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Die Rezession klopft an die Tür. Anleger sollten sich auf Firmen mit Preissetzungsmacht fokussieren. Diese können sogar profitieren.
REZESSION Die Flucht nach vorn.
Matthias Schardt c/o Kombinatrotweiss.de für BILANZWerbung
Edouard Aubin leitet bei Morgan Stanley das in London stationierte Research-Team für europäische Aktien. Die Fondsmanager, die er mit Informationen versorgt, schätzen ihn, weil er sich auf die relevanten Dinge konzentriert und sie nicht mit Bergen von irrelevanten Details überschüttet. Beim Earnings Call des Luxusgiganten LVMH zum überraschend guten dritten Quartal durfte er die erste Frage an Finanzvorstand Jean Jacques Guiony stellen.
«Die grosse Frage ist», begann der 47-Jährige, «ob Sie im kommenden Jahr, in dem eine Rezession droht, in der Lage sind, die Preise weiter zu steigern?» Aubin hat die zentrale Herausforderung nicht nur für LVMH, sondern für die meisten Unternehmen auf den Punkt gebracht. Preissetzungsmacht ist in diesen Zeiten derzeit besonders angesagt.
Am selben Tag, an dem LVMH ihre Ergebnisse präsentierte, drückte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft wegen des Kriegs in der Ukraine erneut nach unten – von 2,9 auf 2,7 Prozent. In Europa und den USA scheint eine mehr oder weniger schwere Rezession bereits ausgemacht. Die Notenbanken nehmen sie gezielt in Kauf, um die Teuerung zu bekämpfen. Geht es nach Pictet, sind die Realeinkommen in der Eurozone so stark in Mitleidenschaft gezogen wie seit einer Generation nicht mehr. «Wenn das verfügbare Einkommen der Haushalte schrumpft, hat das einen Impact auf die Nachfrage», sagt Marc Possa, geschäftsführender Partner der auf Schweizer Aktien fokussierten VV Vermögensverwaltung. Die Börsen haben kräftig korrigiert. Einiges an Ungemach ist in den Kursen enthalten. Doch viele Experten wie J.P.-Morgan-Chef Jamie Dimon halten weitere Verluste von 20 Prozent und mehr für gut möglich.
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Die höchsten risikobereinigten Renditen versprechen Unternehmen, die sich im Umfeld hoher Inflation, steigender Zinsen und rückläufiger Wachstumsraten wacker schlagen oder sogar einen Nutzen daraus ziehen. «Man sollte wegen einer Rezession nicht in Panik geraten. Sie ist ein Korrektiv. Starke Unternehmen benötigen sie, um dem Wettbewerb ein Schnippchen schlagen zu können», sagt Uwe Rathausky, der Gründer der Investmentboutique Gané.
Geht es nach Martin Lehmann, Fondsmanager und Gründer von 3V Asset Management, haben in der Schweiz Firmen wie Ems, VAT, Sika, Straumann oder Geberit bei der Preissetzung «einen unglaublich guten Job gemacht». «Kommt eine Rezession, will ich genau diese Titel im Depot haben, denn die schlagen sich besser und gewinnen in der Krise Marktanteile.»
Firmen haben im Umfeld von Rezession und Inflation zwei Möglichkeiten, um ihre Margen zu schützen. «Entweder sie sparen oder sie erhöhen die Preise», weiss Rathausky. Sein mit rund sechs Milliarden Euro gefüllter globaler Mischfonds Acatis Value Event ist auf Firmen mit Preissetzungsmacht spezialisiert. Waren Preiserhöhungen bis vor dem Ukraine-Schock nur vereinzelt möglich, haben sie in den vergangenen Monaten durch die stark wachsenden Kosten für Energie, Transporte und Rohstoffe regelrecht grassiert.
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UWE RATHAUSKY ist Gründer der Investmentboutique Gané.
PDUWE RATHAUSKY ist Gründer der Investmentboutique Gané.
PDDoch diese Zeiten scheinen nun bald wieder vorbei zu sein. «Wir kommen aus einem Umfeld, wo sehr viele Firmen hohe Preissetzungsmacht hatten, das ist jetzt am Kippen», sagt Thomas Funk, ein auf Schweizer Aktien fokussierter Fondsmanager bei GAM. Für ihn ist Preissetzungsmacht ein zentrales Thema. Funk ist mit vielen Unternehmern im Gespräch. Die Covid-Krise habe das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage «erheblich durcheinandergebracht». Doch nach und nach mache sich bei den Unternehmern Entspannung breit.
Die Frachtraten und die Energiepreise beginnen wieder zu sinken, die sogenannten Bottlenecks lösen sich auf, der Nachschub an Gütern steigt. So ändert sich die Lage erneut. «Wir haben in den nächsten 12 bis 24 Monate ein völlig neues Spielfeld», sagt Funk. Nun geht es darum, die Preise, die sich oftmals auf Rekordniveau befinden, auch bei sinkendem Kostendruck nicht wieder zu senken. «Hohe Preise zu verteidigen und oben zu halten, das macht eine gute Firma aus. Sinken die Kosten wieder, steigen die Margen dann automatisch an», sagt Fondsmanager Lehmann.
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Preismacht kommt vor allem jenen Unternehmen zu, die über eine starke Stellung am Markt verfügen. «Sika hat Premiumprodukte, da muss man die höheren Preise in Kauf nehmen oder sich hinten anstellen», sagt Lehmann. «Je etablierter und stärker die Marktposition, desto grösser ist der Spielraum, die Preise zu gestalten», weiss auch Thomas Funk. Für ihn sind Sika, Geberit und Ems-Chemie hier Paradebeispiele.
Wichtig jedoch: Höhere Preise müssen gerechtfertigt sein. Funke berichtet von Unternehmen, die sich die Gründe für den Aufschlag von externen Firmen zertifizieren liessen. Die Steigerung wurde von den Kunden dann auch anstandslos akzeptiert. Hingegen seien überzogene und nicht gerechtfertigte Preiserhöhungen «verpönt». «Wer auf der Inflationskomponente eine Marge erzielt, erzürnt die Kunden. Das lastet auf den langfristigen Kundenbeziehungen», sagt Funke. Schweizer Firmen hätten hier in der Regel sehr umsichtig agiert.
Mittelfristig rechne sich das. Können Lieferanten wieder gewechselt werden, dürften die fairen Spieler Marktanteile von den gierigen gewinnen. «Man denkt in der Schweiz mittel- bis langfristig und ist, anders als in den USA und in China, auch weniger am schnellen Geld interessiert», sagt Marc Possa von der VV Vermögensverwaltung. Auch wenn man die Situation ausnutzen könnte, helfe man den Zulieferern in der Krise und lasse sie nicht hängen. Ein Beispiel ist Dätwyler. Seit 2007 werden Dichtungen für Nespresso-Kapseln produziert, seit 2012 auch die Kapseln selbst. Zwölf Milliarden Stück im Jahr sollen es sein. Im Vorjahr wurde der Vertrag mit der Nestlé-Tochter für die Produktion im Hochpreisland Schweiz um zehn Jahre verlängert. «Keiner bekommt die Dichtungen so gut hin, so wird mit Innovation in der Schweiz Wert geschaffen», sagt Possa.
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Am reibungslosesten werden höhere Preise im Austausch gegen grösseren Nutzen akzeptiert – das sogenannte Value-Based Pricing. Daher steigt die Preissetzungsmacht auch mit der Innovationskraft eines Unternehmens. Durch die ständige Aufwertung des Frankens sind Schweizer Firmen gezwungen, besonders innovativ zu sein. Fondsmanager Lehmann hält Sika, Straumann, Sonova oder Geberit in Sachen Innovationskraft für Vorzeigebeispiele. Firmen, die seit Jahresbeginn durch die Wende bei den Zinsen ordentlich unter die Räder kamen und so billiger zu haben sind.
MARTIN LEHMANN ist Fondsmanager und Gründer von 3V AM.
PDMARTIN LEHMANN ist Fondsmanager und Gründer von 3V AM.
PDZu den Playern mit hohem Marktanteil zählt Sensirion. Das Unternehmen aus Stäfa verfügt bei Feuchtigkeitssensoren global über Marktanteile von mehr als 50 Prozent. Durch Innovationen werden die Produkte immer kleiner, daher brauchbarer und verstärkt eingesetzt. Weil die Produktionsvolumen wachsen, fallen hier die Preise, Stichwort Economics of Scale. «Das tut der Konkurrenz mittelfristig weh. Preissetzungsmacht bedeutet nicht nur steigende Preise, sondern auch die Fähigkeit, diese zu senken», sagt Funk. LEM sei ähnlich positioniert.
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Uwe Rathausky ist auf Value Investing à la Warren Buffett spezialisiert. Für den Grossmeister der Anlage ist Preismacht das wichtigste Kriterium bei der Bewertung eines Unternehmens. Um Firmen mit Preissetzungsmacht zu identifizieren, hilft die Rohertrags- oder Bruttomarge. «Als Investor schaut man sich an, wer Pricing Power hat. Die Rohertragsmarge ist ein zentraler Indikator», sagt Rathausky. Der Zusammenhang ist so: Je höher die Bruttomarge, desto grösser ist der Spielraum, in Forschung und Entwicklung und somit Innovation zu investieren. Eine Firma mit tiefer Bruttomarge weiterzuentwickeln, ist für Fondsmanager Funk «ein fast aussichtsloses Vorhaben».
Uwe Rathausky hat fast ausschliesslich Firmen mit hohen Bruttomargen im Depot. «Rohertragsmargen sind für die Preisüberwälzung zentral», sagt er. Eine davon ist L’Occitane mit einer Bruttomarge von 82 Prozent. Wird eines dieser Naturkosmetikprodukte für 100 Franken verkauft, liegen die Herstellungskosten bei gerade mal 18 Franken. «Da gehen dann zwar noch die operativen Kosten, etwa für Verkauf, Personal und Marketing weg, aber ich sehe schon mal, dass das Geschäftsmodell Qualität hat», so Rathausky.
Weit verbreitet sind hohe Rohertragsmargen in der IT und ganz besonders im Softwarebereich. Unter den nur 24 Titeln in Rathauskys Depot machen diese mit Microsoft, dem Spielehersteller Activision Blizzard, dem Fintech PayPal, Alphabet, Salesforce und SAP einen Schwerpunkt aus. Rathausky fokussiert sich auf Unternehmen mit sogenannten Asset-Light-Geschäftsmodellen. Das sind all jene, die zur Herstellung ihrer Produkte wenig Kapital und kaum Anlagen wie Fabriken brauchen. Im Konsumbereich sind das Firmen wie Alibaba, Amazon oder Apple.
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Apple lagert etwa kostenintensive Fabriken an Zulieferer wie Foxconn aus und fokussiert sich auf Entwicklung, Design und Marketing. Im Unterschied dazu macht der vertikal integrierte südkoreanische Rivale Samsung die Handys in weiten Teilen selbst. Auch Investoren scheinen diese Modelle zu schätzen. Während die Apple-Aktie in den vergangenen fünf Jahren inklusive Dividende eine Rendite von 275 Prozent zustande brachte, erlitten Samsungs Aktionäre über diese Zeit sogar Verluste.
Weit verbreitet sind Asset-Light-Geschäftsmodelle in der Softwareindustrie. Ein Softwareunternehmen setzt für einen Franken Umsatz mitunter nur 50 Rappen Anlagevermögen ein, eine Fluglinie braucht für einen Franken Umsatz zehn Franken Anlagevermögen. Zudem gehen noch die Kerosinpreise durch die Decke, das Personal streikt, und die Kunden ächzen unter den steigenden Preisen.
«Da wird schnell klar, warum das eine Geschäftsmodell gut ist und das andere nicht», sagt Rathausky. Der Fondsmanager achtet besonders auf die Skalierbarkeit. Wird der Umsatz verdoppelt, ist in der Softwarebranche, anders als beim Flugzeugbauer, in der Regel bloss ein überschaubarer zusätzlicher Aufwand notwendig. Anlageexperten wie Warren Buffetts Partner Charlie Muggler setzen auf kleine Losgrössen, dafür aber auf viele davon. Statt Boeing wandert bei dieser Strategie Coca-Cola ins Depot.
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Preissetzungsmacht hängt davon ab, ob Kunden auf die Produkte verzichten können oder nicht. «Es ist die berühmte Preiselastizität. Bei allem, was man dringend braucht, ist diese hoch», sagt Marc Possa. So werden Lebensmittel in jeder Krise gekauft. Nestlé ist ein Profiteur. Dem Personaldienstleister für kaufmännische Arbeitskräfte Amadeus Fire wiederum nützt der angespannten Arbeitsmarkt. «Die Nachfrage ist hoch, das erlaubt es dem Unternehmen, an der Preisschraube zu drehen», sagt Olgerd Eichler von MainFirst.
Unverzichtbar sind auch viele Pharmaprodukte. Der dänische Insulinhersteller Novo Nordisk wird möglicherweise etwas Druck seitens der Kassen, aber keine Zurückhaltung der Konsumenten spüren. «Bei Novo Nordisk steigen Preise und Mengen stärker als die dahinter liegenden Kosten», sagt Uwe Rathausky. Die Stabilität zeigt sich an der Börse. Die Aktie hat auch im Bärenmarkt kaum korrigiert.
THOMAS FUNK ist Fondsmanager bei GAM.
PDTHOMAS FUNK ist Fondsmanager bei GAM.
PDAll jene Preissteigerungen sind kein Problem, die Kunden dabei helfen, ihre Effizienz zu erhöhen und Kosten zu sparen. In der Schweiz sind in diesem Bereich Firmen wie Bossard, Komax oder SFS mit ihren Produkten und Dienstleistungen gut positioniert. «Mit Beratung werden Prozesse optimiert und die gesamte Kostenbasis nach unten gebracht. Da sind die Einsparungen beim Kunden häufig grösser als die Kosten für den Service oder das neue Produkt», sagt Thomas Funk. SoftwareOne hilft Firmen etwa dabei, in die Cloud zu wechseln. Das Unternehmen aus Stans zählt zu den glücklichen Firmen, die eine automatische Preisanpassung an die Inflation in den Verträgen haben.
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«Je stärker die Marke, desto einfacher ist es, Kosten weiterzugeben. Das war schon vor der Teuerungswelle so und stimmt nun umso mehr», sagt Juan Mendoza. Er verantwortete bei Lombard Odier IM den World Brands Fund und bestückt ihn, wie der Name schon vermuten lässt, mit starken Marken. Bei den Treffen mit dem Management fragt er genau nach, wie es um die Preissetzungsmacht steht. Um an globalen Markentrends nahe dran zu sein, hat der gebürtige Rorschacher 2011 seinen Wohnsitz nach Hongkong verlegt. Früh investierte er in Firmen wie Lululemon Athletica. Die hat die Nische Yoga inzwischen erfolgreich besetzt und eine Umsatzverdoppelung vor sich.
Im aktuellen Umfeld hat Mendoza den oberen Teil der Konsumpyramide im Visier, also das Luxussegment. «Sich auf diesen Bereich zu fokussieren, war immer schon besser, ist jetzt aber noch wichtiger. Jetzt wollen wir die stärksten Marken, diejenigen mit Wartelisten, wie Ferrari, Porsche oder Hermès.» Ferrari ist eine der wenigen Firmen, die es gar nicht nötig haben, in Werbung zu investieren.
Selbst für Testberichte werden die Autos nur an wenige, ausgewählte Redaktoren ausgeliehen. Die kleinen Serien sind auch so rasch verkauft. Von dem im September präsentieren SUV Purosangue werden ein paar tausend Stück produziert und gehen für mehr als 300 000 Franken an die Kunden. Insgesamt laufen bei Ferrari pro Jahr nur 11 000 Autos vom Band, eine Zahl, die Ford im Schnitt am Tag produziert. Dort stellen sich aber ganz andere Probleme: Im September konnten 45 000 SUVs und Pick-ups nicht fertiggestellt werden, weil Chips und andere Teile fehlten. «Bei Ferrari geht es nicht um Volumen, der Fokus liegt auf der Abarbeitung des überschaubaren Orderbuches», sagt Mendoza.
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Porsche hat im Luxusautobereich die Nische zwischen 100 000 und 200 000 Franken besetzt. Mit Ferrari kommt man sich so nicht in die Quere. Für Mendoza haben die Zuffenhausener das Potenzial, neben Tesla der grosse E-Auto-Brand zu werden – und das gepaart mit steigenden Preisen.
«Durch die Einführung von Modellen wie dem E-Macan wird Porsche in der Lage sein, künftig die Preise nach oben zu schrauben und die Margen zu verbessern», sagt Olgerd Eichler. Je mehr die Konjunktur schwächelt, desto mehr setzt Juan Mendoza auf Consumer Discretionary, also Güter mit einer Lebensdauer von mehr als einem Jahr. «Nicht Inditex, sondern Hermès», lautet seine Strategie. Bei Luxuskonzernen wie Hermès sei die Visibilität auf der Absatzseite am grössten. Zudem spielen Rohstoffe und Energie eine geringere Rolle. Die Herstellung einer Tasche in den lichtdurchfluteten Ateliers geschieht in Handarbeit.
Wie gut Luxusfirmen durch die Krise kommen, zeigte sich beim Ergebnis von LVMH. Wie Edouard Aubin von Morgan Stanley war auch Mendoza beim Earnings Call dabei. 19 Prozent organisches Wachstum haben den Schweizer beeindruckt: «Ein starkes Ergebnis, nicht zuletzt, da sich China ja noch im Lockdown befand.» Nun öffne sich China Schritt für Schritt. Halten sich Europäer oder US-Amerikaner wegen der Rezession mit Ausgaben zurück, könne das durch wieder reisende Chinesen ausgeglichen werden. Der LVMH-Finanzvorstand hat Edouard Aubins Frage nach der Preissetzungsmacht zwar nicht beantwortet. Aber der Experte wusste die Antwort wohl selbst.
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