Guten Tag,
Der Chefredaktor über AT1-Anleihen, Nestlés Wachstum, Stimmrechtsberater und die Lagebeurteilung von Martin Schlegel.
«Vor allem für die Finma ist das Urteil zu den AT1-Anleihen ein Desaster», schreibt BILANZ-Chefredaktor Dirk Schütz.
BilanzWerbung
Umso länger, umso härter: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über die AT1-Abschreibungen liess aus nebulösen Gründen mehr als zwei Jahre auf sich warten, ist dafür aber in seiner Radikalität umso überraschender – die Abschreibung der CS-Anleihen am heissen Fusions-Wochenende als rechtswidrig zu taxieren, zeigt eine veritable Machtdemonstration der Judikative, die sich der geballten Staatsmacht von Finma, Finanzdepartment und Nationalbank entgegenstellt. Weniger heroisch könnte man aber auch sagen: ein Cheap Shot. Denn die Richter wissen nur zu gut: Das Bundesgericht kann die Sache rückgängig machen, und zur zentralen Frage gibt es keinen Entscheid, nicht mal einen Hinweis: Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld? Bis zu 16,5 Milliarden Franken dieser spezifischen Wandelanleihen stehen im Feuer und könnten beim Staat oder bei der UBS landen. Schön, wenn man sich die reine Lehre gönnen kann.
Was nichts daran ändert: Vor allem für die Finma ist das Urteil ein Desaster. Von den drei Vertretern der Ur-Troika bei CS-Untergangs-Beginn im Oktober 2022 ist nur noch Präsidentin Amstad im Amt. Schon direkt nach der Verkündung der AT1-Abschreibungen gab es unter den Klageanwälten Wetten, dass die oberste Finma-Vertreterin ein negatives Urteil nicht auf ihrem Posten überleben würde. Ihre Behörde hat die Abschreibungen früh ins Spiel gebracht, und die UBS war clever genug, bei ihrem ersten Forderungskatalog im März 2023 das Thema nicht aufzubringen – auch weil sie sicher sein konnte, dass die Finma die Sache bereits losgetreten hatte. Der damalige Finma-Direktor Angehrn ist längst über alle Berge.
Finanzministerin Keller-Sutter hat Amstads Amtszeit im September 2024 um drei Jahre verlängert. Das hilft in Zeiten, in denen sie nicht wirklich einen Lauf hat. Amstad bleibt das schwächste Glied. Ungemütlich.
Das nennt man einen Raketenstart: Mehr als 15 Milliarden Franken, so viel wie der Börsenwert von Bär und Vontobel zusammen, hat Nestlé gestern an Wert gewonnen, die mehr als neun Prozent sind die höchste Steigerung seit der Finanzkrise 2008. Ja, die Wachstumszahlen lagen über den Erwartungen, aber verantwortlich für den Sprung war vor allem die starke kommunikative Marke, die der neue CEO Philipp Navratil in der Medienmitteilung setzte: Keine Einleitung, kein Gesäusel, sondern gleich eine harte Ansage. Er fordere eine «auf Leistung ausgerichtete Kultur, welche «Erfolg belohnt». Eigentlich eine Banalität, die sein amourös freigeistiger Vorgänger Freixe offenbar nicht wirklich lebte. Und die Erkenntnis: Wenn man mit Banalitäten so viel erreichen kann, muss das Potential gross sein.
Dass der Nahrungsmittelriese mit seinen mehr als 270 000 Mitarbeitenden noch immer gerade im Hauptquartier im beschaulichen Vevey eine Wohlfühl-Oase bietet, weiss Navratil nur zu gut. «Keine Tabus» lautet die Überschrift unserer aktuellen Titelgeschichte, «die gebeutelten Aktionäre dürfen hoffen», heisst es im Lead. Der Anfang ist gemacht. Nestlé war lange der Olymp von Corporate Switzerland. Das muss es wieder werden.
Werbung
Und dann mal tatsächlich eine gute Nachricht aus den USA: Da hat also Glass Lewis, der kleinere der beiden grossen Stimmrechtsberater hinter ISS, tatsächlich bekannt gegeben, keine Empfehlungen mehr bei Abstimmungen abzugeben.
Auch in der Schweiz haben viele institutionellen Anleger ihre Stimmrechte an die Duopol-Firmen ausgelagert, und so quälen die Berater auch hiesige Unternehmen mit Amtszeitlimiten, Salär-Massregelungen und Quoten. Jetzt wolle man «die Kunden unterstützen», wie der Chef Bob Mann festhält. Riecht ebenfalls nach Banalität. Hoffen wir, dass der Verzicht auch hierzulande schnellstens umgesetzt wird – und ISS bald nachzieht.
Das wird eine interessante Premiere am nächsten Donnerstag: Erstmals in ihrer 118-jährigen Geschichte wird die Nationalbank ein Protokoll ihrer geldpolitischen Lagebeurteilung veröffentlichen – die erste grosse Duftmarke, die der neue Vormann Schlegel gegen seinen Ziehvater «Big Thomas» Jordan setzt.
Wir dürfen gespannt sein: Erwartet uns ein langfädiges, ausbalanciertes Elaborat wie bei der EZB, wo ein Ausdruck der «Minutes» gegen 30 Din-A-4-Seiten verschlingt? Oder treffen wir auf schweizerische Präzision? Sagen wir es so: Eine heftige Debatte darüber, ob die Nationalbank Negativzinsen einführen wollte, ist kaum zu erwarten. Das Motto für die nächsten Monate lautet: 0,0 for longer. Klingt kaum nach einem Krimi.
Werbung
P.S: Wir suchen wieder die Digital Shapers der Schweiz. Wer treibt die Digitalisierung voran? Wer bringt das Land in die Zukunft? Wer ist Vorreiter in Sachen KI, Cloud, Robotik ...? Helfen Sie uns, die Richtigen zu finden! Entdecken Sie alle Kategorien und nominieren Sie.
Werbung