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Der Lausanner Volkswirtschaftsprofessor untersucht die Folgen der Erbschaftswelle. Und sorgt sich um die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Marius Brülhart ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Lausanne.
Darrin Vanselow / BlickWerbung
Der Volkswirtschaftsprofessor Marius Brülhart lehrt und forscht an der Universität Lausanne unter anderem zur Finanzpolitik, zu Steuern und zu Ungleichheit. Dabei beschäftigt er sich zum Beispiel auch mit dem Thema Erbschaften und deren ökonomischen Folgen.
Das liegt in allererster Linie daran, dass die Vermögenswerte schneller steigen als die Einkommen. Vermögenswerte sind vor allem zwei Dinge: Immobilienwerte und Finanzvermögen, vor allem Aktien. Vereinfacht gesagt nimmt der Wert des Kapitals schneller zu als die Löhne. Und eine Erbschaft ist nichts anderes als die Weitergabe von Kapitalwerten zwischen Generationen. Und wenn das Kapital-zu-Einkommen-Verhältnis zunimmt, nimmt automatisch auch das Verhältnis von Erbschaftswerten zu Einkommen zu.
Die Vermögen sind in der Schweiz sehr ungleich verteilt. Auch im internationalen Vergleich sind wir eines der Länder mit der ungleichsten Verteilung der Vermögen: Das reichste Prozent der Haushalte verfügt hierzulande über rund 45 Prozent der vererbbaren Vermögen. Dieser Wert steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Und weil das Verhältnis von Vermögen zu Einkommen weiter zunimmt, heisst das auch, dass das Gewicht von Erbschaften in der Verteilung der materiellen Lebenschancen über die Zeit zunimmt. Ich würde aber nicht so weit gehen, zu sagen, dass wir in der Schweiz schon eine Erbengesellschaft sind. Die eigene Arbeit, der eigene Verdienst hat mit Blick auf das lebenslange Einkommen weiterhin eine wesentlich grössere Bedeutung als Erbschaften.
Erbschaften erreichen dieses Jahr 100 Milliarden Franken – ein Rekord. Das hat Folgen für den Arbeitsmarkt. Den Banken winken gute Geschäfte.
Die Dinge sind etwas subtiler, wie eine Studie aus Schweden zeigt. Im Moment des Erbgangs verteilen sich die Vermögen zunächst sogar breiter. Denn der Nachlass wird in der Regel auf mehr als eine Person verteilt, weil es in Familien meist mehr als ein Kind gibt. Doch das ist nur die kurzfristige Betrachtung. Die Studie aus Schweden zeigt nun, dass in den fünf bis zehn Jahren nach dem Erbgang gerade kleinere Erbschaften primär konsumiert werden. Erben, die selbst schon vermögend sind und dann auch im Schnitt grössere Summen erben, äufnen ihr Vermögen hingegen weiter. In der mittleren Frist ist es daher in der Tat so, dass Erbschaften die Vermögen ungleich zementieren oder gar verstärken.
Ja. Diesen Aspekt untersuchen wir gerade in einer wissenschaftlichen Studie. Ich kann so viel verraten, dass die Schweizer Daten klar zeigen, dass in allen Altersgruppen Erbschaften im Durchschnitt zur Folge haben, dass die Menschen ihr Arbeitspensum reduzieren. Diese Reaktion ist besonders ausgeprägt bei Frauen um die 40 sowie bei Männern und Frauen über 55. Wenn man beispielsweise zwei vergleichbare Personen nimmt, 58-jährig, gleiches Einkommen, gleiches Vermögen, der eine erbt, der andere nicht: Die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige, der erbt, sich frühpensionieren lässt, ist deutlich höher als bei der Person, die nichts erbt. Und da der Grossteil der Erbschaften ausgerechnet in der Alterskategorie 55 bis 65 anfällt, handelt es sich hier nicht bloss um ein paar Einzelfälle.
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Ja, das kann man so sagen. Wenn man sich eine Welt vorstellen würde, in der Erbschaften einfach zerstört oder gleichmässig an alle verteilt würden, dann wäre das aggregierte Arbeitsangebot grösser. Vor allem in den rentennahen Jahrgängen.
Dazwischen. Beide Argumente haben ihre Berechtigung. Aus Sicht der Erben ist die Erbschaft ganz klar ein Vermögenszufluss ohne eigenes Zutun, vergleichbar mit einem Lottogewinn. Die Ausnahme sind erbende Ehegatten, die normalerweise auch zur Vermögensbildung beigetragen haben. Die Kinder aber eben nicht. Und wenn man einverstanden ist, dass der Staat Steuern eintreibt, dann ist das ein Ort, an dem es wirklich gerechtfertigt ist, Steuern zu erheben. Denn eine Erbschaftssteuer ist ziemlich einmalig unter den Steuern, indem sie die Leistungsanreize seitens der Erben nicht schmälert, sondern erhöht. Diese Betrachtung blendet aber den Erblasser aus, der das Vermögen angehäuft hat. Und hier gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, dass der letzte Wille des Erblassers Respekt verdient. Zudem ist zu beachten, dass allzu hohe Erbschaftssteuern dazu führen, dass die Erblasser versuchen, sie mittels organisatorischer Tricks oder Umzügen zu vermeiden.
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Ich habe ein Gutachten zuhanden des Finanzdepartements angefertigt, das zeigt, dass die Initiative durchaus zum Minusgeschäft für den Staat werden könnte. Je nachdem, wie viele hochvermögende Menschen wegziehen, würden die Steuereinnahmen unter dem Strich nur leicht steigen oder sogar sinken. Studien zeigen, dass reiche ältere Menschen bei solch hohen Sätzen tatsächlich bereit sind, ihren steuerlichen Wohnsitz zu verlegen.
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