Abo

Credit Suisse: Wie die Geschäfte mit Greensill zum Skandal wurden

Das Ausmass des Schadens im Greensill-Skandal wird langsam klarer. In den Lieferketten-Fonds sind Luftbuchungen in Milliardenhöhe.

Erik Nolmans

cs_greensill_teaser

Die Protagonisten (im Uhrzeigersinn): CEO Thomas Gottstein und seine Risikochefin Lara Warner stehen in der Kritik: Kundengelder wurden im grossen Stil in die riskanten Fonds aus der Finanzboutique von Lex Greensill gepumpt. Statt auf greifbaren Werten basieren sie zum erheblichen Teil auf unsicheren Forderungen gegenüber dem britisch-indischen Stahlunternehmer Sanjeev Gupta.

Keystone/Bloomberg/ZVG/Attila Csaszar

Werbung

Abstehende Ohren, etwas knollige Nase – Lex Greensill sieht aus wie eine Figur aus einem Harry-Potter-Film, die man versehentlich in einen Anzug gesteckt hat. Wie war es möglich, dass dieser Mann weltweit die Finanzwelt foppen konnte und ihm die Credit Suisse zehn Milliarden an Geldern ihrer besten Kunden anvertraute?

Partner-Inhalte

Das Drama um den australischen Bauernsohn, der sich zum Banker wandelte, entwickelt sich zu einem der grössten Skandale seit der Finanzkrise. Die Rekonstruktion anhand der fünf zentralen Schauplätze – Zürich, Bundaberg in Australien, Bremen, Tokio und London – zeigt, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist. Denn aufgewischt werden die Trümmer in Zürich – dort platzte die Bombe im März.

Schauplatz: Zürich

12.11.2020, Zürich, Finanzmarkt Schweiz und Banken, Paradeplatz mit Credit Suisse Hauptsitz (rechts) und UBS UBS-Geschäftsstelle (links).
michel_degen
Eric Varvel, co-head of investment banking and chief executive officer for Asia-Pacific at Credit Suisse Group AG, poses for a photograph at the Credit Suisse Asian Investment Conference in Hong Kong, China, on Tuesday, March 19, 2013. Varvel said merger and acquisition activity is picking up in Asia. Photographer: Jerome Favre/Bloomberg *** Local Caption *** Eric Varvel
Urs Rohner, Verwaltungsratspraesident der Bank Credit Suisse, aufgenommen am 1. Oktober 2019 in Zuerich. (KEYSTONE/René Ruis)
1 / 4

Schauplatz Zürich: Credit-Suisse-Filiale am Paradeplatz.

ZVG

Werbung

Im Februar 2020 wurde Thomas Gottstein zum CEO der CS ernannt. Er ersetzte Tidjane Thiam, der nach der Beschattungsaffäre um Konzernleitungskollege Iqbal Khan zurücktrat. Zu den Aufgaben eines neuen CEO gehört traditionellerweise auch, sich bei den hundert grössten Kunden persönlich einzuführen. Anfang Mai war ein Mann namens Lex Greensill an der Reihe. Der Australier ist ein typischer Kunde für die sich als «Unternehmerbank» verstehende CS: Der Gründer der Finanzboutique Greensill Capital mit Holdingsitz in Australien, operativer Zentrale in London und Banktochter in Bremen, war ein wichtiger Kunde fürs Private Banking der CS, die Asset Manager der CS vertrieben Greensill-Fonds, und auch die hauseigenen Investmentbanker waren engagiert. Erst im Januar 2020 hatte die CS ein Mandat erhalten, einen möglichen Börsengang von Greensills Firma vorzubereiten.

Werbung

Wegen Corona fand das Gespräch zwischen Gottstein und Greensill per Zoom statt. Ein solcher «Introduction Call» ist, wie der Name schon sagt, ein Einführungsgespräch und keine vertiefte Unterredung über konkrete Traktanden. Es werden ein paar Nettigkeiten ausgetauscht, man bedankt sich für die Zusammenarbeit, plaudert ein wenig übers Geschäft. Nach zwanzig Minuten ist die Sache vorbei.

Greensill-Fonds wegen Marktlage geschrumpft

Die Breite der Geschäftsbeziehungen der CS zu Greensill bot viele Berührungspunkte, und man hätte vermuten können, dass die Bank von diesem Kunden ein sehr genaues Bild hatte. Doch dies war zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht der Fall, denn von Zurückhaltung in Sachen Greensill war keine Rede – im Gegenteil. Die Greensill-Fonds, die die CS für ihre Kunden füllte, waren zwar geschrumpft, doch das war wegen der Marktlage im Corona-Trubel geschehen. So waren die Gelder in den vier Fonds von 9,1 Milliarden im Februar 2020 auf 7,5 Milliarden im Mai 2020 zurückgegangen. Doch danach hatten die CS-Asset-Manager wieder munter weiter Kunden für die vermeintlich sichere Anlageform gewinnen können – am 25. Februar 2021, kurz bevor die CS die Notbremse zog, waren 10,1 Milliarden in den Fonds.

Werbung

Andere hatten die Firma genauer angeschaut. Etwa die unabhängige Beratungsfirma Independent Credit View aus Zürich, die in einer Studie schon im August 2019 zu einem vernichtenden Urteil über Greensill gekommen war: «Die Transparenz der Greensill-Gruppe ist nicht kapitalmarktwürdig und verdient kein Vertrauen.» Die CS selber wurde im Sommer 2020 zum ersten Mal hellhörig, allerdings aus anderem Grund. Der Australier hatte einen neuen Aktionär gewonnen, die japanische Softbank unter Masayoshi Son. Softbank ist eine Investmentgesellschaft, die weltweit Milliarden in Technologie- und Finanzfirmen investiert. Gleich 30 Prozent hatte Softbank 2019 an der Greensill-Gruppe übernommen und dafür 1,5 Milliarden bezahlt. Doch gleichzeitig war Softbank auch ein Investor in den Greensill-Fonds, und mehr noch: Auch einzelne der Assets im Fonds basierten auf Softbank. Damit bestand ein mehrfacher Interessenkonflikt. Gottstein ordnete eine interne Untersuchung an. Die CS verlangte Änderungen, und Greensill lenkte ein – die Japaner reduzierten ihr Investment in die Greensill-Fonds, und auch die Softbank-Assets im Korb wurden erheblich reduziert.

Werbung

Kein Umdenken nach Softbank-Untersuchung

So weit, so gut. Das wahre Problem schlummerte aber nicht bei Softbank, sondern versteckt in den Greensill-Fonds selbst. Doch ein Umdenken bei der CS war nach der Softbank-Untersuchung nicht erfolgt. Die Euphorie nahm nach dem Sommer 2020 unter Thomas Gottstein noch zu. An einer grossen Investorentagung vom Dezember 2020, nur wenige Wochen bevor das Kartenhaus zusammenfallen sollte, liess der CEO seinen Spartenchef Eric Varvel mit bunten Folien von den Lieferketten-Fonds des Lex Greensill schwärmen.

Schauplatz: Bundaberg, Australien

Lex_Greensill_Farm
Greensill_farming
1 / 2

Aufgewachsen ist Lex Greensill auf einer Süsskartoffel- und Melonenfarm an der australischen Ostküste. Er setzte seine Herkunft gezielt für sein Selbstmarketing ein.

Paul Beutel

Werbung

Bundaberg liegt an der australischen Ostküste, rund 400 Kilometer nördlich von Brisbane. Die Gegend ist vom Klima bevorzugt, und so ist es kein Wunder, dass der Grossvater von Lex Greensill diese Gegend für seine Farm aussuchte. Heute ist die Greensill-Farm ein Grossproduzent von Süsskartoffeln, Melonen und Zuckerrohr mit 3200 Hektaren Anbaufläche. Der familiäre Hintergrund spielt darum eine Rolle, weil er der ideale Boden für einen begnadeten Geschichtenerzähler wie Lex Greensill bildet. Hier, auf der Farm seiner Eltern, sei ihm die Idee zu seinem Geschäftsmodell gekommen. Als er, der Bauernsohn, habe studieren wollen, habe der Familie das Geld gefehlt. Weil die Abnehmer sich bei der Bezahlung viel Zeit liessen – bis zu zwei Jahre.

«Eigentlich ein bauer»

Was nun, wenn man eine Lösung fände, bei der ein Lieferant sofort sein Geld bekäme? Etwa indem man eine Finanzgesellschaft gründet, die das Geld anstelle des Abnehmers bezahlt. Nicht den vollen Betrag, aber dafür sofort. Der Produzent bekommt für seine Melonen beispielsweise nicht 10'000 Dollar, sondern 9900 – und die Finanzgesellschaft macht 100 Dollar Gewinn, wenn der Abnehmer später die volle Rechnung begleicht.

Werbung

Wenn man viele solcher kleinen Lieferanten-Forderungen bündelt, dann addieren sich die jeweiligen 100-Dollar-Gewinne zu einem ansehnlichen Sümmchen. Was, wenn man nun all diese Lieferketten- oder «Supply-Chain»-Deals in Fonds verpacken würde, in die Anleger investieren könnten? 2011 gründete Greensill in London seine Firma mit dieser Idee als Grundlage.

«Chance ist gross, dass ich auf einem Traktor sitze»

Nun brauchte es noch die dazugehörige Vermarktung. Und zwischen all den geschleckten Bankern war da die Möglichkeit, sich als Kerl von der Scholle zu präsentieren. Wie geschickt Greensill das macht, ist in einem Video von 2020 zu sehen, in dem er sich für den Vision Fund, ein Investmentvehikel seines Grossaktionärs Softbank, stark macht. Man sieht ihn in einem perfekt passenden blauschwarzen Anzug mit Hemd und Krawatte, und er sagt: «Um ehrlich zu sein, das sind nicht die Kleider, die ich geboren wurde zu tragen. Ich bin eigentlich ein Bauer. Die Chance ist gross, dass ich auf einem Traktor sitze.»

Werbung

2018 wurde Greensill – er residiert heute mit seiner Frau Vicky, einer Ärztin, und den beiden Söhnen im Alter von sieben und zehn Jahren in der Grafschaft Cheshire im Norden des Landes – von Prinz Charles zum Ritter geschlagen. Begründung: seine Verdienste um die britische Wirtschaft. Dass die Realität dem Bild des einfachen Burschen immer weniger entsprach – mit steigendem Reichtum leistete er sich vier Privatjets –, wurde ihm nachgesehen.

Buchungen ohne existierende Lieferungen

Entscheidend war aber auch, dass die Finanzprodukte, die er strukturierte, perfekt den in den letzten Jahren vorherrschenden Marktbedingungen entsprachen. Denn die Negativzinsen machen es teuer, Bargeld anzulegen. Die Lieferketten-Finanzierung präsentierte sich als fast ebenso sicher und bot wenigstens noch etwas Zins – ein bestechendes Geschäftsmodell. Das Problem beginnt laut CS-Insidern damit, dass Greensill sogenannte «Future Receivables» in seine Fonds einbaute. Das sind Luftbuchungen, hinter denen keine existierenden Lieferungen stehen. Um beim Beispiel mit den Melonen zu bleiben: Der Landwirt sagt, dass er in sechs Monaten nochmals Melonen liefern werde, und will auch dafür bereits das Geld. Es besteht aber keine bereits erfolgte Lieferung, ja es bestehen unter Umständen nicht mal die Melonen selbst.

Werbung

Ein solches Geschäft ist natürlich hochriskant. Wenn man, wie im Falle von Greensill, dann zusätzlich auch noch einen Grossteil der Geschäfte mit einem einzigen, sehr grossen Kunden macht, dann steigen die Risiken weiter. Und hier kommt nun ein neuer Spieler ins Geschehen, ein indischstämmiger Grossindustrieller namens Sanjeev Gupta. Und eine Bank in Bremen, über die all das lief.

Schauplatz: Bremen

epa09050565 A person enters the Greensill Bank in Bremen, northern Germany, 04 March 2021. The German Federal Financial  Supervisory Authority (BaFin) has banned the bank from regular operations on 03 March due to the threat of over-indebtedness.  EPA/FOCKE STRANGMANN
Felix Hufeld, president of BaFin, gestures while speaking during an interview in London, U.K., on Thursday, Feb. 2, 2017. Fintechs shouldn't have a special regulatory regime, Hufeld, head of the German bank regulator, said during the G20 Digitising Finance conference in January. Photographer: Luke MacGregor/Bloomberg
Daniel Zimmermann (r, PETO), Bürgermeister von Monheim, steht mit Thomas Stricker (l), Künstler, vor einem Geysir. Bei einem Probelauf hat die Stadt Monheim das Kunstprojekt in einem Kreisverkehr vorgestellt. Der Geysir bricht abhängig von der Sonneneinstrahlung unregelmäßig aus.
1 / 3

Greensill-Filiale in Bremen.

keystone-sda.ch

Es war Sonntag, der 28. Februar, als die deutsche Bankenaufsicht Bafin die Credit Suisse um eine Unterredung bat. Die Sorge der Regulatoren aus dem Nachbarland galt einer kleinen Bank in Bremen, einst Nordfinanz geheissen, die ihren deutschen Namen nach der Übernahme 2014 abgelegt und sich den Namen des neuen Besitzers gegeben hatte: Greensill Bank. Was die Bankenaufseher beunruhigte, war vor allem, dass ein Grossteil der Assets der Bank auf einen einzelnen Grosskunden zurückzuführen waren: den Stahltycoon Sanjeev Gupta und seine Gesellschaften. Von den 4  Milliarden an ausstehenden Forderungen der Greensill Bank in Bremen waren 2,7 Milliarden gegenüber Gupta. Das ist nicht nur ein Klumpenrisiko, unklar war auch, wie es um dieses Geld überhaupt stand. Denn das Reich von Gupta war intransparent, wie es um seine eigene finanzielle Stärke steht, ist undeutlich.

Werbung

Das Kapital der Bremer Bank musste gesichert werden, und die deutschen Regulatoren beschlossen, die Credit Suisse um Hilfe zu bitten. Weder CS noch Bafin wollten sich zum Treffen äussern, doch aus dem Umfeld der Beteiligten ist zu vernehmen, dass das Bafin erörterte, ob die CS die Forderungen gegenüber Gupta in ihre Fonds übernehmen wollte. Die Unterredung endete ergebnislos.

Grosse Verluste

Das Bafin war zu Recht besorgt, denn der Skandal drohte landesweit Wellen zu schlagen. Dutzende deutscher Gemeinden hatten ihr Geld bei der Greensill Bank angelegt, angelockt von den attraktiven Zinsen in der Lieferketten-Finanzierung. Am meisten der Freistaat Thüringen mit 50 Millionen Euro und die Stadt Monheim am Rhein mit 35 Millionen Euro. Der Vorstoss der deutschen Bankenaufsicht an diesem Sonntag Ende Februar war der Schlusspunkt einer Woche des Schreckens für Thomas Gottstein. Einer Woche, in der ihm endgültig klar wurde, dass er ein Problem hat. Ein grosses Problem.

Werbung

Schauplatz: Tokio

tokio_greensill_galerie
Masayoshi Son SoftBank
1 / 2

Mit der Kündigung des Versicherungsschutzes durch den japanischen Versicherer Tokio Marine per 1. März brach das Kartenhaus zusammen.

Unsplash

In der japanischen Hauptstadt haben viele weltumspannende Versicherungskonzerne ihren Hauptsitz. Etwa Tokio Marine mit über 30'000 Mitarbeitenden in 38 Ländern. Sie ist darum von Bedeutung, weil sie den Versicherungsschutz für die Greensill-Fonds der CS lieferte.

Dass investierte Gelder im Falle eines Ausfalls versichert wären, hatte die Greensill-Produkte erst so attraktiv gemacht und war die Grundlage für den Erfolg. Doch es gab eine strukturelle Schwäche, über die die CS-Asset-Manager bei der Lancierung hinweggesehen hatten. Als Policy-Holder waren in den Verträgen mit der Versicherungsgesellschaft nicht die CS-Fonds angegeben, sondern die Greensill Bank. Die Fonds waren nur die Begünstigten, die im Falle eines Ausfallschadens das Geld des Versicherers bekamen.

Werbung

Diese indirekte Struktur machte es möglich, dass die wunderbare Versicherungslösung in einem Sumpf von Missinformationen und Verfehlungen versinken konnte, deren Hintergründe heute noch nicht ausreichend ausgeleuchtet sind und die wohl noch für lange Zeit Stoff für juristische Auseinandersetzungen geben.

Ausstieg ohne CS zu informieren

Im Sommer 2020 beschloss Tokio Marine, aus dem Geschäft auszusteigen, und kündigte die Versicherungsverträge per 1. März 2021. Das wurde Greensill als Versicherungsnehmer mitgeteilt. Doch der teilte diese Information nicht mit der CS, so lautet jedenfalls heute der Vorwurf seitens der Schweizer Grossbank. Dies, obwohl man nur wenig später, im Oktober 2020, mit Greensill im intensiven Austausch gestanden habe, heisst es aus Kreisen von Eingeweihten.

Die Investmentbanker der CS waren in jenen Tagen daran, eine mögliche Privatplatzierung aufzugleisen, im Vorfeld eines IPO von Greensills Firma. Da gab es auch eine Prüfung der Firma auf Herz und Nieren und viele direkte Gespräche mit Lex Greensill. Doch über die relevante Neuigkeit fiel laut CS kein Wort. Greensill selbst sagte gegenüber einem Gericht in Australien, die CS sei sehr wohl informiert gewesen, er habe Risikochefin Lara Warner Meldung erstattet.

Werbung

Die Bombe platzt

Die CS pocht darauf: Erst am 22. Februar, eine Woche vor dem Ablaufen des Versicherungsschutzes, sei man informiert worden, heisst es bei der Bank, und dies nicht einmal von Greensill selbst, sondern von Repräsentanten der Greensill Bank in Bremen. Es habe dann noch Telefonate von Greensill mit Konzernleitungsmitgliedern der CS gegeben, und Greensill persönlich habe angedeutet, dass in Sachen Versicherung vielleicht doch noch etwas zu machen sei. Doch dazu kam es nicht.

Gottstein war nun zum Handeln gezwungen. Am Montag, 1. März, wurde die Pressemitteilung verschickt und verkündet, dass die CS den Handel mit den Lieferketten-Fonds aussetzt.
Die Analysten und Börsianer sahen sich die genannten «Supply Chain Funds» genauer an und rieben sich die Augen: Es ging hier um zusammengerechnet zehn Milliarden Franken. Die Bombe war geplatzt, weltweit fand die Sache Eingang auf den Frontseiten der Wirtschaftspresse. Der Kurs der CS verlor innert weniger Tage mehrere Prozent.

Werbung

Schauplatz: London

The building housing the headquarters of Greensill Capital in London, U.K., on Wednesday, March 3, 2021. Greensill is in the process of filing for insolvency in the U.K. after a swift crisis of confidence deprived it of major buyers of the loans it made and regulators stepped in to oversee its German bank. Photographer: Hollie Adams/Bloomberg
Prince_charles_lex_greensill
1 / 2

2011 gründete Lex Greensill seine Finanzboutique Greensill Capital an bester Adresse in London. Das Unternehmen wuchs auf 800 Mitarbeiter an.

Bloomberg

Auch die britischen Behörden schritten nun ein und untersuchten die lokale Schaltzentrale des Greensill-Imperiums, die Finanzgesellschaft Greensill Capital. Am 8.  März wurde für Greensill Capital ein Insolvenzverfahren eingeleitet, am 16.  März für die Greensill Bank in Deutschland. Zuvor, am 2.  März, hatte Greensill Gläubigerschutz in Australien beantragt. Greensill selber reichte das Zepter in seinem Imperium weiter an die Konkursspezialisten von Grant Thornton in London.

Werbung

▶︎ Zürich

In Zürich begannen derweil die Aufräumarbeiten. Die für das Greensill-Business zuständigen Asset Manager galten bis dahin als kleine Stars. Da war Michel Degen, der Chef des europäischen Asset Managements, der Lex Greensill persönlich kannte. Dann Luc Mathys, dem als Leiter Anleihen der Überblick über den Bereich oblag, und nicht zuletzt Lukas Haas, der als Fondsmanager die vier Greensill-Fonds betreute. Am 10.  März wurde die Freistellung der drei intern kommuniziert, ein Interner, Filippo Rima, übernahm.

Gefordert war auch Eric Varvel, der oberste Chef des Asset Managements. Der war eigentlich Investmentbanker und hatte bei den Spezialisten nie ein grosses Standing. Als sein Karrieregeheimnis gelten seine guten persönlichen Beziehungen zum Grossaktionär aus Katar, wo Varvel einst als Leiter Middle East wirkte.

Werbung

Urs Rohner greift ein

Der Verwaltungsrat unter Urs Rohner, alarmiert ob der Ereignisse, nahm die Sache zum Anlass, zusammen mit Gottstein die Strategie unter die Lupe zu nehmen, und gab am 18.  März die Neuorganisation bekannt: Das Asset Management, bisher Teil der Vermögensverwaltung, wurde als eigenständige Division ausgegliedert. Varvel wurde auf den Posten des Chairman IB abgeschoben und ein neuer Chef installiert: Veteran Ulrich Körner, der vor 2009 schon einmal bei der CS war.

Lanciert wurden die Fonds schon 2017. Sie waren von Anfang problematisch aufgestellt. Dass darin auch «Future Receivables» Eingang finden konnten, ist heute einer der Hauptvorwürfe an die betroffenen Asset Manager, sagt ein CS-Insider. In der Verantwortung stand aber auch der oberste Chef des Bereichs, Iqbal Khan, damals Head International Wealth Management (IWM), dem das Asset Management seit der Neuorganisation von CEO Thiam von 2015 untergeordnet war. Diese Gebietsausweitung soll ganz im Sinne des ehrgeizigen jungen Managers gewesen sein. Die Rolle von Khan ist umstritten. Aus seinem Umfeld ist zu vernehmen, dass die Dossiers bei der Lancierung nicht auf seinem Pult gelandet seien, der Produktbewilligungsprozess auf unterer Stufe sei damit betraut gewesen. Klar ist aber, dass sein Bereich die Produkte bei den schwerreichen Privatkunden pushte: Laut CS-Insidern stammen bei den internen Investitionen in die CS-Fonds rund 70 Prozent aus dem IWM von Khan, rund 20 aus dem Geschäftsbereich Asien und nicht einmal 10 Prozent aus dem Bereich Schweiz, dem Gottstein damals als Spartenchef vorstand.

Werbung

Der eifrige Herr Solo

Es gab aussergewöhnliche Schübe. Etwa im Frühsommer 2019, als das Geld in den Fonds innerhalb eines Monats um zwei Milliarden zunahm. Zuvor hatte ein Konkurrent der CS, die Asset-Management-Gesellschaft GAM, nach einem Skandal um einen Fondsmanager den Greensill-Fonds geschlossen, und das Geld floss nun offenbar einfach zur CS ein paar Strassen weiter. Eine zentrale Rolle soll dabei David Solo, bis 2014 CEO von GAM, gespielt haben. Er habe es laut hohen GAM-Insidern auch nach seinem Austritt nicht lassen können, seine ehemaligen Kollegen mit seinen Anlagetipps zu versehen, und sich für Greensill starkgemacht. Dabei war der inzwischen in die USA umgezogene Solo mit dem Australier eng verbandelt, und dies nicht nur als Senior Advisor von Greensill Capital: Unterlagen aus den USA nennen seinen Namen auch bei US-Tochtergesellschaften.

Werbung

Laut GAM-Insidern soll Solo, der unter Zürichs Asset Managern Starstatus geniesst, auch die zuständigen Asset Manager bei der CS umgarnt haben. Und es gab auch ein gemeinsames Projekt: die Quant-Fondsboutique Simag, wo die CS Sponsor war und Solo zeitweilig Präsident. Doch auch spätere Episoden werfen Fragen auf. Im Herbst 2020 hatte die CS Greensill einen Überbrückungskredit von 140 Millionen Dollar gewährt. Laut der «Financial Times» hatten die CS-Riskmanager in London den Kredit abgelehnt, doch diese wurden dann im Nachhinein von Lara Warner überstimmt. Inzwischen sind 50  Millionen zurückbezahlt, und auch für die ausstehenden 90  Millionen seien Sicherheiten da. Die CS hat wissen lassen, dass in diesem Zusammenhang «möglicherweise Kosten» entstehen könnten.

Werbung

Genug Anzeichen, dass etwas nicht stimmt

Die Rolle von Warner muss für Stirnrunzeln sorgen. Die Risikochefin hätte längst hellhörig sein können. Anzeichen, dass mit Greensill etwas nicht stimmt, gab es zuhauf, von der kritischen Beurteilung von Independent Capital View bis hin zu der Anregung des britischen Oberhaus-Mitglieds Lord Myners vom Juni 2019. Doch während in Deutschland bereits die aufsichtsrechtliche Untersuchung der Greensill Bank lief, durfte Spartenchef Varvel weiter aktiv für die Fonds werben. Vieles deutet darauf hin, dass Warner, 2019 nach Blitzkarriere in die Schlüsselposition des Chief Risk Officers aufgestiegen, ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Noch hält die CS ihre schützende Hand über sie – in einem internen Memo vom 16.  März wurde ihr gezielt der Rücken gestärkt.

Die Greensill-Angelegenheit soll nun eingehend untersucht werden. Nicht nur die Finma hat eine Untersuchung eingeleitet, sondern auch der Verwaltungsrat unter Rohner. Beraten wird er von der Prüffirma Deloitte. Wie aus der CS-Führungsetage zu vernehmen ist, soll auch der zukünftige Präsident António Horta-Osório im Austausch sowohl mit Rohner wie auch mit Gottstein stehen. So soll unter anderem auch der neue AM-Chef Körner ein Gespräch mit dem Portugiesen gehabt haben. Wie hoch der Verlust aus der ganzen Sache schlussendlich sein wird, ist noch ungewiss, die CS hat bis jetzt keine konkrete Zahl genannt. 3,1 Milliarden aus den Fonds wurde Anfang März ausbezahlt, inzwischen liegen weitere rund 1,4 Milliarden bereit. Fast täglich werden weitere Forderungen fällig, und so kommen mal da, mal dort ein paar Millionen herein. Laut Kennern der Lage stehen derzeit von den 10 Milliarden rund 2,3 Milliarden auf der Kippe. 1,2 Milliarden von Gupta, 400 Millionen von der indischen Baugesellschaft Katerra, 700 Millionen von der US-Kohlenmine Bluestone – allesamt aufgrund von Luftbuchungen.

Werbung

Grosser Schaden

Ob dieses Geld gänzlich verloren ist, ist unklar. In der Chefetage ist die Hoffnung gross, rund 80 bis 90 Prozent der zehn Milliarden zurückzubekommen. Der Verlust aus dem Ganzen läge damit aber immer noch zwischen einer und zwei Milliarden Franken. Der Schaden ist auf jeden Fall da: Tragen die Kunden den Ausfall, ist die Reputation der Bank flöten, steht die Bank dafür ein, ist das eine bittere Pille für die Aktionäre.

Auch wenn die Fonds aus der Zeit vor Gottstein als CEO stammen, so sind sie unter ihm doch massiv weitergewachsen. Er darf sich die Hoffnung abschminken, dereinst als Symbol für einen echten Neuaufbruch bei der Bank in die Geschichte einzugehen. Rasend schnell ist der Hoffnungsträger geworden, was auch die meisten seiner Vorgänger waren: ein Mann inmitten von Skandalen.

Werbung

Dieser Artikel wurde erstmals im März 2021 veröffentliche. Aus aktuellem Anlass haben wir den Text für Sie ergänzt und publizieren ihn erneut.

Über die Autoren
Erik Nolmans

Erik Nolmans

Erik Nolmans

Auch interessant

Werbung