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BILANZ-Briefing

Tina und Taco regieren weiter

Der Chefredaktor über den US-Börsenboom, die KI-Mania, Transparenz-Verweigerung in den USA und Navratils Premiere.

Dirk Schütz

<p>«Die zentrale Botschaft des ersten Herbsts in Trumps zweiter Amtszeit: Niemand juckts», schreibt BILANZ-Chefredaktor Dirk Schütz.</p>

«Die zentrale Botschaft des ersten Herbsts in Trumps zweiter Amtszeit: Niemand juckts», schreibt BILANZ-Chefredaktor Dirk Schütz.

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Man hört nicht mehr viel von ihm, hauptsächlich widmet sich der Ex-Cowboy-Präsident seinem nicht explizit maskulinen Hobby auf seiner Ranch in Texas: Der Malerei. Doch ein Satz von Bush junior, US-Präsident bis 2008, hallt nach, ausgesprochen nach der ersten Amtsantritts-Rede Trumps 2017: «That was some weird shit.»

Wer sich die Zeit nimmt, die mäandernden Einlassungen Trumps im Original zu verfolgen, dem bleibt vor allem die Einschätzung: Besser ist es seit dem Verdikt seines republikanischen Parteikollegen nicht geworden. Schon bei seinem ersten Auftritt drei Tage nach der zweiten Vereidigung via Video am WEF in Davos überschüttete Trump im Januar die Zuschauer mit einem ungeordneten Schwall von Prahlereien, Rechtfertigungen und Attacken, und seitdem geht es so weiter, ob Uno, Militär oder spontane Pressemeetings. Es ist die ultimative Entleerung des gesprochenen Worts.

Doch entscheidend ist, das ist die zentrale Botschaft des ersten Herbsts seiner zweiten Amtszeit: Niemand juckts – Tina und Taco regieren weiter. Noch immer ist das Wachstum in den USA in der westlichen Welt unerreicht, Trumps Instinkte bleiben wirtschaftsfreundlich, der Zinssenkungs-Zyklus hat gerade erst begonnen, und die Technologie-Zukunft wird in den USA gemacht. Für die Börse gilt damit noch immer «There is no alternative», das zeigen die Höchststände. Und dass der Don bei wirklich grossen Gefahren zurückzieht, hat er den Finanzmärkten mehrfach bewiesen, allem Säbelrasseln zum Trotz: He is always chickening out. Als letzten Trump-Put gibt es zudem noch den Erwachsenen Bessent als Besänftiger im Raum. Weird shit? Ziemlich viel. Doch die harte Wahrheit lautet derzeit noch, allem Grummeln an den Kreditmärkten und durchaus ansprechenden Aktienmärkten in Europa zum Trotz: Für die Börse bleiben die USA die erste Adresse.

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Gold und KI

Allerdings: Eine Achillesferse hat der Boom – die riesige Abhängigkeit von KI. Mit seinem Börsenwert von mehr als 4000 Milliarden Dollar, mehr als doppelt so viel wie der Wert aller Schweizer Aktien, steht der KI-Chip-Riese Nvidia mittlerweile für acht Prozent des breiten S&P 500 Indexes – die grösste Konzentration seit mehr als 40 Jahren. Die Firma mit dem Lederjacken-CEO Jensen Huang trage «die Verantwortung für das Wirtschaftswachstum in den USA», folgert gar die Deutsche Bank.

Wie gross die Produktivitäts-Gewinne durch KI wirklich sind, steht noch in den Sternen. Real sind dagegen die Investitionen. 400 Milliarden Dollar haben dieses Jahr allein die grossen US-Tech-Firmen in KI investiert. Doch diese Ausgaben fliessen vor allem in den Ausbau der Infrastruktur – es sind die Schaufel-Käufe des KI-Goldrushs. Und ja, selbst die grössten Pessimisten werden kaum bestreiten, dass viel Gold im KI-Graben zu finden sein wird. Jedoch: Noch fehlt die Killer-Applikation mit Milliarden-Einnahmen. Selbst der Pionier Open AI schreibt dieses Jahr einen weiteren heftigen Milliardenverlust.

Allein die Nvidia-Aktie ist in den letzten drei Jahren um 1300 Prozent gestiegen, in den letzten zwölf Monaten waren es nochmal 40 Prozent. Blasen erkennt man bekanntlich erst, wenn sie platzen, aber dass Amazon-Grande Bezos bereits von einer «guten Blase» fabuliert, muss kein gutes Zeichen sein. Fakt ist: Auch die Nervosität ist hoch. Denn die andere Asset-Klasse, die einen Höhenflug wie selten erlebt, ist das reale Gold: Eine Kurssteigerung von fast 50 Prozent seit Jahresbeginn. Gold als KI-Hedge – da trifft die alte Welt die neue Welt.

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Transparenz-Verweigerung

Und dann bleibt die Frage: Können wir den Zahlen noch trauen? Dass der neue Chef der Börsenaufsicht SEC Trumps Wunsch nach einer Abschaffung der Quartalsberichterstattung voll unterstützt, lässt Alarmlampen leuchten. Bei seinem ersten Anlauf 2018 war Trump noch abgeblitzt, und dass er selbst nicht unbedingt ein Fan von properer Buchhaltung ist, belegt der lockere Zahlen-Umgang bei seinen eigenen Unternehmenspleiten. Die US-Regulatoren sahen in ihren strengen Transparenz-Pflichten immer einen wesentlichen Grund für ihre höheren Bewertungen im Vergleich zum Rest der Welt. Die Gefahr der Vertuschung steigt. Doch bei den CEOs seiner Grosskonzerne sammelt der Präsident damit Punkte.

Wobei: Selbst in der Schweiz ist die Lage nicht eindeutig. Formal veröffentlichen zwar alle Grossfirmen brav ihre Quartalsberichte. Doch Zürich oder Swiss Life etwa melden nach drei und neun Monaten nur Einnahmen-Zahlen, auch Roche nennt nur den Umsatz, während Novartis auch Profit-Zahlen veröffentlicht. Und auch unser einstiger Vorzeigekonzern zeigt sich bei den Neun-Monatszahlen asketisch – es gibt nur Umsatzangaben, keine Profitzahlen. Doch beim nächsten Mal gibt es eine andere Attraktion.

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Nächste Woche: Nestlés Neuer

Es wird sein erster grosser Auftritt: Nächsten Donnerstag präsentiert der frische Nestlé-Chef Philipp Navratil erstmals das Zahlenwerk des Nahrungsmittelriesen, flankiert von Finanzchefin Anna Manz. Quantensprünge sollte niemand erwarten, eher Charakter-Impressionen im Q&A-Teil: mehr Dynamik, mehr Performance-Anspruch, mehr Aktionärs-Ansprache.

Die Frage wird sein: Wie gross ist der Druck? Die Aktie hat sich in den letzten Tagen erholt. Bislang will Navratil dieses Jahr keinen Kapitalmarkttag mehr abhalten. Doch erst wieder am 19. Februar zu den Jahreszahlen von den Investoren auftauchen? Scheint in dieser Phase der monströsen Erwartungen auch heikel. Das Dilemma des neuen Chefs: Der Markt fordert ein Aufbruch-Signal, aber es soll auch substantiell sein – und das ist bei dem Tanker Nestlé schwierig. Wie einsam die dünne Luft an der Spitze ist, wird Navratil in Rekordzeit erfahren.

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Dirk Schütz

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