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Einst war François-Henry Bennahmias Golfprofi. Heute treibt er die Uhrenmanufaktur mit Visionen voran und eilt der Zeit immer wieder voraus.
«Do or do not. There is no try» lautet das Mantra von François-Henry Bennahmias, hier im Zentrum des Musée Atelier Audemars Piguet.
David Wagnières für BILANZWerbung
François-Henry Bennahmias – Hoodie, Chino und Sneakers – macht es sich in einem der einladenden Sessel im Foyer bequem. Der CEO von Audemars Piguet (AP) beginnt das Gespräch mit der Frage «Wie haben Sie den Lockdown erlebt?» und wartet dann geduldig auf die Gegenfrage. Seine Antwort: «Ich hatte einen sehr strukturierten Tagesablauf und viel Zeit, um darüber nachzudenken, was für uns das nächste grosse Ding sein wird.» Dazu später.
Der Grund für das Rencontre ist nämlich nicht das nächste, sondern das letzte grosse Ding: das Musée Atelier Audemars Piguet am Hauptsitz in Le Brassus im Kanton Waadt. Es wurde Ende Juni eröffnet, Corona-bedingt statt mit Pomp und Prominenz im kleinen Kreis.
Das Museum, ein Wurf des dänischen Architekten Bjarke Ingels, sieht aus der Ferne aus wie der oberste Teil einer Riesenspirale, die sich aus dem Erdreich ans Licht geschraubt hat. Die Form ist kein Zufall: Die (Unruh-)Spirale ist das Herz mechanischer Uhren. Und die wiederum sind das Herz von Audemars Piguet.
Aussenansicht des neu eröffneten Musée Atelier Audemars Piguet in Le Brassus VD. Der Museumspfad ist eine Doppelspirale: Zuerst geht es spiralförmig durch die Geschichte ins Innerste und dann in entgegengesetzter Richtung wieder zurück in die Gegenwart. Die Tour ist auch für Leute ohne Leidenschaft für Zeitmesser ein Erlebnis.
PDAussenansicht des neu eröffneten Musée Atelier Audemars Piguet in Le Brassus VD. Der Museumspfad ist eine Doppelspirale: Zuerst geht es spiralförmig durch die Geschichte ins Innerste und dann in entgegengesetzter Richtung wieder zurück in die Gegenwart. Die Tour ist auch für Leute ohne Leidenschaft für Zeitmesser ein Erlebnis.
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Das Museum ist aus Stahl, Glas und Messing gebaut: Das Stahldach in Spiralform ist mit heimischen Gräsern begrünt, trägt zur Temperaturregulierung bei und absorbiert Wasser. Es wiegt 470 Tonnen und ruht auf 108 gebogenen Glasplatten, die bis zu 12 Zentimeter dick sind. Messinggitter an der Aussenfront regulieren die Temperatur und das Licht im Innern.
Rund 300 Uhren von AP sind dort ausgestellt. Die älteste datiert von 1875, sie war die Lehrabschlussarbeit von Jules-Louis Audemars, einem der beiden Firmengründer. Eine der jüngsten stammt von 2016: Es ist die Uhr, die Serena Williams in jenem Jahr in Wimbledon trug. «Wir haben in den vergangenen vier, fünf Jahren viele Uhren gekauft, um die bestehende Sammlung zu ergänzen», erklärt Bennahmias.
Die eine oder andere wird Aficionados zum Glühen bringen. Die weltweit erste Armbanduhr mit ewigem Kalender und Schaltjahranzeige vielleicht, eine von neun hochkomplexen Uhren, die Audemars Piguet 1955 herausgebracht hat. Oder die zehn Vintage-Chronographen, die zusammen in einer Vitrine liegen. Jenen von 1943 – damals ein hochmodernes Stück Uhrmacherkunst – hat das Unternehmen an einer Auktion für 305 000 Franken zurückgekauft. Er erhält als «Remaster 01» – gepimpt mit dem Savoir-faire von heute – gerade ein zweites Leben.
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Für Jasmine Audemars ist das Museum «eine Hommage an diejenigen, die das Kunsthandwerk über Generationen gepflegt und Audemars Piguet damit zu dem Unternehmen gemacht haben, das es heute ist». Die 71-Jährige führt das Unternehmen in vierter Generation als Präsidentin und ist damit Bennahmias’ Boss. Sie ist kühl und besonnen, er hitzig und impulsiv. Worüber sie streiten? «Wir streiten nicht», sagt Bennahmias, «wir haben eine Beziehung, die auf Vertrauen und konstantem Austausch basiert.» Ein Dreamteam.
Jasmine Audemars, Präsidentin des AP-Verwaltungsrats, vertritt die Besitzerfamilie in vierter Generation.
Guillaume MegevandJasmine Audemars, Präsidentin des AP-Verwaltungsrats, vertritt die Besitzerfamilie in vierter Generation.
Guillaume MegevandFür sie ist das Museum eine Hommage, für Bennahmias mitunter auch eine Attraktion, um Leute nach Le Brassus und ins Vallée de Joux zu locken. Im Hôtel des Horlogers, das derzeit ebenfalls nach den Plänen von Bjarke Ingels auf dem AP-Gelände gebaut wird, sollen diese Leute künftig gleich noch etwas länger bleiben. Die Gegend ist bislang kein Publikumsmagnet, karg die Landschaft – sechs Monate grün, sechs Monate weiss –, still das Dorf. Dass hier die Wiege der Schweizer Haute Horlogerie, dieser Spitzendisziplin in Sachen Konzentration, Präzision und Imagination, steht, verwundert hingegen nicht.
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Das firmeneigene Museum ist nicht einfach ein Friedhof der Geschichte. Laien lernen hier, dass in der Uhrmacherei, anders als im normalen Leben, eine Komplikation etwas Grandioses ist. Und dass etwas, das auf den ersten Blick wie ein Staubkörnchen aussieht, durch ein Fernrohr betrachtet zu einer Schraube wird. Zudem arbeiten Steinsetzer und Juweliere der Métiers d’Art sowie die besten der besten Uhrmacher der Maison nun hier, und zwar nach dem Prinzip «Ein Meister pro Meisterwerk». Die Herstellung eines Stücks Haute Horlogerie dauert sechs bis acht Monate. 1875, als Jules-Louis Audemars und Edward-Auguste Piguet die Firma gründeten, war es nicht viel anders: Die beiden stellten je eine, maximal zwei Uhren im Jahr her.
Inzwischen beträgt der jährliche Output des Hauses 40 000 Stück, und es arbeiten rund 2000 Menschen für die Marke. Die 40 000 sind weit weniger, als verkauft werden könnten, aber genug, um mehr als eine Milliarde Franken Umsatz zu generieren. Erstmals hat Audemars Piguet die zehnstellige Zahl 2018 erreicht, 2019 waren es dann schon 1,2 Milliarden Franken. Beide Zahlen sind Schätzwerte. Audemars Piguet ist neben Patek Philippe und Rolex eine der wenigen unabhängigen Umsatzmilliardäre in Familienbesitz, Bilanz und Erfolgsrechnung sind daher Privatsache.
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Meister bei der Arbeit: Das Musée Atelier ist nicht nur Ausstellung, sondern – der Name sagt es – auch Arbeitsort einiger der herausragenden Uhrmacher und Kunsthandwerker des Unternehmens.
David Wagnières für BILANZMeister bei der Arbeit: Das Musée Atelier ist nicht nur Ausstellung, sondern – der Name sagt es – auch Arbeitsort einiger der herausragenden Uhrmacher und Kunsthandwerker des Unternehmens.
David Wagnières für BILANZAls er 2012 CEO geworden sei, habe der Umsatz rund 500 Millionen Franken betragen, sagt Bennahmias. Seither folgt bei der Marke Rekordjahr auf Rekordjahr. Der 56-Jährige selbst beschreibt sich als Getriebenen: «Ich habe einen Wettkampfgeist», sagt er, «ich will gewinnen und besser sein als die andern, das ist Teil meiner DNA.» Was ihm dabei hilft: eine Reset-Taste im Kopf und dazu der Mut, sie auch zu benützen. Immer wieder. Er war Golfprofi mit dem Ziel, die Nummer eins der Welt zu werden. Als er sich eingestehen musste, dass er das nicht schaffen würde, begann er als Verkäufer bei Armani, ging dann zu Gianfranco Ferré und 1994 – «ich wusste rein gar nichts über Uhren» – zu Audemars Piguet. Er war zuerst Sales Manager in Frankreich, dann während 13 Jahren Chef des US-Marktes, der bis heute der wichtigste geblieben ist.
Als er 2012 vom Verwaltungsrat den CEO-Posten angeboten erhielt, sei er kurz aus der Fassung geraten, erzählte er damals: «Was, ich? Mit meinem schulischen Background?» In Paris geboren und aufgewachsen, ging er nicht gern zur Schule. «Ich mag es nicht, belehrt zu werden, das langweilt mich», sagt er, «ich lerne, während ich etwas tue.»
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Das ist ganz im Sinn seiner Lichtfigur: Yoda, Jedi-Meister aus «Star Wars». Er steht in Originalgrösse in Bennahmias’ Büro. Und an der Eingangstür zum Chefoffice klebt das Yoda-Zitat «Do or do not, there is no try». Es sei sein Mantra, sagt Bennahmias, «und zugleich meine Anweisung an alle hier». Wer versucht, akzeptiert, dass etwas nicht klappt. Wer macht und scheitert, lernt daraus. Oder à la Yoda: «The greatest teacher, failure is.»
2019 lancierte Bennahmias eine komplett neue Uhrenkollektion – was niemand erwartet hatte. Sie heisst Code 11.59 by Audemars Piguet. Sieben Jahre Arbeit stecken drin und Expertise, Know-how und Denkarbeit von 600 Mitarbeitenden. Die Code 11.59 soll eine neue Ikone werden. 13 Modelle stellte Bennahmias am Genfer Uhrensalon 2019 vor mit einem Preisband von 25 000 bis 300 000 Franken. Statt Applaus gab es erst einmal einen Shitstorm. Bennahmias schluckt einmal leer und sagt dann lachend: «Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, hätte es 1972 bei der Lancierung der Royal Oak Social Media gegeben.»
New 2020:
Code 11.59 by Audemars Piguet Automatik-Chronograph, 41 mm (links).
Royal Oak Automatik, 34 mm (Mitte).
Royal Oak Offshore Automatik-Chronograph, 44 mm (rechts).
PDNew 2020:
Code 11.59 by Audemars Piguet Automatik-Chronograph, 41 mm (links).
Royal Oak Automatik, 34 mm (Mitte).
Royal Oak Offshore Automatik-Chronograph, 44 mm (rechts).
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Die Royal Oak war anno dazumal eine Revolution: Sie war die erste Luxussportuhr aus Edelstahl, das Automatikwerk das flachste der Welt. Die Lünette war achteckig und verschraubt, das Zifferblatt guillochiert, das Stahlarmband ins Stahlgehäuse integriert – kurz: Nichts war so, wie es immer gewesen war. Die Kühnheit wurde zum Flaggschiff von Audemars Piguet und ist es zusammen mit der Royal Oak Offshore bis heute. Es gab und gibt sie in immer neuen Spielarten, geadelt von Superlativen und mechanischen Wunderwerken. Viele davon sind am Ende der Museumstour zu sehen.
Royal Oaks sind teuer und bleiben wertvoll: Neu kostet eine aus Edelstahl um die 24 000 Franken, secondhand ungefähr gleich viel. Komplexere Modelle aus den letzten vier Jahrzehnten sind heiss begehrte Sammlerstücke und entsprechend kostbar. Gemäss Connaisseurs wie dem Philipps-Auktionator Aurel Bacs und dem Zürcher Uhrenhändler René Beyer taugen Zeitmesser made in Le Brassus denn durchaus auch als Vermögensanlage.
Die Ablehnung, mit der die in die Royal Oak vernarrten AP-Fans auf die Code 11.59 reagierten, hat Bennahmias getroffen – verunsichert hat es ihn nicht. Er sei stolz auf die neue Linie, sagt er, «sie ist hundert Prozent AP und mit nichts vergleichbar, was wir zuvor je produziert haben». Beim Grand Prix d’Horlogerie de Genève, wo die «Oscars der Uhrenbranche» vergeben werden, erhielt die Code 11.59 mit Minutenrepetition und Supersonnerie den Prix de la Complication pour Homme. Beseelt legt Bennahmias nun zehn weitere Code-11.59-Modelle nach.
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Manche Uhren erzielen gigantisch hohe Wertsteigerungen – aus Hunderten Franken werden Millionen. Sofern gewisse Voraussetzungen stimmen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Bennahmias sticht nicht nur durch neue Uhren hervor, sondern auch mit neuen Konzepten in Sachen Absatz. Er hat als einer der Ersten der Branche damit angefangen, den Verkauf von Uhren unter seine Kontrolle zu bringen und sie in eigenen Läden zu verkaufen statt via Uhrenhändler. Nicht der Margen wegen – «wer in dem Geschäft nur dem Geld nachläuft, wird nicht überleben» –, sondern fürs «Gold 2.0»: Kundendaten.
«Wenn Sie einen Song online kaufen, kennen die Ihren Namen, Ihre Kreditkartennummer, wissen, wo Sie leben, wann Sie Geburtstag haben und welchen Musikgeschmack», sagt Bennahmias. «Wenn ein Händler eine AP für 100 000 Franken verkauft, erfahren wir nichts.» Maximal 120 Shops sollen es dereinst sein, eigene und Franchisen wie diejenige in Zürich, die von Bucherer geführt wird.
Kommerzieller Erfolg ist für Bennahmias Folge, nicht Ziel. Das gilt auch beim Verkaufen selbst. Hierfür hat er die Formel herausgegeben: Wer etwas verkaufen will, soll alles tun ausser verkaufen. Er macht es vor, lädt ein zu exklusiven Golfturnieren mit Profis und an hippe Happenings mit Top-Künstlern. In den AP Houses, schick eingerichteten Apartments mit ungezwungenem Groove und kaum ausgestellten Uhren, pflegt er das lockere Zusammensein und die Nähe zur Kundschaft. Hinein darf, wer schon eine AP besitzt, aber auch Nicht-Kunden mit Potenzial, sprich Geld. Eine Audemars kostet von 20 000 Franken an aufwärts.
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Seine ersten Erfahrungen mit den AP Houses fasst Bennahmias so zusammen: Die Leute bleiben doppelt so lange wie in einer Boutique mit Schaufenster, Tresen und Kasse, es wird über viel mehr geredet als über Audemars Piguet und Uhren. Und – wen wunderts? – «es werden sehr viele Uhren gekauft». AP Houses gibt es bislang in Hongkong, München, Madrid, Mailand, New York, Barcelona, Bangkok und London. Inzwischen werden dort auch Geschäftsmeetings und Dinners abgehalten.
Corona-bedingt war die Manufaktur zwei Monate lang geschlossen. «2020 Jahr gibt es einen Knick, wir werden maximal 37 000 Uhren herstellen können.» Kummer hat Bennahmias deshalb keinen, und es liegt ihm auch fern, die Produktion zu forcieren: «Eine Uhr herzustellen, braucht die Zeit, die es braucht», sagt er. Daran werde nicht geschraubt.
Die Botschaft der Familie an die Belegschaft, die wegen Corona in die Kurzarbeit geschickt worden war, lautete: Erstens wird es keine Entlassungen geben und zweitens keine Lohneinbussen. Bennahmias seinerseits pflegte während des Lockdowns mit seiner eindringlichen Art das Wir-Gefühl via Intranet.
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Einmal forderte er die ganze Belegschaft auf, ihren Nachwuchs danach zu fragen, worauf er sich nach dem Lockdown am meisten freue. «Grosseltern umarmen, mit Freunden ausgehen, Eltern besuchen – es kamen nur Antworten wie diese», sagt er. «Das brachte uns auf eine Idee und wird eine Revolution.» Das nächste grosse Ding eben. Bennahmias will noch nichts verraten und doch etwas sagen: Audemars Piguet sei B2B gewesen, B2C geworden und werde nun B2L. L? Steht für Love.
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