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Teile der Wirtschaft kämpfen für einen Gegenvorschlag. Economiesuisse will keine Kompromisse eingehen. Eine riskante Strategie für den Verband.
Florence Vuichard
Uneins: Das Initiativkomitee mit Dick Marty steht bereit, Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer will – sekundiert von Swiss-Holdings-Präsident Karl Hofstetter und Unternehmer Ruedi Noser – mit Bundesrätin Karin Keller-Sutter in den Abstimmungskampf ziehen. Coop-Chef Joos Sutter, Ex-FDP-Ständerätin Erika Forster, Migros-Lenker Fabrice Zumbrunnen sowie Valiant-Präsident Jürg Bucher wollen sie – ausgerüstet mit Hans-Ueli Vogts Gegenvorschlag – zurückhalten.
Regina Vetter für BILANZWerbung
Es ist Viertel vor sieben, die Sitzung ist fast um, die Nationalräte freuen sich aufs Feierabendbier. Doch dann stellt die Baselbieter CVP-Politikerin Elisabeth Schneider-Schneiter einen Ordnungsantrag: Sie will eine Abstimmung wiederholen, weil, wie sie einräumt, «einige Ratsmitglieder falsch abgestimmt» hätten. Und so wird die Motion, die gewissen Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards eine Sorgfaltsprüfungspflicht aufbürden will und eineinhalb Stunden zuvor noch knapp angenommen worden war, in einem zweiten Anlauf gebodigt.
Ein Sieg. Aber einer mit schalem Nachgeschmack. Denn es ist gut möglich, dass sich die Wirtschaft ohne dieses Abwehrmanöver heute nicht in dieser misslichen Lage befinden würde, war es doch diese Abstimmung im Nationalrat, welche innerhalb der Hilfswerkszene jenen Kräften Aufwind gab, die zuvor schon überzeugt waren, dass einzig eine Volksinitiative die Politiker zum Einlenken bringen kann.
Und so lancierte keine anderthalb Monate nach der besagten turbulenten Nationalratssitzung vom 11. März 2015 eine Gruppe von 66 Nichtregierungsorganisationen die Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Angeführt wird das Komitee, das mittlerweile zu einem Konglomerat mit 120 Organisationen angewachsen ist, vom früheren FDP-Ständerat Dick Marty.
Die KVI entwickelt sich in der Folge für die Wirtschaftsverbände zu einer leidvollen Geschichte. Und nicht wenige in Bundesbern erinnern sich ob all den Winkelzügen an das Seilziehen rund um die Initiative «gegen die Abzockerei» von Thomas Minder. Die Initiative des Unternehmers und späteren Ständerats hat den Wirtschaftsverbänden eine Niederlage beschert, von der sie sich bis heute nicht richtig erholt haben. So etwas soll sich nicht wiederholen.
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Deshalb werden Economiesuisse und Swiss Holdings, die diesmal «Hand in Hand» arbeiten wollen, schon aktiv, bevor die KVI überhaupt eingereicht wird: Sie gründen eine «High-Level-Gruppe», zu der etwa Ex-Novartis-Mann Felix Ehrat oder Holcim-Schweiz-Präsident Kaspar Wenger gehören, geben ein Rechtsgutachten in
Auftrag, veranstalten ein erstes Mediengespräch und klappern «in der Vor-Kampagne» Kirchen- und Frauenverbände ab – «mit dem Ziel, Zweifel zu säen». Und als Abwehrdispositiv beschliessen sie, wie aus dem Protokoll der «Fachgruppe Kommunikation» von Swiss Holdings vom 6. Oktober 2016 zu entnehmen ist, ein «Renaming» auf «Konzern-Initiative».
Eine Massnahme, deren Ziel Aussenstehenden bis heute schleierhaft bleibt – und Insidern offenbar auch. Denn später taufen die Verbände den unliebsamen Volksvorschlag nochmals um: in «Unternehmens-Verantwortungs-Initiative». Auch das mit eher bescheidenem Erfolg.
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Siegessicher: Die Präsidenten von Economiesuisse und Swiss Holdings, Heinz Karrer (vorne) und Karl Hofstetter, sowie der Unternehmer Ruedi Noser (r.) sind überzeugt, dass sie die Konzernverantwortungsinitiative an der Urne besiegen können.
Keystone / Daniel Rihs / 13 PhotoSiegessicher: Die Präsidenten von Economiesuisse und Swiss Holdings, Heinz Karrer (vorne) und Karl Hofstetter, sowie der Unternehmer Ruedi Noser (r.) sind überzeugt, dass sie die Konzernverantwortungsinitiative an der Urne besiegen können.
Keystone / Daniel Rihs / 13 PhotoIm Grundsatz ist sich die Wirtschaft einig: Sie lehnt die Initiative ab, die auf Rohstoffkonzerne wie Glencore und Co. zielt, letztlich aber einen Grossteil der Unternehmen mit Sitz in der Schweiz treffen kann. Schliesslich verpflichtet die Initiative so ziemlich alle hiesigen Firmen zu Sorgfaltsprüfungen bezüglich Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards – und dies über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.
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Zudem sollen die Schweizer Konzerne für allfällige Verfehlungen ihrer Töchter und der von ihnen kontrollierten Unternehmen im Ausland haften. Doch so einig sich die Wirtschaftsakteure in ihrer Ablehnung der Initiative sind, bei der Beurteilung, wie sie diese am besten aus dem Weg räumen können, gehen die Meinungen weit auseinander.
«Economiesuisse plant mit Furrerhugi eine Gross-Kampagne.»
Vereinfacht gesagt, gibt es in der Wirtschaftswelt zwei Haltungen: Auf der einen Seite stehen jene, die überzeugt sind, dass sie diese Initiative an der Urne besiegen können, weshalb sie sich auch von Anfang an mit aller Kraft gegen einen Gegenvorschlag stemmten. Angeführt wird diese Gruppe von Economiesuisse und Swiss Holdings respektive von ihren Präsidenten Heinz Karrer und Karl Hofstetter. Ihr Gegenmittel ist eine «A-Kampagne», wie es im Economiesuisse-Jargon heisst, also eine grosse Kampagne mit einem Budget von bis zu acht Millionen Franken. «Wir sind bei der Planung schon sehr weit fortgeschritten», sagt Karrer. Die Agentur ist ausgewählt, den Zuschlag erhalten hat Furrerhugi.
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Die Umfragen der Initianten, die regelmässig eine Zustimmung von 70 bis 75 Prozent ausweisen, beunruhigen Karrer nicht. Das gehört zur typischen Ausgangslage im Leben einer Initiative: Zu Beginn erscheint ein Anliegen sympathisch und geniesst viel Zuspruch, doch im Verlauf einer Abstimmungskampagne beginnen die Gegenargumente zu greifen, und der Ja-Anteil schmilzt. In der Regel unter die magische 50-Prozent-Marke. Nur gerade 22 der 215 Volksinitiativen, über die bisher abgestimmt wurde, fanden eine Mehrheit. In der jetzt zu Ende gehenden Legislatur wurden sämtliche 15 Initiativen abgelehnt. Das gibt Karrer und seinen Mitstreitern Mut.
Zusätzlich verfügen sie über eigene Umfragen, die ihnen zeigen, dass die Meinungen in der Bevölkerung noch alles andere als gemacht sind. Ihr bester Verbündeter im Parlament ist der Unternehmer und FDP-Ständerat Ruedi Noser. Auch er zeigt sich überzeugt, dass diese Abstimmungsschlacht zu gewinnen ist. «Easy», sagt er.
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Auf der anderen Seite stehen Firmen und Verbände, die davon ausgehen, dass das Volksbegehren an der Urne eine reelle Chance hat. Sie verweisen auf die 30 000 orangen Fahnen, die in den letzten drei Jahren in der ganzen Schweiz aufgehängt wurden, und die 250 lokalen Komitees, die sich bis heute konstituiert haben. Ganz zu schweigen von den kirchlichen Gruppen und dem «Wirtschaftskomitee für verantwortungsvolle Unternehmen», dem sich etwa Peter Stämpfli oder Gipfelikönig Fredy Hiestand angeschlossen haben. Und ihnen ist nicht entgangen, dass die Initianten fast im Wochentakt irgendwo auftreten und – meist unwidersprochen – ihre Argumente darlegen können.
Die Kriegskasse der Initianten ist zwar nicht so gut gefüllt wie jene von Economiesuisse, aber auch sie verfügen über finanzielle Mittel für eine gross angelegte Kampagne: Für den eigentlichen Abstimmungskampf rechnen sie mit zusätzlichen Ausgaben von gut 1,3 Millionen Franken, zusammengetragen aus Mitgliederbeiträgen, Spendenaufrufen und Zustüpfen vonseiten der Trägerorganisationen.
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Teilen der Wirtschaft macht das Angst, sie weibeln deshalb für einen Gegenvorschlag, der zum Rückzug der Initiative führt. Sie versprechen sich davon eine gewisse Rechtssicherheit. Und sie wollen einen wüsten Abstimmungskampf vermeiden, der all die kommunikativen Bemühungen der letzten Jahre, das ramponierte Image der Wirtschaft und vor allem der Grosskonzerne aufzubessern, zunichtemachen könnte.
Skeptisch: Swiss-Textiles-Präsident Carl Illi (vorne), die IG Detailhandel mit Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen sowie das Komitee «Ja zur Unternehmensverantwortung mit Gegenvorschlag» mit Valiant-Präsident Jürg Bucher (r.) wollen mit einem Gegenvorschlag den Rückzug der Initiative erreichen.
Keystone / Kostas Maros / 13 PhotoSkeptisch: Swiss-Textiles-Präsident Carl Illi (vorne), die IG Detailhandel mit Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen sowie das Komitee «Ja zur Unternehmensverantwortung mit Gegenvorschlag» mit Valiant-Präsident Jürg Bucher (r.) wollen mit einem Gegenvorschlag den Rückzug der Initiative erreichen.
Keystone / Kostas Maros / 13 PhotoZu dieser Gruppe gehört die IG Detailhandel, die von Coop-Chef Joos Sutter präsidiert wird und in deren Vorstand auch die Lenker von Migros, Denner und Manor sitzen: Fabrice Zumbrunnen, Mario Irminger und Jérôme Gilg. Ebenfalls zu diesem Lager zählen Swiss Textiles mit ihrem Präsidenten Carl Illi, die Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren sowie praktisch die gesamte Westschweizer Wirtschaft: allen voran das Groupement des Entreprises Multinationales (GEM), ein Verband von gut 90 multinationalen Konzernen, zu deren Mitgliedern etwa Firmenich, Logitech, Richemont oder Procter & Gamble gehören. Ebenfalls auf die Seite der Befürworter eines Gegenvorschlags geschlagen haben sich die Fédération des Entreprises Romandes, das Centre Patronal sowie der Verband der Handelsbranche, die Swiss Trading & Shipping Association.
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Und dann gibt es noch das Komitee «Ja zur Unternehmensverantwortung mit Gegenvorschlag»: Mitglieder sind etwa der Valiant-Präsident und Ex-Post-Chef Jürg Bucher, die frühere FDPStänderätin Erika Forster vom Familienunternehmen Forster Rohner oder die ehemaligen Weko-Präsidenten Roland von Büren oder Walter Stoffel.
Die Folge dieser Zerrissenheit: Die Wirtschaftsakteure haben in den letzten drei Jahren sehr widersprüchliche Signale an die Politik ausgesendet. Die Situation ist umso verwirrlicher, als innerhalb einzelner Organisationen und gar innerhalb einzelner Unternehmen gleichzeitig unterschiedliche Stimmen zu hören sind.
Zuerst sah es noch danach aus, dass sich Economiesuisse und Swiss Holdings durchsetzen würden. Die Initiativ-Gegner lobbyierten sich erfolgreich durch die Departemente, sodass die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga mit ihren Vorstellungen eines Gegenvorschlags bereits im Bundesrat auflief, obwohl sie nur eine äusserst milde Form von Berichterstattungspflicht einführen wollte.
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Auch die ersten Bemühungen des Parlaments, selbst einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, wurden schnell abgewürgt – bis zum Auftritt des Rechtsprofessors und SVP-Nationalrats Hans-Ueli Vogt: Mit seinen Kollegen in der Rechtskommission legte er im Rahmen der seit Jahren festgefahrenen Aktienrechtsrevision einen Gegenvorschlag auf den Tisch, bei dem die Initianten den Rückzug der Initiative versprechen. «Das war ein Schock für die Wirtschaftsverbände», erzählt ein Involvierter. Und es war der Startschuss für ein erneutes Kräftemessen zwischen den beiden Wirtschaftslagern und den beiden parlamentarischen Kammern: Während der Nationalrat seinen Willen zum Gegenvorschlag schon zweimal bekräftigt hat, weigert sich der Ständerat bis heute, auf das Geschäft einzutreten.
Die beiden Rechtskommissionen hingegen arbeiten derweil weiter am Gegenvorschlag, der auf der Geschäftsherrenhaftung aufbaut. Diese besagt, dass ein Geschäftsherr, etwa ein Arbeitgeber, für die Schäden haftet, die seine Hilfsperson verursacht. Dieses Prinzip, das im schweizerischen Recht bereits gilt, haben Vogt und sein Verbündeter im Ständerat, CVP-Mann Stefan Engler, nun explizit für die Konzerne und ihre Tochterfirmen festgeschrieben. Die von den Initianten geforderte Sorgfaltsprüfungspflicht und Haftung bleiben erhalten, werden aber «sehr stark» eingeschränkt, wie Vogt betont.
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«Die Kluft in der Wirtschaft widerspiegelt sich im Parlament.»
In der Tat gilt der Gegenvorschlag «nur» für Firmen aus Risikobranchen oder für solche, die eine Bilanzsumme von 40 Millionen, einen Umsatz von 80 Millionen Franken oder 500 Vollzeitstellen haben. Wobei das Unternehmen zwei Kriterien in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren erfüllen muss. Unternehmen haften zudem explizit nicht für Fehler ihrer Zulieferer, Verwaltungsräte und Geschäftsleitungsmitglieder sind vor Klagen geschützt, und die Streitparteien müssen zuerst eine Schlichtungsstelle anrufen, bevor Geschädigte vor Gericht ziehen können. Doch die Gegner wollen nichts davon wissen: Für sie baut der Gegenvorschlag auf der gleichen «Mechanik» auf wie die Initiative und ist deshalb abzulehnen.
Noch etwas komplizierter wurde die ohnehin schon vertrackte Situation, als sich im Sommer plötzlich auch noch Justizministerin Karin Keller-Sutter einmischte. Sie brachte den Bundesrat dazu, seine Meinung zu ändern und sich nun doch hinter eine Art Soft-Gegenvorschlag zu stellen, falls das parlamentarische Projekt scheitert. Konkret will sie – analog zu den EU-Richtlinien – grössere Firmen zur Berichterstattung in Sachen Menschenrechten und Umwelt verpflichten. Ebenfalls zur Diskussion stehen Sonderregeln für Sorgfaltsprüfungen in Sachen Kinderarbeit und Konfliktmaterialien.
Die Initianten wittern einen Sabotageakt, die Pro-Gegenvorschlags-Komitees fühlen sich hintergangen. Und jene, die nie etwas wollten, gruppieren sich jetzt hinter der Bundesrätin und tun so, als wären sie schon immer für international abgestimmte Lösungen gewesen. Lang kann das Seilziehen nicht mehr dauern: Das Parlament muss spätestens bis am 10. April 2020 Stellung zur Initiative beziehen, eine weitere Fristverlängerung gibt es nicht. Bis dann muss ein Gegenvorschlag stehen, der zum Rückzug der Initiative führt. Sonst heisst es: Auf in die Schlacht zur Abstimmung, die im September oder spätestens November 2020 stattfinden wird. Und dann werden Economiesuisse und Swiss Holdings beweisen müssen, dass sie recht hatten mit ihrem harten Kurs.
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Dieser Text erschien in der November-Ausgabe 11/2019 der BILANZ.
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