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Schweizer Produkt

Wie Voltaren zum globalen Kassenschlager wurde

Es ist die erste Hilfe für alle, sich überschätzen: Voltaren aus der Tube. Das meistverkaufte Schmerzgel wird in Prangins VD produziert.

Seraina Gross Handelszeitung

Voltaren

Voltaren – legendär vor allem in der Tube. Doch am Anfang stand die Tablette.

PD

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Er ging als «Bicycle Day» in die Medizingeschichte ein, jener Tag im Frühling 1943, als der Sandoz-Forscher Albert Hofmann nach seinem LSD-Selbstversuch mit dem Velo von seiner Arbeit bei Sandoz nach Hause fuhr, während die Droge ihre Wirkung entfaltete. Auch bei der Erfindung von Diclofenac, dem Wirkstoff von Voltaren, stand am Anfang ein Forscher, der den neuen Wirkstoff an sich selbst testete – dies notabene, nachdem sich das neue Molekül in Versuchen mit Hunden und Ratten als schlecht verträglich erwiesen hatte. Doch bei seiner zweitägigen Einnahme des Wirkstoffs habe es beim Gruppenleiter der Geigy-Forschung keinerlei Komplikationen gegeben, was das Unternehmen dazu ermutigt habe, die Entwicklung voranzutreiben, heisst es dazu in der Unternehmensgeschichte von Geigy-Rechtsnachfolgerin Novartis.

Später hätten «Verträglichkeitsstudien mit gesunden Freiwilligen und die darauffolgende klinische Prüfung die Aktivität und Verträglichkeit der Substanz» bestätigt. Lokalkolorit gabs bei der Namensgebung: Voltaren war eine Referenz an den Basler Voltaplatz, und mit der Endung «ren» erinnerte man an den Rhein.

Produktion in Prangins: Mehr als ein Relikt

Trotz Voltaplatz und Rhein im Namen ist der globale Kassenschlager heute ein Produkt der britischen Firma Haleon. In der Schweiz geblieben ist die Produktion, und zwar in Prangins bei Nyon im Kanton Waadt. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts produzierte hier ein Unternehmen namens Zyma antiseptische Wundsalben und Hautpflegemittel. Heute gehört Prangins zu den wichtigsten Produktionsstandorten von Haleon. Rund dreihundert Millionen Einheiten gehen hier jedes Jahr vom Band, neben Voltaren werden in Prangins der Nasenspray Otrivin und das Herpesmedikament Zovirax hergestellt.

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Mit mehr als tausend Angestellten aus fünfzig verschiedenen Nationen zählt die Produktionsstätte zu den grössten Arbeitgebern des Kantons Waadt. Aufruhr gab es 2011, als Novartis den Standort schliessen wollte und damit die Waadtländer Politik in Bewegung versetzte. Selbst Bundesrat Johann Schneider-Ammann schaltete sich ein. Wenige Monate später nahm Novartis – damals noch unter Konzernchef Joe Jimenez – den Schliessungsentscheid zurück.

Becoming British – die Odyssee eines Produkts

Nach den abenteuerlichen Vorgängen in den Geigy-Laboren der 60er-Jahre kam der Wirkstoff Diclofenac 1974 unter dem Markennamen Voltaren auf den Markt, und zwar in Japan und in der Schweiz. Die inzwischen mit der Ciba fusionierte Geigy knüpfte damit an ihre Erfolge mit Butazolidin in den 40er-Jahren an, einem Medikament, mit dem die Basler lange den Markt der Antirheumatika anführten. Mit dem Zusammenschluss von Ciba-Geigy und Sandoz 1996 gingen die Rechte an die neue Novartis über.

Hektisch wurde es ab 2015, als Novartis sein Geschäft mit den rezeptpflichtigen Medikamenten in ein Joint Venture mit GSK auslagerte. 2019 kam die Vollübernahme durch die Briten, die das Geschäft ihrerseits nur drei Jahre später bereits wieder auslagerten und es unter dem Namen Haleon als eigenständiges Unternehmen in London an die Börse brachten. Mit Erfolg: Das Unternehmen wächst und machte in den vergangenen Jahren 11,23 Milliarden Pfund Umsatz.

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Voltaren – ein Phänomen

Das Beispiel Voltaren zeigt: Originalpräparate sind ein Geschäft, selbst wenn die Patente für die Wirkstoffe abgelaufen sind und die Märkte mit Generika nur so geflutet werden, wie das bei vergleichsweise einfachen chemischen Molekülen wie Diclofenac der Fall ist. Das Rezept dazu heisst Marketing. Bei Voltaren ist es so, dass das Produkt heute mehr als Enabler für Beweglichkeit beworben wird und weniger als Schmerzmittel. Dazu hat sich Haleon unter anderem mit der Uefa zusammengetan.

Voltaren in Gelform mag das bekanntere Produkt sein, doch am Anfang stand die Tablette, die auch heute noch millionenfach verkauft wird. Hier konkurrenziert es mit anderen nicht kortisonhaltigen Schmerzmitteln mit etwas anderen Wirkungsprofilen – beispielsweise Ibuprofen. Zudem muss sich das Originalpräparat in diesem Bereich gegen eine Reihe von Generika behaupten.

Diclofenac gehört zur Wirkstoffklasse der nicht steroidalen – also nicht kortisonhaltigen – Antirheumatika. Er hemmt die Bildung von Prostaglandinen; das sind Botenstoffe, die zu Entzündungen, Fieber und Schmerzen führen.

Das Gel: Eine Kategorie entsteht

Ein Meilenstein war die Neuformulierung des Wirkstoffs als Gel in den 80er-Jahren zur Behandlung von Muskelschmerzen, Zerrungen und anderen Sportverletzungen. Voltaren aus der Tube wurde zum Kassenschlager. 2011 kam ein neues Gel auf den Markt, dessen Wirkstoff ist höher konzentriert und wird besser absorbiert. Die Voltaren-Produkte sind in 130 Ländern erhältlich, pro Jahr werden 100 Millionen Tuben verkauft.

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