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Herbert Lüthy: «Eingeholt von der Realität»

Die Vorsorge wird laufend teurer, die Leistungen sinken. Herbert Lüthy, Chef des Bundesamtes für Privatversicherungen, über die Krise der zweiten Säule.

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BILANZ: Wissen Sie, wie das BPV auch genannt wird? Bundesamt protegiert Versicherungen. Ärgern Sie sich ob solchem Galgenhumor?
Herbert Lüthy: Wir haben dieses Image leider von gewissen Kreisen angehängt bekommen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass wir Entscheidungen fällen müssen, die nicht so sehr dem Wunschdenken als vielmehr der Realität entsprechen. Auch im Fall von «Winterthur» und «Zürich».

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Das BPV hat den Versicherern zugestanden, den Umwandlungssatz sowie die Verzinsung beim Überobligatorium massiv zu senken und gleichzeitig Risikoprämien sowie Verwaltungskosten stark zu erhöhen. Ist das nicht etwas viel auf einmal?
Es kommt wirklich alles zusammen, doch dafür gibt es gute Gründe. Die Erhöhung der Risikoprämien beispielsweise rührt primär daher, dass die Zahl der Invaliditätsfälle in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Die Verwaltungskosten wiederum sind tendenziell zwar eher zurückgegangen. Doch die Versicherungsgesellschaften haben diese Kosten lange Zeit über die Anlageerträge quersubventioniert. Seit diese Erträge fehlen, schlagen die Kosten voll durch, und die Versicherer sind nicht mehr bereit, diese zu einem guten Teil selbst zu tragen.

Zur Person
Herbert Lüthy (60) studierte Rechtswissenschaft und Mathematik. 1974 doktorierte er mit einer Dissertation zur Freizügigkeit in der beruflichen Vorsorge. Über die Bâloise stieg er ins Versicherungsgeschäft ein, 1990 wechselte er zur Swiss Re. 2002 wurde er an die Spitze des Bundesamts für Privatversicherungen (BPV) berufen. Dieses überwacht die privaten Versicherungen und entschied über das Gesuch für tiefere Renten und höhere Prämien. Das Rentenmodell wurde vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) genehmigt.

Der Umwandlungssatz dagegen hat nur zu einem geringen Teil mit der Situation an den Kapitalmärkten zu tun. Vielmehr ist der Umwandlungssatz wesentlich von der Lebenserwartung abhängig. Und diese ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Diesen Umstand konnten die Versicherer lange mit hohen Anlageerträgen ausgleichen. Das ist vorbei, die gestiegene Lebenserwartung drückt sich nun im tieferen Umwandlungssatz aus.

Nur wird befürchtet, dass die höhere Lebenserwartung noch nicht vollständig im Umwandlungssatz enthalten ist, dass dieser nochmals gesenkt werden muss.
Diese Befürchtung ist unbegründet. Die höhere Lebenserwartung ist im tieferen Umwandlungssatz voll berücksichtigt. Mindestens über die nächsten zehn bis zwanzig Jahre besteht da wohl nur wenig Handlungsbedarf. Ausser die Pharmaindustrie erfindet ein Mittel, dank dem die Lebenserwartung auf hundert Jahre ansteigt.

Wird der Umwandlungssatz wieder erhöht, wenn sich eines Tages die Situation an den Kapitalmärkten entspannt?
Eine bessere Lage an den Finanzmärkten macht sich nicht im Umwandlungssatz, sondern in den Überschüssen bemerkbar. Sind an den Börsen wieder gute Erträge zu erzielen, fallen entsprechende Überschüsse an, die an die Versicherten verteilt werden. Im Umwandlungssatz dagegen kommt die höhere Lebenserwartung zum Ausdruck, und die dürfte nicht sinken, sondern sich im Gegenteil noch erhöhen. Damit zeigt sich auch die Problematik dieser Kenngrösse. Wird der Umwandlungssatz zu hoch angesetzt, dann kann der Versicherer seine Verpflichtungen gegenüber den Versicherten irgendwann nicht mehr erfüllen. Wenn der Satz dagegen auf einem zu tiefen Niveau liegt, ist das weniger tragisch: Sobald nämlich wieder Überschüsse anfallen, werden diese an die betroffenen Versicherten verteilt.

Und wer sorgt dafür, dass künftige Überschüsse auch wirklich an die Versicherten weitergegeben werden?
Die Versicherungen haben in den guten Jahren, nur schon aus Konkurrenzgründen, die Überschüsse weitgehend verteilt. Und das wird auch in Zukunft der Fall sein. So oder so kontrollieren wir die Überschussbeteiligungen. Wir verlangen von jeder betroffenen Versicherungsgesellschaft, dass sie für die Versicherten mit tieferen Umwandlungssätzen gesonderte Berechnungen macht. Denn in jenen Segmenten, wo diese Sätze reduziert wurden, fallen Gewinne schneller an. Und wir sorgen dafür, dass diese Überschüsse zuerst dort verteilt werden, wo der Umwandlungssatz am stärksten gesenkt wurde.

Der Umwandlungssatz im obligatorischen Teil wird ebenfalls gesenkt, und zwar stufenweise von 7,2 auf 6,8 Prozent, ergo weit weniger stark als der überobligatorische. Ist der obligatorische Satz zu hoch oder der überobligatorische zu tief?
Die 6,8 Prozent sind immer noch zu hoch. Die Generation, die bald 65 wird, erhält einen zu hohen Umwandlungssatz. Um diesen bezahlen zu können, müssen die Sammelstiftungen und auch die autonomen Kassen ihre Reserven anzapfen. In einigen Jahren allerdings reichen diese Reserven für die Gewährleistung der vollen künftigen Renten nicht mehr aus. Mit anderen Worten: Den Preis für den zu hohen Umwandlungssatz bezahlen dann die jüngeren Generationen.

Also gefährden Rentner mit hohen Umwandlungssätzen die Renten der künftigen Rentner?
Dem ist so. Von einem zu hohen Umwandlungssatz profitieren nur diejenigen, die in den nächsten Jahren pensioniert werden. Durch die immer noch zu hohen Sätze wandelt sich das BVG, das eigentlich ein Kapitaldeckungsverfahren darstellt, in ein Umlageverfahren, wonach die künftigen Generationen mehr belastet werden sollen, und zwar ohne entsprechenden politischen Entscheid.

Was antworten Sie einem Versicherten, der Ihnen sagt: Ich bezahle für meine Vorsorge immer mehr, erhalte aber laufend weniger?
Zugegeben, die Situation ist mehr als unangenehm. Doch wir wurden von der Realität eingeholt. Zu lange haben die Versicherer über hohe Kapitalerträge die Problematik der steigenden Lebenserwartung und der zunehmenden Invalidität weggewischt respektive ihre Kosten quersubventioniert.

Stefan Lüscher
Ressortleiter Geld

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