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Nach dem CS-Debakel verschärft die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht ihren Ton gegenüber Versicherern. In der Branche wächst der Unmut.
Ueli Kneubühler
Bei der Aufsicht weht unter Stefan Walter ein anderer Wind als zuvor. Das bekommen die Versicherer zu spüren.
kornel.ch für BILANZWerbung
«Möchten Sie sich als Versicherungs-Expertin oder -Experte einbringen und damit einen nachhaltigen Beitrag zum Schweizer Versicherungsmarkt leisten?», schreibt der Zuger Headhunter Wirz & Partners in einer E-Mail. Bei Interesse könne man «direkt im PDF einen ersten Gesprächstermin buchen». Und wer gerade kein Interesse habe, könne «den Teaser an potenziell interessierte Persönlichkeiten weiterleiten». Ein Stellenausschreibung per Kettenbrief.
Hier geht es nicht um irgendeinen Job. Hier sucht die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) den obersten Versicherungsregulator oder die oberste Versicherungsregulatorin des Landes. Die Bereichsleitung Versicherung innerhalb der Finma mit Einsitz in der Geschäftsleitung und Stellvertretung des Finma-Direktors. Die Person wird rund 200 Unternehmen mit einer Wertschöpfung von rund 32 Milliarden Franken beaufsichtigen, die gut vier Prozent zum jährlichen Schweizer Bruttoinlandprodukt beisteuern und mehr als 44'000 Personen beschäftigen. Die Assekuranz ist ein Schwergewicht der Schweizer Wirtschaft. Doch die Suche nach der Nachfolge von Birgit Rutishauser klingt nach Fliegengewicht.
Rutishauser gilt als Kapazität in Versicherungssachen mit Industrieerfahrung. Anfang April hat sie die Finma im Zuge einer Reorganisation verlassen – unabhängig davon, wie die Finma in der Medienmitteilung schreibt. Seither werden die Versicherer ad interim beaufsichtigt. Und die Banken womöglich bald auch, seitdem Mitte Juli der oberste Finma-Bankenaufseher Thomas Hirschi seinen Abgang per Ende August angekündigt hat.
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Die Vakanz bereitet den Versicherern Kopfzerbrechen. Denn in der neunköpfigen Geschäftsleitung sitzt niemand mit operativer Branchenerfahrung. Und auch im Verwaltungsrat ist das Know-how überschaubar. Einzig Alberto Franceschetti hat einen Erstversicherungs-Rucksack. An der Spitze steht mit Stefan Walter ein ehemaliger Aufseher aus der Technokratenwelt der Europäischen Zentralbank (EZB). Die klassische Nummer 6 auf dem Fussballfeld: Typ defensives Gewissen, keiner, der das Spektakel sucht, einer, der das Spiel unterbindet. Ein Mann, den das Debakel um die Credit Suisse an die Finma-Spitze befördert hat. Mit klarem Auftrag: die UBS in die Schranken weisen.
Alberto Franceschetti
Lange war er CFO des liechtensteinischen Versicherers ElipsLife.
PRBenjamin Gentsch
Er ist Rückversicherungskenner mit Stationen bei Zurich Re, Converium, Scor.
PRUnd welchen Stellenwert haben bei der Finma die Versicherer in der Post-Credit-Suisse-Ära? Das interessiere die Aufsicht nicht sonderlich und sie verstehe das Assekuranzgeschäft auch nicht, sagt ein langjähriger Versicherungs-Topshot. Sie decke die Unternehmen mit Nichtigkeiten ein und verstecke sich hinter administrativem Formalismus. «Je weniger Kompetenz, desto mehr Formalismus», meint das Versicherungs-Urgestein lakonisch.
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Man kann solche Kommentare als die üblichen Frotzeleien aus der Branche abtun. Oder aber die Zeichen aus der Laupenstrasse 27 in Bern deuten, wo die Finma ihren Sitz hat. Im April hat Chefaufseher Walter die Aufsicht reorganisiert und gezeigt, was er unter Aufsicht versteht: mehr Bank, mehr integrierte Aufsicht, weniger Versicherung. Geldwäscherei oder Vor-Ort-Kontrollen – wichtige Elemente des Bereichs Versicherung – sind in der neu geschaffenen «Integrierten Risikoexpertise» zusammengezogen worden, geführt von Marianne Bourgoz Gorgé. Einer Frau, die Kantonalbank kann, aber weniger Versicherung. Sie war während acht Jahren Risikochefin bei der Genfer Staatsbank, bevor sie 2022 zur Finma stiess.
Die Kritik an die Adresse der Aufseher nimmt zu – und es ist nicht nur eine laute Minderheit. Selbst der notorisch zurückhaltend agierende Versicherungsverband (SVV) – seine 70 Mitglieder generieren 95 Prozent der in der Schweiz erwirtschafteten Versicherungsprämien – äussert seine Bedenken überraschend offensiv. «Gegenüber der kommunizierten Reorganisation der Finma bleiben wir skeptisch», sagt Sandra Kurmann, Geschäftsleitungsmitglied beim SVV und zuständig für Aufsichts- und Regulierungsthemen. Eine Ausrichtung, die in erster Linie auf die Eignung zur Grossbankenregulierung abziele, reflektiere die spezifischen Bedürfnisse der Versicherungsbranche nicht ausreichend. Und weiter: «Die Gleichbehandlung sämtlicher Finanzmarktteilnehmer primär aus einer Bankenperspektive kann zu einer nicht zielführenden Regulierung der Versicherungsbranche führen, was den Finanzmarkt insgesamt schwächen kann.» Salopp gesagt: «Man hat die Versicherungsaufsicht kastriert.» Das sagt jemand, der sowohl Aufsicht als auch die Versicherungsindustrie aus eigener Erfahrung kennt. Der Kompetenzverlust im Bereich Versicherungen macht die Suche nach einem Branchenprofi als Nachfolger von Birgit Rutishauser nicht eben einfacher.
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Urs Arbter
Der Direktor des Versicherungsverbands (SVV) vereint ein Vierteljahrhundert Industrieerfahrung auf sich. Seit 2022 führt er den Verband.
PRSandra Kurmann
Sie hat einen Doktortitel in Aktuarswissenschaften und verantwortet in der Geschäftsleitung des SVV die Themen Aufsicht und Regulierung. Ein hartes Brot.
PRMehr Bank plus weniger Versicherung gleich integrierte Aufsicht. Das scheint die Formel von Finma-Chef Walter zu sein. Der dominantere Auftritt gründet indes nicht nur in dessen Ernennung. Der Wind hatte bereits vor seinem Antritt gedreht; nach dem CS-Debakel hat sich die Versicherungsaufsicht ein neues Selbstverständnis verpasst. Man wolle sich nicht mehr weichklopfen lassen, sagt eine Finma-Führungsperson. Weniger Spielraum für die Beaufsichtigten, mehr Gesetz. Es ist ein Stück in vier Akten.
Im Nachgang an die Finanzkrise von 2008 werden international nun auch grosse Versicherer als systemrelevant beziehungsweise «wirtschaftlich bedeutend» eingestuft, wie es im Assekuranzjargon heisst. Das ist neu und wird später in die Schweiz durchschlagen. Im zweiten Akt spielt die UBS die Hauptrolle mit der Übernahme der CS im März 2023. Die Finma wird zum Prügelknaben von Politik und Medien. Ab jetzt gilt: Aufsicht jetzt erst recht. Während sich die UBS mit Finma und Bundesrat im Schlagabtausch befindet, schwappt die regulatorische Bugwelle fast unbemerkt auf die Versicherungen über. Der CS-Spillover wirkt, die Tonart wird schärfer. Der dritte Akt: Anfang 2024 treten das revidierte Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und die dazugehörige Aufsichtsverordnung (AVO) in Kraft, und die internationalen Standards fliessen ins Schweizer Aufsichtsrecht ein und damit auch Regelungen aus dem Bankenrecht. Und dann übernimmt Stefan Walter. Auftrag: No more drama, Regulierung der UBS. Damit endet auch das Interregnum der Finma-Direktoren mit Versicherungs-Background: Urban Angehrn, ehemals Chief Investment Officer bei der Zurich, tritt im September 2023 zurück, Birgit Rutishauser weicht nach einem halben Ad-interim-Jahr Stefan Walter.
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Finma-Chef Stefan Walter muss die UBS regulieren. Für die Versicherer bleibt wenig Zeit.
Lucas Ziegler für BILANZFinma-Chef Stefan Walter muss die UBS regulieren. Für die Versicherer bleibt wenig Zeit.
Lucas Ziegler für BILANZTop-down, Systemrelevanz, CS-Spillover, revidierte Gesetzesgrundlage: Besonders Letztgenannte stärkt die Finma in ihrer Aufsichtspraxis und macht den Versicherern Kopfzerbrechen. «Die internationale Praxis mit dem Fokus auf systemrelevanten Playern ist ins VAG eingeflossen. Salopp gesagt hat man Teile des Bankengesetzes übernommen. Für die Versicherer ist das tatsächlich nicht so schlau», sagt eine Finma-Führungsperson.
Verantwortlich bei der Ausgestaltung war der Bereich Recovery und Resolution. Die zentralen Artikel – es geht im Kern um die Stabilisierungspläne und den Terminus der «wirtschaftlichen Bedeutung» – seien nie Gegenstand von Diskussionen gewesen, heisst es bei der Finma hinter vorgehaltener Hand. Auch nicht bei den Versicherern. Mit mehr Versicherungs-Expertise wäre das Gesetzbuch womöglich nicht derart bankenlastig ausgefallen. «In Recovery und Resolution hat es keine Versicherungs-Cracks. Sie haben nicht verstanden, wie schlecht das passte», so der Finma-Insider.
An der Finma prallt die Kritik ab. Man verfüge über sehr qualifizierte und erfahrene Mitarbeitende, sagt ein Finma-Sprecher. «Insbesondere in den Querschnittsbereichen (Anm. d. Red: unter anderem Recovery und Resolution) brauchen wir eine Kombination aus Leuten mit Erfahrungen aus der Finanzbranche, die die Institute von innen kennen, und solchen mit langjähriger Finma-Erfahrung, die aufgrund ihrer Aufsichtstätigkeit Peer-Vergleiche unter den Beaufsichtigten ziehen können.» Und was die wirtschaftliche Bedeutung von Versicherungsunternehmen betrifft, so habe der Gesetzgeber die entsprechenden Grundlagen festgelegt und der Finma die Befugnis übertragen, den Kreis der wirtschaftlich bedeutenden Versicherungsunternehmen zu bestimmen.
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Das sorgt für Stirnrunzeln beim Versicherungsverband. Da es in der Schweiz keine systemrelevanten Versicherer gibt, seien die internationalen Vorgaben für Stabilisierungspläne in der Schweiz auf wirtschaftlich bedeutende Versicherer ausgeweitet worden, so Sandra Kurmann vom SVV. «Allerdings wurde der entsprechende Artikel im VAG erst nach der öffentlichen Vernehmlassung in die abschliessende Botschaft aufgenommen. Die Versicherer konnten dazu keine Stellung nehmen.» Fait accompli.
Die vorliegende gesetzliche Handhabe erlaubt es der Finma, von den «wirtschaftlich bedeutenden» Versicherern – analog zu den systemrelevanten Banken – einen Stabilisierungsplan (Recovery Plan) einzufordern. Wirtschaftlich bedeutend meint im Duktus der Finma, «dass gewisse Versicherungsangebote nicht oder in nicht genügender Kapazität am Markt angeboten werden könnten, was für eine Volkswirtschaft als Ganzes ein Risiko darstellt».
von Versicherern mit einer Bilanzsumme, die grösser ist, kann die Finma einen Stabilisierungsplan einfordern.
Doch der Versicherungsmarkt ist nicht vergleichbar mit dem Bankenplatz. Rund 200 Player agieren im Schweizer Markt. Bei den Sachversicherungen ist die Mobiliar mit rund 19 Prozent der grösste Anbieter, bei Lebensversicherungen die Swiss Life mit etwas mehr als 40 Prozent und bei den Unfallversicherungen die Axa mit 19 Prozent. Die Konsequenzen eines Konkurses oder einer Abwicklung für eine Volkswirtschaft sind mit einer Bank nicht vergleichbar. Die Vermögen sind gebunden, ein Bank Run ausgeschlossen.
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Trotzdem gilt: Übersteigt die Bilanzsumme die Fünf-Milliarden-Franken-Grenze, ist der Versicherer bereits Teil des erlauchten Kreises. Oder wenn die Komplexität, die Verflechtung oder das Risikoprofil es rechtfertigen. Der schwammige Passus öffnet der Finma Tür und Tor, um Stabilisierungspläne einzufordern. Zwar verfügen die meisten Versicherer per se über notwendige Pläne und Prozesse. Doch die Finma fordert weitergehende Informationen – und das auch bei kleinen Instituten. So sollen die Finma-Leute von Recovery und Resolution dem Vernehmen nach selbst von kleinen Lebensversicherern wie der Pax einen Stabilisierungsplan verlangt haben. Die Pax wollte dies auf Anfrage nicht kommentieren.
Die zusätzlichen Forderungen haben es in sich; das Dokument liegt BILANZ vor. Die betroffenen Institute müssen ihre Recovery-Massnahmen darlegen, sollen einen Test- und Sicherungsplan entwickeln und umsetzen, die Kommunikationsstrategie darlegen, Szenarien entwickeln und vieles mehr. Nicht für Freudensprünge dürfte in den Risikoabteilungen der prominente Hinweis sorgen, dass das Termsheet «work in progress» sei und im Lauf der Zeit angepasst werde. Die Finma spricht von einem «erhöhten Aufwand bei der erstmaligen Erarbeitung und Dokumentation der Stabilisierungspläne».
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Pressekonferenz zum Ende der Credit Suisse. Thomas Hirschi, Leiter des Geschäftsbereichs Banken bei der Finma, hat vor Kurzem seinen Abgang angekündigt. Birgit Rutishauser (r.), Leiterin des Versicherungsbereichs, ist bereits weg. Finma-Präsidentin Marlene Amstad ist gefordert.
KeystonePressekonferenz zum Ende der Credit Suisse. Thomas Hirschi, Leiter des Geschäftsbereichs Banken bei der Finma, hat vor Kurzem seinen Abgang angekündigt. Birgit Rutishauser (r.), Leiterin des Versicherungsbereichs, ist bereits weg. Finma-Präsidentin Marlene Amstad ist gefordert.
KeystoneBei den Versicherern klingt es naturgemäss etwas anders. Eine kompetente und durchsetzungsstarke Aufsicht sei wichtig. Doch der Finma-Bereich Recovery und Resolution verstehe nicht, wo die Schmerzpunkte eines Versicherungsunternehmens seien, und kreiere nur Kosten ohne Nutzen. Es fehle das Grundverständnis, weil das Personal vornehmlich aus der Bankenwelt komme und die entsprechenden Systematiken und Kriterien anwenden würde, sagt ein hochrangiger Risikomanager.
Nicht selten müsse man den Aufsehern das Geschäftsmodell einer Versicherung wie auch aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen erklären. Das ist aufwendig, bindet viele personelle Ressourcen und verursacht Kosten.
SVV-Geschäftsleitungsmitglied Kurmann befürchtet zudem, dass die Finma implizite Kapitalforderungen an die Versicherungen stellt, wenn Stabilisierungspläne bereits bei einer Solvenzquote von über 100 Prozent aktiviert werden müssten. Eine Solvenzquote von 100 Prozent bedeutet, dass das Unternehmen über ausreichend Eigenmittel verfügt, damit es seinen Verpflichtungen gegenüber den Versicherten auch in extremen Belastungsszenarien nachkommen kann.
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Dies habe die Finma in Gesprächen durchblicken lassen. «Die Finma greift in die Handlungsfähigkeit und Verantwortung der Unternehmen ein, obwohl dafür keine aufsichtsrechtliche Grundlage besteht. Die Folge wäre ein beträchtlicher Reputationsverlust, obwohl die gesetzlichen Anforderungen zum Zeitpunkt der Aktivierung erfüllt sind», so Kurmann weiter.
Zumindest hier beruhigt die Finma. «Die Absicht, Kapitalerhöhungen bei einem SST von über 100 Prozent festzulegen, besteht nicht», sagt ein Sprecher. Eine Aktivierung des Stabilisierungsplans durch die Finma stehe ebenfalls nicht zur Diskussion. Etwas Deeskalation.
Am unterschiedlichen Aufsichtsverständnis reiben sich Versicherer und Aufsicht aber weiter. Die Finma sei der Meinung, dass keine Versicherung in Konkurs gehen dürfe, so der Risikomanager. «Das ist falsch. Eine Versicherung kann man abwickeln. Genau für solche Fälle gibt es das Abwicklungsrecht im VAG.»
Doch nach dem CS-Schock ist die Welt eine andere. Während früher zwischen Aufsicht und Versicherern ein konstruktiver Dialog um tragfähige Lösungen stattgefunden hat, markiert die Finma heute Distanz, die Dialogbereitschaft unter Finma-Chef Stefan Walter nehme ab, heisst es. Auch medial haben die Versicherer wenig Gewicht. In Walters jüngsten Interviews mit «Le Temps», «Tages-Anzeiger» oder «Finanz und Wirtschaft» fiel das Wort «Bank» mehr als 70-mal, «Versicherung» schaffte es auf keinen zweistelligen Wert. Das ist öffentliches Erwartungsmanagement und zeigt, wo die Prioritäten der Finma liegen.
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