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Medical Retail

Bestsmile-CEO Ertan Wittwer ist im Gründer-Rausch

Unternehmer Ertan Wittwer – Devise: «Go big or go home» – hat mit Bestsmile in der Schweiz einen Volltreffer gelandet und vervielfältigt sich nun.

Iris Kuhn Spogat

Bestsmile

Erst seit 2018 im Geschäft, dominiert Ertan Wittwer (37) den Schweizer Medical-Retail-Markt bereits.

Marc Wetli für BILANZ

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Das Gespräch findet in Winterthur statt, im zehnten Stock des Sulzer-Hochhauses, das seit der Renovation Wintower heisst. Hier befindet sich die Zentrale von Ertan Wittwer. Er erwartet uns in der Eingangshalle, eilt uns mit ausgestreckter Hand entgegen. Sein Händedruck ist fest – und zieht in Richtung Lift. «Gehen wir gleich hoch», sagt er. Und dann: «Hoi.»

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Hoi. Ansprache mit Du – nach innen wie nach aussen – ist eine der Säulen seines Businessmodells und seiner Definition von «Medical Retail». «Ich will den Markt neu auf- und für jeden zugänglich machen», antwortet er auf dem Weg nach oben auf die Frage, worum es ihm eigentlich gehe. Jeden zu duzen, das wird bald klar, ist für seine Ambitionen ein Statement. Der Markt, in den er sich drängt, strotzt hierzulande nämlich vor Diskretion, Steifheit, Abstand und sprichwörtlicher Exklusivität: Eingriffe zur Ausmerzung äusserer Makel.

Ertan Wittwer

Ertan Wittwer:: «Wenn man eine Konsummarke aufbauen will, muss man gross spielen.»

Betty Heart für Bilanz
Ertan Wittwer

Ertan Wittwer:: «Wenn man eine Konsummarke aufbauen will, muss man gross spielen.»

Betty Heart für Bilanz

2018 hat er zusammen mit zwei Freunden Bestsmile gegründet. Eine Blitzumfrage im Bekanntenkreis fördert das Start-up als Erfinderin transparenter Zahnspangen zutage. Das ist falsch, Wittwer hat die sogenannten Aligner weder erfunden, noch war er der Erste, der sie hier verkauft hat. Aber er promotete die unsichtbaren Korrekturschienen wie niemand vor ihm: Er bepflasterte Plakatwände, spannte da Vincis Mona Lisa ein, dann den Schweizer Strahlemann und Fussballnati-Goalie Yann Sommer. «Wenn man eine Konsummarke aufbauen will, muss man gross spielen», sagt er und fügt grinsend an: «Go big or go home.»

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Wittwer ist für dieses Geschäft nicht gerade prädestiniert: Er hat weder Medizin studiert, noch war er an der HSG. Er absolvierte eine zweijährige Verkäuferlehre bei einem Eisenwarenhändler im Thurgau und landete danach jobbend in der IT-Welt. Von da hat er Attitüde, von da hat er Know-how. Bestsmile ist aufgestellt wie eine Onlinefirma: flache Hierarchien, hohe Spezialisierung, digitalisierte, ergo skalierbare Prozesse.

Wer bei Bestsmile durch die Tür kommt, wird geduzt und soll selbst von der Praxisassistentin bis zum Zahnarzt jede und jeden duzen. Mit dieser Lockerheit in gestyltem Ambiente plus den vergleichsweise tiefen Kosten, die zudem in Raten abgestottert werden können, hat er den Markt neu aufgemacht.

Ende März hat die Migros Bestsmile mit inzwischen 36 Standorten, 320 Mitarbeitenden und rund 50 Millionen Franken Umsatz gekauft. Und – so wird gemunkelt – über 100 Millionen Franken dafür bezahlt. Richtig? «Ich kann nur so viel sagen», antwortet Wittwer, «der Deal hat viele Beteiligte glücklich gemacht.» Allen voran natürlich ihn selbst. Seine Co-Gründer haben sich nach dem Verkauf aus Bestsmile zurückgezogen, Wittwer sitzt dort nun im Verwaltungsrat – «wie abgemacht» – und vervielfältigt sich.

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Millionen-Exit

Zusammen mit seinen Bestsmile-Weggefährten, zu denen auch Fabrice Aeberhard, Co-Gründer und Kreativchef des Zürcher Brillenlabels Viu, gehört sowie Marcel Kubli, vormals im Digitec-Management, danach bei Viu und schliesslich bei Bestsmile für die Expansion verantwortlich, und schliesslich Philip Magoulas, Zalando-Co-Gründer und bei Bestsmile Finanzchef, macht Wittwer derzeit einen weiteren Markt neu auf: Haartransplantationen, «ein Case mit Riesenpotenzial»: Bis zu 80 Prozent der Männer in Mitteleuropa sind früher oder später von schleichendem Haarverlust betroffen.

Der beginnt mit Geheimratsecken und endet mit einer Glatze – und bei vielen grad auch noch mit einem Knick im Selbstvertrauen. Das Mekka für Haarverpflanzungen von dichten an kahle Stellen ist die Türkei. Je nach Statistik werden dort jährlich 300 000 bis 400 000 Haartransplantationen durchgeführt. Sie kosten um die 3000 Franken, Flug, Hotel und Transfers inklusive.

2020 haben Wittwer und Co.in Hair & Skin investiert. Der 37-jährige Ostschweizer sieht sich mit diesem Start-up in noch viel höhere Sphären aufsteigen als mit Bestsmile: Das Filialnetz besteht derzeit aus 15 Shops, bis Ende 2022 sollen es schweizweit 20 sein.

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Für 2023 ist der Sprung ins Ausland projektiert. «Wir sind überzeugt, dass es für unser Konzept eine grosse Nachfrage gibt», sagt der COO von Hair & Skin, Philip Lehmann, ein M.A. HSG und wie Wittwer onlineaffin und ehrgeizig. Sein Slang: «Wir bringen nun so richtig PS auf den Boden.» Seit er im Januar eingestiegen ist, hat er vier Kliniken, pardon, Shops, eröffnet und geniesst den Satz: «Wir machen die Behandlungen der breiten Masse zu fairen Preisen zugänglich.»

Die Preise sinken

Businessmodelle wie das von Hair & Skin sind Leid und Freud zugleich für alteingesessene Anbieter wie die Pallas Klinik, die im vierten Stock des Jelmoli an der Zürcher Bahnhofstrasse für die Laufkundschaft eine Riesenpalette von Beauty-Eingriffen im Programm hat. Pascal Cotrotzo, Geschäftsführer Aesthetics der Pallas Klinken und seit vielen Jahren im Markt, kommentiert den Wittwer-Effekt so: «Die Neugier steigt, die Hürde sinkt, die Preise kommen unter Druck.»

Rein äusserlich ist Ertan Wittwers aufgehender Stern ein Zwilling von Bestsmile – digitales Geschäftsmodell, 1A-Lagen, kostenlose Beratung, Ratenzahlung, Lounge-Atmosphäre, Duz-Pflicht. Das Produkt indes geht tiefer, unter die Haut. Lehmanns grösster Challenge: «Qualifiziertes Personal zu finden.» Diese Verantwortung übernimmt der BWLer nicht selbst, sondern Omar Haroon (34). Der plastische Chirurg, Co-Inhaber der Praxis am Zeltweg, hat die Initialzündung für Hair & Skin gegeben und das Start-up mitgegründet. Er war bereits bei Bestsmile investiert und ist es auch bei Hair & Skin.

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Vorher-nachher-Bilder auf der Homepage von Hair & Skin versprechen viel. Zum chirurgischen Eingriff selbst – der Fachbegriff dafür ist Follicular Unit Extraction – ist die Information betont sachlich. Die Realität ist blutig, die Heilung langwierig: Nach Lokalanästhesie der Kopfhaut werden per Hohlnadel mit 0,65 bis 1,0 Millimetern Durchmesser Haarfollikel, im Fachjargon «Grafts», am Hinterkopf entnommen und dann an die kahlen Stellen, wo zuvor mit «feinsten Spezialnadeln winzige Empfangskanäle für die Haarwurzeln» gebohrt worden sind, wieder eingesetzt.

Bestsmile

Eingriff bei Bestsmile. 

Betty Heart für Bilanz
Bestsmile

Eingriff bei Bestsmile. 

Betty Heart für Bilanz

Klingt simpel, ist aber diffizil: Das Resultat ein Jahr nach dem Eingriff steht und fällt mit der Wahl der richtigen Haarfollikel, den richtigen Abständen und Winkeln, in denen sie – one by one – eingepflanzt worden sind, 1000 bis 1500 bei Geheimratsecken, bis 3500 bei einer Glatze.

Der Eingriff kostet zwischen 2900 und 6900 Franken und damit rund die Hälfte dessen, was etablierte Schweizer Anbieter wie die Zürcher Gentlemen’s Clinic verlangen. «Wir haben seit der Gründung mehr als 4500 Eingriffe vorgenommen», sagt Lehmann. Die Belegschaft ist inzwischen auf 115 Haartransplanteurinnen, Haartechniker und Praxishilfen angewachsen.

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#3: Augenlaser

Nach Zähnen und Haaren sind nun die Augen dran. Am 13. Mai ist ein weiteres Business im Bereich Medical Retail am Start. Es heisst Better View und drängt in den Augenlasermarkt. Den Eingriff für ein «brillenfreies Restleben» gibt es seit 1990, weltweit wurde er schon über 35 Millionen Mal durchgeführt, das Komplikationsrisiko ist mit 0,5 Prozent gleich hoch wie beim Wechsel von Brille auf Kontaktlinsen.

Geführt wird Better View von David Holenstein, selbstbewusst, Mitte dreissig und technologieaffin auch er. Der erste Standort befindet sich an der Weinbergstrasse in Zürich, schöne Möbel, frischer Soundteppich, lächelndes Personal, digitale Prozesse und im Hintergrund – Sie ahnen es – Wittwer: «Ich bin investiert.»

Holenstein, vormals Leiter Vertrieb von Crowdli, einem Investmentvehikel im Bereich Immobilien, sieht nichts als Chancen: «Dieser Markt ist sehr heterogen und fragmentiert, was für uns die Chance birgt, das Ganze neu zu denken und so in drei Jahren Marktführer zu werden», sagt er. Das «Neudenken» beinhaltet auch bei ihm Fixpreise, Ratenzahlung und Kosten, die nur entstehen, falls der Eingriff auch durchgeführt wird.

Auf Wunsch gibt es bei Better View – und das ist schweizweit echt neu – die mehrstufige Prozedur bestehend aus der Abklärung, ob ein Eingriff in Frage kommt, der Hauptuntersuchung und schliesslich dem Eingriff in einem einzigen Tag. Der Eingriff kostet je nach Verfahren 1490 respektive 1790 Franken pro Auge, deutlich weniger als andernorts. Holensteins Prognose ist rosarot: Die Analyse des Marktes habe ergeben, dass die Anzahl Korrekturen Jahr für Jahr zahlreicher würden, sagt er, «drei von vier Jugendlichen sind mittlerweile auf Sehhilfen angewiesen, Tendenz steigend».

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Von der ersten Finanzierungsrunde steht ihm ein Startkapital «im tiefen siebenstelligen Bereich» zur Verfügung, um die ersten Shops zu bauen. Bis Ende 2024, so sein Plan, wird es Better View in zehn Schweizer Städten geben.

Mit Holenstein am Start sind zwei Optometristinnen und zwei Schlüsselfiguren mit Track Record im Kerngeschäft. Er hat sie beim Konkurrenten Focus Laser – drei Standorte in der Schweiz – abgeworben: Der Mediziner Toam Katz, dank jahrelanger Expertise eine Koryphäe für refraktive Chirurgie, wurde als Medical Director verpflichtet, und Nita Zeqiri, schon bei Focus Laser in der operativen Leitung im Lead, übernimmt diese Rolle nun beim Newcomer. Inzwischen ist auch das nötige Personal für Bern und Basel gemäss Holenstein rekrutiert, die Locations sind angemietet – wie gewohnt an Toplagen.

Better View

Klare Ästhetik dominiert beim Medial Retail-Konzept von Ertan Wittwer. 

ZVG
Better View

Klare Ästhetik dominiert beim Medial Retail-Konzept von Ertan Wittwer. 

ZVG

Fortsetzung folgt

Im Hintergrund wacht Wittwer, «ich helfe auch gern», hat aber offenbar bereits ein weiteres Projekt am Laufen: Diesmal, so der Start-up-Unternehmer, der schneller Firmen gründet, als andere ihr Auto wechseln, werde er aber nicht etwas Bestehendes pimpen, sondern etwas ganz und gar Neues lancieren. Den Start plant er für den Herbst. Was er vorhat? «Das sage ich nicht», wehrt er ab, «sonst macht es noch ein anderer.»

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Über die Autoren
Iris Kuhn Spogat

Iris Kuhn-Spogat

Iris Kuhn-Spogat

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