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Decathlon macht in der Schweiz bereits mehr Umsatz, als Sport X je erreicht hat. Der Erfolg ist kein Zufall. Und die Franzosen haben mehr vor.
Der französische Sportartikelhändler setzt in der Schweiz mittlerweile rund 350 Millionen Franken im Jahr um.
imago/Arnulf HettrichWerbung
Wenn Patrik Wägeli losrennt, wirbeln seine Beine durch die Luft. Der Thurgauer Landwirt und Marathonläufer – Selbstdiagnose: «Fastest Farmer» – hängt auf 42,2 Kilometern alle anderen Schweizer ab. Nur in einer Disziplin ist Wägeli noch schneller als im Marathon: beim Sponsorenwechsel. Bis 2024 war der Spitzensportler in Laufschuhen der Schweizer Marke On unterwegs. Seit Mai 2025 läuft der Schweizer Champion mit neuem Schuhsponsor: Kiprun.
Eine nordische Laufmarke? Mitnichten. Hinter dem lautmalerischen Kürzel für «Keep on running» steht das französische Sport-Powerhouse Decathlon. Der Sporthändler, der vor allem für günstige Produkte bekannt ist, expandiert weltweit – und will nun auch hochwertigere Produktkategorien erobern. Dabei machen die Franzosen auch vor der Schweiz nicht halt. Verschwindet eine Sportkette, füllen bald die blauen Decathlon-Läden die Lücke.
Die Zahlen sind eindrücklich: Per Ende dieses Jahres betreibt Decathlon über 1800 Filialen weltweit, fünfzig davon in der Schweiz. Vom Hauptbahnhof Zürich über Interlaken bis nach Davos. Der Schweizer Umsatz liegt bei geschätzt 350 Millionen Franken. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, doch die Schweiz steht für 2 Prozent des Gesamtumsatzes. Dieser Betrag ergibt sich bei 16,2 Milliarden Euro Gesamtumsatz und einem Bonus; mehrere Stimmen bestätigen ihn. Aber wie gelingt Decathlon solch ein Wachstum in einem gesättigten Markt, in dem die Migros mit Sport X und Maus Frères mit Athleticum gescheitert sind? Die Spurensuche führt nach Nordfrankreich, wo vor 49 Jahren alles begann.
Es herrschen schwülwarme dreissig Grad. Der Wind flaut ab. Trotzdem schnappen alle nach Luft, als sich die Tür öffnet und kühle Luft in den Simulator gelangt. Das Produkt im Raum, ein Fahrradanhänger für Kinder, verbrachte hier mehrere Stunden. Er widerstand Temperaturen von minus zehn Grad bis plus vierzig, dazu feuchte Luft und Wind. Der Anhänger hat den Test bestanden, bald gelangt er in den Verkauf. Der Simulator steht im Velocenter in Lille, dem Geburtsort der Firma Decathlon («Zehnkampf»). In dieser Stadt wurde sie 1976 von Michel Leclercq gegründet. Er gehört der Unternehmerfamilie Mulliez an, einer der reichsten Familien Europas, und herrscht über ein Handelsimperium. Dazu zählen etwa die Supermarktkette Auchan, die Elektronikkette Boulanger sowie Teile des Baumarkts Leroy Merlin. Der geschätzte Umsatz der Association Familiale Mulliez (AFM) liegt bei über 100 Milliarden Euro.


Familienbande Die Familie Mulliez gehört zu den reichsten Familien Frankreichs. Ihr Vermögen wird auf 34,3 Milliarden Dollar geschätzt. Nur wenig ist von der Familie bekannt, sie ist diskret. Den Reichtum verdankt sie ihrem Unternehmer-Gen: Gérard Mulliez gründete das Garn-Unternehmen Phildar. Sein gleichnamiger Sohn wurde auch Unternehmer und eröffnete 1961 mit dreissig Jahren den ersten Auchan-Supermarkt. Der Cousin von Gérard junior wiederum, Michel Leclercq, sah dessen Erfolg und gründete 1976 mit sechs Freunden den ersten Decathlon-Store (Bild).
Association Familiale Mulliez Im Jahr 1955 gründete die Familie die Association Familiale Mulliez. Sie erreicht laut Schätzungen einen Umsatz von über 100 Milliarden Euro. Das schafft sie dank Auchan und Decathlon, aber auch dank der Kontrollmehrheit am Elektrohändler Boulanger und Anteilen an den Baumärkten Leroy Merlin. Die Association zählt rund achthundert Familienmitglieder.
Firmentreue Wer einmal bei Decathlon anheuert, gehört zur Decathlon-Familie. Die Mitarbeitenden erzählen, dass in ihren Adern «blaues Blut» fliesse. 25 Dienstjahre sind normal. Denn Decathlon holt Mitarbeitende in jungen Jahren ins Team und übergibt ihnen Verantwortung. So wachsen sie in ihre Rolle. Wer sich bewirbt, muss diese Frage beantworten: Welche Sportart betreiben Sie? Kein Sport, kein Decathlon – denn bekanntlich verbindet gemeinsames Leiden.
Das Velocenter ist eines von 18 Decathlon-Innovationszentren und steht exemplarisch für den Rest. Auf 900 Quadratmetern forschen, entwickeln und testen Ingenieure neue Produkte. 3D-Drucker produzieren Prototypen, von Schuhen über Rennräder bis zu Ersatzteilen. Mittlerweile sind über 630’000 Drucke entstanden. Das Unternehmen hält siebenhundert Patente, jährlich lanciert es sechshundert neue Produkte für über achtzig Sportarten – von Bergsport über Wasseraktivitäten bis zu Golf.
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Nicht nur die Produkte sind Eigenkreationen, auch deren Namen. Decathlon agiert nach dem Erfolgsrezept, das auch die Migros einst gross machte: Eigenmarken. Bei der Migros sind es Frey, Handy und Colgate, bei Decathlon erinnern die Marken an exotische Destinationen oder Gesellschaftsspiele: Domyos für Fitness, Quechua für Camping, Wedze für Ski. Die Hausmarken sorgen für 80 Prozent des Umsatzes. Den Rest füllen die Marktführer – aber nur dort, wo es die Kunden wirklich wünschen. So funktioniert zum Beispiel der Wintersport nicht ohne Marken wie Head und Rossignol.
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Und wie die Migros hat auch Decathlon seine Kultprodukte: Das Zwei-Sekunden-Wurfzelt, die Tauchmaske Easybreath, die beim Schnorcheln das ganze Gesicht deckt, oder das portable Tischtennisnetz sind solche Lieblingsartikel. Sie sind funktional und erschwinglich und überraschend gut. Der Vergleich mit der schwedischen Ikea drängt sich auf: ikonische Produkte zu Preisen, die einem den Atem rauben.
Einen leichten Rucksack gibt es bereits für 3.90 Franken, der Laufschuh startet bei 29.90 Franken. Und wer mit einem E-Bike liebäugelt, greift zwar tiefer in die Taschen, ist aber trotzdem für unter 1000 Franken dabei. In Lille erzählt Velo-Produktchef Gauthier Buffat, dass die Decathlon-Manager – wie die Schweden – bei diesem Produkt erst den Preis gefixt und dann sukzessive das Velo entwickelt haben. Das gelingt ihnen, weil sie Zwischenhändler überspringen und die Wertschöpfungskette vom Produktionsstandort bis zur Filiale integrieren. So behalten sie die Kontrolle. Und optimieren die Marge.
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Dazu kommt die Hoheit über die Filialen. In Lille steht der sogenannte Ghost. In diesem Musterbau plant Decathlon akribisch, wie die mehr als 1800 Läden weltweit auszusehen haben. Wie hoch stehen die Regale, wo wird welche Sportart platziert, wie fällt die Beleuchtung aus? Es ist Standardisierung bis ins Detail. Wer in einem Decathlon in Paris einkauft, könnte genauso gut in Zürich sein. Nur das Sortiment variiert mit den lokalen Vorlieben.
So wie in der kleinen Filiale am Zürcher Hauptbahnhof. Hier ist der Winter eingezogen: Mannequins mit Ski stehen am Eingang. Die Campingausrüstung ist Handschuhen, Daunenjacken und Schlittschuhen gewichen. Dahinter bleibt das ganzjährige Sortiment an Hallensportartikeln, Fitnessgeräten und Veloausrüstung bestehen. Dieses Rundum-sorglos-Paket scheint die Schweizerinnen und Schweizer zu überzeugen.
Dabei hatte hierzulande niemand auf die Franzosen gewartet. Als Decathlon 2017 die erste Filiale im Welschland eröffnete, trat der Händler in einen hart umkämpften, gesättigten Sportmarkt ein. Etablierte Formate wie Sport X, Intersport und Ochsner Sport verteidigten seit Jahrzehnten ihre Stellung. Dazu ist der Schweizer kritisch, was Sport anbelangt: Mammut-Jacken, Odlo-Funktionsunterwäsche und Lowa-Wanderschuhe – das sind die helvetischen Helden. Stolze Marken, markige Preise.
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Trotzdem setzte Decathlon mit No-Name-Produkten zu einem schweizweiten Siegeszug an. Bezüglich Anzahl Filialen schaffen es die Franzosen auf den dritten Rang hinter Ochsner Sport und Intersport. Mit dem geschätzten Umsatz von 350 Millionen Franken übertreffen die Franzosen bereits heute den Umsatz, den die Migros mit ihren Sport-X-Filialen inklusive Bike World je erreicht hat. Die Ironie: Decathlon schafft das in ehemaligen Sport-X-Räumlichkeiten und mit Eigenmarken, die erst wenige kennen.
Eine Erklärung für diesen Erfolg hat Peter Bruggmann, Geschäftsführer des Verbands der Schweizer Sporthändler: «Wer dreimal im Jahr wandern geht, traut sich, einen Rucksack ohne Beratung zu kaufen, oder verzichtet auf ein Markenprodukt. Will ich aber ein Trekking machen, ziehe ich spezialisierte Beratung vor. Und dann ist einem auch das Produkt mehr wert.» Deshalb haben die Franzosen auch im Einsteigerbereich Marktanteile geholt. «Decathlon hat eine eigene Philosophie: Er macht Sport für jedermann zugänglich und deckt alle Produktgruppen ab. Das gab es so noch nicht.» Damit trifft Decathlon eine Lücke, die im Soussol der etablierten Player klafft: Unterhalb von Ochsner Sport mit seinen Markenartikeln und hoch spezialisierten Anbietern wie Bächli oder Transa besetzt Decathlon den Massenmarkt.
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Und setzt so auf den Grössenvorteil. Trotz Lagerhallen-Feeling in den Läden relativiert Schweiz-CEO Fabrice Beschu, dass Decathlon ein Discounter sei: «Wir sind Produktentwickler und wollen Sport allen zugänglich machen. Wir verpflichten uns, unsere Produkte und Dienstleistungen mit einem Mehrwert zu einem erschwinglichen Preis anzubieten.»
Um mit diesem Konzept auch in der Deutschschweiz bekannter zu werden, leistet Decathlon viel Überzeugungsarbeit: Die Franzosen setzen seit kurzem auf Profisportler wie Patrik Wägeli für den Laufsport, Sofya Yokoyama fürs Klettern und Tess Sugnaux für Tennis. Dazu arbeitet Decathlon mit Sportvereinen zusammen und organisiert Velo- sowie Skibörsen; Decathlon probt den Imagewechsel vom gesichtslosen Milliardenmulti hin zum jovialen Nachbar. Die verkaufsfördernde Botschaft: Ich bin einer von euch.
Das Konzept geht auf: Die Expansion schreitet voran. Schweizerinnen und Schweizer bewegen sich immer häufiger mit Decathlon-Produkten. Eine hiesige Besonderheit: «Zirkuläre Dienstleistungen, insbesondere die Vermietung, haben hier einen höheren Umsatzanteil als im Rest der Welt», so Beschu. Die Schweiz ist eine Mietnation, vor allem im Skibereich, aber auch beim Velo im Abomodell. Bereiche, auf denen Beschu aufbauen will. Neu setzt er auch auf verschiedene Vertriebstypen: kleine Formate in Bahnhöfen, mittlere an gut erreichbaren Lagen und ganz grosse Hallen dort, wo die Kundschaft mit dem Auto hinkommt. «Die lokalen Formate scheinen sehr gut anzukommen, weshalb wir sie aktiv weiterentwickeln», lautet die Ansage von Decathlons Schweiz-Chef.
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Also grosse heile Decathlon-Welt? Nicht ganz. Jüngst geriet Decathlon wegen PFAS, Ewigkeitschemikalien genannt, in die Kritik. Getestete Zelte überstiegen die zulässigen Werte, dazu löschte der Konzern während der Recherche des ZDF mehrfach Nachhaltigkeitshinweise auf der Website. Das Zelt ist nicht mehr erhältlich, in der Schweiz stand es nie zum Verkauf. Doch die Kommunikationsarbeit verlief unglücklich – und zeigt: Auch der blaue Riese ist nicht unfehlbar. Lange war Decathlon verschlossen, es gab keine Medienstelle, kaum Informationen. Doch das ändert sich. Die Innovationszentren in Lille dürfen besucht werden, Länder-CEOs geben Interviews, und Decathlon setzt auf Imagearbeit: Seit zwei Jahren fährt die hauseigene Rennradmarke Van Rysel bei der Tour de France mit – und holt Etappensiege. Dank solcher Erfolge wurde der Händler auch im Premiumsegment zu einem ernst zu nehmenden Player.
Vom Zwei-Sekunden-Wurfzelt bis zum Tour-de-France-Rennrad – Decathlon bietet die gesamte Sportwelt aus einer Hand an. Auch Patrik Wägeli wirbelt weiterhin mit den Beinen durch die Luft. Ihm fehlen noch 13 Minuten auf die weltweite Bestzeit. Schafft er das, wird er in Kiprun-Schuhen Geschichte schreiben. Und Decathlons Siegeszug fortsetzen.
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