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Editorial: Amerikanische Doppelmoral

Keine Wirtschaftsnation auf dem europäischen Kontinent fühlt sich den USA so verbunden wie die Schweiz.

Dirk Schütz

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Flexible Arbeitsmärkte, tiefe Steuern, hohe Eigenverantwortung – diese uramerikanischen Werte zeichnen die Schweiz im Vergleich zu den grossen europäischen Nachbarn seit je aus. Für hiesige Manager steht der MBA-Studiengang in Harvard noch immer weit über jenem in Lausanne oder Fontainebleau, und dass Weltkonzerne wie Credit Suisse, Novartis, ABB oder Syngenta von Amerikanern geführt werden, ist längst Normalität.

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Doch der Grat zwischen Bewunderung und Unterwürfigkeit ist schmal. Mit ihrem globalen Herrschaftsanspruch treffen die Amerikaner die Schweizer Weltkonzerne besonders hart. Kein Land beheimatet so viele Milliardäre wie die USA, doch für die Weltmarktführer im Vermögensverwaltungsgeschäft, CS und UBS, sind die USA de facto vermintes Gelände. Diese Situation wird sich mit den neuen Vorschriften, die sich hinter dem Wortungetüm FATCA verbergen, noch verschärfen.

Gleichzeitig weigern sich die Amerikaner jedoch, die Standards, die sie von anderen Staaten verlangen, selbst einzuhalten. Ausländische Banken müssen über ihre US-Kunden Auskunft erteilen. Wenn jedoch zum Beispiel Mexiko über die Schwarzgelder seiner Bürger in Miami, Houston oder Los Angeles Informationen erbittet, heisst es: Bankgeheimnis. Bei den neuen Bestimmungen zur Bankenregulierung namens Basel III fordern die Amerikaner härtere Vorschriften. Dabei haben sie nicht einmal die schwächeren Basel-II-Regeln eingeführt. Weitere Beispiele für Doppelmoral gibt es zuhauf.

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Bekämpfen kann die Schweiz diesen Hegemonialanspruch nicht, aber sie kann sich Nischen suchen. Das jüngste Wettbewerbsfähigkeit-Ranking des WEF zeigt den Weg: Während die Schweiz ihren ersten Platz halten konnte, rutschten die USA vom zweiten auf den vierten Rang ab. Die Gründe: hohe Verschuldung, verschlechtertes Bildungswesen, geschwächtes Finanzsystem. Hier muss die Schweiz in die Lücken stossen: Ihre Top-Hochschulen können mit den amerikanischen mithalten, für hoch qualifizierte Arbeitskräfte ist sie sehr attraktiv. Und sie muss Regulierung wie die Amerikaner primär als Interessenpolitik verstehen – und darf den Banken keine unnötigen Fesseln auferlegen.

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Dirk Schütz

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