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Makro: Gesundbeten gilt nicht

Warum Prognostiker nie die ganze Wahrheit sagen und Rezessionen nur im Rückspiegel zu erkennen sind.

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Pessimisten, sagt der Volksmund, erkenne man daran, dass sie überdurchschnittlich gut informiert seien. Trifft diese Redewendung auch nur annähernd zu, muss es um die Qualität von Konjunkturprognosen miserabel bestellt sein. Bereits zum zweiten Mal innert Jahresfrist ist die Schweiz in eine Rezession geschlittert – Ökonomen sprechen von «double dip» und vergleichen den Konjunkturverlauf mit einem Wellblech –, und wieder hat keiner der professionellen Wünschelrutengänger vorgängig etwas bemerkt, geschweige denn uns Konsumenten davor gewarnt.

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Nach Berechnungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) ist das Bruttoinlandprodukt der Schweiz im vierten Quartal 2002 um 0,7 Prozent und im ersten Quartal des laufenden Jahres nochmals um 1,0 Prozent zurückgegangen. Wie schon im zweiten Halbjahr 2001 durchlief das Land damit definitionsgemäss eine Rezession. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Rückfalls war von den führenden Prognoseanbietern im Vorfeld kaum thematisiert worden. Stattdessen hatten sich diese ausgiebig über allerlei vage Indikatoren ausgelassen, die darauf hindeuten sollten, dass die konjunkturelle Talsohle durchschritten sei und eine Wende zum Besseren unmittelbar bevorstehe.

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Phasen mit sinkender Wertschöpfung scheinen im Vokabular der Prognostiker nicht vorzukommen. Reizwörter wie «Rezession», «Deflation» oder «Depression» nehmen die Auguren erst in den Mund, wenn sich die Existenz der betreffenden Phänomene nicht mehr länger leugnen lässt, weil Beweise dafür vorliegen. Statt die Bevölkerung schonungslos aufzuklären und damit – wie man es eigentlich von ihnen erwartet – Pionierarbeit zu leisten, setzen sie sich lieber dem Vorwurf asymmetrischen Informationsverhaltens aus und revidieren ihre zu hoch angesetzten Vorhersagen nachträglich scheibchenweise nach unten.

Kein Wunder, ist die Gefahr eines wirtschaftlichen Einbruchs in den meisten Fällen schon wieder gebannt, wenn das R-Wort unter Konjunkturpäpsten salonfähig wird. Ob sich derlei Hinhaltetaktik nicht kontraproduktiv auswirkt? Auch hartnäckige Schönfärberei kann in einen kumulativen Abwärtstrend münden. Und zwar dann, wenn in den Köpfen der Leute statt eines konjunkturellen Optimismus eine grundlegende Skepsis bezüglich der Aussagekraft von Prognosen erzeugt wird. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass schlechte Nachrichten, die den Tatsachen entsprechen, die Chance auf eine Wende zum Besseren schmälern, gibt es hingegen keine. Die Angst der Konjunkturforscher vor sich selbst erfüllenden Prophezeiungen erscheint mithin übertrieben.

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Wie viele Fehlprognosen kann sich ein anerkannter Experte erlauben, bevor seine Glaubwürdigkeit erodiert? Hellseherische Fähigkeiten erwartet von den Konjunkturforschern gewiss niemand. Aber vielleicht doch etwas mehr intellektuelle Redlichkeit bei der Einschätzung wirtschaftlicher Schwächephasen. Immerhin gehen einzelne Institute inzwischen so weit, dass sie angesichts der anhaltenden Flaute auf wichtigen Exportmärkten für 2003 die Möglichkeit eines Nullwachstums in Betracht ziehen. Bezüglich des Risikos, dass die helvetische Wirtschaft über das gesamte Jahr hinweg schrumpfen könnte, schweigt man sich zum jetzigen Zeitpunkt dagegen noch aus.

den Zweckoptimismus der Prognostiker einmal durchschaut hat und ihren Vorhersagen keinen Glauben mehr schenkt, lässt sich auch von ihren gut gemeinten Durchhalteparolen nicht mehr motivieren. Die rosarot eingefärbte Datensammlung, welche uns die Forschungsinstitute im Vierteljahrestakt servieren, hat mit massenpsychologischer Taktik viel, mit der Präzision makro-
ökonomischer Modellrechnungen dagegen erschreckend wenig zu tun und kann im besten Fall als Placebo ohne Wirksubstanz bezeichnet werden. Lässt man sich davon verführen, ist die Enttäuschung vorprogrammiert.

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