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Soft Skills bei Anwälten: «Die juristische Expertise ist nur die Spielerlizenz»

Der Kunde wolle vom Anwalt mehr als nur fachliche Expertise, sagt Professor Bruno Mascello. Den Unterschied machen die Soft Skills.

Corinna Clara Röttker

Corinna Clara Röttker

Anwalt Beratung

Vier-Augen-Gespräch: «Der Kunde sucht eine vertrauensvolle Beziehung zu seinem Anwalt, der ihm das Gefühl von Sicherheit gibt», sagt Professor Bruno Mascello.

Getty Images/Maskot

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Herr Mascello, Soft Skills spielen für den Unternehmenserfolg eine immer grössere Rolle. Diese Entwicklung scheint bei vielen Juristen noch nicht angekommen zu sein, was zählt, ist vor allem die fachliche Expertise. Täusche ich mich?
Nein. Ich bin auch überrascht, wie leichtfertig sich manche Juristen in der Kunden- und Beziehungspflege noch immer verhalten. Dabei brauchen sie die für den Erfolg ihrer Kanzlei.

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Aber?
Früher war das weniger ausgeprägt. Wenn Sie vor ein paar Jahrzehnten eine Rechtsfrage hatten, blieb Ihnen nur die Möglichkeit, zu einer Kanzlei zu gehen. Es gab ja nichts anderes. Heute hingegen sind Kunden informierter, anspruchsvoller und haben immer mehr Möglichkeiten, sich Rechtsrat zu beschaffen, nicht zuletzt auch im Internet. Hinzu kommt: Unternehmen beschäftigen inzwischen eigene Inhouse-Juristen, die etwa drei Viertel der Arbeiten auf dem Markt abschöpfen. Das fehlt alles bei den externen Anwälten. Deshalb sollten Juristen heute auf die Beziehung zum Kunden achten und diese pflegen.

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Was war der Grund für diese Entwicklung?
Ein Grund liegt sicher darin, dass das Stundenhonorar interner Anwälte im Vergleich mit den externen fast dreimal billiger ist. Ein anderer Punkt ist, dass man ganz einfach mit der Leistung nicht zufrieden war, die von externen Anwälten erbracht wurde. Und ich rede hier nicht von der juristischen Expertise, die kann man schliesslich überall einkaufen.

Womit war man dann nicht zufrieden?
Nehmen sich Kunden einen Anwalt, sind sie bereit, dafür zu bezahlen, auch viel, wenn es sein muss. Aber es ärgert sie, wenn sie zu viel bezahlen müssen, das heisst, wenn die erhaltene Leistung nicht im Gleichgewicht mit dem geforderten Honorar ist. Die Erwartungen gehen über die rein fachliche Expertise hinaus. Denn diese wird vom Kunden ohnehin als gegeben vorausgesetzt, er geht davon aus, dass ein Anwalt das Gesetz kennt und richtig anwenden kann. Der Kunde fordert mehr. So sollen insbesondere die Service-Elemente erfüllt werden, und er sucht eine vertrauensvolle Beziehung zu seinem Anwalt, der ihm das Gefühl von Sicherheit vermittelt.

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Und als Anwalt will man das nicht?
Sollte man, doch. Denn erst diese «Customer Experience», wie das heute ja genannt wird, garantiert eine hohe Kundenzufriedenheit und dem Anwalt damit wiederkehrende Kunden, die ihn zudem auch noch wirksam an Dritte weiterempfehlen. Das sind übrigens die zwei nachhaltigsten und kostengünstigsten Werbemassnahmen überhaupt.

««Viele Juristen scheinen noch nicht verstanden zu haben, dass viele Kunden 'mit den Füssen wählen'».»

Warum werden Soft Skills von Anwälten dann noch immer unterschätzt?
Es gibt zufriedene Anwälte, die mir sogar erklären: Solange ich mein Timesheet voll habe, interessiert mich Kundenorientierung nicht. Solange der wirtschaftliche Schmerz nicht gross genug ist, besteht auch keine Not, sich mit solchen Themen ernsthaft auseinandersetzen zu wollen. Dann wird auch die Bereitschaft gering sein, sich mit den Ursachen zu beschäftigen, die zu einer Trennung geführt haben. Viele Juristen scheinen noch nicht verstanden zu haben, dass viele Kunden «mit den Füssen wählen». Kunden, die unzufrieden sind, werden ohne Mitteilung einfach wegbleiben. Sie informieren Ihren Coiffeur ja auch nicht, wenn Sie das nächste Mal woandershin gehen. Hinzu kommt, dass viele Anwälte sich nicht als Dienstleister verstehen wollen und das gar als Widerspruch zum Freiberufler empfinden. Bei ihnen dominiert das traditionelle Kanzleidenken, weswegen sie nach wie vor in der fachlichen Expertise-Ecke verharren und von Klienten anstatt von Kunden sprechen.

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Sie hingegen sprechen die ganze Zeit vom «Kunden». Was ist falsch daran, «Klient» zu sagen?
Der Begriff Klient führt dazu, dass man Abstand schafft: Ich bin der Anwalt, du der Klient. Die Bezeichnung Kunde schafft eine andere Denkhaltung, und sie erlaubt Nähe, was eine Grundlage für Vertrauen bildet.

Die besten Anwälte 2020

Anwaltskanzleien, die ihren Job gut machen, werden gerne weiterempfohlen. Das BILANZ-Ranking zeigt, wer zu den Besten gehört. Mehr dazu lesen Sie hier.

Soft Skills sind also gefragt. Welche braucht ein Anwalt konkret?
Es gibt service- und beziehungsbezogene Elemente. Zu ersteren zählen zum Beispiel Zuverlässigkeit, Termintreue, Reaktionsfähigkeit und Erreichbarkeit. Wenn ich einen Anwalt anrufen möchte, bekomme ich ihn ans Telefon, und wie schnell reagiert er? Ein Kunde möchte ja möglichst schnell sein Problem gelöst haben, dieses zumindest schnell beim Anwalt deponieren können, damit er seinen Kopf wieder freikriegt. Zu den Beziehungskomponenten hingegen zählen etwa der persönliche Umgang, Freundlichkeit, Integrität, Authentizität, Einfühlungsvermögen und, ganz wichtig, die Kommunikationsfähigkeit des Anwalts. Das eigentliche Handwerk des Juristen besteht ja im Kommunizieren, und das muss man immer wieder üben.

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Wie sieht für Sie eine gute Kundenkommunikation aus?
Das Allerwichtigste ist, aktiv zuzuhören und Fragen zu stellen. Man muss sich in sein Gegenüber hineinversetzen und seine eigene Kommunikation darauf ausrichten. Je besser der Sachverhalt sowie die Wünsche und Erwartungen vorab geklärt sind, desto weniger Missverständnisse und Unzufriedenheit entstehen später. Zudem sollte man Lösungsvorschläge und klare Empfehlungen geben. Da diese auf Sachverhaltsannahmen beruhen, kann auch nicht viel schiefgehen. Längere schriftliche Ausführungen sollten eine Zusammenfassung beinhalten, und die Sprache muss für den Kunden verständlich sein, heisst: keine juristische Fachsprache, lateinische Formeln oder komplizierten Sätze. Kein Kunde möchte heute ein 30-seitiges, mit juristischer Terminologie vollgepacktes Schriftgut kriegen ohne effiziente Hilfestellung. Es gibt noch immer Anwälte, leider selbst junge, die das nicht berücksichtigen.

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Lernen Juristen so etwas nicht zusammen mit den verschiedenen Verhandlungstechniken im Studium?
(Lacht.) Das ist eine legitime Annahme, nur muss ich Sie leider enttäuschen. Im Studium muss man zunächst mal das materielle Recht lernen. Viele lernen gutes Kommunizieren mit Kunden – wenn überhaupt – erst on the job. Was hier hilft, sind tatsächlich regelmässige Übung und die Bereitschaft, Fehler zu machen. Manche Kanzleien bieten auch Weiterbildungen an oder engagieren einen Coach. Denn die gute Nachricht ist: Man kann so was lernen. Die schlechte: Aus meiner Sicht passiert das noch immer viel zu wenig. Es muss ja nicht jeder gleich zum superempathischen Anwalt werden, aber eine Optimierung hier und da wäre schon nützlich.

Kommunikationsexperte

Bruno Mascello (53) ist Rechtsanwalt, Titularprofessor für Wirtschaftsrecht und Legal Management und Direktor der Executive School an der Universität St. Gallen. Er forscht und publiziert zu Themen an der Schnittstelle von Recht und Management, insbesondere zu Veränderungen im Rechtsmarkt, zum Management von Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen sowie zur Beschaffung von Rechtsdienstleistungen.

Bruno Mascello

Bruno Mascello.

ZVG
Bruno Mascello

Bruno Mascello.

ZVG

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Aus Kundensicht stellt sich bloss ein Problem: Sucht man sich einen Anwalt, weiss man nicht im Vorfeld, ob dieser verständlich kommuniziert und empathisch ist.
Das stimmt. Was machen Sie also? Sie verlassen sich vor allem auf Empfehlungen, die wiederum auf Kundenzufriedenheit basieren. Die Fachexpertise setzen Sie dabei voraus, schliesslich kann man diese als Kunde ohnehin schlecht beurteilen. Das funktioniert übrigens auch anonym bestens, wie Bewertungsportale täglich unter Beweis stellen. Und es ist vergleichbar mit der Suche nach einem neuen Arzt.

Weil man den auch basierend auf Empfehlungen auswählt?
Genau. Ob man am Ende mit seiner Leistung zufrieden ist, hängt wiederum vor allem von seinen sozialen Fähigkeiten ab – ob er zum Beispiel freundlich war und auf das persönliche Anliegen in gewünschtem Mass eingegangen ist.

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««Juristische Expertise ist eine Art Spielerlizenz. Sie stellt aber keine Garantie dar, um bestehen, geschweige denn vorne mitspielen zu können.»»

Die juristische Expertise von Anwälten spielt keine Rolle?
Natürlich, aber nicht exklusiv. Sie kann als Spielerlizenz verstanden werden, um im Rechtsmarkt überhaupt aktiv sein zu dürfen. Sie stellt aber keine Garantie dar, um bestehen, geschweige denn vorne mitspielen zu können. Der Unterschied zu einem guten Anwalt wird wie beim Arzt über die sozialen Fähigkeiten erfolgen. Wer diese pflegt und aufbaut, differenziert sich deutlich von seinen Mitbewerbern und wird so zu einer nicht austauschbaren Person. Denn Rechtsrat kann man auch anderswo einkaufen. Und das Bemerkenswerte ist: Ein exzellenter Service hat wiederum einen Spillover-Effekt zur fachlichen Expertise, das heisst, man empfindet den aufmerksamen Anwalt auch als kompetenter. Hinzu kommt: Es gibt laufend mehr Anwälte und Gesetze, weswegen sich Anwälte auf bestimmte Bereiche konzentrieren. Mit der Spezialisierung haben sie dann zwar ein unglaubliches Wissen über extrem wenig. Markttechnisch bedeutet das aber, dass Anwälte, bezogen auf ihre Expertise, vergleichbar und damit auch schneller austauschbar werden. Warum soll ich den einen Fachanwalt nehmen und nicht den anderen?

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Was empfehlen Sie?
Juristen sollten ihren Footprint so vergrössern, dass er nicht oder schwieriger vergleichbar wird und sie so auch nicht mehr leicht austauschbar werden. Pakete sind schwieriger zu ersetzen als einzelne Komponenten. Und das funktioniert vor allem über die Soft-Skill-Komponenten, indem Juristen ihre Management-, Kommunikations-, Präsentations-, Dienstleistungs- und Verhandlungskompetenz verbessern. Selbstverständlich darf daneben die juristische Weiterbildung nicht vergessen werden, um nicht die «Spielerlizenz» oder einen Haftungsfall zu riskieren. Aber Fakt ist: Rechtswissen alleine gilt längst nicht mehr als USP, also als das im Wettbewerb nicht kopierbare Unterscheidungsmerkmal. Solches Wissen bekommt man inzwischen schnell und günstig im Internet kostenfrei angeboten, unter anderem auch von Kanzleien. Das hilft somit nicht mehr, um sich im Wettbewerb genügend abzugrenzen. Das Wissen als Heiliger Gral – das ist längst vorbei!

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Dieser Artikel erschien in der Mai-Ausgabe 2020 der BILANZ.

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