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Blumen statt Beton: Wie CEO Jan Jenisch Holcim grüner machen will

Jan Jenisch hat den Zementriesen in den letzten vier Jahren neu erfunden. Jetzt muss er es schon wieder tun. Dieses Mal wird es noch schwieriger.

Marc Kowalsky

Holcim

VOR ANKER: Die Circular Explorer in der Hamburger Hafencity. Im Hintergrund die Elbphilharmonie.

Andreas Klingberg

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Laut kreischen die Möwen über der Hamburger Hafencity. Es ist typisch norddeutsches Schmuddelwetter, leichter Nieselregen fällt, eine steife Brise weht. Der Abenteurer und Umweltpionier Bertrand Piccard steht mit einem Mikrofon an der Hafenmole und spricht zu den versammelten Gästen: «Über Jahrhunderte hat die Menschheit produziert, benutzt, weggeschmissen.

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Wir sind an einem Punkt angelangt, wo die Welt völlig ineffizient ist», sagt der Waadtländer, der mit Heissluftballon und Solarflugzeug jeweils die Welt umrundet hat. Piccard ist gekommen, um die Circular Explorer einzuweihen, einen solarbetriebenen Katamaran, der Plastikabfall im Meer und an Flussmündungen einsammeln soll, zunächst in der Bucht von Manila.

Jan Jenisch steht zufrieden daneben. Von einem «Leuchtturmprojekt» wird der Holcim-CEO nachher sprechen: «Ich kann mir vorstellen, dass wir mehr solche Schiffe bauen.» Der Zementriese sponsert das Boot, verfeuert den damit eingesammelten Müll und unterstützt zudem Piccards Stiftung Solar Impulse, die wirtschaftlich vielversprechende und gleichzeitig nachhaltige Initiativen auszeichnet.

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LEUCHTTURMPROJEKT: Holcim-Chef Jan Jenisch (l.) mit Umweltpionier Bertrand Piccard bei der Taufe der Circular Explorer.

picture alliance/dpa
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LEUCHTTURMPROJEKT: Holcim-Chef Jan Jenisch (l.) mit Umweltpionier Bertrand Piccard bei der Taufe der Circular Explorer.

picture alliance/dpa

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In derartige Themen und Veranstaltungen investiert die Holcim-Spitze momentan sehr viel Zeit. Dabei hatte Jan Jenisch das Thema Nachhaltigkeit lange eher belächelt. Nun schlägt er eine neue Richtung ein, unter zunehmendem Druck von aussen und auch von innen. «Man hat den Konsensus, dass sich die grossen Firmen neu erfinden müssen», nennt es Jenisch.

Grösster Motivator dabei: die 67 000 Mitarbeiter. Regelmässig wendet sich der CEO in Videokonferenzen an mehrere tausend Angestellte gleichzeitig und nimmt ihre Fragen entgegen. «Die Hälfte der Themen betrifft jeweils unsere Nachhaltigkeit», musste er dabei feststellen. Jetzt sagt Jenisch: «Wir wollen der nachhaltigste Baukonzern der Welt werden.» Letzten September wurde Klimaneutralität bis 2050 als neues Unternehmensziel verkündet.

 

Rückbau

Seit der Fusion mit Lafarge Mitte 2015 ist die Holcim-Aktie unter Druck. 

Holcim und SMI
Bloomberg
Holcim und SMI
Bloomberg

Es ist eine Mammutaufgabe für den 55-jährigen Süddeutschen. Nicht die erste seit seinem Amtsantritt im September 2017. Nach der verkorksten Fusion der Schweizer Holcim mit der französischen Lafarge hatte Jenisch aufgeräumt: mit zwei Ausnahmen die gesamte Konzernleitung ausgetauscht, diverse Ländergesellschaften verkauft, die Struktur vereinfacht, Schulden abgebaut, den Cashflow verdoppelt.

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Kaum jemals hatte ein neuer CEO einen SMI-Konzern mit solcher Wucht umgebaut. Die Folge: 2019 verdiente der Zementhersteller zum ersten Mal nach zwölf Jahren wieder seine Kapitalkosten. Von da an ging es weiter bergauf, diesen Frühling meldete Holcim gar das beste erste Quartal ihrer Geschichte, übertraf klar die Erwartungen und hob auch noch die Jahresprognose an. Heute empfehlen 82 Prozent der Analysten die Aktie zum Kauf, nur der Bauchemiekonzern Sika – ehemaliger Arbeitgeber von Jenisch – wird im SMI noch positiver gesehen.

Doch trotz aller Erfolgsmeldungen kommt der Holcim-Börsenkurs kaum vom Fleck.

«Das ist die Realität», gibt Jenisch zerknirscht zu. «Deshalb müssen wir jetzt beweisen, dass unsere Nachhaltigkeitsstrategie funktioniert.» Ein Viertel der Gesamtinvestitionen von heuer 1,4 Milliarden Franken reserviert Jenisch dafür.

Es wird eine noch grössere Herausforderung für den Holcim-Chef. Denn die Ausgangslage könnte ungünstiger nicht sein: Die Zementbranche stösst rund 8  Prozent der globalen Treibhausgase aus, dreimal mehr als die Luftfahrt. Jedes Jahr produziert sie wegen Bevölkerungswachstum und Landflucht eine Stadt in der Grösse New Yorks.

Holcim als grösster Zementhersteller der Welt kommt auf 140 Millionen Tonnen CO2-Ausstoss, mehr als jeder andere Konzern an der Schweizer Börse. Weil die Nachhaltigkeit inzwischen auch bei Anlageentscheiden als zentrales Kriterium gilt, ist Holcim für viele Investoren ein No-Go.

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Um rund 30 Prozent, so schätzt Jenisch selber, habe dieser Faktor den Wert der Aktie in den letzten drei Jahren nach unten gedrückt.

Andere Baufirmen wie Sika, Kingspan oder Rockwool, die in Sachen Sustainability besser positioniert sind, werden an der Börse deutlich höher bewertet.

Rotes Tuch

Und das ist noch nicht alles: Im Oktober veröffentlichte Greenpeace einen Report, in dem die Umweltorganisation Holcim 122  Fälle von Fehlverhalten rund um den Globus vorwirft: Der 23-Milliarden-Konzern würde mit seinen Werken Luft und Wasser verschmutzen, die Gesundheit gefährden, gegen Regularien verstossen, illegal Kalkstein abbauen oder bei Kartellabsprachen mitmachen.

Einige der Vorwürfe stellten sich als unzutreffend oder veraltet heraus, über andere wird noch debattiert. Doch für viele ist Holcim ein rotes Tuch wie hierzulande allenfalls noch der Rohstoffriese Glencore oder der Saatgut- und Pestizidhersteller Syngenta. Ein halbes Jahr lang etwa hielten 200 Umweltaktivisten den Hügel Mormont in der Waadt besetzt.

Sie wollten den Ausbau des Steinbruchs verhindern, der das nahe gelegene Zementwerk in Eclépens VD beliefert.

«Holcim ruiniert uns», «Blumenwiese statt Betonwüste», «Holcimetière» (Friedhof), mit solchen Sprüchen kämpften die Demonstranten gegen die – wie sie es wahrnehmen – Zerstörung des dortigen Ökosystems. Im März räumte die Polizei das Gelände. Das Reputationsproblem bleibt.

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Environmental activists stand oin the roof of the house as Swiss police officers try to arrest them during the operation of the eviction of environmental protesters from the ZAD de la Colline "Zone A Defendre" (zone to defend) installed by environmental activists in the the so-called "plateau de la Birette" to block the extension of the Mormont quarry operated by the cement company LafargeHolcim between Eclepens and La Sarraz, Switzerland, Tuesday, March 30, 2021 (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

FEINDBILD: Während eines halben Jahres hielten rund 200 Aktivisten den Mormont besetzt, um gegen Holcims Expansionspläne dort zu demonstrieren.

Keystone
Environmental activists stand oin the roof of the house as Swiss police officers try to arrest them during the operation of the eviction of environmental protesters from the ZAD de la Colline "Zone A Defendre" (zone to defend) installed by environmental activists in the the so-called "plateau de la Birette" to block the extension of the Mormont quarry operated by the cement company LafargeHolcim between Eclepens and La Sarraz, Switzerland, Tuesday, March 30, 2021 (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

FEINDBILD: Während eines halben Jahres hielten rund 200 Aktivisten den Mormont besetzt, um gegen Holcims Expansionspläne dort zu demonstrieren.

Keystone

Deshalb gibt sich der Zementriese nun an so vielen Ecken und Enden gleichzeitig einen grünen Anstrich, dass man gar nicht weiss, wo zuerst hinschauen. Am offensichtlichsten ist das neue Logo, das im Juli gleichzeitig mit der Namensrückführung von Lafarge-Holcim zu Holcim eingeführt wurde: Grün wie Gras und blau wie Wasser ist es nun statt schwarz wie Kohle.

Personell wurde das Thema Nachhaltigkeit ganz oben angesiedelt: Die Verantwortliche Magali Anderson sitzt seit Oktober 2019 in der Konzernleitung, jüngst wurde ihre Position noch einmal gestärkt: Nun ist die Maschinenbauingenieurin auch für Forschung und Entwicklung zuständig.

Holcim logos

FARBSYMBOLIK: Nach der Fusion 2015 wurde Lafarge-Holcim der gemeinsame Name. Jetzt heisst der Milliardenkonzern wieder einfach nur Holcim, das neue Logo strahlt in Grün und Blau.

PD
Holcim logos

FARBSYMBOLIK: Nach der Fusion 2015 wurde Lafarge-Holcim der gemeinsame Name. Jetzt heisst der Milliardenkonzern wieder einfach nur Holcim, das neue Logo strahlt in Grün und Blau.

PD

Grosse Hoffnungen setzt sie auf zwei Ökozement-Produkte, die in den letzten 24 Monaten eingeführt wurden: Susteno und Ecopact weisen 10 bzw. 30 Prozent geringere Emissionswerte auf als normaler Zement.

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Die grünen Produkte sind lukrativ für Holcim: Zum einen kann man höhere Preise verlangen, zum anderen liegen die Herstellungskosten 20  Prozent niedriger, weil man darin Bauschutt verarbeiten kann, statt diesen für viel Geld auf einer Deponie zu entsorgen.

««Wir sehen gute Fortschritte, aber Zement wird immer viel CO2-Impakt haben»»

Doch die Volumina sind noch winzig. Derzeit dümpelt man erst im einstelligen Prozentbereich, und auch das nur in der Schweiz. Denn in der EU oder den USA ist Ecopact noch gar nicht zugelassen. «In zehn Jahren soll die Hälfte unserer neuen Produkte aus wiederverwertetem Bauschutt bestehen», so Jenischs Vision.

«Wir sehen gute Fortschritte, aber Zement wird immer viel CO2-Impakt haben», relativiert Vincent Kaufmann, Chef der Stiftung Ethos für nachhaltige Entwicklung.

Bonusrelevant

Immerhin produziert Holcim bereits jetzt pro Tonne Zement weniger CO2 als die Konkurrenz: 550 Kilo sind es, bei der mexikanischen Cemex fallen 620 Kilo an, bei Heidelberg Zement 575. Ziel von Jenischs Mannschaft für 2030 sind 475 Kilo, auch dies weniger als bei der Konkurrenz. Wohl auch deshalb wird Holcim von den Stakeholdern derzeit als nachhaltiger angesehen als die Wettbewerber, so eine Analyse der Markenagentur Adwired.

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Doch das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, hält Ethos-Chef Kaufmann für unrealistisch: «Die Technologie, etwa um CO2 dauerhaft einzufangen und zu lagern, ist noch nicht so weit», sagt er: «Holcim wird daher viel CO2 mit Zertifikaten kompensieren müssen.»

Das aktuelle Management muss sich an dem Langfristziel sowieso nicht messen lassen, weil dann längst nicht mehr im Amt.

Dennoch fliessen die Ökoziele bereits jetzt in die Vergütung ein: Ein Drittel von Jenischs Langfrist-Bonus (zuletzt 4,6 Millionen Franken, das Gesamtsalär betrug letztes Jahr 7,9 Millionen) ist daran gekoppelt. Zu wenig, kritisiert Actares, ein Aktionärsverein für nachhaltiges Wirtschaften. 50  Prozent müssten es mindestens sein, und das müsse auch für den kurzfristigen Bonus gelten.

«Vielerorts müssen die Bauvorschriften erst an die neuen Öko-Materialien an­gepasst ­werden.»

«Vor allem ist unklar, welche Kriterien sich heute wie genau auf den Bonus auswirken», so Sprecher Beat Honegger. «Mit unserem Inzentivierungssystem sind wir den anderen Firmen weit voraus», kontert Jenisch die Kritik. «Und das Ganze muss auch profitabel sein.»

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Auch deswegen kommt Holcim einer Forderung von Ethos nach und lässt die Aktionäre an der nächsten Generalversammlung über die Klimastrategie abstimmen.

Actares und Ethos haben Holcim in der Vergangenheit wegen der Umweltsünden wiederholt hart kritisiert. Jetzt urteilen sie milder: «Holcim nimmt das Thema inzwischen ernst», sagt Ethos-Chef Kaufmann. «Es sind keine revolutionären Umwälzungen, aber es entwickelt sich etwas», pflichtet Actares-Sprecher Honegger bei.

Auch, weil das Holcim-Board unter VR-Präsident Beat Hess aus dem Zementgeschäft devestiert und in neue Geschäftsfelder diversifiziert, die weniger kapital- und emissionsintensiv sind.

Die Zementherstellung in Malaysia und Indonesien etwa wurde abgestossen, diverse kleinere afrikanische Ländergesellschaften wie Sambia oder Madagaskar stehen zum Verkauf, beim Milliardenmarkt Brasilien prüft der Konzern, ob er der «best owner» ist.

Gleichzeitig wird die Sparte Services and Products – dort ist alles ausser Beton und Zement zu finden – gestärkt. Sie soll in den nächsten fünf Jahren auf vier bis fünf Milliarden Franken ausgebaut werden, also auf fast ein Viertel des Konzernumsatzes. Der erste wichtige Schritt dazu war der Kauf der amerikanischen Firestone, eines Herstellers von Dachsystemen mit 1,8 Milliarden Dollar Umsatz.

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Als «Paukenschlag» bezeichnete Jenisch die Akquisition.

Auch an der Bauchemiesparte von BASF war er interessiert, verlor aber das Wettbieten gegen ein amerikanisches Private-Equity-Unternehmen. Jetzt hofft er auf weitere Paukenschläge.

Grosse Erwartungen hat Holcim auch beim 3-D-Druck: Anfang Juli präsentierte Jenisch in Venedig der Öffentlichkeit eine Brücke, nicht über einen Kanal, sondern in einem Park. «Striatus», lateinisch für «gerippt», wurde sie getauft und besteht aus 53 am Computer designten, mit einem 3-D-Drucker produzierten und vor Ort zusammengesetzten Elementen.

Striatus

ZUKUNFTSHOFFNUNG: Die Fussgängerbrücke «Striatus» in Venedig wurde im 3-D-Drucker hergestellt und ist vollständig recycelbar.

Diverse
Striatus

ZUKUNFTSHOFFNUNG: Die Fussgängerbrücke «Striatus» in Venedig wurde im 3-D-Drucker hergestellt und ist vollständig recycelbar.

Diverse

Weil die einzelnen Teile hohl sind und keine Armierungseisen benötigen, können 70  Prozent Beton und 90  Prozent Stahl gespart werden, zudem ist der Beton vollständig rezyklierbar. In einer Branche, deren Abläufe und Technologien seit einem halben Jahrhundert unverändert sind, ist das wenigstens einmal eine Innovation.

Doch ob sich diese durchsetzt, ist fraglich: Die Kunden, sprich Bauherren, müssen das additive Verfahren erst noch annehmen und in grossem Stil einsetzen – auch, weil die 3-D-gedruckten Elemente mit all ihren kleinen Fehlern und Ungenauigkeiten optisch noch nicht mit traditionellen Baumethoden mithalten. Und vielerorts müssen die Bauschriften dafür überhaupt erst angepasst werden.

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Holcim

HOLCIM-SPITZE: Jan Jenisch bei der Einweihung der Fussgängerbrücke «Striatus»

Diverse
Holcim

HOLCIM-SPITZE: Jan Jenisch bei der Einweihung der Fussgängerbrücke «Striatus»

Diverse

Auch die vier Tonnen Abfall, die die Circular Explorer pro Tag maximal einsammeln kann, werden die Welt nicht verändern. Die Kosten dafür nennt Jenisch «überschaubar», angesichts der simplen Bauweise des Boots dürften sie kaum sechsstellig sein – Peanuts für einen Konzern mit 3,7 Milliarden Franken Betriebsgewinn selbst im Corona-Jahr.

«Der Weg für Jan Jenisch wird sehr lang und steinig werden.»

Der Vorwurf des Greenwashing liegt nahe. «Es ist kein Greenwashing», wehrt sich Jenisch: «Wir sind heute schon einer der grössten Recycler der Welt.» 46 Millionen Tonnen pro Jahr werden von Holcim pro Jahr wiederverwertet, bis 2030 sollen es 100 Millionen sein.

Doch in diese Summe zählt der Konzern nicht nur rezyklierte Baustoffe, sondern auch jenen Müll von Klärschlamm bis Altreifen, den er bei der Zementherstellung anstelle fossiler Brennstoffe verfeuert – wodurch ebenfalls CO2 freigesetzt wird.

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Wie sehr der Konzern noch an seiner Glaubwürdigkeit arbeiten muss, zeigt sich auch im Hamburger Hafen. Auf dem Weg zum Katamaran wird die Holcim-Pressesprecherin am Hafenquai von einem Passanten angehalten: «Sie sehen so aus, als könnten Sie mir sagen, was das da drüben für ein seltsames Boot ist», sagt er mit Blick auf ihren Badge.

Freundlich erklärt sie es ihm. «Das ist also Holcims neuester Ablasshandel?», empört sich der junge Mann: «In Costa Rica holzt ihr Wälder ab für ein neues Zementwerk, und hier schippert ihr dafür mit einem Müllsammler rum?»

Der Weg für Jan Jenisch wird sehr lang und steinig werden.

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