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Gespräch

Bulgari-CEO Jean-Christophe Babin über Gewinner und Verlierer in der Luxusbranche

Jean-Christophe Babin, CEO von Bulgari, über Zustand und Zukunft der Luxusgüterbranche, Uhren und Schmuck als Geldanlage und Röhrli aus Papier.

Iris Kuhn Spogat

jean christophe babin

VORWÄRTSGERICHTET: Jean-Christophe Babin, CEO von Bulgari (Schmuck, Uhren, Accessoires. Parfums, Hotels), führt rund 5000 Mitarbeitende weltweit. Produziert wird in Italien und der Schweiz.

PD

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Treffpunkt «Four Seasons» an der Seepromenade in Genf. Jean-Christophe Babin sitzt auf einem Sofa hinten in der Bar, springt zur Begrüssung kurz auf und sinkt dann entspannt wieder in die Kissen zurück. Die Luxusherberge ist während der Geneva Watch Days die Bühne des Bulgari-Chefs. Und der Event am Lac Léman ist seine Idee. Die Stimmung: euphorisch. Und die Realität?

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Herr Babin, wie geht es der Luxusgüterindustrie?
Als im Juni 2020 die Läden zu waren, haben alle gelitten: Die Kosten liefen weiter, Umsatz machte keiner. Damals prognostizierten Experten die Erholung des Marktes bis 2022 oder 2024 – und haben sich ziemlich verschätzt: Die meisten Mitspieler, also mindestens diejenigen, die ich kenne, sind heute wieder auf dem Stand von 2019, viele darüber. Einige Luxusfirmen werden dieses Jahr das beste Ergebnis in ihrer Geschichte erreichen. Verrückt, oder?

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Ihre Antwort?
Es ist verrückt, aber nicht überraschend: Covid war für viele Menschen eine Tragödie, aber weit mehr wurden weder krank, noch verloren sie ihren Job. Sie erhielten ihren Lohn, den sie aber nicht ausgeben konnten wie gewohnt. Nie in der Geschichte war mehr Liquidität vorhanden. Nun fliegt der Aktienmarkt und blüht auch unsere Industrie. Unser Mutterkonzern, LVMH, hat für Ende Juni herausragende Resultate präsentiert. Der Preis der Aktie betrug im letzten Jahr 350 Euro, heute ist der Titel weit über 600 Euro wert.

Nachholbedürfnis, Kompensation – nachhaltig wird das nicht sein.
Es handelt sich bei dieser Erholung nicht nur um Nachholen. Die Leute wollen ihr Geld in im Wortsinn Wertvolles wie Uhren und Schmuck anlegen.

Mr. «Getting it done. Now»

Jean-Christophe Babin (60) führt Bulgari seit 2013 als CEO. Die in Rom beheimatete Uhren- und Schmuckmarke gehört zum Luxusimperium LVMH von Bernard Arnault. Für den Posten empfohlen hat sich Babin in den 13 Jahren, in denen er die LVMH-Tochter TAG Heuer führte. Davor war der Vater von fünf Kindern die Karriereleiter von Procter & Gamble und Henkel hochgeklettert. Unter der Führung des Italo-Franzosen, aka «Getting it done», ist Bulgari zu einer der führenden Marken im Luxusgeschäft geworden.

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Die Menschen wollen nach 18 Monaten Krise immer noch das Gleiche wie davor?
Nein. Sie wollen in der Tendenz noch Besseres. Sie zögern nicht, für eine Uhr, die bereits ein paar tausend Franken kostet, noch tausend Franken für Diamanten auf dem Zifferblatt draufzulegen. Wir haben zwar nach wie vor weniger Kunden in unseren Geschäften, weil viele Leute aus Angst vor dem Virus immer noch keine Lust haben, in Geschäfte oder Malls zu gehen. Diejenigen, die ihre Einkaufsgewohnheiten wiederaufnehmen, sind dafür bereit, mehr auszugeben als zuvor. Das sehen wir in allen Bereichen.

Neben Covid haben Sie ja auch noch andere Krisen zu meistern. Diesen Frühling etwa machte einer Ihrer chinesischen Botschafter als Vergewaltiger Schlagzeilen. Wie gehen Sie mit so was um?
Wir können bei aller Sorgfalt bei der Selektion nicht ausschliessen, dass ein Botschafter zum Risiko für die Marke wird. Wenn man davon Kenntnis hat, dass etwas falsch gelaufen ist, oder man etwas unter- oder einen Menschen falsch eingeschätzt hat, muss man das erstens zugeben und zweitens auch Position beziehen. Das Schlimmste, was man in so einem Fall tun kann, ist, zu beten und das auszusitzen. Im konkreten Fall haben wir die Zusammenarbeit gekündigt.

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Was fordert Sie aktuell am meisten?
Die grosse Nachfrage, der Markt ist extrem dynamisch. Amerika boomt wieder, was überrascht, da es dort nach wie vor sehr viele Infektionen gibt und die soziale Situation in grossen Städten wie New York oder Los Angeles Grund zur Sorge gibt. Die chinesische Wirtschaft ist – ganz entgegen dem, was man hört und liest – geboostet von der internen Nachfrage. Seit die Chinesen aufgehört haben zu reisen, geben sie im Inland viel mehr Geld aus. Zudem ist die Regierung nun dabei, Altersvorsorge zu schaffen, was den Leuten Sicherheit gibt und auch dazu führt, dass sie weniger sparen und mehr ausgeben. In den kommenden 15 Jahren werden wir dort weiterhin sehr schnell wachsen, insbesondere wegen der Bevölkerung, die es vom Land in die grossen Städte zieht. So gesehen, ist China für uns eine gute Wette. In Europa hat uns das Fernbleiben von Touristen eine wichtige Lektion erteilt.

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Nämlich?
Im Unterschied zu unserer internationalen Klientel im High-End-Bereich haben wir die lokale Kundschaft, die unsere regulären Kollektionen kauft, zu wenig gepflegt. Bei Schmuckstücken, von denen wir Tausende verkaufen, hat die persönliche Beziehung kaum eine Rolle gespielt. Die Digitalisierung hat die Distanz zusätzlich vergrössert. Wir haben uns zurückbesonnen auf die Zeit, als Bulgari noch viel kleiner und der Kontakt persönlich war. Wir sind die lokale Kunden proaktiv angegangen, haben mit ihnen via WhatsApp gechattet oder sie zum Lunch eingeladen. Dadurch konnten wir, selbst als unsere Geschäfte geschlossen waren, Uhren und Schmuck aus den Boutiquen verkaufen.

««Einige Luxusfirmen werden dieses Jahr das beste Ergebnis in ihrer Geschichte erreichen.»»

Jean-Christophe Babin

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Und hinter der Glitzerfront?
Wir glänzen auch da. Wir sind transparent, kennen die Lieferketten genau, verstehen uns als Teil des Ganzen und engagieren uns auch in Bereichen, die mit dem Kerngeschäft rein gar nichts zu tun haben. Fakt ist: Produktexzellenz allein reicht nicht mehr. Die Leute wollen wissen, woher das Gold und die Edelsteine kommen und was wir beitragen zu mehr Nachhaltigkeit.

Und?
Gerade führen wir als Erste in der Branche eine revolutionäre Verpackung ein, die komplett plastikfrei ist.

Ihre Stimme vibriert vor Stolz.
Ich bin stolz. Für uns ist das eine echte Errungenschaft. Wir haben Hunderttausende verschiedene Verpackungen, die wir neu machen mussten. Plastik haben wir auch aus unseren Hotels verbannt. Strohhalme sind aus Papier und Körperpflegemittel in wiederauffüllbaren Glasflaschen.

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Und Ihre Gäste akzeptieren das?
Sie haben keine Wahl. Zudem: Unsere Kunden wollen hohe Qualität der Produkte im Hotel, aber sie sind nicht darauf aus, sie nach Hause mitzunehmen. Zudem wird es grundsätzlich geschätzt, dass wir damit einen Beitrag leisten in Anliegen, die bei ihnen zu Hause auch ein Thema sind. Ich selber habe mich ja auch daran gewöhnt, den Abfall zu trennen und das, was geht, dann zum Rezyklieren zu bringen.

Im Aufbruch

«Wir können noch nicht sagen, das sei eine Messe der Industrie, denken aber bereits heute, dass das etwas Langfristiges werden kann», sagt Jean-Christophe Babin zu den von ihm in Genf initiierten Geneva Watch Days (GWD). 2020 fanden die GWD zum ersten Mal statt, waren im Corona-Jahr 1 «besser als nichts». 2021 lockte der Event, bei dem Uhrenmarken ihre Neuheiten entweder in Hotelsuiten oder in ihren Boutiquen in der Stadt präsentieren, bereits Hunderte Retailer und Journalisten an, und das Datum für die 2022er Ausgabe ist bereits fix.

Der Erfolg gründet unter anderem auf Inhalt und Form der GWD: Initiiert als Behelf, da keine physischen Messen stattfinden konnten, haben die GWD den Charakter einer Selbsthilfeorganisation. Inzwischen ist der Event als Stiftung statuiert. «Die GWD sind offen für alle Marken», sagt Babin. Und jede Marke soll sich das leisten können: «Grosse bezahlen viel, kleine wenig. Die Stiftung ist non profit, und so werden auch die Kosten verteilt.» Entspannt ist auch der Deal mit den Hotels: Die stellen eine Rechnung, wenn die GWD stattfinden, und keine, falls verschoben oder abgesagt wird. «Es gibt nur win-win oder lose-lose», sagt Babin. Was vor einem Jahr noch ein Notnagel war, ist inzwischen als Marke eingetragen und geschützt und könnte alsbald im Ausland Karriere machen: «Vielleicht etablieren wir die GWD auf der ganzen Welt», sagt Babin.

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In welche Richtung entwickelt sich die Branche als Ganzes?
Es gibt zwei Bewegungen, Konsolidierung und Spezialisierung: Grosse Marken werden grösser und grösser, gleichzeitig laufen sehr kleine, hochexquisite Luxushersteller sehr gut. Schwierig wird es für die dazwischen: Wer weder eine grosse Marke ist, von der alle träumen, noch ein Nischenplayer mit einem herausragenden Angebot, wer weder gross noch klein ist und zudem keine Ikonen im Angebot hat, für den wird es meiner Meinung nach eng.

Ein Beispiel?
Ich werde mich hüten, hier Namen zu nennen. Aber typischerweise sind das Marken, die oft ihre Designs ändern und vergessen, dass die erfolgreichsten Mitspieler meist auf einigen wenigen ikonischen Designs basieren. Innovation ist fraglos wichtig. Aber 80 Prozent der Zeit muss man auf das verwenden, was bereits existiert. Vor allem bei teuren Produkten.

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Steht im Lehrbuch im Kapitel «Management von Statussymbolen».
Teures als Statussymbol und Zeichen für Erfolg – das war vor 30 Jahren. Heute kauft man Ikonen, weil es einem Freude macht, sie zu besitzen. In China etwa tragen die Kunden oft nicht, was sie kaufen. Dort dreht sich bei solchen Anschaffungen vieles in erster Linie um den Wiederverkaufswert.

Echt?
Ja, ganz klar. Wenn in China jemand ein sehr teures Collier kauft und nach zwei, drei Jahren ein anderes haben will, wird das erste wieder verkauft, und das oft mit Gewinn. Anders in Europa: Da werden die Stücke angehäuft.

Empfehlen Sie Schmuck und Uhren als Geldanlage?
Es kommt darauf an. Wer vor zehn Jahren ein Collier mit grossen Farbedelsteinen gekauft hat, besitzt heute fraglos etwas, das teils vier- bis fünfmal mehr Wert hat als damals. Rubine etwa sind heute schon knapp, in 50 Jahren werden sie vom Markt verschwunden sein. Bei Uhren ist der Wert etwas Persönlicheres. Einige namhafte Marken erzielen für Modelle von vor 40 Jahren sehr hohe Preise, was wesentlich damit zu tun hat, dass von diesen Uhren meist nur kleine Quantitäten hergestellt wurden. Oder anders gesagt: Ich würde nicht darauf wetten, dass Modelle von heute in 40 Jahren an Auktionen nochmals so hoch fliegen.

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Modelle von heute machen gerade als Secondhand-Uhren Karriere. Ein Milliardengeschäft. Was halten Sie davon?
Wir spielen da nicht mit. Es gibt in diesem Markt sehr viele Produkte, die nicht wirklich secondhand sind, sondern einfach Ladenhüter. Was von den regulären Kollektionen liegen bleibt, verkaufen wir LVMH-intern. High-End-Produkte, die nicht laufen, kaufen wir zurück. Schmuck schmelzen wir ein, mit den Edelsteinen machen wir neue Kreationen. Bei Uhren retten wir den wertvollsten Teil, das Uhrwerk. Dabei werden Zifferblatt und Zeiger beschädigt, ergo entsorgt.

Wie viel kostet Sie der Rückkauf?
Etwa zwei Prozent des Umsatzes, was vergleichsweise wenig ist. Das kommt daher, dass wir den Grossteil unserer Produkte in unseren eigenen Geschäften verkaufen, was uns diszipliniert. Wie andere Marken möglichst viel zu produzieren und an den Handel auszuliefern, wäre in unserem Fall vollkommen widersinnig.

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Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

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