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Führungskräfte im Spannungsfeld

Wie viel Privates hat im Büro Platz?

Scheidung, Gesundheitsprobleme oder Familienzwist: Bisher trennte man Privatleben und Arbeit. Doch die Grenzen verwischen. Das birgt Gefahren.

Jonas Dreyfus

<p>Über Gefühle sprechen: Emotionen am Arbeitsplatz können Führungskräfte überfordern. (Diese Illustration wurde von einem KI-Modell generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.)</p>

Über Gefühle sprechen: Emotionen am Arbeitsplatz können Führungskräfte überfordern. (Diese Illustration wurde von einem KI-Modell generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.)

Tessy Ruppert / Midjourney

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Nachdem die letzte Mitarbeiterin ihr Projekt vorgestellt hat, wird es still im Raum. Alle Blicke richten sich auf Laszlo Bock. Der CEO des Softwareunternehmens Humu und ehemalige Personalchef von Google verantwortet die nächsten Schritte. Doch statt das Vorgehen zu erläutern, sagt Bock: «Letzte Woche ist mein Bruder unerwartet gestorben.»

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Der Schock im Raum ist spürbar, die Anteilnahme ist hoch. In der Retrospektive erzählt Bock, dass er dieses private Ereignis mit den Mitarbeitenden teilen musste. Denn das Risiko, dass seine Emotionen ihn übermannen und seinen beruflichen Alltag beeinflussen könnten, sei zu gross gewesen.

Dieses Erlebnis schildert Bock im Buch «No Hard Feelings» der Autorinnen Liz Fosslien und Mollie West Duffy. Sie befassen sich mit Emotionen am Arbeitsplatz. Denn lange galt in der Berufswelt: Privates bleibt draussen. Führungskräfte machen sich durch ein kontrolliertes und sachliches Verhalten unangreifbar. Den Privatangelegenheiten der Mitarbeitenden hören sie zwar zu, doch eigene Themen klärt man mit sich selbst ab.

Diskrete Schweizer Führungskräfte

Eine Einstellung, die für Fachpersonen wie Liz Fosslien überholt ist: «Menschen sind emotionale Wesen – egal, unter welchen Umständen», schreibt sie in ihrem Ratgeber. Moderne Führung erfordere, Gefühle nicht nur zuzulassen, sondern sie gezielt und verantwortungsvoll einzusetzen.

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<p>Liz Fosslien schreibt in ihrem Buch «No hard Feelings» über Emotionen am Arbeitsplatz.</p>

Liz Fosslien schreibt in ihrem Buch «No hard Feelings» über Emotionen am Arbeitsplatz.

ZVG
<p>Liz Fosslien schreibt in ihrem Buch «No hard Feelings» über Emotionen am Arbeitsplatz.</p>

Liz Fosslien schreibt in ihrem Buch «No hard Feelings» über Emotionen am Arbeitsplatz.

ZVG

Die Fachwelt spricht von «Selective Vulnerability» – kontrollierter Verletzlichkeit. Damit ist gemeint, dass Führungskräfte wie Laszlo Bock situativ erkennen, wann ihre Gefühle und Emotionen nicht nur ihr persönliches Wohlbefinden, sondern eben auch das berufliche Umfeld negativ beeinflussen können.

Über Emotionen sprechen, das ist in US-Firmen verbreiteter als hierzulande. In der Schweiz huldigen Führungskräfte noch immer der Diskretion. Mit ein Grund dafür ist laut dem Organisationspsychologen Stefan Heer, dass die Führungskräfte beim Thema Emotionen am Arbeitsplatz schlicht überfordert sind. Statt Persönliches direkt anzusprechen, versuchen sie, über Umwegen privaten Problemen ihrer Mitarbeitenden zu begegnen.

<p>Laszlo Bock, ehemaliger Personalchef von Google, teilte ein persönliches Erlebnis mit seinen Mitarbeitenden.</p>

Laszlo Bock, ehemaliger Personalchef von Google, teilte ein persönliches Erlebnis mit seinen Mitarbeitenden.

ZVG
<p>Laszlo Bock, ehemaliger Personalchef von Google, teilte ein persönliches Erlebnis mit seinen Mitarbeitenden.</p>

Laszlo Bock, ehemaliger Personalchef von Google, teilte ein persönliches Erlebnis mit seinen Mitarbeitenden.

ZVG

Heer erinnert sich an eine Führungskraft, die ihm von einem Mitarbeiter erzählte. Dieser, Vater eines kleinen Kindes, sei ständig im Büro anzutreffen gewesen, auch an den Wochenenden. Die Führungskraft bemerkte die Situation und wollte helfen. Doch sie hatte Angst, den Mitarbeiter zu brüskieren. Also erzählte der Vorgesetzte Privates aus dem eigenen Leben. Dass es ihn nach Hause ziehe, um Zeit mit seiner Familie zu verbringen, und dass er am Wochenende mit ihr gemeinsame Ausflüge unternehme. Die unterschwellige Hoffnung der Führungskraft war, dass sein Mitarbeiter sich öffnen würde und sie dessen übertriebene Präsenz ansprechen könnten.

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Führungskräfte schwächen potenziell ihren Status

Problemlösung über Umwege, das sei eine beliebte Masche. Sie funktioniere aber meistens nicht, sagt Heer. Der einzige Weg, ein solches Thema anzugehen, führe über eine persönliche Beziehung mit den Mitarbeitenden. «Das heisst aber nicht, nach Emotionen zu fischen, indem man über sein eigenes Privatleben plaudert.» Doch wie verhält es sich mit den Privatangelegenheiten der Führungspersonen? Wie viel dürfen sie erzählen, ohne sich angreifbar zu machen? Eine Situation, die durchaus Tücken birgt, wie eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2018 offenbarte.

Buchtipps zum Umgang mit Emotionen im Büro

«Emotional Intelligence», Daniel Goleman (1995): Dieses Werk machte das Konzept der emotionalen Intelligenz bereits in den 1990er-Jahren populär. Das Buch zeigte als eines der ersten auf, dass Fähigkeiten wie Selbstwahrnehmung, Selbstregulierung, Empathie und soziale Kompetenzen für den beruflichen Erfolg mindestens genauso wichtig sind wie der IQ.

«No Hard Feelings», Liz Fosslien und Mollie West Duffy (2019): Die Autorinnen argumentieren, dass Emotionen am Arbeitsplatz nicht unterdrückt, sondern konstruktiv genutzt werden sollten. Das Buch bietet praktische Strategien, um Gefühle zu managen, authentisch zu kommunizieren und so das Wohlbefinden und die Produktivität zu steigern.

«Emotionen am Arbeitsplatz», Franz Will (2008): Dieses Buch konzentriert sich auf die Dynamik von Teamkonflikten, die oft durch unerkannte oder schlecht gehandhabte Emotionen entstehen. Es bietet praktische Ansätze zur Analyse und Lösung emotionaler Spannungen innerhalb von Teams.

Zweihundert Studierenden wurde dabei ein Mailverkehr mit einer erfahrenen Berufsperson vorgegaukelt. Mitten im sonst sachlichen Austausch erwähnte diese erfahrene Person, dass sie gerade unkonzentriert sei. Und lieferte die Begründung: «Vielleicht liegt es daran, dass ich heute einen Arzttermin hatte. Der Arzt hat mir mitgeteilt, dass ich übergewichtig sei und 9 bis 13 Kilogramm abnehmen müsse.» Es ist ein Extrembeispiel eines privaten Ereignisses, das in der Businesskommunikation nichts zu suchen hat. Die Reaktionen der Studierenden waren denn auch entsprechend: Die erfahrene Person löste Fremdscham bei ihnen aus und sie verloren den Respekt vor ihrem Gegenüber.

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Kommentar Tina Fischer

Wir müssen nicht alles wissen

Privates erobert die Bürowelt, doch das birgt Risiken für Führungskräfte. Es droht der Autoritätsverlust. Zuhören statt Teilen ist Trumpf.

Diese Situation ist zwar realitätsfern, doch die Studie zeigte, wie unbedachte Selbstoffenbarungen von Führungspersonen nicht nur ihre Beziehungen zu den Mitarbeitenden verschlechtern, sondern ihren Status als Führungskraft schwächen können. Auch empfinden Menschen, die in der Hierarchie weiter unten stehen, solche unüberlegten Informationen aus dem Privatleben ihrer Vorgesetzten schnell als übergriffig.

Zuhören und die neutrale Sicht ermöglichen

Der Grat zwischen selektiv gezeigten Emotionen und unbedachten Äusserungen ist schmal. Führungskräfte, deren Privatleben bisher komplett unter Verschluss blieben, müssen dieses Öffnen erst lernen. Vielleicht helfen ihnen hier die Angehörigen der Generation Z. Diese jungen Arbeitskräfte, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden, sprechen öfter über ihr psychisches Wohlbefinden und teilen ihre Emotionen offener. Sie sprechen über Work-Life-Balance und erwähnen auch mal ihre Beziehungsprobleme, wenn ihre Gefühle sie am Arbeitsplatz übermannen.

In dieser Situation ist man als Führungskraft für die Mitarbeitenden da. Wer mit dem Ausbruch überfordert ist, dem empfiehlt Psychologe Heer, dieses Unbehagen gleich anzusprechen. Dadurch gewinne man Zeit für eine angemessene Reaktion und löse beim Gegenüber Verständnis aus. «Mitgefühl zu zeigen, indem man sagt, man kenne das, und eigene Erlebnisse teilt, ist in solchen Momenten verlockend, aber unprofessionell.»

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Denn was die Mitarbeitenden brauchen, ist jemand, der zuhört. Eine Schulter zum Ausweinen könne eine andere Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter sein, schreibt die Emotionsexpertin Liz Fosslien. Die Führungsperson sei jedoch weder Psychologe noch zuständig für Lösungen im Privatleben. Man sollte zuhören, Mitgefühl zeigen und die Situation beruflich beurteilen mit der Frage im Hinterkopf, was man als Führungsperson bieten kann, damit die Person ihren Job trotzdem so gut wie möglich ausführen kann.

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