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Öko-Spezial: Max Havelaar - «Es geht nicht ums Bekehren»

Die neue Chefin der Max Havelaar-Stiftung, Nadja Lang, will mehr Lifestyle ins Fairtrade-Sortiment bringen und hofft, dass sich nach Migros und Coop die Markenartikelhersteller vermehrt für das Label begeistern.

Karin Kofler

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BILANZ: Frau Lang, Max Havelaar feiert dieses Jahr den 20. Geburtstag. Wären Sie lieber 1992, in der Pionierzeit, an der Spitze der Organisation gestanden oder heute?

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Nadja Lang: Die Jobs sind nicht vergleichbar. Im Jahr 1992 musste man harte Aufbauarbeit leisten für die Lancierung des ersten Fairtrade-Kaffees bei Coop und Migros. Heute tragen 1600 ­Produkte das Max-Havelaar-Gütesiegel. Nachhaltigkeit und Fairtrade sind in aller Munde. Das macht die Arbeit jedoch nicht unbedingt einfacher.

Warum? Sie rennen heute bei den Firmen offene Türen ein.

Ja, klar. Aber da sich inzwischen viele ­Organisationen und auch die Unternehmen selbst stärker mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen, müssen wir den Wert und die Wirkung unserer ­Labels besser herausstreichen. Früher waren nachhaltige Produkte auch auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschneidert. Heute spricht Max Havelaar mit dem Thema alle an. Das ist ein fundamentaler ­Unterschied.

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Und was heisst das für die Strategie von Max Havelaar?

Wir sind erwachsen geworden. In den nächsten Jahren geht es darum, den Sprung von der Nische in die Massenmärkte, der bei Produkten wie Bananen oder Rosen schon gelungen ist, auf ­breiter Front zu schaffen. Das heisst konkret, dass wir die Produktpalette und die Absatzkanäle deutlich erweitern müssen. Hier steht nebst dem Retail die Gastro­nomie im Vordergrund, deren Umsatz­anteil wir in den letzten Jahren von drei auf elf Prozent anheben konnten. Wir wollen mit Max Havelaar aber auch vermehrt die Markenartikelhersteller er­reichen.

PKZ führt unter ihrer Marke Paul Kehl neu eine Herrenunterwäsche-Linie mit dem Max-Havelaar-Signet in edler, sexy Ver­packung. Max Havelaar als Lifestyle-­Objekt – ist das Ihre Vorstellung von Fairtrade?

Das ist ein gutes Beispiel für die Art, wie Fairtrade-Artikel heute daherkommen können. Ich bin dezidiert der Meinung, dass wir mit unseren Produkten dort sein müssen, wo auch die Präferenzen der Kunden sind. Beispiel Kaffee: Seit Jahren erfreut sich der Kapselkaffee steigender Beliebtheit. Diesem Trend können wir uns nicht verschliessen. Für Fairtrade wäre es zweifellos ein Durchbruch, wenn grosse Anbieter wie zum Beispiel Nestlé ein Angebot an Fair­trade-Kapseln hätten.

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Nestlé arbeitet aber mit Ihrer ­Kon­­kurrenz­organisation Rainforest Alliance ­zusammen. Warum nicht mit Max ­Havelaar?

Nestlé arbeitet punktuell mit Fairtrade zusammen – zum Beispiel in England bei der Marke KitKat. Der Konzern hat traditionell ein etwas distanzierteres Verhältnis zu NGO. Generell kann man sagen: Die Kriterien, die Max Havelaar an ­Unternehmen stellt, sind sehr streng, die Standards umfassend. Das macht die Umstellung anspruchsvoll. Zudem werden Marken über Jahrzehnte gepflegt, das Image wird rigoros überwacht. Den ­Herstellern fällt es schwer, Kontrolle ­abzugeben und Einblicke in ihre Lieferkette zu geben.

Wie wollen Sie diese Widerstände ­abbauen?

Mittels Dialog und Information über die Wirkung, die über das Label erzielt wird. Es gab bereits erste Erfolge. Vor kurzem hat beispielsweise der Süsswarenhersteller Mars eine Kooperation mit Fair­trade International, unserer Dachorganisation, angekündigt. Auch die amerikanische Kaffee­hauskette Starbucks setzt seit einiger Zeit für die Espresso-Getränke voll und ganz auf Fairtrade.

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Der schweizerische Detailhandel hat ein ­hartes Jahr hinter sich mit massiven ­Umsatzverlusten. Wie hat sich das auf Max Havelaar ­ausgewirkt?

Wir haben ein sehr gutes Jahr mit einem Umsatzplus von acht Prozent verzeichnet. Das hat vor allem damit zu tun, dass mehr Produkte mit unserem Gütesiegel auf den Markt kamen. Den Preisdruck im Detailhandel spüren wir schon bei ­einzelnen Produkten. Ananas zum ­Beispiel ist sehr konjunkturanfällig. Auch merken wir, dass es in solch schwierigen Zeiten manchmal länger dauert, bis man ein Projekt mit einem Partner durchbringt.

Die Ausgangslage in der Schweiz ist ­bequemer als anderswo. Die Detail­handelsriesen Migros und Coop setzen beide seit Jahren auf ­Nachhaltigkeit.

Ja, wir haben das Glück, dass diese beiden Konzerne dem Thema ein hohes ­Gewicht geben. Max-Havelaar-Produkte sind meistens leicht teurer als andere, aber sie bieten einen klaren Sympathie-Mehrwert. Es hilft uns sicher auch, dass wir in dem Land tätig sind, das den höchsten Pro-Kopf-Konsum an Fair­trade-Produkten hat, die höchste Recycling- und eine hohe Spendenquote.

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Dieser Pro-Kopf-Konsum liegt derzeit bei 39 Franken. Zufrieden?

Auf keinen Fall. Wir stehen damit in ­Europa zwar an der Spitze, 39 ­Franken sind allerdings noch immer bescheiden. Wir möchten, dass der Wert sich auf 100 Franken erhöht – wenn möglich bis im Jahr 2015.

Sie wollen die Schweizerinnen und Schweizer zu mehr Fairtrade bekehren?

Es geht nicht ums Bekehren. Mir ist durchaus klar, dass es Konsumenten gibt, die jeden Franken umdrehen ­müssen. Unser Ziel ist, die Bevölkerung besser über unser Anliegen und die Breite unseres Sortiments zu informieren. Denn viele Menschen assoziieren uns noch immer nur mit Bananen und Kaffee. Deshalb haben wir im Frühjahr die Fairtrade-Breakfast-Aktion gestartet – gemeinsame Frühstücke, die auch zeigen sollen: Genuss und Fairtrade schlies­sen sich nicht aus.

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Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der heute inflationär gebraucht wird. Jede halbwegs grosse Firma legt im ­Geschäftsbericht Rechenschaft über das Thema ab. Wie viel echtes ­Engagement steckt dahinter?

Dass das Thema auf dem Radar der Wirtschaft angekommen ist, kann uns nur freuen. Die Skepsis gegenüber Organisationen wie der unsrigen ist dadurch ­gesunken. Ich treffe viele Führungskräfte, die es wirklich ernst damit meinen, und zwar nicht nur aus Profitgier, sondern aus Überzeugung, denn auch sie haben Kinder und wollen ihnen eine gute Welt hinterlassen. Bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsprinzipien und sozialen Standards gibt es jedoch grosse ­Unterschiede. Kinderabeit ist ein gutes Beispiel dafür. Es gehört heute zum guten Ton, dass Firmen auf ihrer Homepage schreiben, dass sie sich gegen Kinderarbeit einsetzten. Aber das allein schafft diese nicht aus der Welt.

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Was ist daran falsch?

Es wird immer so getan, als würden die Menschen ihre Kinder absichtlich aufs Feld oder in die Fabrik statt in die Schule schicken und wir müssten sie mit Ver­boten zu einem Umdenken zwingen. Dabei tun es die meisten von ihnen aus purer Not. Werden die Lebensbedin­gungen dieser Menschen verbessert, wird sich das Thema Kinderarbeit von ­allein ­reduzieren. Genau das ist ja unser Weg: Max Havelaar stärkt die Organi­sationsstrukturen vor Ort und vermittelt den Produzenten ein existenzsicherndes Grundeinkommen.

Die Rohstoffpreise erlebten in der Vergangenheit eine wahre Hausse. Jetzt ist Kaffee wieder günstiger geworden. Was heisst das für die Bauern?

Der Marktpreis für Kaffee unterliegt gros­sen Schwankungen. Deshalb haben wir bei Fairtrade den Mindestpreis, der auch zu Baisse-Zeiten Stabilität bringt. Hohe Rohstoffpreise sind natürlich positiv und ­essenziell für die Bauern. Sie kommen ­allerdings nie eins zu eins beim Bauern an. Der Zwischenhandel profitiert mit. Durch die Förderung direkter Handelsbeziehungen geht mehr Geld ­direkt zum Bauern.

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Sie reisen regelmässig in die Ursprungsländer, um sich ein Bild zu machen. ­Welche Schlüsse ziehen Sie aus solchen Reisen?

Extrem viel Motivation und natürlich Ideen, was wir noch besser machen könnten. Wenn ich sehe, wie Fairtrade das Leben der Menschen verbessert, ist das eine sinnstiftende Entschädigung für unsere tägliche Arbeit hier. Die ­Reisen nehmen mich aber manchmal auch sehr mit.

Können Sie überhaupt noch normale ­Produkte konsumieren?

Natürlich. Aber man wird radikaler, wenn man weiss, unter welchen Bedingungen Rohstoffe angebaut werden. Am frappantesten zeigt sich dies bei der Schokolade. Kaum ein anderes Produkt wird in der Werbung so idyllisch dargestellt – mit weidenden Kühen, Milch­kesseln usw. Die Realität ist eine andere. Die Kakaobauern in Afrika kämpfen ­täglich ums Überleben. Seit ich das mit eigenen Augen gesehen habe, esse ich nur noch zertifizierte Schokolade.

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Nachhaltige Stiftung: Nadja Lang (39) ist seit Anfang Jahr ­Geschäftsführerin der Stiftung Max Havelaar Schweiz. Die Betriebsökonomin HWV und zweifache Mutter, die ihre Laufbahn bei der Zürcher Kantonalbank startete, war zuvor sechs Jahr lang als Marketing- und Verkaufsleiterin der Stiftung tätig. Max Havelaar vergibt im Auftrag der Dachorganisation Fair­trade International das Fairtrade-Label in der Schweiz. Der ­Umsatz mit Max-Havelaar-Produkten belief sich 2011 auf 328,6 Millionen Franken – ein Plus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bananen und Blumen machen dabei den ­Löwenanteil aus. Die Stiftung, die von Hilfswerken gegründet wurde, finanziert sich aus Lizenzeinnahmen in der Höhe von knapp sechs Millionen Franken. Coop und Migros sind nebst 180 anderen Firmen die Hauptpartner von Max ­Havelaar. Doch selbst Aldi Schweiz führt Produkte mit dem Fair­trade-Label. 

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