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Voller Furor wollte der langjährige Nestlé-Lenker Klaus Schwab vom Thron stürzen. Doch diesen Machtkampf gegen den WEF-Gründer hat er verloren.
Unterlegen gegen Klaus Schwab: Peter Brabeck (vorn), Børge Brende (Mitte), Thomas Buberl.
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Es war nicht die ganz grosse Bühne. Als Peter Brabeck vor drei Jahren seine Biografie in der Deutschschweiz vorstellte, fand die Veranstaltung bei Tödisport im wenig mondänen Glarus statt. Der Verkaufsraum des Sportgeschäfts wurde für den einstigen Lenker des weltumspannenden Nestlé-Konzerns umgebaut, der Mann mit dem ewigen Bergsteigerlook sprach vor einem überdimensionierten Lüftungsrohr zwischen Wanderschuhen, Velohelmen und Sporthandschuhen.
«Aufstiege» hatte Brabeck die Selbstbespiegelung seiner beeindruckenden Karriere genannt, und schon die erste Seite war Programm: Auf 22 Zeilen kam zehn Mal das Wort «ich» vor. Es folgte eine 270-seitige Tour durch ein pralles Konzern-Abenteuerleben: Bergsteigen am Mount Everest, Rallye in der Sahara, Cessna in Venezuela, Motorrad in Vietnam, garniert mit obligaten Fotos mit den Mächtigen (von Papst Franziskus bis Angela Merkel) und zeitlosen Managementweisheiten («Die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie selber zu gestalten»).
Gegen 70 Einheimische, brav aufgereiht auf Holzbänken, lauschten den Ausflügen in eine fremde Welt. Hinterher signierte Brabeck seine Bücher «mit entschleunigter Gelassenheit», wie ein Chronist festhielt. Glamour-Faktor: ausbaufähig.
Wenn am 19. Januar das 56. WEF in Davos eröffnet wird, wollte Peter Brabeck wieder auf der ganz grossen Bühne stehen. Am 20. April 2025 hatte er an einem dramatischen Osterwochenende nach dem Rücktritt des Gründers Klaus Schwab interimistisch den Vorsitz des WEF-Stiftungsrats übernommen. Jetzt war er wieder dort, wo er sich selbst sah: ganz oben. Welt-Dominator Donald Trump hatte sich bei der Davoser Grossveranstaltung im Januar gerade drei Tage nach seiner zweiten Vereidigung zuschalten lassen, seitdem schraubt das WEF hinter den Kulissen an einer Rückkehr des Mannes, der die Schweiz zum Nationalfeiertag mit seinem 39-Prozent-Zollhammer schockte. Im Juni eröffnete Brabeck bereits das regionale Sommer-WEF im chinesischen Tianjin, via Pressemitteilung in WEF-typischem staatstragend-visionärem Duktus: «In einer sich verändernden globalen Welt ist Technologie der Schlüssel für geteilten Fortschritt.»
Im September wollte der 80-Jährige vor den Spitzen der Luzerner und Nidwaldner Politik im «Bürgenstock Resort» auftreten, auch diesen Termin hatte er von Schwab übernommen, der das Treffen initiiert hatte, nachdem das geplante Covid-WEF auf dem Bürgenstock ausgefallen war. Beim Jahrestreffen des HSG Alumni Senior Club am 11. Dezember firmiert er auch als «Präsident WEF a.i.». Trump statt Glarus, Merz statt Horgen, wo er im Mai bei einer spärlich besuchten Detailhandelstagung auftrat – das war die Aussicht.
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Doch es kam anders. Am 12. August schickte Brabeck sein Rücktrittsschreiben an den Stiftungsrat. Es war das Ende eines Machtkampfs, der die Organisation in ihren Grundfesten erschüttert und die enorme Aufbauleistung des Gründers Schwab stark beschmutzt hatte. Mit grossem Furor hatte Brabeck den Mann attackiert, der ihn 27 Jahre zuvor in die Organisation geholt hatte. «Vernichten» wolle er Schwab, hatte er angeblich gegenüber Stiftungsräten verlauten lassen (Brabeck wollte sich auf BILANZ-Anfrage nicht äussern). Am Ende war es ein Kampf Mann gegen Mann – und Brabeck verlor.
Schwab hatte am Vortag vor dem 28-köpfigen Stifungsrat seine Sicht der Dinge per Video dargestellt. Es war das erste Mal, dass er seit dem Eingang des anonymen Beschuldigungsschreibens, das eine Gruppe von Schwab-Feinden am 16. April unter dem Pseudonym «Rebecca» an die Stiftungsräte geschickt hatte, vor das hochkarätig besetzte Gremium trat. Statt gegen die Angreifer vorzugehen, waren Brabeck und Axa-Chef Thomas Buberl, mächtiger Leiter des Audit- und Risk-Komitees, auf Schwab losgegangen, unterstützt von CEO Børge Brende, ausführlich beschrieben in der BILANZ-Juni-Ausgabe.
Anonyme Angreifer schiessen auf den Gründer und erpressen das WEF. Doch die zwei starken Männer im Stiftungsrat stellen sich gegen ihn. Lesen Sie hier.
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Der 35-seitige Untersuchungsbericht der Kanzlei Homburger war den Stiftungsräten fünf Tage zuvor zugestellt worden. Schwab hatte ihnen ein persönliches Statement geschickt, dazu die Einschätzung seines Anwalts Peter Nobel. Der 87-Jährige blieb sachlich, hob seine Sorge um das Forum hervor und betonte: Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, wie der Bericht glasklar beweise. Vier Monate Ungewissheit lagen hinter ihm, es war bereits die zweite Untersuchung: Zuvor hatte Homburger mit der US-Kanzlei Covington acht zehrende Monate lang nach einem Artikel des «Wall Street Journal» vom Juni 2024 nach Missständen gefahndet. Auch das New Yorker Wirtschaftsblatt stützte sich auf die Informanten, die sich in dem anonymen «Rebecca»-Schreiben als eine «Gruppe von aktuellen und ehemaligen Angestellten des World Economic Forum» bezeichnete. Die erste Untersuchung hatte Schwab komplett freigesprochen: Brende hatte Mitte März mitgeteilt, es gebe «keine Belege für ein Fehlverhalten des Gründers».
Jetzt sahen alle Stiftungsräte, dass auch dieses Mal all die Vorwürfe, die in der medialen Schlammschlacht nach draussen gelangt waren, nicht zutrafen. Homburger hatte zusammen mit der Revisionsfirma BDO die Mailboxen des Ehepaars Schwab der letzten 15 Jahre untersucht, mehr als 100'000 Mails und 65'000 Dokumente gesichtet und 86 Interviews mit 59 ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern geführt. Die Kanzlei hatte den Auftrag sogar ausgeweitet: Die «Rebecca»-Heckenschützen hatten ihre Kritik in elf Punkte verpackt. Homburger untersuchte 28 Anschuldigungen.
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Die angeblichen Krankenkassenzahlungen von Hilde Schwab: vom Konto ihres Mannes beglichen. Cash-Bezüge von Mitarbeitern für Schwab: Kleinstbeträge, alle verbucht. Die Manipulation des «World Competitiveness Report»: Anpassung der Methode, aber keine Unterdrückung eines negativen Berichts oder eine Anpassung im Ranking. Alleingang beim WEF-Metaverse-Projekt: nicht zutreffend. Die private Nutzung der Villa Mundi auf dem WEF-Gelände: nie passiert. Anzüglichkeiten gegenüber Mitarbeiterinnen: Harmlos – etwa 52 Rosen für eine langjährige verdiente Mitarbeiterin zum 52. Geburtstag. Wären Tulpen besser gewesen?
WEF-Gründer Klaus Schwab und seine Frau und erste Mitarbeiterin Hilde Schwab.
David BiedertWEF-Gründer Klaus Schwab und seine Frau und erste Mitarbeiterin Hilde Schwab.
David BiedertIn der heiklen Frage der Spesen waren die Prüfer besonders akribisch – jeder Flug und jedes Hotel wurden gecheckt. Schwab hatte seine Assistentin angewiesen, alle privaten Auslagen abzugrenzen und separat zu verbuchen, alle sechs Monate zeichnete er diese Auslagen ab. Die interne Revision war hier nicht sauber aufgestellt, was eher ein Versäumnis von CEO Brende und Audit-Komitee-Chef Buberl war, und so tauchten wenige Zahlungen auf, die Schwab als privat deklariert hatte, aber dennoch dem Forum verbucht wurden – es geht aggregiert in 15 Jahren um einen tiefen fünfstelligen Betrag. Dass Hilde Schwab ihren Mann oft begleitete, war durch ihren Vorsitz der WEF-Schwesterstiftung der «Social Entrepreneurs» begründet und dem Stiftungsrat hinlänglich bekannt. In vielen Konzernen dagegen, auch bei Nestlé zu Brabecks Zeiten, durften die Partner die Konzernleitungsmitglieder bei wichtigen Anlässen auf Firmenkosten begleiten – ohne Funktion.
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Nach Schwabs kurzem Videoauftritt tagten die Stiftungsräte unter sich – und der Tenor war klar: Wir müssen diese Hexenjagd beenden. Viele von ihnen flogen mit Privatjets, die Schwab aus Kostengründen immer mied, und die Abgrenzung zwischen privaten und geschäftlichen Ausgaben auf diesem Niveau war eine stete Herausforderung. Jeder wusste: Bei einer derart akribischen Untersuchung würden bei jeder Person Grenzfälle auftauchen. Schwab darf zumindest als die am stärksten geröntgte Person der globalen Firmenwelt gelten: zwölf Monate Durchleuchtung durch zwei Grossuntersuchungen – und nichts gefunden. Damit bestätigte der Bericht nur, was alle wussten: Schwab war nie primär geldgetrieben – er war immer ein Ideen-Mann, der das Forum als weltbeste Netzwerk-Plattform etablieren wollte. Trump, den «Klaus» direkt anrufen konnte, nannte ihn mit seinem Gespür für passende Kurznamen «Professor».
Für Brabeck war es ein Fiasko. Er hatte zusammen mit Buberl und Brende den «Wall Street Journal»-Artikel im Sommer letzten Jahres für eine Entmachtung Schwabs genutzt. Auffällig: Obwohl das Wirtschaftsblatt das WEF mit diesem Artikel massiv destabilisiert hatte, publizierte es anschliessend immer wieder Artikel, die das Brabeck-Buberl-Lager stützten und Schwab diskreditierten. Schwab wollte bereits beim Erscheinen des Artikels gegen die «Rebecca»-Heckenschützen vorgehen und Anzeige gegen unbekannt erstatten, Brabeck plädierte für eine Untersuchung, die Buberl übernahm. Schwab trat in den Ausstand, in das Vakuum stiessen die drei Bs: Brabeck, Buberl, Brende. Das Triumvirat stiess bei der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht eine Statutenänderung an – ohne Schwab über die Einzelheiten zu informieren. Es ging auch um die Nachfolgefrage.
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Nachdem die Untersuchung Schwab komplett entlastet hatte, forderte der Gründer im Frühjahr seine Macht zurück – und wollte seine Nachfolge definitiv lösen. Er gab seinen Rücktritt für das Jahr 2027 bekannt, besuchte Anfang April die EZB-Chefin Christine Lagarde in Frankfurt und versicherte sich, dass seine eigentlich schon für 2020 geplante Nachfolgelösung mit der Französin Bestand haben würde – sie sollte und wollte nach dem Ende ihrer Amtszeit im Oktober 2027 Schwabs Nachfolge antreten. Laut Satzung hatte Schwab noch immer das Recht, diese zu festzulegen. Die neuen starken Männer wollten diesen Passus aushebeln.
Axa-Chef Thomas Buberl (l.) und WEF-CEO Børge Brende unterstützten die harte Linie Brabecks.
Alexis Jumeau/Dukas, Fabrice Coffrini/AFP / BILANZ-CollageAxa-Chef Thomas Buberl (l.) und WEF-CEO Børge Brende unterstützten die harte Linie Brabecks.
Alexis Jumeau/Dukas, Fabrice Coffrini/AFP / BILANZ-CollageSchwabs Vorgehen wirkte offenbar als Affront für die Ambitionen von Brabeck und dem hochehrgeizigen Buberl, der im kleinen Kreis Interesse am Präsidium angedeutet hatte. Als am 16. April die «Rebecca»-Mail eintraf, nutzten die Rädelsführer die anonymen Vorwürfe für eine neue Attacke gegen Schwab, unterstützt von Brende, den Schwab zusehends kritisch sah. Nur so lässt sich das überharte Vorgehen erklären: In einem funktionierenden Board hätten sich Brabeck und Buberl mit Schwab zusammengesetzt und vielleicht sogar gemeinsam Anzeige gegen unbekannt erstattet. Schwab musste diese Anzeige allein einreichen.
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Buberl trat gerade 33 Stunden nach Maileingang ohne Rücksprache mit Schwab und dem Gesamtstiftungsrat die neue Homburger-Untersuchung los. Dass die «Rebecca»-Vorwürfe hanebüchen waren, war offensichtlich, die wenigen konkreten Anwürfe – Krankenkassenzahlungen, Reisekosten-Exzesse, Geldbezüge von Mitarbeitern für Schwab – hätte er selbst via Schnellcheck prüfen können: Er war ja Chef des Audit Committee. Brabeck nutzte die Untersuchung für ein aggressives Vorgehen: Er erteilte Schwab Hausverbot, der Gründer durfte nicht mal seinen Mantel abholen, sein Handy wurde gesperrt. In einem Townhall direkt nach dem Abgang Schwabs zeigte er sich kompromisslos: Die Vorwürfe seien sehr gravierend, man werde mit aller Härte vorgehen. Viele Mitarbeiter waren geschockt.
De facto haben Buberl und Brabeck ihre Treuepflicht gegenüber dem WEF verletzt: Nicht nur haben sie gegen vier Millionen Franken für die Untersuchungen ausgegeben. Vor allem haben sie durch ihr rabiates Vorgehen gegen Schwab das Forum unnötig einer Zerreissprobe ausgesetzt. Und dass sie sich mit anonymen Heckenschützen und ihren offensichtlich unsubstanziellen Anschuldigungen solidarisierten, stellt einen bedenklichen Präzedenzfall dar – werden in Zukunft auch bei Axa oder Nestlé kostspielige externe Untersuchungen losgetreten, wenn anonym wilde Beschuldigungen erhoben werden?
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Brabecks Attacke auf Schwab war umso überraschender, als sie auf eine lange Zeit der engen Zusammenarbeit folgte. Während grosse Zürcher Wirtschaftskapitäne wie Rainer E. Gut (Credit Suisse) oder Fritz Gerber (Zürich/Roche) das WEF am Anfang mieden, war Nestlé-Übervater Helmut Maucher früh ein Fan. Er unterschrieb auch 1998 den Vertrag mit Schwab, der ihm für seine Aufbauarbeit jene fünf Millionen Franken zusicherte, die er nie bezog. Brabeck war Mauchers Ziehsohn, er trat 1998 in den Stiftungsrat ein und fühlte sich in der Welt der ganz Grossen von Anfang an zu Hause. Als Schwabs damaliger Vize Josef Ackermann 2014 nach seinem Abtritt bei der Deutschen Bank schweren Herzens gehen musste, kürte Schwab Brabeck zu seinem Stellvertreter. Das CS-Desaster war noch weit weg, erst im Nachhinein sollte sich zeigen, dass Brabeck hier als langjähriger Vizepräsient wenig geglänzt hatte. «Unter amerikanischem Einfluss ging es bei der Credit Suisse nur noch um Geld, Geld, Geld. Daran ist die Bank zugrunde gegangen», sagte er nach dem CS-Aus dem österreichischen Wirtschaftsmagazin «Trend». Dass er selbst es war, der als Mitglied des Kompensationsausschusses das Bonus-Turbo-Programm PIP inklusive der 72-Millionen-Zahlung für den damaligen Chef Brady Dougan absegnete, passte da nicht ganz zu seiner Analyse.
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2017 kam es zu einer folgenschweren Personalentscheidung: Obwohl Brabeck sein Nestlé-Präsidium aus Altersgründen abgeben musste, beliess ihn Schwab auf seinem Posten – die einzige Ausnahme in seinen 55 Jahren an der Spitze. Begründung damals: Sollte Schwab ausfallen, brauchte es jemand, der das WEF gut kannte. Das Verhältnis war professionell, Schwab nannte Brabeck «meinen wichtigsten Mann». Er war aber nur die Nummer zwei, auch wenn er sich als grosser Weltenerklärer durchaus auf einer Stufe mit Schwab sah. Einmal im Jahr besuchte der Gründer mit einer Delegation die deutsche Kanzlerin Merkel. In seiner Autobiografie veröffentlicht Brabeck ein Foto, auf dem er direkt neben Merkel steht, Schwab neben Brabeck. Bildzeile: «Rede im deutschen Kanzleramt mit Angela Merkel.» Botschaft: Der Star bin ich.
Peter Brabeck-Letmathe (l.): Der Österreicher ging aggressiv gegen den Mann vor, der ihn vor 27 Jahren zum WEF geholt hatte.
Klaus Schwab: Der WEF-Gründer kämpfte erfolgreich um sein Lebenswerk – gegen den Mann, den er einst gefördert hatte.
Christian Wind, Salvatore die Nolfi / BILANZ-CollagePeter Brabeck-Letmathe (l.): Der Österreicher ging aggressiv gegen den Mann vor, der ihn vor 27 Jahren zum WEF geholt hatte.
Klaus Schwab: Der WEF-Gründer kämpfte erfolgreich um sein Lebenswerk – gegen den Mann, den er einst gefördert hatte.
Christian Wind, Salvatore die Nolfi / BILANZ-CollageDoch nach seinem Nestlé-Abgang war er plötzlich nicht mehr der grosse Weltkonzernlenker. In der freien Wildbahn war es härter, wie der Konkurs des Walliser Kaviarzüchters Kasperskian zeigte. Er hatte sich in grossem Stil beteiligt und tatsächlich geglaubt, dass die Kunden für biologisch gezüchteten Kaviar das Zwei- bis Dreifache des Marktpreises zahlen würden. Die Pleite kostete ihn einen ordentlichen zweistelligen Millionenbetrag, es sind noch immer Klagen hängig. Es war ein bitteres Scheitern als Unternehmer.
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Wenn er nicht auf Reisen war, kam er noch jeden Tag ins Büro, das er bei Nestlé Schweiz in der Seegemeinde La Tour-de-Peilz bezogen hatte, gerade zwei Kilometer von der Zentrale in Vevey, behaftet mit dem Fantasietitel des «Chairman emeritus», gesponsert aus den Kassen des Nahrungsmittelriesen, inklusive Assistentin. Er arbeite nur noch von 8.30 bis 18.30 Uhr, teilte er letzten November zu seinem 80. Geburtstag dem «Blick» mit. Offiziell mischte er sich zwar nicht mehr ein bei Nestlé, doch in dem engen Seebiotop zwischen Vevey und Montreux ist die Dichte aktueller und ehemaliger Nestléaner hoch, und dass er die Fähigkeiten seines Nachfolgers Paul Bulcke kritisch sah, kaschierte er nicht wirklich. Er hielt Bulcke für einen visionsfreien Beamten, Bulcke ihn für einen rechthaberischen Narzissten. Als der von ihm handverlesene CEO Mark Schneider das Hautgeschäft Galderma verkaufte, griff er zu einem Schritt, der sein ganzes Berufsleben tabu war: Er verkaufte Nestlé-Aktien, mit denen er ein 300-Millionen-Franken-Vermögen aufgebaut hatte.
«Unser Geschäft ist simpel, wir brauchen keine Einsteins», hatte sein Ziehvater Maucher einst dekretiert. Brabeck sah sich anders: Er wollte in die Nestlé-Geschichte eingehen als Visionär, der aus dem schnöden Kalorienriesen eine Wellness- und Gesundheitsbastion geformt hatte. Klappte leider nicht – doch das lag aus seiner Sicht natürlich nicht an der wenig überzeugenden Konglomeratsstrategie, sondern an inkompetenten Nachfolgern. Der heftige Kurssturz Nestlés und der Abgang Schneiders liessen seine gesamte Nachfolgeplanung nicht mehr so gelungen aussehen wie 2017. Die Nestléaner, die ihn am Seeufer trafen, diagnostizierten Verbitterung.
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Aber er war ja der grosse Peter Brabeck-Letmathe: Den Namenszusatz hatte er sich in jungen Jahren zugelegt, sein Vater Fritz Brabeck, ein Tanklasterfahrer, in der Biografie seines Sohnes nicht mit Namen erwähnt, führte den Zusatz Letmathe in seiner Heimatstadt Villach nicht – er stammt aus einem Ort nahe der westdeutschen Kleinstadt Iserlohn, in der Brabecks Ahnen vor 500 Jahren regiert haben sollen. Er war der Larger-than-life-Weltmanager, der sogar eine besonders heimtückische Krebserkrankung niedergerungen hatte und seinen Lebensdurst umso stärker mit Helikopter-Touren und Wüsten-Rallyes stillte.
Das Geniesser-Gen seines Landsmanns Franz Humer, mit Roche mindestens so erfolgreich wie Brabeck mit Nestlé und heute von seiner Ranch in Wyoming frei von allen Verpflichtungen als Multi-Investor glücklich, ging ihm ab. Mit seinem Unruhestand glich er am ehesten seinem WEF-Vorgänger Ackermann, der ebenfalls eine Heldensaga über sich verfasst hatte und über den der «Spiegel» einst befunden hatte: «Zugeben würde er es nie», aber er brauche «prestigeträchtige Jobs wie andere die Luft zum Atmen». Da passte seine Hauptbeschäftigung: Vorträge. Er sei «weiterhin als Vortragender tätig», das habe es ihm «ermöglicht, sehr aktiv zu bleiben», schreibt er in seiner Biografie. Doch die Bühnen wurden kleiner. Als er im Mai bei der Tagung in Horgen auftrat, verloren sich kaum 200 Zuhörer in dem Raum, um der angekündigten «Legende der Lebensmittelindustrie» zu lauschen. Da bot das WEF den ganz grossen Auftritt.
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WEF-Zentrale: Vom Machtkampf erschüttert. Der Sitz der Organisation im Genfer Vorort Cologny.
PRWEF-Zentrale: Vom Machtkampf erschüttert. Der Sitz der Organisation im Genfer Vorort Cologny.
PREr tat alles, um dort an der Macht zu bleiben. «Gefunden wurde nur wenig», hatte die «SonntagsZeitung» am 6. Juli über die Homburger-Untersuchung geschrieben. Obwohl Brabeck mediales Stillschweigen mit Schwab vereinbart hatte, hielt er eine Woche später via «NZZ am Sonntag» dagegen: Die Untersuchung sei «bei weitem nicht abgeschlossen». Die Aussage, dass an der Untersuchung «nur wenig» dran sei, habe am WEF-Hauptsitz «für Unmut gesorgt», schrieb das Sonntagsblatt. Die Darstellung, dass Schwab weiterhin seine Nachfolge selbst bestimmen könne, liess das Brabeck-Lager indirekt dementieren – obwohl das WEF gegenüber BILANZ zwei Wochen zuvor explizit bestätigt hatte, dass die aktuelle Satzung inklusive Schwabs Recht weiter galt.
Am Folge-Sonntag hatte die «SonntagsZeitung» auf einmal doch viel gefunden: «Exorbitante Spesen, manipulierte Berichte und peinliche Mails», lautete die Überschrift des Artikels, der Schwab massiv belastete, und natürlich landete diese Brabeck-Perspektive zwei Tage später auch im «Wall Street Journal». Jedoch: Sowohl die differenzierte Replik Schwabs, der dem Homburger-Anwalt Claudio Bazzani im Genfer Hotel Métropole vier Stunden lang Auskunft erteilt hatte, als auch das exkulpierende Fazit von Homburger wurden in den Artikeln nicht berücksichtigt. Die Gesamtbetrachtung liess nur einen Schluss zu: vollumfängliche Entlastung für Schwab.
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Nach Brabecks Rücktritt folgte ein Feilschen um die Pressemitteilung. Schwab setzte für sich und seine Frau die volle Rehabilitierung durch. Der Stiftungsrat, durch seine Mitläufermentalität geschwächt, musste die aufwendige Untersuchung jedoch zumindest etwas rechtfertigen; so sprach er von «kleineren Unregelmässigkeiten», die allerdings an «verschwommenen Berichtslinien» lagen. Sie bezogen sich auf die unsaubere Spesenabgrenzung, für die aber nicht Schwab verantwortlich war. Die angebliche Manipulation des «World Competitiveness Report» wurde gar nicht erwähnt – es gab hier schlicht keine nennenswerten Verfehlungen.
Für den Stiftungsrat besonders wichtig: Schwab sollte seine Strafanzeige bei der Genfer Staatsanwaltschaft gegen die anonymen «Rebecca»-Heckenschützen zurückziehen, was er dann auch tat. Offizielle Begründung: Man wollte nach den zehrenden Monaten Ruhe in der Belegschaft und keine weitere Untersuchung. Der Stiftungsrat drückte dann auch sein «tiefes Bedauern» aus, dass manche Mitarbeiter «nicht zu ihrer Zufriedenheit behandelt worden seien», bezog diesen Passus aber nicht auf Schwab. Doch unter den Angestellten hielten sich Gerüchte, dass der Stiftungsrat die polizeiliche Untersuchung auch stoppen wollte, weil die Schwab-Feinde an der WEF-Spitze in die Anschuldigungen involviert waren. Buberl gab sich beflissen, obwohl sich die Stimmen häuften, dass auch er mit Brabeck zurücktreten müsse. Brende erwähnte Schwab in seiner Mitteilung an die Mitarbeiter nach dem Rücktritt Brabecks mit keinem Wort.
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Als Brabeck-Nachfolger war Buberl chancenlos. Schwab und der Rat einigten sich auf eine interimistische Co-Chef-Lösung, im Einklang mit Lagarde, die in zwei Jahren wie von Schwab geplant den Zugriff hat: Roche-Vize André Hoffmann für die Schweizer Seite, für den zentralen US-Markt Blackrock-Gründer Larry Fink, der zudem den Zugang zu Trump liefert.
EZB-Chefin Christine Lagarde soll 2027 das WEF-Präsidium übernehmen. Roche-Vizepräsident André Hoffmann (Mitte) und Blackrock-Gründer Larry Fink lösen interimistisch Peter Brabeck ab.
Telmo Pinto, PR, Thomas Krych/ZUMA / BILANZ-CollageEZB-Chefin Christine Lagarde soll 2027 das WEF-Präsidium übernehmen. Roche-Vizepräsident André Hoffmann (Mitte) und Blackrock-Gründer Larry Fink lösen interimistisch Peter Brabeck ab.
Telmo Pinto, PR, Thomas Krych/ZUMA / BILANZ-CollageDoch selbst jetzt gab sich der ewige Alpha Brabeck nicht geschlagen. Das Klima beim WEF sei «toxisch», trat er in seinem Abschiedsbrief nach. Er trete zurück, weil er «feste Werte und einen Sinn für Integrität» habe, teilte er via «NZZ am Sonntag» mit. Im Umkehrschluss hiess das: Der gesamte Stiftungsrat liegt auf der Integritätsskala weit unter dem Welt-Manager. Über einen hochkarätigen Zürcher PR-Berater, bezahlt vom WEF, verbreitete sein Lager die Fama, es handele sich um einen Freispruch zweiter Klasse für Schwab. Mit Erfolg: Die «SonntagsZeitung» verstieg sich zu der Aussage, dass «die Vorwürfe der Whistleblower, die zu Schwabs Rücktritt führten, im Wesentlichen zutrafen». Beweise: Fehlanzeige.
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Es würde bedeuten: Dass Schwab vom gesamten Stiftungsrat und der Kanzlei Homburger entlastet wurde, war ein Komplott zur Vertuschung der Wahrheit von honorablen Persönlichkeiten von Christine Lagarde bis Al Gore, und nur der grosse Brabeck hatte den Mut, sich dagegen aufzulehnen – eine doch sehr wilde Perspektive, die sich mit keinerlei Fakten belegen lässt. So endet eine grosse Karriere mit Verschwörungstheorien.
Es sei «erstaunlich, dass er keine Entschuldigung von Klaus Schwab gesehen habe», warf Brabeck über das Lausanner Wirtschaftsblatt «Agefi» dem WEF-Gründer nach. Die Frage müsste eher lauten: Wann entschuldigt sich Peter Brabeck?
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