Guten Tag,
Der erfolgreichste Banker der Eurozone über Polit-Frust, Commerzbank-Übernahme – und zu harte Vorschriften für die UBS.
Seit Andrea Orcels Antritt hat sich der Kurs der Unicredit verachtfacht.
Francesca Volpi / BloombergWerbung
Der 38. Stock im Unicredit-Turm in Mailand, ein heisser Sommertag, der Blick geht weit in die Lombardei – und ein kämpferischer Bankchef. Seit vier Jahren führt der Ex-UBS-Investmentbanking-Chef Andrea Orcel die italienische Grossbank Unicredit, die sich als einziges Finanzinstitut wirklich paneuropäisch nennen darf – Banken in 13 Ländern gehören dazu, von der HypoVereinsbank in Deutschland bis zum Marktführer in Kroatien. Orcel würde gern weiter expandieren – doch die Politik bremst, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz.
Ich bin definitiv ein Banker, der an das immense Potenzial und die Notwendigkeit eines vereinten Europas glaubt: wirtschaftlich, sozial, finanziell und politisch. Ein wirklich geeintes Europa wäre in der Lage, sich gegenüber den USA und China zu behaupten, enormen Wohlstand und Chancen für seine Bürger zu schaffen und unsere Grundsätze und Werte zu verteidigen, einschliesslich des Rechts auf unsere Differenzen innerhalb Europas.
Als ich zu Unicredit kam, haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Bank für Europas Zukunft zu sein. Aber wir erleben politische Einmischung: Die Regierungen versuchen aktiv, dieses Zusammenwachsen zu verhindern. Das ist ernüchternd und frustrierend.
Die Kluft zwischen der Rhetorik und der Realität ist nicht neu. Neu ist, dass die Politik interventionistischer und protektionistischer geworden ist. Sie wird jetzt von Erwägungen geleitet, die sowohl die nationale als auch die europäische Wirtschaft schwächen, und das zu einer Zeit, in der wir sie dringend stärken müssen. Wir sehen ein Erstarken der politischen Kräfte an den Rändern. Diese Kräfte sind sehr viel protektionistischer als die Parteien in der Mitte. Die Regierungen passen sich an diese veränderte Dynamik an. In unseren bisherigen Verhandlungen hat nur ein Land die EU-Regeln wirklich akzeptiert.
Andrea Orcel (62) stammt aus Rom, ein Ferienaufenthalt als 18-Jähriger in den USA begeisterte ihn fürs Banking. Nach dem Wirtschaftsstudium in Rom begründete er bei der damaligen Merrill Lynch in London seinen Ruf als «berühmtester Investmentbanker Europas» («New York Times»), als er mehrere grosse Bankzusammenschlüsse begleitete. 2011 übernahm er das UBS-Investmentbanking, 2018 sagte er als Chef bei der spanischen Grossbank Santander zu, der Wechsel platzte jedoch. Seit April 2021 steht er an der Spitze der Mailänder Unicredit – und schaffte die grösste Wertsteigerung der europäischen Bankenszene.
Griechenland. Wir haben dort 20 Prozent der Alpha Bank übernommen und wurden von allen willkommen geheissen: von der Bank, der Zentralbank, der Regierung und der öffentlichen Meinung. In Griechenland lautet die Botschaft der Verantwortlichen: Danke, dass ihr hier investiert.
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Die Konsolidierung stagniert nicht, sie ist auf dem Rückzug. Wir bewegen uns auf eine Situation zu, in der viele für eine stärkere Zersplitterung und geringere Effizienz eintreten, statt für eine Bankenunion zur Stärkung der industriellen Entwicklung. Das ist bedauerlich. Es wird den langfristigen Erfolg und Wohlstand Europas beeinträchtigen.
Letztlich hatten wir keine andere Wahl. In Italien gibt es die sogenannte «Golden Power Rule», welche es der Regierung ermöglicht, eine Übernahme zu blockieren. Bisher wurde sie nur angewendet, wenn ausländische Unternehmen ein italienisches Unternehmen kaufen wollten und ein eindeutiges Risiko für die nationale Sicherheit bestand. Jetzt wurde sie auf Ersuchen von BPM auch in unserem Fall aktiviert. Leider bedeutete dies, dass wir nicht die Möglichkeit hatten, den Aktionären von BPM unsere Argumente für den für sie vorteilhaften Zusammenschluss vorzutragen.
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Die genauen Motive müssen Sie bei der Regierung erfragen. Uns wurde gesagt, dass wir eine internationale Bank sind, die sich de facto in den Händen von Nicht-EU-Aktionären befindet – Blackrock, J.P. Morgan, Capital, Fidelity, Norges oder UBS. Uns wurde gesagt, dass unsere Bank in Russland, die wir eingegrenzt und auf fast null geschrumpft haben, Risiken für die italienischen Ersparnisse birgt. Viele dieser Bedenken sind faktisch nicht korrekt.
Die Anwendung dieser Regel wurde von der EU für rechtswidrig erklärt. Auch das zuständige italienische Gericht entschied grösstenteils zu unseren Gunsten. Dennoch blieb die Ungewissheit bestehen, es drohte eine lange juristische Auseinandersetzung. So zogen wir unser Angebot zurück.
Wir haben immer gesagt, dass Übernahmen nur ein Instrument in unserem Werkzeugkasten sind, nicht das wichtigste Instrument und noch weniger ein Ziel an sich. Die Stärke und das Wachstum von Unicredit beruhen auf dem Kerngeschäft und der Umsetzung des strategischen Plans. Alles andere ist ein «Nice-to-have». Deshalb konnten wir das 17. Rekordquartal in Folge verzeichnen und sind aus Sicht der Börse in unserer Peer Group die Bank mit der höchsten Wertschöpfung in Europa: Der Kursanstieg in den letzten viereinhalb Jahren liegt bei fast 800 Prozent. Im Jahr 2021 betrug unser Gewinn 1,5 Milliarden Euro, letztes Jahr waren es 9,3 Milliarden. Wir haben gerade unsere Prognose für dieses Jahr auf einen Gewinn von 10,5 Milliarden angehoben. In den letzten drei Jahren haben wir 26 Milliarden an unsere Aktionäre ausgeschüttet und werden in den nächsten drei Jahren mehr als 30 Milliarden Euro zurückzahlen. Unsere Marktkapitalisierung ist auf mehr als 100 Milliarden Euro gestiegen.
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«Die Debatte um das Eigenkapital und die Umsetzung haben der UBS nicht geholfen.»
Francesca Volpi / Bloomberg«Die Debatte um das Eigenkapital und die Umsetzung haben der UBS nicht geholfen.»
Francesca Volpi / BloombergIch wünsche meinem alten Arbeitgeber alles Gute. Die Ausgangslage ist anders. Wir sind eine paneuropäische Geschäftsbank, die UBS ist ein globaler Vermögensverwalter mit einer fokussierten Investmentbank.
Die Debatte und die Umsetzung der Eigenkapitalanforderungen haben der UBS sicherlich nicht geholfen.
Ich bin nur ein Beobachter von aussen, aber aus meiner Sicht hat die UBS die Credit Suisse unter bestimmten Bedingungen übernommen und wurde als Retterin des Landes aus einer Notlage betrachtet. Ich kann verstehen, dass die UBS nicht akzeptieren will, dass die Voraussetzungen, unter denen sie das Geschäft abgeschlossen hat, im Nachhinein geändert werden.
Schwerwiegend.
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Wir haben eine andere Struktur. Wir haben in jedem Land, in dem wir tätig sind, eine Bank. Jede von ihnen ist so kapitalisiert, als wäre sie eine eigenständige Bank in diesem Land, und darüber hinaus sind wir als Gruppe für sie verantwortlich.
Zu den Details kann ich nichts sagen. Grundsätzlich geht es um die Gesamtkapitalisierung auf Gruppenebene und die Fähigkeit, alle Geschäfte und Tochtergesellschaften unter den meisten Umständen zu unterstützen. Das ist entscheidend für die finanzielle Bewertung einer Bank.
Die Commerzbank ist eine Beteiligung. Wir halten direkt 20 Prozent des Kapitals und haben Zugriff auf weitere 10 Prozent.
Wir haben unsere Position in der Commerzbank von Anfang an sehr deutlich gemacht. Wir sind genau dort, wo wir gesagt haben, dass wir mit unserer Beteiligung sein werden, und mit Ausnahme des letzten Teils der Aktienumwandlung werden wir dort auch vorerst bleiben. Aufgrund unserer Positionierung werden wir uns gut entwickeln, wenn sie sich gut entwickeln. Solange das der Fall ist, ist das für uns in Ordnung. Wir haben uns bisher sehr respektvoll verhalten, sowohl bei unserem Engagement als auch dadurch, dass wir bei der Aktionärsversammlung nicht abgestimmt und auch nicht um eine Vertretung gebeten haben.
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Einigermassen konstruktiv, aber nur in unserer Rolle als wichtiger Investor. Wir tauschen uns mit dem Management nach jedem Quartalsergebnis aus. Sie wissen genau, was wir als grösster Einzelaktionär schätzen und worüber wir uns Sorgen machen.
Es ist normal, dass Leitung und Führungskräfte zögern, weil sie persönlich bei einer Übernahme viel zu verlieren haben. Wir alle haben jedoch die treuhänderische Pflicht, das Beste für unsere Institution und unsere Stakeholder zu tun. Daher gibt es kein wirklich freundliches oder unfreundliches Vorgehen. Es gibt Transaktionen, die wertsteigernd sind, und solche, die nicht wertsteigernd sind. Das sollte die Grundlage für Entscheidungen sein.
Der Aktienkurs wird zum grossen Teil durch Übernahmespekulationen und die begrenzte Liquidität getrieben. Als wir in einem transparenten Verfahren 4,5 Prozent der Aktien vom deutschen Staat kauften und so unsere Beteiligung auf 10 Prozent erhöhten, wurde die Commerzbank mit einem deutlichen Abschlag gegenüber dem Sektor gehandelt. Heute wird sie mit einem deutlichen Aufschlag gehandelt. Es wurden Massnahmen zur Verbesserung der Performance ergriffen, aber diese allein reichen nicht aus, um die aktuelle Bewertung zu rechtfertigen.
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Der 62-Jährige plant den derzeit grössten Bankendeal Europas: die Übernahme der Commerzbank.
Francesca Volpi / BloombergDer 62-Jährige plant den derzeit grössten Bankendeal Europas: die Übernahme der Commerzbank.
Francesca Volpi / BloombergEs steht mir nicht zu, die Position der deutschen Regierung zu kommentieren. Generell bin ich der Meinung, dass Regierungen keine natürlichen Eigentümer von Banken sind, und wenn sie gezwungen sind, einzugreifen, sollten sie so schnell wie möglich aussteigen, vor allem, wenn sie auch auf einem Gewinn sitzen, der den Steuerzahlern zugute käme. Das Problem ist, dass die Politik heute einen weitaus interventionistischeren Ansatz verfolgt als früher. Ich hoffe, dass wir irgendwann wieder zu einer freien Marktwirtschaft zurückkehren werden, die innerhalb der klar festgelegten EU-Vorschriften ohne ungebührliche politische Einmischung funktioniert.
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Ich glaube nicht, dass es hier so sehr um einzelne Personen geht, sondern eher um einen Wandel hin zu Etatismus und Protektionismus. Wir hoffen, dass sich mit der Zeit und mit Geduld Fairness und Vernunft durchsetzen werden, dass ein konstruktiver Dialog beginnt und dass Diskussionen über die Vorzüge eines für Deutschland, seine Bevölkerung und seine Aktionäre sehr vorteilhaften Geschäfts beginnen können. Vorerst haben wir vollen Zugriff auf unseren 30-prozentigen Anteil, der unseren Aktionären bereits beträchtliche finanzielle Erträge eingebracht und einen positiven Wandel in der Commerzbank gefördert hat. Wir sind geduldig und haben Zeit.
Ich habe deutlich gemacht, dass ich jederzeit bereit bin, mich mit der Regierung zu treffen. Wir haben auch den neuen Bundeskanzler und den neuen Finanzminister angeschrieben, so wie wir es auch bei ihren Vorgängern getan haben, sodass sie über den Stand der Dinge genau informiert sind. Das gilt auch für den Aufsichtsrat und den Vorstand der Commerzbank.
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Es gab eine Zeit lang keine Antwort, dann eine kurze Antwort, in der es hiess, dass dies etwas ist, das direkt mit dem Managementteam der Commerzbank geklärt werden sollte.
Sie kann für die Beteiligten auf beiden Seiten grossen Mehrwert bringen, die Bankenunion vorantreiben und Deutschland und die EU stärken. Die Eigenkapitalkonsolidierung unseres Anteils an der Commerzbank bietet unseren Aktionären eine Rendite von über 20 Prozent auf das eingesetzte Kapital. Wir haben keine Nachteile zu befürchten und können daher abwarten und beobachten, wie sich die Commerzbank im Laufe der Zeit entwickelt.
Die Vorteile für die Industrie, die Wirtschaft, die Kunden und die Menschen sind unbestreitbar. Ich kann nur hoffen, dass die Vernunft irgendwann über Eigeninteresse, Politik und Emotionen siegt. Sollte dies nicht der Fall sein, haben wir einen sehr starken und spannenden eigenständigen Plan, der unseren Aktionären weiterhin erstklassige Renditen bescheren wird.
Ich habe meine Arbeit bei der UBS sehr genossen. Ich habe dort immer noch viele Freunde und Kollegen, die ich sehr schätze. Und die Schweiz war sehr gut zu mir und meiner Familie. Doch meine Aufgabe bei Unicredit füllt mich vollständig aus.
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