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Die Gründung der OeBB war die Folge einer Pleite. Heute verbindet das Bahnunternehmen vier Orte mit dem kürzesten Schienennetz.
Markus Schindelholz, Geschäftsführer der Oensingen-Balsthal-Bahn AG, präsentiert stolz den historischen Triebwagen, genannt «Roter Pfeil».
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Geschäftsführer Markus Schindelholz schreitet in oranger Warnweste über die Gleise seines Bahnunternehmens und zeigt auf eine dort verbaute Schiene: «1883» ist hier zu lesen. Als die Oensingen-Balsthal-Bahn AG (OeBB) vor 126 Jahren an den Start ging, wurden zum Teil gebrauchte Schienen aus Deutschland verbaut, um die Kosten tief zu halten.
Altes Eisen: Die Schienenstränge der OeBB stammen zum Teil noch aus der deutschen Gründerzeit. Sie werden nun ersetzt.
Holger Alich / HandelszeitungAltes Eisen: Die Schienenstränge der OeBB stammen zum Teil noch aus der deutschen Gründerzeit. Sie werden nun ersetzt.
Holger Alich / HandelszeitungAuf die Kosten hat man bei der OeBB schon immer geachtet, sonst gäbe es den Schweizer Bahnbetreiber mit dem kürzesten Netz wohl nicht mehr: Ganze 4,1 Kilometer Bahnstrecke gehören der OeBB, plus Neben-, Abstell- und Anschlussgleise. Acht Minuten dauert die Fahrt auf der Strecke, die im Kanton Solothurn die Orte Oensingen und Balsthal verbindet. «Wir sind nicht die kleinste Bahn, wir sind lediglich die kürzeste interoperable Bahn Europas», betont Schindelholz.
Denn trotz ihrem Mininetz ist die OeBB ein vollwertiges Bahnunternehmen. «Wir dürfen in der ganzen Schweiz fahren», sagt Schindelholz. Vier Geschäftsbereiche gibt es: Personenverkehr, Gütertransport, Infrastruktur und Drittgeschäfte.
Big is beautiful. Der Satz gilt in der Wirtschaft im Allgemeinen: Grosse, wirtschaftlich potente Staaten können kleineren Ländern ihren Willen aufzwingen, wie die Schweiz in diesen Tagen leidvoll erfahren musste. Und auch bei Unternehmen gilt die Formel «gross = gut». Etwa bei Banken und Versicherungen. Wenn die Firmen hier eine gewisse Grösse haben, gerne verbunden mit Geschäften im Ausland, können sie ihre Risiken besser und breiter diversifizieren – zum Beispiel im Kreditgeschäft. Und Versicherer können Verluste in einem Land – etwa wegen einer Naturkatastrophe – mit Gewinnen aus einer anderen Region ausgleichen.
Wer gross ist, hat zudem Vorteile beim Einkauf und profitiert von Skaleneffekten. Ein Paradebeispiel dafür ist die Strombranche, vor allem Anbieter mit einer eigenen Produktion. Hohe Fixkosten, beispielsweise für eigene Kraftwerke oder die Netzsteuerung, verlangen nach einer grossen Kundenbasis. Und erst recht gilt «Gross ist gut» im Bahnverkehr. Denn der Schienenstrang behauptet sich gar als natürliches Monopol – was bedeutet: Es ist für einen Anbieter nicht sinnvoll, neben den Schienen des Konkurrenten sein eigenes Bahnnetz zu bauen.
Und doch gibt es gerade in den oben genannten Branchen Firmen, die diesen ökonomischen Grundsätzen trotzen, und das mit Erfolg. Die Handelszeitung hat sich für diese Serie auf die Suche gemacht und die kleinste Bank, den kleinsten Versicherer, den kleinsten Stromanbieter mit vollem Angebot aus eigener Hand sowie jenen Bahnbetreiber, der über das kürzeste eigene Netz verfügt, ausfindig gemacht. Diese Unternehmen gibt es teilweise schon seit über hundert Jahren, und sie halten sich erfolgreich in einem Markt, der sonst eigentlich Grösse belohnt.
Wie schaffen sie das? Warum gibt es diese Firmen überhaupt noch? Wie funktioniert ihr Geschäftsmodell? Und womit haben sie zu kämpfen? Die Recherche zeigt: Selbst in Branchen mit Grössenvorteilen kann es zuweilen ein Pluspunkt sein, klein und flexibel zu sein.
Im Personenverkehr fährt die OeBB im Auftrag der SBB zwischen Oensingen und Balsthal. Die Schienen der Strecke gehören der OeBB, die Züge der Linie S22 dagegen der SBB. Im S-Bahn-Verkehr hat der Schweizer Bahnriese den Betrieb seiner Züge wiederum an die OeBB delegiert. Denn die ist schlanker aufgestellt.
«Unser Lokfrüher ist gleichzeitig Fahrdienstleiter, es gibt keine Leitstelle», erklärt der OeBB-Chef. «Im Personenverkehr liegt unser Kostendeckungsgrad bei knapp 40 Prozent», sagt Schindelholz, das sei ein vergleichsweise guter Wert.
Adrian Wenger stellt mit einem Teilzeitpensum Netzbetrieb und Stromversorgung in Brienzwiler BE sicher.
Und falls das Rollmaterial der SBB einmal ausfällt, hält die OeBB eine eigene Zugkomposition als Ersatz parat, die Schindelholz aus gebrauchten Wagen von der BLS und der Südostbahn zusammengekauft hat.
2024 hat die OeBB rund 655'000 Passagiere befördert – Tendenz steigend. Zum Vergleich: Die SBB nutzen 1,39 Millionen Menschen – pro Tag.
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Im Güterverkehr transportiert das Unternehmen pro Jahr zwischen 115 und 175’000 Bruttotonnen. Unter anderem fahren Güterzüge der OeBB zwischen dem Basler Güterbahnhof und Delsberg, mit denen Baumaterial für die Baustelle im Laufental transportiert wird.
Knappe zwei Vollzeitstellen und 79 Millionen Franken auf der Bilanz: Bei der Ersparniskasse Speicher ist alles etwas überschaubarer.
Die weiteren Geschäftsbereiche umfassen die eigene Infrastruktur sowie die Sparte Drittgeschäfte. In diesem Bereich bietet die OEBB unter anderem Werkstattdienste an – so können andere Bahnbetreiber ihre Loks von der OEBB reparieren lassen.
Ein Vorzeigebereich der Sparte Drittgeschäfte sind die Nostalgiefahrten. Schindelholz’ ganzer Stolz steht im werkseigenen Depot: der «Rote Pfeil» aus dem Jahr 1937. Der elektrische Triebwagen – genaue Bezeichnung RCe 2/4 607 – war mit seiner aerodynamischen Form und einer Höchstgeschwindigkeit von 125 Stundenkilometer seiner Zeit weit voraus.
Er erfreut sich bei Bahnenthusiasten grosser Beliebtheit und kann für Fahrten gebucht werden. Daneben hat die OEBB eine historische Dampflok sowie Salonwagen für Ausflugsfahrten im Angebot.
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Die kleinste Schadensversicherung der Schweiz ist der Beweis, dass im Versicherungsgeschäft Grösse allein nicht alles ist.
Mit ihren vier Sparten erwirtschaftete die OeBB im vergangenen Jahr einen Betriebsertrag von knapp 5 Millionen Franken. Die Drittgeschäfte steuern den grössten Teil bei.
Die OeBB ist grundsätzlich profitabel, 2024 aber drückten höhere Ausgaben beim Betriebsunterhalt das Unternehmen mit rund 18'000 Franken ins Minus, was dank eines Gewinnvortrags von fast 570'000 Franken jedoch nicht weiter wehtat. 18 Festangestellte teilen sich die 14,5 Vollzeitstellen.
Neben dem kurzen eigenen Netz ist die OeBB auch deshalb ein Unikum, weil sie die einzige Bahnunternehmung in der Schweiz ist, die einer Gemeinde – und nicht einem Kanton oder gar dem Bund – gehört.
Der Grund ist historisch: 1874 war eine Nord-Süd-Bahnverbindung geplant, die Basel über Liestal, Reigoldswil, Mümliswil, Oensingen und Langenthal mit Bern verbinden sollte. Ein erster Tunnel durch das Juragebirge war angefangen, doch der Betreiber ging pleite. Und die SBB entschieden sich später für eine andere Streckenführung zwischen Bern und Basel, jene über Olten.
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Die örtliche Industrie wollte aber nicht länger auf einen eigenen Bahnanschluss warten. Die Eisenwerke Klus und die Papierfabrik Balsthal gründeten daher kurzerhand ihre eigene Bahn, die OeBB. Am 17. Juli 1899 nahm sie nach nur einem Jahr Bauzeit den Betrieb auf.
In den Siebzigerjahren verloren die Industrieaktionäre aufgrund sinkender Passagieraufkommen das Interesse an der Bahn, diese sollte fortan nur noch Güter transportieren. Dagegen aber wehrte sich die Bevölkerung. Und so entschieden die Stimmbürger von Balsthal, dass ihre Gemeinde die OeBB übernimmt.
«Solange wir der Gemeinde nicht auf der Tasche liegen, gibt es keinen Grund, an der Eignerstruktur etwas zu ändern», sagt OeBB-Chef Schindelholz. Eine Ausschüttung bekommt die Gemeinde zwar nicht, dafür aber hat die OeBB ihrem Eigner Balsthal einen neuen Bahnhofsvorplatz inklusive Busbahnhof spendiert.
Für Schindelholz ist klar: Die OeBB ist zwar klein, aber kein Liebhaberobjekt, sondern ein Wirtschaftsunternehmen, das in seiner Nische Erfolg hat. Und er denkt an weiteres Wachstum: «Wir würden gerne für die SBB weitere S-Bahn-Linien betreiben», sagt Schindelholz, der zuvor bei den SBB als Projektleiter tätig war und die OeBB seit acht Jahren führt.
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Er denkt dabei zum Beispiel an die Verbindung zwischen Solothurn und Moutier. Spruchreif sei aber nichts. Und wenn auch das eigene Schienennetz kurz ist – es muss instand gehalten werden. So werden in diesem Jahr die letzten Schienen aus der Gründerzeit ersetzt.
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