Guten Tag,
Ralph Hamers startet heute als neuer Chef der UBS. Wer ist der Mann? Wie stark kann er die Grossbank umbauen? Ein Portrait.
Starker Auftritt: Ralph Hamers ist für seine Reden bekannt – sogar die eigenen Mitarbeiter schauen sich seine Videos an.
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Es war ein schwieriger Beginn. Am 1. Oktober 2013, dem Tag, als Ralph Hamers im Alter von 46 Jahren den Chefposten der niederländischen Grossbank ING und damit den mächtigsten Posten in der Finanzindustrie seines Landes antrat, wurde seine Mutter ins Krankenhaus eingeliefert. Er fuhr sofort zu ihr in die Kleinstadt Limburg im Süden Hollands. Es schien ihr einigermassen gut zu gehen.
Doch am nächsten Tag starb sie. «Sie hat nie gesagt, dass sie ohne meinen Vater nicht leben konnte, aber meine Brüder und ich haben das die ganze Zeit gedacht», vertraute der noch frische Bankchef drei Monate später dem Magazin «Elsevier Weekblad» ungewöhnlich offen an. Der Vater, lange Angestellter in der Wasserverwaltung, war ein Jahr zuvor gestorben.
Dieser Artikel erschien bereits in der April-Ausgabe 04/2020 der BILANZ.
Der Abschied von ING sieben Jahre später ist wieder eine extrem schwierige Zeit für Ralph Hamers. Am Donnerstag, dem 12. März, verhängte er eine Zugangssperre, der neue Hauptsitz im Südosten Amsterdams durfte keine Besucher mehr empfangen.
Auch BILANZ nicht: Das für diesen Tag geplante Gespräch wurde morgens abgesagt. «Leider sorgt das Coronavirus für einige neue Massnahmen in unseren niederländischen Büros, und deshalb sind Besuche ab sofort untersagt», lässt die Pressestelle ausrichten.
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Es bleibt nur ein langes Telefonat am nächsten Tag («ich hätte Ihnen so gern unser neues Hauptquartier gezeigt») – bevor sich der Chef selbst ins Homeoffice setzt («nur so werden wir unserer sozialen Verantwortung gerecht»).
Vorher hatte er noch seine Mitarbeiter informiert: «Selbst wenn die meisten von euch jetzt entfernt sind von den Kollegen, so bleibt bitte in Kontakt und gebt euch die notwendige Unterstützung. Wir bleiben eine enge, orange Familie, ob wir im gleichen Büro arbeiten oder nicht. Ralph.»
Betroffen ist der 53-Jährige nicht nur als Chef von 54 000 Mitarbeitern, sondern auch als Familienvater: Die beiden Kinder, Zwillinge, leben zwar nicht mehr daheim. Doch während die Tochter als Psychologiestudentin in Amsterdam nahe bei den Eltern ist, studiert der Sohn Finance in den USA. Zerreissprobe in Corona-Zeiten.
Gerüchte über den Weggang von Hamers bei ING gab es schon länger, am 20. Februar präsentierte UBS-Präsident Axel Weber (M.) den Holländer als Nachfolger von Sergio Ermotti (l.). Er löst ihn am 1. November ab, bereits am 1.September tritt er in die UBS-Konzernleitung ein.
KeystoneGerüchte über den Weggang von Hamers bei ING gab es schon länger, am 20. Februar präsentierte UBS-Präsident Axel Weber (M.) den Holländer als Nachfolger von Sergio Ermotti (l.). Er löst ihn am 1. November ab, bereits am 1.September tritt er in die UBS-Konzernleitung ein.
KeystoneDas Virus zerschiesst auch seine Bilanz. ING sollte eine Technologie-Plattform mit angehängter Banklizenz sein, hatte Hamers die letzten Jahre mantrahaft wiederholt, und als Beweis nannte er stets die Steigerung der Kundenzahl von mehr als sieben Millionen pro Jahr, fast 2000 pro Tag, vor allem über das digitale Direktbanking in Ländern wie Deutschland, Spanien oder neuerdings auch den Philippinen – dort gibt es nur eine App.
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Dass ihn die «Financial Times» zum Google-Banker unter den europäischen Bankchefs kürte, trug er fast wie einen Ehrentitel vor sich her.
Und dann das: Seine Bank wird in Sippenhaft genommen wie alle anderen, der Kurs halbiert sich und fällt sogar stärker als bei der UBS. Knapp die Hälfte der Einnahmen kommt eben noch immer aus dem klassischen Kreditgeschäft, in dem ING in mehr als 40 Ländern aktiv ist – die UBS ist da im Ausland schon längst ausgestiegen.
Findige Analysten hatten schnell ausgerechnet, dass ING unter den 20 grössten europäischen Banken am drittstärksten im taumelnden Energiesektor exponiert ist und rund um die Welt teils heftige Kredite ausstehen hat. Das macht zwar seine Aufbauarbeit nicht zunichte.
Doch die Digitalisierungs-Prämie, die sich Hamers in seiner fast siebenjährigen Amtszeit erarbeitet hatte – der Kurs stieg bis zum Corona-Crash um mehr als 20 Prozent, die UBS-Aktie fiel in der gleichen Zeit um 35 Prozent –, ist verdampft. Wenn es hart auf hart kommt, bleibt eine Bank dann eben doch eine Bank – das kann auch ein Digitalturbo nicht ändern.
Der Wechsel von Hamers an die UBS-Spitze verspricht grosse Spannung – ausgeprägter könnte der Kulturunterschied kaum sein. Da birgt schon der Hauptsitz maximale Symbolkraft. Während die UBS im letzten Januar ihren frisch renovierten Sitz an der Bahnhofstrasse mit edelsten Marmorböden und grossflächigen Einzelbüros präsentierte, atmet der zu Jahresbeginn bezogene neue ING-Hauptsitz den Geist der Tech-Giganten.
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Auf der einen Seite Silicon-Valley-Atmosphäre am neuen ING-Hauptsitz.
BloombergAuf der anderen Seite zeigt sich ein Marmorboden in der renovierten UBS-Zentrale.
Keystone«Wir haben hier eine Silicon-Valley-Atmosphäre geschaffen», betont Hamers, der das Design des Neubaus steuerte. Offene Architektur, keine Einzelbüros, stattdessen das Primat des «agilen Arbeitens»: Statt Produktesilos nach der zähen Wasserfall-Methode – eine Idee gelangt über Marketing, Produkteentwicklung, Operations und IT an den Markt – gibt es sogenannte «Zwei-Pizza-Teams»: Die Mitarbeiter organisieren sich in Kleingruppen von maximal neun Mitarbeitern, mit je zwei Teilnehmern aus jeder Abteilung – zusammen reicht es für zwei XXL-Pizzen. «Dadurch haben wir die Geschwindigkeit massiv erhöht», schwärmt Hamers.
Die Veränderung zeigt sich auch bei ihm. Als er den Chefposten vor sieben Jahren übernahm, zeigte er sich gern noch in traditioneller Bankeruniform mit dunklem Anzug und Krawatte. Heute ist der Binder fast ein No-Go: Vor drei Jahren, als er an einem Branchen-Dinner der europäischen Bankchefs teilnahm, musste ihm UBS-Chef Sergio Ermotti eine Krawatte leihen – passenderweise schon mit UBS-Logo.
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«Ich habe meinen Stil geändert: Wer die Abläufe neu erfindet, muss auch sich selbst neu erfinden», betont Hamers dann auch. In dem neuen Hauptquartier sitzt er mit seinen Kollegen aus der Konzernleitung an einem grossen Tisch, ohne festen Platz.
No-Go-Krawatte: Hamers änderte seinen Führungsstil – inklusive Dresscode.
Marieke van der VeldenNo-Go-Krawatte: Hamers änderte seinen Führungsstil – inklusive Dresscode.
Marieke van der VeldenSitzungen hält er im Stehen ab («hält dich energischer und fokussierter»), zuweilen kommt er in Jeans und T-Shirt, gern auch mit orangen Turnschuhen, ganz im Sinne der orangen ING-Familie. Homeoffice ist für ihn normal («vorbildliches Verhalten heisst nicht, als Erster im Büro zu sein, zu Hause habe ich Zeit zum Nachdenken»).
Ein grösserer Gegensatz zur noch immer hierarchischen UBS mit ihren eher starren Abläufen ist kaum möglich. Und wenn Hamers behauptet: «ING ist in vielen Ländern zum Love Brand geworden», wirkt das nicht einmal verwegen. Die UBS als Love Brand? Nun ja.
Natürlich ist hier auch immer viel Selbstvermarktung im Spiel. Dass Hamers unter den europäischen Bankchefs die beste Video-Präsenz hat, ist unbestritten – die Resultate kommentiert er gern via Videos («Hi, this is Ralph»), die er aus dem Stegreif aufnimmt – und seine Mitarbeiter schauen sie sich sogar an.
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Vorgezeichnet war sein Weg zum Bankrebell nicht. Er stammt aus einfachen Verhältnissen. Geboren wird er in dem Klosterstädtchen Simpelveld im südlichsten Zipfel der Niederlande, nur wenige Minuten entfernt von der deutschen und belgischen Grenze.
Der Vater arbeitet erst bei den staatlichen Steinkohleminen, dann in der lokalen Wasserverwaltung, die Mutter ist Hausfrau. Als jüngster von drei Brüdern verbringt er eine typische holländische Kindheit: Viel Sport – Fussball, Radrennen mit den Brüdern.
Eine Besonderheit hat die Region: Auch wenn die Konfession heute keine zentrale Rolle mehr spielt, so war der katholische Süden des Landes lange eine Minderheit, was den Zusammenhalt förderte.
Die Eltern waren gläubig, der wöchentliche Kirchgang ein Ritual. Sein Bruder Frank ist seit zwölf Jahren Geschäftsführer der Diözese des Bistums Roermond und nach dem frühen Tod der Eltern als Vertrauensperson zentral – er sei sein «Kompass», sagte Hamers einmal in einem Interview: «Um im Auge zu behalten, was wirklich wichtig ist im Leben.»
Zwar trägt er seinen Glauben nicht nach aussen («dass er gläubiger Katholik ist, war in der Firma nie ein Thema», betont ein langjähriger Verwaltungsrat). Doch wie wichtig ihm der Glaube ist, zeigen seine regelmässigen Kirchenbesuche: Trotz der vielen Reisen schafft er es noch ein bis zwei Mal pro Monat in den Gottesdienst. Die schlichten Werte seiner Kindheit lebt er auch heute noch.
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Er habe sich für die Finanzindustrie geschämt, deklarierte er etwa offen nach den Exzessen der Finanzkrise: «Banker dürfen nie grösser als die Gesellschaft sein – sie müssen der Gesellschaft dienen.» Statt in der Grossstadt Amsterdam wohnt er lieber in einem kleinen Dorf zwanzig Minuten ausserhalb der Metropole.
Geburtsort: Die Kirche der Klostergemeinde Simpelveld im Süden der Niederlande.
ZVGGeburtsort: Die Kirche der Klostergemeinde Simpelveld im Süden der Niederlande.
ZVGDer Glaube beeinflusst auch seinen Führungsstil: «Ich vertraue meinen Mitarbeitern von Anfang an, sie müssen sich mein Vertrauen nicht verdienen. Aber es ist ihre Verantwortung, es nicht zu verlieren.» Dazu zählt auch die Kraft der Vergebung: «Ich gebe Menschen immer eine zweite Chance. Alle machen Fehler, auch ich.»
Doch wer mit 46 Jahren zum jüngsten CEO der ING-Geschichte gekürt wird, braucht nicht nur Werte, sondern auch einen starken Drang nach oben – gepaart mit Verkaufsgeschick auch in eigener Sache. Hamers studierte Ökonometrie im nahen Tilburg, das Studium zahlte er zum Grossteil selbst.
Diese Spezialisierung wählen nur Wirtschaftsinteressierte, die es genau wissen wollen: Es geht vor allem um Statistik und Algorithmen. Sein starkes Zahlenverständnis bildet dann auch die Grundlage seines Aufstiegs: Mitarbeiter schildern ihn als extrem datengetrieben – und das zeigt sich vor allem beim Kostenbewusstsein: ING hat mit 56 Prozent ein Kosten-Ertrags-Verhältnis, von dem UBS (80,5 Prozent) nur träumen kann.
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Gewiss, Wealth Management und Investmentbanking sind teurere Disziplinen als das Retailbanking, das Hamers bei ING vor allem über digitale Kanäle – und immer weniger teure Filialen – optimiert hat. Aber dennoch: Dass die UBS ein Kostenproblem hat, bestreiten selbst die eigenen Manager nicht wirklich und war auch im Verwaltungsrat regelmässig ein Thema – schon vor dem Corona-Schock.
Wer Ökonometrie studiert braucht vor allem eines: Disziplin – und die zeichnet ihn auch heute noch aus. Bei Wochenendveranstaltungen trinkt er abends schon ein Glas mit, doch zu lange bleibt er nie, und morgens ist er meist wieder der Erste am Tisch. So nah er sich seinen Mitarbeitern gibt – alle nennen ihn Ralph –, ein Kumpeltyp ist er nicht.
Sein Lieblingssport ist Radfahren: Auch eine Tätigkeit, für die man sich quälen muss. Das Privatleben schirmt er ab: Bilder von den Velotouren, gern im Dress des holländischen Versicherers TVM, sind nicht zu finden, und auch gemeinsame Fotos mit seiner Frau Patricia sind dünn gesät.
Rares Foto: Mit seiner Frau Patricia zeigt sich Hamers selten in der Öffentlichkeit – hier bei einem Jubiläumsanlass der deutschen ING-Tochter in Frankfurt.
VISTAPRESSRares Foto: Mit seiner Frau Patricia zeigt sich Hamers selten in der Öffentlichkeit – hier bei einem Jubiläumsanlass der deutschen ING-Tochter in Frankfurt.
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Mit gerade 22 Jahren hatte er sein Studium beendet, dann zog es ihn über den Atlantik: Ein halbes Jahr arbeitete er für die Revisionsgesellschaft Dunwoody & Company in der kanadischen Stadt Thunder Bay.
Zurück in der Heimat folgte der Einstieg ins klassische Banking: Zwei Jahre bei ABN Amro in der Finanzierung von Öl-und Gasprojekten, dann der Wechsel zu ING mit Stationen in der Flugzeug- und der Filmfinanzierung – unter anderem finanzierte sein Team für den US-Unterhaltungsriesen Disney ein Portfolio. Den ersten grossen Job im Ausland übernahm er als 33-Jähriger: Chef von ING Rumänien.
Seine Familie blieb zu Hause, wie auch später bei seinem Job als Belgien-Chef, den er nach seinem Job als CEO des Heimatmarkts antrat (siehe unten). «Ich hatte alle drei, vier Jahre einen anderen Job, oft auch in einem anderen Land», betont Hamers.
Seine Palette ist vielfältig: Trading, Finanzierung, Risikomanagement und – für die UBS besonders zentral – zuletzt selbst Private Banking. Mehrere Kunden mit mehr als 500 000 Euro betreute er selbst.
Zentral auch für seinen Führungsstil: Er ist nicht wie etwa Ex-CS-Chef Tidjane Thiam mit einer Kamarilla von Führungskräften unterwegs, die er bei einem Job sofort installiert: «Ich bringe keine Mitarbeiter mit in meinen neuen Job. Das Team muss funktionieren, das steht über allem.»
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Und wenn schon seine Kür zum UBS-Chef überraschend war, so war es seine Wahl zum ING-Chef erst recht. Bei der Verkündung der Nomination im Februar 2013 war er nicht einmal Mitglied der Konzernleitung – er musste erst in das oberste Führungsgremium übernommen werden, bevor er dann sechs Monate später Chef seiner neuen Kollegen wurde.
Sein Fürsprecher war der langjährige Shell-Chef Jeroen van der Veer, damals Präsident von ING und heute in gleicher Funktion beim Elektrokonzern Philips. Van der Veer ging damals mit Hamers ein grösseres Risiko ein als heute UBS-Präsident Axel Weber: Hamers war nicht nur weitgehend unbekannt, der bisherige Allfinanzkonzern stand zudem vor einem grossen Einschnitt: ING hatte wie die UBS in der Finanzkrise Staatshilfe bezogen, jetzt musste der Versicherungsteil verkauft werden. Diesen Job einem unerfahrenen Mann zu übertragen, erforderte Mut.
Förderer: Der damalige ING-VR-Präsident Jeroen van der Veer kürte Hamers 2013 zum CEO – obwohl der nicht einmal Mitglied der Konzernleitung war.
BloombergFörderer: Der damalige ING-VR-Präsident Jeroen van der Veer kürte Hamers 2013 zum CEO – obwohl der nicht einmal Mitglied der Konzernleitung war.
BloombergDoch vor allem fahndete der Verwaltungsrat nach dem Chef der neuen Generation. «Wir suchten nach einer Person, die die Bank der Zukunft erfindet», erinnert sich van der Veer. Es gab einige Kandidaten in der Konzernleitung, und van der Veer bot sie kurzfristig zu Spontan-Präsentationen auf, bei denen sie die Zukunft der Bank skizzieren sollten.
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Hamers zählte damals zu den Top-20-Nachwuchskandidaten und bekam ebenfalls ein Aufgebot. «Er konnte seine Vision für die Bank und für sein Team exzellent darstellen», betont van der Veer. Hamers skizzierte die Vision einer Bank ganz im Sinne des legendären Spruchs von Bill Gates: «Banking is essential, banks are not» – die Bank als Technologie-Plattform, die automatisierte Produkte liefert und Kundenberatung vor allem noch für die Grosskunden und die spezialisierte Vermögensverwaltung benötige.
Als Belgien-Chef war er Mitglied des Strategieteams «Disruption and Technology» gewesen und dafür häufig ins Silicon Valley gereist, lange bevor es zu einer korporativen Pilgerstätte wurde. Er besuchte Uber, Airbnb oder den Finanzdienstleiter Mint und war tief beeindruckt. «Disrupt yourself before someone else does it» war schon früh einer seiner Standardsprüche. Doch van der Veer imponierte nicht nur die klare Vision: «Er kann auch sehr gut zuhören – und seine Ideen exzellent erklären. Deshalb folgen ihm die Mitarbeiter.»
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Er selbst hatte dann sein finales Erweckungserlebnis wenige Wochen nach Amtsantritt bei einem Abendessen mit Fondsmanagern im Silicon Valley – sie inspirierten ihn zu noch mehr Radikalität. So entstand das «Think Forward»-Programm: «Wir haben Technologie zur Kern-DNA von ING gemacht und uns gefragt: Was können wir darum herum bauen?»
All das gekoppelt mit Geschäftssinn und Tempo. «Geschwindigkeit ist für ihn zentral – er will die Ideen sehr rasch umsetzen», unterstreicht van der Veer. 2017 wurde Hamers zum «European Banker of the Year» gekürt, und in Amsterdam verstärkte sich die Einsicht, dass er auf Dauer kaum zu halten sein werde. Jüngst wollte ihn angeblich auch der britische Bankriese HSBC verpflichten, wie die «Financial Times» kolportierte. Mehr als ein «no comment» ist Hamers dazu nicht zu entlocken. Zürich war offenbar attraktiver als London.
Lässt sich sein Erfolgsrezept auf die UBS übertragen? Im Schweizer Heimmarkt zweifellos. Auch wenn die UBS hier schon viel angestossen hat – die Digitalisierung des Retailgeschäfts ist die grosse Kernkompetenz des Holländers, und es würde sehr erstaunen, wenn etwa das üppige Filialnetz in der aktuellen Form noch sehr lange bestünde.
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Schwieriger wird es im Wealth Management und im Investmentbanking. Hier gilt Hamers nicht als Vollprofi, und das dürften ihn die Besitzstandswahrer in der noch immer hierarchischen und von Silodenken geprägten Bank spüren lassen. Natürlich gibt sich Hamers zu seinen Plänen bedeckt und lässt nur verlauten: «Ich bewundere die starke Kultur der UBS.»
Doch wenn er etwa über Technologie-Anwendungen in diesen Bereichen redet, sprudeln all die Buzzwords nur so aus ihm heraus: Robo-Advising, Artificial Intelligence, Datamining. Nun ist es nicht so, dass die bisherigen Spartenmanager mit ihren üppigen Budgets nicht schon viele FinTech-Initiativen gestartet hätten. Satte 3,5 Milliarden Franken steckt die Bank jedes Jahr in Technologie. Und wie schwierig die Digitialisierung im Grosskundengeschäft ist, musste Hamers ja selbst bei ING erfahren.
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Er darf sich zu Recht als bester Digitalbanker im Retailgeschäft feiern lassen. Jetzt lautet seine neue Herausforderung: Wie kann er dieses Erfolgsrezept auf das beratungsintensive Wealth Management übertragen – und den Multimillionären, von denen die UBS so viele zählt wie keine andere Bank der Welt, wirklichen Mehrwert zu deutlich tieferen Kosten bringen?
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Sein Vorteil: Digitalisierung ist für ihn ein Herzens- und kein Pflichtthema – anders als für die aktuelle Konzernleitung, die eine gewisse Ermattung erkennen lässt. Die letzten grösseren Schritte – die weltweite Zusammenlegung der Wealth-Management-Einheiten, die Währungsumstellung auf Dollar – verströmten vor allem Aktivismus.
Auf zahlreichen Schlüsselpositionen – CFO Kirt Gardner, Schweiz-Chef Axel Lehmann, US-Lenker Tom Naratil – steht ein Generationenwechsel an. Bei ING startete Hamers an der Personalfront behutsam, doch heute ist in der siebenköpfigen Bankführung niemand mehr aus seiner Anfangszeit dabei.
Doch zunächst sind seine Qualitäten als klassischer Bankmanager gefragt – und das führt zu dem grössten Aufregerthema seines Berufslebens. Auf dem bisher fast makellosen Karriereweg des Holländers gibt es nur zwei Unebenheiten. Da ist einmal der Geldwäscheskandal, der ING 2018 eine Busse von 750 Millionen Euro einbrachte – Kunden hatten kriminelle Gelder auf ING-Konten laufen lassen.
Hamers entschuldigte sich öffentlich und entliess seinen Finanzchef. Doch in der heimischen Öffentlichkeit viel mehr Aufruhr verursachte die Affäre um seine Lohnerhöhung. Vor der Finanzkrise bezog der ING-Chef rund fünf Millionen Euro und lag damit etwa im Mittelfeld vergleichbarer Banken. Durch die Staatshilfe musste die Bank sich verpflichten, bei der Lohnfestsetzung unter dem Durchschnitt der Euro-Stoxx-50-Unternehmen zu bleiben – die UBS dagegen orientiert sich an den höchstzahlenden Banken der Welt.
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So entstand die skurrile Situation, dass der ING-Chef mit 1,8 Millionen Euro gerade mal ein Siebtel des UBS-Chefs bezieht, obwohl der Gewinn der Bank höher ist. Der Verwaltungsrat wollte dann zumindest eine Erhöhung auf drei Millionen Euro durchsetzen, schliesslich war der Staat ja längst ausgestiegen. Es folgte der grösste Aufschrei der jüngeren holländischen Wirtschaftsgeschichte – und die Salärerhöhung wurde gestrichen.
Ob Hamers sie selbst gefordert hatte, wollte der Verwaltungsrat nicht kommentieren, er dementierte es aber auch nicht. Plötzlich stand Hamers als Gier-Banker da. Offiziell zeigt er sich zwar verständnisvoll gegenüber der Banker-Schelte: «Ich kann das verstehen: Wir haben das Vertrauen der Gesellschaft verloren.» Doch die Affäre hat seine Wechselbereitschaft sicher erhöht.
Sie bietet für seinen neuen Posten aber auch eine grosse Chance. Dass sich die UBS-Banker trotz der trüben Aktienperformance der letzten Jahre noch immer mehr als drei Milliarden Boni gönnen, ist bis weit in bürgerliche Kreise hinein ein Ärgernis.
Wenn Hamers es mit seinem Verständnis für die Banker-Schelte ernst meint, könnte er sich einen heldenhaften Einstieg verschaffen: Er nimmt nur die Hälfte von Ermottis Salär, mit sieben Millionen Franken wäre es noch immer mehr als eine Verdreifachung – und kürzt auch den Bonuspool um die Hälfte.
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Darauf angesprochen, will er sich nicht festlegen. Aber immerhin räumt er ein: «Das Salär ist ein wichtiger Faktor für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.» Die Aktionäre würde der Verzicht freuen – und er hätte seiner neuen Heimat gleich bewiesen, dass es doch wertegetriebene Banker gibt.
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