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Verhandlungen im Retailmarkt

Warum fehlt die Lieblingsmarke im Regal?

Ein Griff ins Regal – und Leere. Was nach Lieferproblemen aussieht, ist ein knallharter Machtkampf um Einkaufskonditionen im Detailhandel.

Tina Fischer

<p>Ausverkauft, nicht lieferbar oder Auslistung als Politikum? Für den Kunden ist nicht immer klar, warum ein Produkt im Regal fehlt.</p>

Ausverkauft, nicht lieferbar oder Auslistung als Politikum? Für den Kunden ist nicht immer klar, warum ein Produkt im Regal fehlt.

imago/Sabine Gudath

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Besuch im Laden, Griff ins Regal – doch Leere herrscht beim bevorzugten Markenprodukt: Die beliebte Packung Kellogg’s fehlt, die Bereiche für Coca-Cola liegen brach, und bei den Schminkprodukten von L’Oréal informiert ein Schild, dass Lieferschwierigkeiten bestehen. Das ist zumindest der vorgeschobene Grund.

Meistens steckt dahinter der Kampf um die Einkaufskonditionen zwischen Händlern und Lieferanten. In diesen Tagen starten die neuen Runden der Verhandlungsgespräche. Doch wer sitzt am längeren Hebel? Wer hat welche Optionen? Und wer vermittelt, wenn die Streithähne keine Lösung finden?

1. Der Machtkampf um jeden Rappen – wenn Giganten verhandeln

Wirtschaftsprüfer haben im Winter Hochsaison, Velohändler im Frühling, Badis im Sommer. Im Detailhandel ist es der Herbst: Einkäufer und Verkäufer starten dann mit den Jahresgesprächen, in denen sie die Einkaufskonditionen diskutieren. Preiserhöhungen, Aktionskosten, Werbepläne – alle Elemente der Zusammenarbeit stehen zur Verhandlung. Es sind Psychospiele auf höchster Ebene: Wer blinzelt zuerst? Wer verfolgt welches Ziel? Wo liegen die Grenzen der Forderungen?

Die Gespräche laufen im Hintergrund, doch nicht immer harmonisch. Ufern sie aus und aktiviert eine Seite die höchste Stufe, dann kommt es zum Liefer- oder Bestellstopp. So fehlten bis im August in den Migros-Regalen die Coca-Cola-Flaschen. Über die Jahre traf es abwechselnd Rivella-Getränke, Kellogg's-Cornflakes, Thomy-Tuben, Buitoni-Pizzen, Uncle-Ben’s-Reis, Garnier-Shampoos und weitere Produkte.

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2. An ihnen führt kein Weg vorbei – das Duopol der Schweizer Detailhändler

Den Schweizer Detailhandel beherrscht trotz Markteintritt von Aldi und Lidl nach wie vor das Duopol Migros und Coop. Gemeinsam halten die beiden einen Marktanteil von fast 70 Prozent. Käme bei der Migros noch Denner dazu, wären es gegen 80 Prozent. Wer als Marke hierzulande bestehen will, ist auf sie angewiesen – und bezahlt fürs Gesehenwerden. Listungsgebühren, Regalstopper, digitale Screens oder Anzeigen in den Hauszeitschriften: Jede Sichtbarkeit hat ihren Preis. Nationale Kampagnen mit Paletten an bester Lage im Laden kosten schnell sechsstellige Beträge.

Finden sich Händler und Lieferant nicht, hat der Händler mehrere Optionen: Er kann über Parallelimporte versuchen, die Ware aus dem Ausland günstiger zu erhalten, oder er befüllt die Regale temporär mit Alternativprodukten. So wie die Migros im Sommer – statt Fanta und Sprite verkaufte sie türkische Limonaden. Und Coop führte im Jahr 2019 als Reaktion auf die 450-Milliliter-Flaschen von Coca-Cola die Cola-Linie «Happy Cola» ein.

3. Die Macht der Megamarken – wenn es ohne nicht geht

Manche Marken sind einfach unersetzlich. Coca-Cola etwa bleibt im Sortiment, weil der Kundenwunsch stärker ist als jede Gewinnerwartung. Auch Produkte von Lindt, Nestlé oder L'Oréal haben ähnliche Macht: Sie wurden schon temporär aus den Regalen verbannt, kommen aber immer zurück. Warum? Diese Premiumbrands locken Kundinnen und Kunden in die Läden. Fehlt die Lieblingsschokolade, das bevorzugte Shampoo oder der Lieblingssnack der Kinder bei einem Detailhändler, wechselt die Kundschaft den Laden – und erledigt dort gleich den ganzen Wocheneinkauf.

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Die Markenriesen wissen um ihren Vorteil und reizen diesen so weit aus, wie es für No-Name-Produkte undenkbar wäre. Und auch wenn die Schweiz in Bezug auf die Margen ein attraktiver Markt ist, können viele der grossen Marken auf den vergleichsweise geringen Umsatz – zumindest temporär – verzichten. Diese Abhängigkeit kennen Globalkonzerne wie Unilever mit Dove und Knorr, Procter & Gamble mit Ariel und Pampers, Mars mit Snickers und Pedigree oder auch Emmi mit Caffè Latte.

4. Die Geheimnisse der Einkaufsallianzen – wenn Händler kooperieren

Weil die Macht der Marken gross ist und einzelne Detailhändler an ihre Grenzen kommen – oder schlicht nicht zufrieden sind mit ihren Resultaten –, schliessen sie sich mit anderen Detailhändlern zu internationalen Einkaufsallianzen zusammen. Coop gehört zur in Genf ansässigen Agecore und gründete diesen Frühling zusätzlich die neue Allianz Vasco mit der belgischen Kette Colruyt und der niederländischen Superunie. Ein Austritt aus Agecore sei aber nicht geplant.

Die Migros zählt bei der Verhandlung der Konditionen auf die ebenfalls in Genf ansässige Allianz Epic Partners, die auch die deutsche Edeka vertritt. Die Allianzen geraten immer wieder in den Fokus der Wettbewerbskommission (Weko), doch solange die Mitglieder der Einkaufsallianzen in unterschiedlichen Märkten agieren, werden sie weniger als potenzielle Wettbewerber gesehen. Ausser in Frankreich: Dort trat Intermarché aus Agecore aus, da die französische Wettbewerbsbehörde das gesamte Geschäftsmodell von Einkaufsallianzen infrage stellte.

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5. Wenn zwei sich streiten – geht die Weko dazwischen

Nicht nur bei den Einkaufsallianzen rufen viele nach der Wettbewerbskommission. Sie ist auch der Schiedsrichter im Kampf Detailhändler gegen Produzent. Und sie hat alle Hände voll zu tun. Gerade testet sie im sprichwörtlichen Sinn die «Lex Nivea»: Dank dieser Verschärfung des Kartellgesetzes können sich Detailhändler gegen in ihren Augen überhöhte Einkaufspreise von Lieferanten wehren. Im Frühjahr klagte die Migros gegen Beiersdorf. Sie soll für Nivea-Cremes im Einkauf 4,89 Euro bezahlt haben, während deutsche Kunden für dasselbe Produkt 4,13 Euro im Laden bezahlen. Ein klassischer Schweiz-Zuschlag, den die Weko nun unter die Lupe nimmt.

Aber auch die Händler können Ärger mit der Weko bekommen: Preisabsprachen untereinander sind verboten, doch genau das sollen 16 Schweizer Händler gemacht haben. Über die Einkaufskooperation Markant hätten sie sich abgesprochen. Nun müssen sie 28 Millionen Franken Busse zahlen.

Fazit

Der Detailhandel ist im Hintergrund Schauplatz eines erbitterten Machtkampfs. Es stehen mächtige Detailhändler mit riesigen Verkaufsvolumen den mächtigen Globalkonzernen mit praktisch unersetzbaren Markenprodukten gegenüber. Beide Seiten ringen um jeden Rappen bei den Einkaufskonditionen – und sind trotzdem aufeinander angewiesen.

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Besonders deutlich zeigt sich das bei Produkten, die umgangssprachlich an «Aktionitis» leiden, also vom Kunden als typische Aktionsprodukte gesehen werden: etwa Toilettenpapier oder Waschmittelpulver. Die grossen Abverkäufe finden in Aktionen statt – eine nationale Aktion kostet aber sechsstellig. Der Hersteller bezahlt den Preis, da er die beste Lage im Laden will; der Detaillist benötigt die Aktionskosten und die Kundenfrequenz, die starke Marken in seine Läden bringen. Eine Abhängigkeit, die beide Seiten zu Kompromissen zwingt – oder zu Auslistungen führt, wenn die Verhandlungen scheitern.

Über die Autoren
Tina Fischer

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