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Mann des Monats

Armeechef Thomas Süssli – Soldat, Manager und gefragter Welterklärer

Seine Wahl überraschend, seine Karriere ungewöhnlich: Drei-Sterne-General Thomas Süssli ist als Chef der Armee, Soldat und Manager – und in Zeiten der Krise auch gefragter Welterklärer. Wie macht er seinen Job?

Dirk Ruschmann

Dirk Ruschmann

Interview mit dem Chef der Armee, Thomas SŸussli.

BLICK AUF DIE WELT Thomas Süssli auf dem Dach des Bundeshauses. Er muss die Armee in die Zukunft führen – eine Zukunft, in der Kriege wieder möglich scheinen.

Thomas Meier

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Ein Tag im Arbeitsleben des obersten Soldaten der Schweiz beginnt um 5.30 Uhr – nicht mit einem Kaffee in der Küche und schon gar nicht mit dem ersten Weckruf wie in der Rekrutenschule, sondern fertig aufgerüstet mit der Abfahrt des Dienstwagens, je nach Terminlage im Tenue A (Ausgangsanzug) oder C (Arbeitsanzug).

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Ein Militärpolizist chauffiert Thomas Süssli von dessen Zuhause bei Sursee nach Bern; über die Autobahn, nicht durch das malerische Entlebuch oder Emmental. Im Fond blättert der Armeechef dann in den Unterlagen für den Tag, legt sich Strategien für anstehende Gespräche zurecht. Nach einer guten Stunde Fahrzeit stehen um 7 Uhr die ersten Termine an, oft inhaltliche Briefings oder Absprachen mit seinen Kommunikatoren.

Die Tage der Woche sind straff strukturiert: Montags stehen Interna und Verwaltungsarbeiten an, dienstags bilaterale Treffen, mittwochs tagt häufig die Armeeführung, an Donnerstagen geht es zu externen Terminen, und wenn der Freitag tatsächlich einmal blank bleibt in der Agenda, nutzt ihn Drei-Sterne-General Süssli für Truppenbesuche – gern auch ohne Voranmeldung. An den Abenden folgen inzwischen wieder zahlreiche Anlässe und Auftritte, wollen Serviceclubs und Offiziersgesellschaften den Armeechef bei sich haben, Politiker ihm ihre Anliegen und Ansichten eintrichtern.

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Freude und Sinnhaftigkeit des Soldatendaseins

So weit, so cheffig – dieser Wochenplan liest sich ganz ähnlich wie in Führungspositionen der Privatwirtschaft, womöglich abgesehen von den Überraschungsbesuchen und dem hohen Interesse an der Basis, also den Mitarbeitern, und vom Auftritt des Protagonisten: Thomas Süssli, 55 Jahre und eher jünger aussehend, gross und sportlich, sitzt im Tarnanzug an seinem Konferenztisch – ein ehemaliger Banker und IT-Experte, zwischenzeitlich Unternehmer, der 2015 vom Milizdienst ins Berufsoffizierkorps übertrat.

Macht das Soldatendasein mehr Spass? «Es macht mir viel Freude, aber ich hatte in jedem meiner Jobs das Gefühl, gerade am richtigen Ort zu sein», sagt Süssli lächelnd. Und der Grund für den Wechsel in den mässig bezahlten Staatsdienst? «Sinnhaftigkeit. Purpose – Bank war auch spannend, die Branche hat Tempo», sagt Süssli, auch seine Zeit in Asien habe ihm gefallen. «Aber den Ausschlag gab, jeden Tag für die Sicherheit der Schweiz etwas tun zu können», und «das ist bis heute meine Motivation.»

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Thomas Süssli, der das Amt im Januar 2020 übernahm, war zuvor zwar durchaus als Kandidat, aber nicht gerade als Favorit gehandelt worden. Doch inzwischen reicht die Zustimmung zur Personalie Süssli vom linken bis ins bürgerliche Spektrum: «Ich begrüsse definitiv, dass man einen quasi von aussen geholt hat, nicht wie früher einen aus dem Inner Circle», sagt die erfahrene SP-Verteidigungspolitikerin Priska Seiler Graf.

Die Beobachter von Thomas Süssli

Priska Seiler Graf, SP-ZH, spricht waehrend der Debatte um den sicherheitspolitischen Bericht 2021, waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 9. Maerz 2022, im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Staenderat Werner Salzmann, SVP-BE, spricht an der Fruehlingssession, am Montag, 14. Maerz 2022, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Rudolf Jaun
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Priska Seiler Graf Verteidigungsexpertin der SP. Nationalrätin, sitzt in der Sicherheitspolitischen Kommission.

Keystone

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SVP-Ständerat Werner Salzmann, Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission der kleinen Kammer, hält Süssli «für sehr intelligent und zudem für einen zur Politik sehr loyalen Offizier», lobt zudem seine «sehr gut vorbereiteten» und stets frei gesprochenen «und damit überzeugenden Referate». Ähnliches hat Oberst Dominik Knill, Präsident der Schweizer Offiziersgesellschaft, beobachtet: Süssli sei «ein hervorragender Redner», er gehe anderen «offen entgegen, hört aufmerksam zu und wirkt authentisch mit seinen Aussagen».

Im Departement gilt er als einer, der sich nicht nur für die fachliche Expertise seiner Leute interessiert, sondern auch für ihr privates Wohlergehen – und mit dem sogar zivile Mitarbeiter ohne zu zögern auf ein Bier gehen würden.

Das Büro im Bundeshaus Ost war schon Amtssitz seiner Vorgänger, aber Süssli hat den Schreibtisch zum Stehpult hochgefahren und einen Grossbildschirm namens «Social Wall» vor die Wand gestellt. Dieser zeigt auf mehreren Feldern Textinhalte, Bilder und Videos, etwa vom schneegekühlten Wiederholungskurs eines Infanteriebataillons, die unter für die Armee relevanten Hashtags die Runde machen.

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Digitalisierung ist eins der grossen Themen, die Süssli in den Streitkräften vorantreibt. Doch dass sich in seiner Person zwei Welten vereinigen, er eben doch nicht (nur) ein Chief Executive Officer des Unternehmens Armee ist, manifestiert sich in diesen Tagen in seiner prallvollen Agenda: Seine Einschätzungen und seine Expertise sind gefragt wie nie. Denn nur zwei Länder weiter tobt ein blutiger Angriffskrieg.

Ende der Friedensdividenden

Nur mit ultraknapper Mehrheit hat das Stimmvolk vor zwei Jahren den Sechs-Milliarden-Kauf neuer Kampfjets bewilligt, doch aktuell stellen sich gemäss einer Umfrage 60 Prozent gegen die aktuelle «Kampfjetinitiative», die den Kauf des Lockheed Martin F-35 verhindern will, für den sich der Bundesrat inzwischen entschieden hat.

Darin spiegelt sich die neue Unsicherheit, die nicht nur das Schweizervolk umtreibt: Im ebenfalls neutralen Österreich raufen sich liberale Beobachter die Haare, dass die chronisch unterfinanzierten Streitkräfte weiterhin klein gehalten werden sollen , folgend der für Österreich «typischen Mischung» aus Trittbrettfahren («Im Notfall hilft uns ja die NATO»), naivem Pazifismus und der Hoffnung, dass schon nichts passieren werde – «als Antithese zum verantwortungsvollen Schweizer Zugang».

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Und in Deutschland, wo 100 Milliarden Euro kurzfristig für Rüstungsprojekte bereitstehen sollen, sprach sich eine relative Mehrheit für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Friedensdividenden, dämmert nun den Völkern, sind auf mittlere Sicht kaum mehr zu heben. Sich gegen Angreifer von aussen wehren zu können, liegt im Trend.

Süssli ist zu einem gesuchten Gesprächspartner avanciert, gab Interviews in Tages- und Sonntagszeitungen, gastierte zwei Mal in der «Samstagsrundschau» des SRF-Radios. Beim Gespräch in seinem Büro schliesst er bisweilen kurz die Augen, während er spricht: höchste Konzentration. Rhetorische Fehltritte darf er sich noch weniger als ein Politiker erlauben. Und da sich innert weniger Wochen weder die Dinge noch Süsslis Ansichten dazu ändern, wiederholen sich seine Kernbotschaften unweigerlich.

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Etwa zu künftigen Bedrohungsszenarien für die Schweiz. Das reiche «von Umweltkatastrophen bis zum bewaffneten Angriff»; einer Diskussion darüber, was realistisch ist angesichts der Umzingelung durch befreundete Länder, entzieht sich Süssli stets. Man schaue schliesslich «sehr weit in die Zukunft», deshalb «braucht es bei unserer Zukunftsschau keine Benennung von Parteien». Und überhaupt, auch das ein Süssli-Evergreen, habe er sich bei Amtsantritt «als wahrscheinlichstes Ereignis einen Blackout vorstellen können». Doch dann kam Covid-19, und dann kam der Ukraine-Krieg.

Verteidigung «multidomain»

Oder zu möglichen Lehren aus diesem Krieg. Priska Seiler Graf etwa hofft auf Erkenntnisse, ob «wir unsere Strategie und damit Rüstungsbeschaffungen ändern müssen», ob es noch realistisch ist, dass sich die Schweiz autonom verteidigen könne. Süssli entgegnet, für Konkretes sei es «noch etwas früh». Zwei Schlüsse immerhin liessen sich bereits ziehen: «Der Informationskrieg wie auch der Kampf gegen gepanzerte Fahrzeuge mit Lenkwaffen spielen eine immer wichtigere Rolle.»

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Die Verfügbarkeit von zwei zusätzlichen Milliarden Franken Budget, wie sie die Politik derzeit vorbereitet, würde Süssli nicht vom Beschaffungsplan abbringen. Zunächst integrierte Luftverteidigung mit neuen Kampfjets und zugleich bodengestützte Luftabwehr, danach «geschützte Mobilität» für Bodentruppen, dann Artillerie und Investitionen im Cyberbereich: Das ist die beschlossene Reihenfolge beim Schliessen von Fähigkeitslücken, «die ich auch für richtig halte», und «mit zusätzlichem Geld könnten wir das beschleunigen».

Thomas Suessli

ARMEECHEFS UNTER SICH Süssli (r.) mit General Steve Thull von der Luxemburger Armee im Sommer 2021. Als Gastgeschenk überreicht Süssli gern ein Schweizer Taschenmesser.

VBS/DDPS
Thomas Suessli

ARMEECHEFS UNTER SICH Süssli (r.) mit General Steve Thull von der Luxemburger Armee im Sommer 2021. Als Gastgeschenk überreicht Süssli gern ein Schweizer Taschenmesser.

VBS/DDPS

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Die über die Jahrzehnte geschrumpfte Armee, im Reformprozess 2003 beim Thema Kämpfen auf «Kompetenzerhalt» reduziert, müsse nun ihre Fähigkeiten wieder «in der Tiefe» ausbauen, um die Schweiz über längere Zeit zu verteidigen – und damit ist nicht nur die berühmte Vier-Wochen-Frist gemeint, während deren die Luftwaffe in einer Bedrohungslage dauerhaft vier Flieger in der Luft halten könnte. Sondern auch, sich Richtung «Multidomain» aufzustellen, parallel in den Sphären Boden, Luft, Cyberraum und elektromagnetischer Strahlung kämpfen zu können. Und dass sich die bisherigen Kampfbrigaden eher in vergrösserte Bataillone spalten werden, weil umfangreiche Panzerverbände ohnehin keinen Raum in der überbauten, alpinen Schweiz finden. Und schliesslich sagt Süssli deutlicher als jeder Vorgänger, dass die Neutralitätsverpflichtungen im Fall eines Angriffs hinfällig würden – und die Schweiz dann Bündnisse eingehen könnte.

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Dafür ist als wichtigstes Werkzeug der Kampfjet F-35 prädestiniert: Dank zahlreicher Bestellungen benachbarter NATO-Staaten ist «er jetzt der europäischste Kampfjet», sekundiert Oberst Dominik Knill. Mit ihm sei die Schweiz «eine verlässliche Partnerin in Europa und generiert hohen Mehrwert für die Luftüberwachung im Alpenraum». Knill: «Die Nachbarländer und die NATO werden dies zu schätzen wissen.» Das Stichwort lautet Interoperabilität.

Doch im Vordergrund für die Soldaten steht die technische Leistungsfähigkeit. Als Jet der modernsten fünften Generation sammle er mit zahlreichen Sensoren Informationen im Flug und gebe diese an Nachrichtendienste und Kommandozentralen am Boden weiter, sagt Knill, «das gibt überlebenswichtige Lagebilder». Süssli betont, der F-35 sei auch ein «echter Jäger, das F steht nicht umsonst für Fighter», und habe im Luftkampf «gegenüber Jets der vierten Generation eine sogenannte Kill Ratio von 20 zu 1».

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Und auch wenn Priska Seiler Graf spottet, für die kleine Schweiz sei der «überdimensionierte» F-35 «ungefähr so, wie mit einem Lamborghini durch die Begegnungszone zu fahren», und die (auch von hochrangigen Soldaten aufgeworfene) Frage stellt, ob es glaubhaft sei, «dass ausgerechnet wir neutrale Schweizer als F-35-Käufer Kostengarantien bekommen haben», bei diversen NATO-Staaten jedoch die Betreiberkosten aus dem Ruder laufen – punkto Tauglichkeit verleihen die Soldaten dem Jet Bestnoten. Süsslis Urteil: «Ein Glücksfall aus Sicht der Armee.»

Interner Dienstleister

So überraschend wie das Votum für den F-35 war auch der Entscheid für Süssli als neuen Chef der Armee. Zur Nachfolge des Welschen Philippe Rebord, von einer schweren Thrombose zum Rückzug gezwungen, wurden den klassischen Armee-Recken Hans-Peter Walser und Claude Meier bessere Chancen eingeräumt. Doch Bundesrätin Viola Amherd, da sind sich Kenner einig, wollte einen Neuanfang an der Armeespitze, eine Modernisierung. Meier und Walser aber, zwei versierte Berufsmilitärs, Infanterist der eine, Pilot der andere, stehen für das alte Kerngeschäft.

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Die Vorgänger von Thomas Süssli

Korpskommandant Philippe Rebord, Chef der Armee, spricht zur Verlaengerung der Schweizer Beteiligung an der multinationalen Kosovo Force (KFOR), im Anschluss an die woechentliche Bundesratssitzung, am Mittwoch, 27. November 2019 in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Korpskommandant Andre Blattmann, spricht wahrend der Kommandouebergabe als Chef der Armee, am Donnerstag, 8. Dezember 2016, in Murten. Nach acht Jahren an der Armeespitze uebergibt Korpskommandant Andre Blattmann sein Kommando offiziell seinem Nachfolger Philippe Rebord, der sein Amt am 1. Januar 2017 antritt. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Roland Nef zieht eine mehrheitlich positive Bilanz seines ersten halben Amtsjahres als Chef der Armee, an einer Medienkonferenz am Freitag 27. Juni 2008 in Bern. (KEYSTONE/Marcel Bieri)
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Philippe Rebord Süsslis direkter Vorgänger. Gilt als umgänglicher Welscher. Zog sich krankheitshalber zurück.

Keystone

Süssli aber kommt als Milizoffizier aus der Sanität, und nach seinem Umstieg zum Berufsoffizier 2015, eingeladen vom damaligen Armeechef André Blattmann, kommandierte er zunächst eine Logistikbrigade, ab 2018 dann die Führungsunterstützungsbasis – einen internen Dienstleister, der die Kommunikation der Armee sicherstellt und Cyberabwehr organisiert, aber auch das gesamte Verteidigungsdepartement IT-technisch zu versorgen hat.

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Inhaltlich war das ein Heimspiel für Thomas Süssli: Schon im Alter von 23 war er ins IT-Business eingestiegen, als Direktor im Handelsgeschäft der UBS. Der ausgebildete Wirtschaftsinformatiker blieb mehr als zehn Jahre bei der Grossbank, leitete Projekte und Abteilungen, war nebenbei als Milizoffizier zum Kommandanten eines Spitalbataillons aufgestiegen, hatte auch den ersten Generalstabslehrgang absolviert. Damals, für die UBS in London, störte sich sein Vorgesetzter an Süsslis freiwilligem Militärengagement. Um weiter arbeiten zu können, verschob er den zweiten Generalstabslehrgang, kündigte 2001 dann aber doch, sodass er diesen antreten konnte.

Zugleich machte er sich mit UBS-Kollegen selbstständig: Mit ihrer Firma IFBS bauten sie ein Handelssystem für die Verleihe von Wertpapieren. Sie verkauften die Firma 2007 an Swisscom-Tochter Comit. Bei Vontobel avancierte er zum Leiter eines Teils des Handels, die Finanzkrise verhagelte dieses Geschäft aber bald, Süssli wechselte als Leiter der Investmentberatung für externe Vermögensverwalter zur Credit Suisse und schliesslich zurück zu Vontobel in Singapur – die letzten Jobs im Banking waren alle Führungspositionen, sagt Süssli: die richtigen Leute fürs Team finden, Strategie und Vision für den Verantwortungsbereich formulieren und dann die Truppe motivieren, in diese Richtung aufzubrechen.

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Bei der Armee besteht ein enormer Nachholbedarf

Die Armee habe enormen Nachholbedarf, «seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurden Ersatzinvestitionen verschleppt», Stichwort Friedensdividende, «da sind die Bürgerlichen den Linken auf den Leim gekrochen», urteilt Rudolf Jaun, emeritierter Professor an der Militärakademie der ETH Zürich und Autor des 2019 erschienenen Standardwerks «Geschichte der Schweizer Armee». Nun komme es darauf an, «kampffähig» zu bleiben, «nicht ab Grenze flächendeckend, aber punktuell». Süssli, sagt Jaun, «wirkt mutig und überzeugend, packt die Probleme an».

Foto: Nicola Pitaro

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Tatsächlich schlägt Süssli ein straffes Tempo bei diesem Umbau an, «für einige Mitarbeitende ziemlich ambitioniert», sagt Offiziersvertreter Knill. Dabei fielen schon mal Bemerkungen wie «Wir sind hier nicht in der Privatwirtschaft, wo man am nächsten Tag fertige Lösungsvorschläge haben kann». Kommt hinzu: Ein Chef gewordener Ex-Milizoffizier, der zudem seine militärische Heimat in der Sanität hat, muss um Akzeptanz kämpfen bei Berufsmilitärs aus den klassischen Kampftruppen, bei Grenadieren und Infanteristen mit viel Erfahrung in der Schlammzone, wo Wald und Feld am garstigsten sind.

«Ich denke, es war und ist im Berufsoffizierskorps nicht immer einfach für ihn», sagt Werner Salzmann. Süssli selbst streitet derlei Vorbehalte nicht ab: «Ja, das begegnet mir, selbstverständlich, und das akzeptiere ich.» Süssli sieht es so: Wie in jeder Organisation verfüge auch in der Armee niemand über das gesamte Wissen, also «ist wichtig, auf Spezialisten hören zu können, darauf bin ich angewiesen, und das tue ich».

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Das klingt nach modernem Führungsstil, und den pflegt Süssli tatsächlich. Die «5 V» nennt er seine Methode: Vorbild sein. Sinnhafte Visionen vorgeben. Verständnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, sodass alle verstehen, was hinter Entscheiden steckt.

Vertrauen geben, auch im Sinne der militärischen Auftragstaktik: Das Resultat ist vorgegeben, der Weg dahin nicht. Und schliesslich Verantwortung: Menschen sollen Verantwortung übernehmen, nicht Prozesse verantwortlich machen. All diesen Grundsätzen, die auch in modernen Unternehmen um sich greifen, «versuche ich auch selber gerecht zu werden». Dominik Knill hat Süssli als «versierten Kommunikator» erlebt: «Er ist kein klassischer Stahlhelmgeneral.»

Agilität in Soldaten-Uniform

Einen echten Stahlhelmträger liesse das Amt auch kaum noch zu; der wirtschaftliche Aspekt des Managens wird immer wichtiger. Denn anders als andere Generalstabschefs leitet Süssli mit der «Gruppe Verteidigung» im VBS auch eine ganze Reihe ziviler Bundesämter mit 9000 Mitarbeitern, davon 7000 Zivilisten; Immobilien, Finanzen, Personal, alles dabei. Der Aufbau eines Cyberkommandos erfordert ganz neue Rekrutierungskünste, denn hier muss er Digital Natives ansprechen und locken können; in ihren Selbstdarstellungen spricht die Armee heute, als sei das selbstverständlich, von «Enabling» und «Agilität».

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Die Entwicklung einer neuen Vision, nachdem der Reformschritt WEA (Weiterentwicklung der Armee) Ende 2022 abgeschlossen sein wird, organisierte Süssli ganz wirtschaftslike in Workshops und Seminaren mit den hohen Offizieren und übertrug die Ausarbeitung der Einzelthemen bewusst einer folgenden Generation, «die 2030, wenn die Strategie in der Umsetzung ankommt, selbst in der Verantwortung steht».

Auch dann, wenn er sich mit CEOs und Konzernpräsidenten austauscht, kommt Süssli zugute, dass er die Sprache der Privatwirtschaft beherrscht. Die sich abzeichnende Renaissance der Wertschätzung militärischer Führungserfahrung in Schweizer Unternehmen sieht er in den aktuellen «Zeiten der Unsicherheit und grossen Veränderungen» begründet: Da brauche es Leute, «die Situationen systematisch analysieren, Handlungsempfehlungen und Varianten erarbeiten können – und dann vorne hinstehen und diese vertreten können».

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Zugleich muss ein Armeechef die Wünsche der Politik in die Sprache der Soldaten übersetzen können, eine Brücke zwischen beiden Seiten bilden. Dieser Spagat, sagt Knill, «gelingt ihm gut». Mit seiner Chefin Amherd, die Insidern zufolge immer noch mit ihrem Ressort fremdele, verbindet Süssli nach seinen Worten ein produktives, «ganz normales» Arbeitsverhältnis: «Wir treffen uns im Schnitt drei bis vier Mal die Woche, und wenn akut etwas ansteht, ruft man kurz an.» Zudem lobt er Amherds Interesse an militärischen Fachthemen, die wolle sie «komplett durchdringen».

Thomas Suessli, Viola Amherd

ZUM CHEF WERDEN Die Übergabe der Standarte im Dezember 2019 durch Bundesrätin Viola Amherd signalisiert die Übernahme des Kommandos über die Armee.

Philipp Schmidli
Thomas Suessli, Viola Amherd

ZUM CHEF WERDEN Die Übergabe der Standarte im Dezember 2019 durch Bundesrätin Viola Amherd signalisiert die Übernahme des Kommandos über die Armee.

Philipp Schmidli

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Aktuell formulieren Süssli und seine Generale ihren Wunschzettel eines modernen Verteidigungsarsenals für den neu etablierten «Fähigkeitsdialog» mit der Politik: «Varianten, wie wir Bedrohungen und Gefahren abwehren können und welche Fähigkeiten wir dazu brauchen.» Das Ganze soll «im nächsten Jahr für die Legislatur 2024 bis 2027 beginnen» und könnte in Zukunft den diffusen Verfassungsbegriff der «Landesverteidigung» mit konkreten Inhalten füllen.

Was zeitlich nicht mehr drinliegt für Thomas Süssli: ausgedehntes infanteristisches Training im Freien. Ein, zwei Mal die Woche Sport, vor allem Jogging und Fitness, das muss reichen, aber «braucht es, um den Kopf zu lüften und in die Uniform zu passen». Zum Schiessen kommt Süssli, der «einmal ein sehr guter Pistolenschütze war», nur noch ein Mal im Jahr. Als heimisches Hobby, die beiden erwachsenen Töchter sind ausgezogen, gibt er noch Bücher an, «etwa Geschichte, Management oder Wirtschaft». Natürlich hat er auch seinen Clausewitz und Sun Tzu gelesen, «die stehen, glaube ich, sogar hier im Büro im Regal».

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Mit Thomas Süssli verhält es sich ein wenig wie mit dem Kampfjet F-35: beide überraschend, beide noch nicht im Stadium der Reife für eine Bewertung – aber durchaus möglich, dass sich beide noch als Glücksfälle für die Schweizer Armee herausstellen.

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