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Grosse Retailer setzen im Einkauf zunehmend KI ein. In der Schweiz ist man damit noch zurückhaltend – in der Wirtschaft und Forschung.
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Walmart, der US-Retailriese, galt jahrelang als potenzielles Opfer der Onlinestrategie von Amazon. Inzwischen hat sich das geändert: Seit 2022 nutzt man KI-Systeme für die Interaktion mit den kleineren Zulieferern. Von den Top hundert dieser kleineren Zulieferer konnte man 64 Prozent überzeugen, ebenfalls KI-Chatbots einzusetzen, die dann jeweils die Einkaufskonditionen unter sich ausmachen. Das vorläufige Ergebnis: 1,5 Prozent der Einkaufssumme konnten eingespart werden, und die Zahlungsfristen wurden um 35 Tage verlängert.
Das Beispiel macht auch unter europäischen Retailern Schule: Carrefour nutzt die KI, um das Einkaufsverhalten der eigenen Kundschaft besser zu verstehen und dann bei den Lieferanten bessere Konditionen herauszuschlagen. Und Tesco, die grosse britische Kette, nutzt KI, um saisonale Muster, die Lagerhaltung und den Einkauf zu optimieren.
Wenn man sich an der Handelstagung des GDI, der wichtigsten Branchenveranstaltung der Schweiz, umhört, wird klar: In der Schweiz ist man bei diesem Thema zurückhaltender. «Derzeit prüfen wir gezielt, wie und in welchen Bereichen KI in unsere internen Prozesse integriert werden kann, um die Effizienz zu steigern», heisst es von der Migros-Medienstelle. Ein möglicher Anwendungsbereich ist dabei auch der Einkaufsprozess. «Beim Einsatz von KI legen wir besonderen Wert darauf, primär interne Systeme und Lösungen einzusetzen, um sicherzustellen, dass unsere internen Daten geschützt bleiben und nicht an Dritte weitergegeben werden.»
Künstliche Intelligenz wird bei Coop hauptsächlich bei Prozessen im Hintergrund verwendet, beispielsweise zur Warenflusssteuerung, bei Verkaufsprozessen oder bei der Abwärmenutzung in den Supermärkten. «Damit wollen wir die Qualität unserer Betriebsprozesse steigern, um den Bedürfnissen unserer Kundinnen und Kunden bestmöglich zu begegnen», heisst es von einem Coop-Sprecher. Angaben zu Kosten und Sparpotenzialen macht man nicht. «Wir sind bestrebt, mögliche Einsatzgebiete von KI zu definieren», heisst es weiter von Coop. «Angesichts der stetigen, kurzzeitigen Entwicklungszyklen sind die Grenzen der KI derzeit schwierig abzuschätzen.»
Man sieht künstliche Intelligenz vermehrt in den frühen Phasen des Lieferantenmanagements sowie in der Optimierung der Bestellmengen, beobachtet Uta Jüttner, Dozentin für Supply-Chain-Management an der Hochschule Luzern – Wirtschaft.
«Bei den Kosten muss zwischen den Implementierungskosten und den Lizenzkosten unterschieden werden», erklärt Jüttner. «Beides wird meist individuell bestimmt und ist abhängig von der Nutzerzahl der Software, der Anzahl Transaktionen und den gewählten Modulen.» Wie bei anderen Softwareanwendungsbereichen gibt es die Universalsoftware- und Plattformanbieter und spezialisierte Firmen, die auf einzelne Themen und/oder die Implementierung fokussiert sind. «Vielfach werben Anbieter mit Einsparpotenzial und Zeitersparnis wie zum Beispiel 5 bis 15 Prozent tieferen Beschaffungskosten durch bessere Preisverhandlungen, mit 20 bis 40 Prozent kürzeren Bearbeitungszeiten und schnelleren Vergabeentscheidungen insbesondere bei Routineprozessen und geringerer Kapitalbindung durch optimierte Lagerbestände bei gleichem oder höherem Servicelevel», beobachtet Uta Jüttner. «Da der Nutzen jedoch sehr von der derzeitigen Prozessqualität und insbesondere von der Datenverfügbarkeit und -qualität abhängig ist, kann dieser stark schwanken.»
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Jüttner sieht auch Grenzen: Zunächst die Datenqualität, welche bei vielen Firmen noch immer suboptimal ist. Dann die fehlende Transparenz bezüglich dessen, wer überhaupt Lieferant ist. «Firmen arbeiten teilweise noch immer mit sehr oder zu vielen Lieferanten – bis zu mehreren Zehntausend – und haben insbesondere ab der zweiten Lieferstufe lückenhafte Kenntnisse, wer überhaupt liefert», so die Expertin.
«Es ist grundsätzlich in allen Beschaffungsvorhaben denkbar, KI in irgendeiner Form zu nutzen», sagt Jennifer De Capitani, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule (BFH). Sie leitet derzeit ein Forschungsprojekt zum Thema «Künstliche Intelligenz im Beschaffungswesen». «Ob KI es schafft, ein geeignetes gesamthaftes Beschaffungsdesign abhängig vom Bedarf und von der Marktsituation zu erstellen, ist aus heutiger Sicht zumindest fraglich», so De Capitani weiter. «Fachkenntnisse und Kenntnisse über die Einkaufsprozesse sind nach wie vor zentral für erfolgreiche Beschaffungsvorhaben.» In allen Prozessen, in denen es möglich ist, dass zwei Parteien nur mit KI etwas aushandeln, sollte man sich über den Sinn und Unsinn dieser Prozesse unterhalten, sagt De Capitani. In der öffentlichen Hand gibt es bei Beschaffungen Grundprinzipien, die nicht verletzt werden dürfen und einen wesentlichen Teil des Beschaffungsdesigns darstellen. «Neben der Wirtschaftlichkeit sind das Transparenz, Gleichbehandlung, Wettbewerbsförderung und Nachhaltigkeit – und dass die Behörden die Einhaltung dieser Prinzipien der KI überlassen wollen, bezweifle ich.»
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