das, was ihre Eltern tragen. Heute sind Eltern- und Kindergeneration vom Geschmack, von den Bedürfnissen und Werten her viel näher beisammen. Als wir bei der Wiedereinführung der Panthère 2017 anboten, alte Modelle gratis wieder instand zu stellen, landeten wir einen Volltreffer. Junge tragen nun die überarbeiteten Uhren ihrer Eltern. Da lag der Schluss nahe, dass wir für neue Generationen nicht etwas Neues machen müssen, sondern einfach dafür sorgen, dass wir für sie relevant bleiben.

Also sind Smartwatches ein Thema?
Das ist nichts für Cartier, da nicht langlebig genug. Innovation ist aber freilich auch für uns ein grosses Thema. Dieses Jahr präsentieren wir die Tank Must mit Fotovoltaikwerk: Das Licht, das durch die römischen Ziffern fällt, hält das Quarzwerk am Laufen. Das Ziel war, dass diese Uhren wie auch unsere mechanischen nur alle zehn Jahre eine Revision brauchen. Was wir erreicht haben: Das Panel muss nur alle 16 Jahre ersetzt werden. Damit haben wir das dauerhafteste Werk überhaupt auf den Markt gebracht.

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Unser Podcast zum Thema

Langlebigkeit ist wie gemacht fürs Milliardengeschäft mit Secondhand-Uhren. Sind Sie dabei?
Wir halten uns zurück. Aus einem einfachen Grund: der Preisgestaltung. Wenn uns jemand eine alte Cartier-Uhr zurückbringt, reparieren wir sie, und sie kann wieder getragen werden. Wenn es darum geht, sie zu verkaufen und dafür einen fairen Preis zu setzen, ist eine dritte Partei neutraler. Wir überlassen das deshalb den Kollegen von der Richemont-Plattform Watchfinder.

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Zurück zur Verjüngung: Wie alt ist der Cartier-Kunde?
64 Prozent unserer Kunden sind Millennials, im Mittleren Osten und in China sind es sogar mehr, und dort gehören inzwischen 25 Prozent unserer Kunden schon der Generation Z an. Die Mehrheit sind übrigens neue Kunden, unsere Basis ist breiter geworden.

Sind da auch Männer dabei?
Ja, zunehmend.

Wie kommt das?
Die Uhrenbranche ist extrem stereotyp, macht maskuline Uhren für Männer und feminine Uhren für Frauen. Davon haben wir uns verabschiedet. Wie ein Mann zu sein hat und wie eine Frau, ist nichts als ein Konstrukt. Oder wie es der israelische Historiker Yuval Noah Harari formuliert: Frauen sind Menschen, die Kinder kriegen können. Männer sind keine Frauen. Das ist wenig Definition, was wiederum dazu geführt hat, dass Männer alles Weibliche ablehnen, um sich als echte Männer zu fühlen. Nur: Ein echter Mann existiert genauso wenig wie ein unechter.

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««Eine starke Markenidentität zu haben, ist fraglos ein Schlüssel zum Erfolg. Und braucht mehr als eine schöne Produktpalette.»»

Wie definieren Sie sich?
Ich bin mir bewusst, dass ich wie jeder Mensch männliche und weibliche Seiten habe. Ich reise viel, mein iPhone ist immer an, und ich antworte auf jede E-Mail innert 24 Stunden. Ich kenne aber auch meine Grenzen und respektiere sie: Ich bin kein Alkoholiker, schlafe sieben Stunden pro Nacht, geniesse die Zeit mit Freunden und Familie, spiele klassische Gitarre und schreibe selber Musikstücke …

… hätten Sie sich vor ein paar Jahren auch schon so beschrieben?
Ja. Ich hatte noch nie Angst, dass meine sensitive, schöngeistige Ader meine Männlichkeit unterminiert.

Auch im Geschäft?
Gerade auch da. Leidenschaftlich und ambitioniert zu sein und zugleich «kind» im Sinn von feinfühlig, respektvoll und zugewandt, gehört zusammen.

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Und wie wirkt sich das auf die Produkte aus?
Bei den Kreationen projizieren wir nicht mehr, was für Frauen ist und was für Männer, sondern konzentrieren uns einzig und allein darauf, schöne Dinge zu machen.

Dann rollt nun eine Unisex-Welle an?
Nein. Wir lösen uns nicht vom Geschlecht, sondern von den Stereotypen. Die Pasha zum Beispiel ist beides, als Chronograph wirkt sie maskuliner, mit Diamanten femininer. Mit unisex hat das nichts zu tun. Wir treffen einfach keine Annahmen mehr dazu, ob der Kunde eines Modells ein Mann oder eine Frau sein wird. Warum soll eine Frau keinen Chronographen tragen, wenn er ihr gefällt, und ein Mann keine Schmuckuhr?

Würden Sie?
Würde ich, würde sie mir an mir gefallen.

Andere Trends, die für eine Maison wie Cartier relevant geworden sind?
Eine starke Markenidentität zu haben, ist fraglos ein Schlüssel zum Erfolg. Und braucht mehr als eine schöne Produktpalette, etwa glaubwürdige Commitments zu gesellschaftlichen Anliegen wie Ökologie, Nachhaltigkeit, Kundenbeziehungen, Diversity und Inklusion. Dafür reicht es nicht, entsprechende Organisationen und Initiativen finanziell zu unterstützen, man muss die Anliegen auch selber leben. In Klimafonds einzuzahlen und Projekte zur CO2-Reduktion zu finanzieren, ist das eine, selber CO2-neutral zu produzieren und das für die gesamte Lieferkette zum Ziel zu haben, wie wir das tun, etwas anderes.

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Finden Sie es noch vertretbar, für Uhrenbänder Tiere zu züchten und zu töten?
Es wird immer inakzeptabler. Deshalb müssen wir Alternativen finden, um Leder zu ersetzen. Wir sind am Lernen. Die Tank Must bringen wird mit einem veganen Band heraus. Es ist aus Apfelresten gemacht.

Verwenden Sie rezykliertes Gold?
80 Prozent unseres Goldes sind rezykliert und vom Responsible Jewellery Council auch als Fairmined Gold zertifiziert.

Sind Diamanten aus dem Labor statt aus der Mine ein Thema?
Bezüglich Diamanten arbeiten wir nur mit echten Edelsteinen, von denen wir wissen, wo sie herkommen. Ob wir sie je durch Diamanten aus dem Labor ersetzen werden, hängt von verschiedenen Dingen ab. Zum Beispiel, ob diese Steine für Schmuckstücke wie Verlobungsringe Akzeptanz finden. Oder wie man bei Steinen aus der Fabrik sicherstellen kann, dass sie nicht aus mafiösen Milieus stammen. Und es stellt sich natürlich auch die Frage nach dem Wert – sowohl dem materiellen wie auch dem immateriellen.

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Wie hat die Pandemie Ihren Blick auf solche Aspekte verändert?
Gewisse Themen sind relevanter geworden. Die Kunden wollen wissen, wofür eine Maison steht. In den USA zum Beispiel fragen einen die Leute, ob das Unternehmen auch etwas für die Gesellschaft tue und was.

««Um Krisen zu meistern, brauchen wir mehr Flexibilität und Schnelligkeit.»»

Zum Schluss: Wie ist 2020 für Cartier gelaufen?
Da Cartier schon vor der Pandemie stark in China war, kamen wir vergleichsweise glimpflich davon: Als die ganze Welt zuging, war dort ja schon wieder alles offen. In Sachen E-Commerce haben wir wie die gesamte Uhren- und Schmuckbranche in einem Jahr geschafft, wofür in normalen Zeiten locker fünf Jahre vergangen wären.

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Die wichtigste Lektion aus dem Jahr?
Um Krisen zu meistern, brauchen wir mehr Flexibilität und Schnelligkeit.

Das heisst?
Die Herstellung von Komponenten gehört in die Schweiz. Auslagerung ins Ausland führt zu langen, krisenanfälligen und teilweise sehr unflexiblen Lieferketten. Zudem muss ins Humankapital investiert werden, systematisch, von jeder Marke für sich und von allen zusammen für den Schweizer Werkplatz. Swiss Made ist nur so stark, wie die Marken sind.

Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

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