Guten Tag,
Wolfgang Jenewein ist Coach von Sportlern wie Skifahrer Aleksander Kilde. Seine Tipps funktionieren auch im Businessalltag.
Vom Spielfeld ins Büro: Führungskräfte können von Sportcoaches viel für ihr Arbeitsteam lernen.
Tessy Ruppert / Midjourney (Diese Illustration wurde von einem KI-Modell generiert und von einem Menschen überprüft und finalisiert.)Werbung
Der Sieg ist zum Greifen nah. Doch dann geht alles schief. Das Segelboot kentert mitten im Atlantik. Der Autopilot fällt aus, das eiskalte Wasser strömt ins Boot, die Segel sind zerfetzt.
Diesen Albtraum erlebte der Schweizer Profisegler Oliver Heer bei einem Rennen zur Qualifikation für die Vendée Globe. Fünf Stunden kämpfte er mit seinem Boot, bis es wieder aufrecht war. Die Unglücksstelle lag nur wenige Kilometer entfernt vom Wrack der Titanic. Als das Adrenalin nachliess, kam die Todesangst.
Wer sich mitten in einem Segelrennen befindet, darf nicht mit seinen Trainern sprechen. Heer brach die Regel und rief seinen Coach Wolfgang Jenewein an. Die Verbindung war schlecht, es blieb keine Zeit für intensives Coaching.
Aber wenige Sätze halfen dem Segler, wieder zu mentaler Stärke zu finden: «Oliver, du wusstest, das kann irgendwann passieren. Wir haben dafür trainiert. Also hör auf, dich zu beschweren, und fang an, Lösungen zu finden. Embrace this shit!»

Wolfgang Jenewein hilft Spitzensportlern, über sich hinauszuwachsen.
Matteo Cogliati
Wolfgang Jenewein hilft Spitzensportlern, über sich hinauszuwachsen.
Matteo CogliatiWolfgang Jenewein, Leadership-Coach und Professor an der Universität St. Gallen, arbeitet seit über zwanzig Jahren mit Athleten und Managern. Seine Mission: Teams und Organisationen dabei unterstützen, den Arbeitsplatz in einen Ort zu verwandeln, an dem man gerne Leistung erbringt. Dabei verwendet er viele Analogien und Studien aus dem Spitzensport.
Jenewein sagt: Teams und Organisationen sind per Definition dysfunktional. Egal ob im Sport oder in der Wirtschaft. Nur verstehe man das im Sport besser: «Jeder Spieler bringt sein Ego, seine eigenen Ambitionen, Verletzungen und Ziele mit, die oft nicht mit denen der Mannschaft übereinstimmen.»
Coaches von Fussball- oder Eishockeyteams kennen die Geschichten ihrer Spieler und wissen, wie sie die einzelnen Mitglieder zu einem Team formen. Dafür besprechen sie nach jedem Spiel, wo das Team gut agierte. Und wo nicht.
Diese Konsequenz fehlt in der Wirtschaft häufig. Hier versuchen Manager, die besten Experten für die jeweilige Position zu rekrutieren, doch dann fehlen Zeit und Nerven, aus diesen genialen Individuen ein funktionierendes Team zu formen. Die Folge: Wer nicht am Wir arbeitet, muss sich nicht wundern, wenn das Team nur Mittelmässigkeit liefert.
Im Fussball wird jede Woche darüber reflektiert, wo die Stärken der einzelnen Spieler liegen und wo diese Superpower das Team weiterbringt. In Organisationen dominiert hingegen die Frage, wo Fehler passieren und wie man sie verhindert. Das ist auf Dauer demotivierend.
Wolfgang Jenewein ist Titularprofessor an der Universität St. Gallen und geschäftsführender Inhaber derJenewein AG, einer Leadership- und Kulturberatung. Der Betriebswirtschafter beschäftigt sich mit High-Performance-Teams, positiver Führung und der kulturellen Transformation von Organisationen in Wirtschaft und Sport. Er ist Kolumnist für den «Harvard Business Manager» und das «Manager Magazin». Vom Magazin «Focus» wurde er als einer der einflussreichsten Coaches im deutschsprachigen Raum gewählt.
Als Crossfit-Masters-Athlet gehört Jenewein weltweit zu den Top fünfzig in seiner Altersklasse. Demnächst erscheint ein Dokumentarfilm über seine sportliche Leidenschaft mit dem Titel «Fittest Old Man on Earth». Seine Erfahrungen bringt er als Keynote-Speaker auf die Bühnen. Jenewein ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
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Teamsport ist das eine. Jenewein coacht aber auch Einzelsportler wie Skiheld Aleksander Aamodt Kilde oder Big-Wave-Surfer und Weltrekordhalter Sebastian Steudtner. Einzelkämpfer müssen im richtigen Moment abliefern. Viele gelten darum als Egoisten, als Ehrgeizige, denen niemand im Weg stehen darf. Teamgeist? Scheint zu fehlen. Jenewein widerspricht: «Kilde beispielsweise sagt von sich selbst, dass er alle zwei Wochen für 120 Sekunden ein Einzelathlet ist. Den Rest seines Lebens ist er Teamsportler.»
Was es bedeutet, Einzelsportler in einem Team zu sein, kennt Jenewein aus eigener Erfahrung. Er hatte sich mit Ende vierzig ein BHAG gesetzt – ein «Big Hairy Audacious Goal», also ein grosses, haariges, kühnes Ziel. Seines war, weltweit zu den besten fünfzig Athleten im Crossfit zu zählen. «Grosse Ziele motivieren uns viel mehr, als wenn wir nur sagen: Ich will fitter werden.»
Jenewein trainierte acht Jahre lang fünfmal pro Woche, arbeitete mit einem Coach, einer Ernährungsberaterin, einem Physio- und einem Schlafexperten zusammen. Und er reüssierte: Jenewein schaffte es an den Crossfit Open 2024 in seiner Altersklasse auf den dreissigsten Platz weltweit. Das erreichte er auch dank dem Druck, sein Team nicht zu enttäuschen.
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Was aber, wenn alles schiefläuft? Wenn eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters die Meisterschaft beendet, sich Skifahrer Kilde bei einem Sturz schwer verletzt oder wenn Oliver Heer mitten auf dem Atlantik in Not gerät? Es ist der Moment, in dem einen negative Emotionen übermannen. Das Gleiche passiert auch im Berufsalltag: wenn die Konkurrenz den besten Kunden abwirbt, die beste Mitarbeiterin kündigt oder sich das neueste Produkt als Flop herausstellt.
Die erste Reaktion erfolgt meist impulsiv. Ein Fussballcoach ruft laut aus und verflucht den Schiedsrichter. Ein Chef haut mit der Faust auf den Tisch. Dabei wäre es genau dann wichtig, dass keine Überreaktion erfolgt und man die negativen Emotionen beherrscht. «Entscheidend für den Erfolg ist am Ende nämlich nicht so sehr die Physis, sondern die mentale Stärke. Im Sport wie im Business», erklärt Jenewein. Es geht darum, auch unter Druck und trotz Tiefschlägen weiter ruhig und selbstbewusst zu bleiben. «In solchen Momenten muss man als Vorgesetzter einen Moment innehalten und sich fragen: Kontrolliere ich meine Emotionen oder kontrollieren sie mich?»
Die gute Nachricht: Diese emotionale Agilität kann man – wie einen Muskel – trainieren. Der erste Schritt ist «Showing up», also die Emotionen zuzulassen, sie nicht wegzudrücken. Im zweiten Schritt geht es um «Stepping out»: aus sich herauszutreten und die Gefühle zu beobachten. Sie gehören als das identifiziert, was sie sind, nämlich nur Gefühle und Gedanken. Dann folgt «Walking your why»: zu erkennen, wie man eigentlich sein will, welches Verhalten im Einklang mit den eigenen Werten steht. Dann kommt der vierte und letzte Schritt: «Moving on».
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Kleine Rituale fördern das gewünschte Verhalten, beispielsweise ein physischer Anker in Form eines Fotos des Enkelkindes in der Tasche. Droht man durch ein negatives Ereignis die Fassung zu verlieren, berührt man erst das Bild und fragt sich: Möchte ich, dass mich mein Enkelkind so sieht? Erst dann reagiert man.
Das ist es, was auch Oliver Heer half: Statt sich zu fragen, «warum gerade ich?», akzeptierte er, was war. Er baute mentale Stärke auf und suchte nach Lösungen. Er erreichte New York mit seinem malträtierten Schiff. Der Anruf beim Coach wurde als Nothilfe klassifiziert. Heer qualifizierte sich für die Vendée Globe und beendete diese auf dem stolzen 29. Rang.
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