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Eine verheimlichte Affäre kostet Nestlé-CEO Laurent Freixe den Job. Wann werden Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz zum Problem?
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Es passierte am Montagabend nach Börsenschluss: Nestlé kommunizierte die sofortige Entlassung des CEO Laurent Freixe – nach nicht einmal einem Jahr im Amt. Der Grund: eine verheimlichte Romanze mit einer Unterstellten. Die Gerüchte rund um die Liebesbeziehung liefen schon seit längerem heiss am Hauptsitz in Vevey VD. Erst eine Untersuchung der Anwaltskanzlei Bär & Karrer brachte Gewissheit. Der Verwaltungsrat zog die Reissleine.
Der Fall zeigt: Vor der Liebe sind selbst die mächtigsten Wirtschaftsführer nicht gefeit. Doch was ist bei Büroromanzen in der Schweiz überhaupt erlaubt? Und ab wann werden Beziehungen am Arbeitsplatz zum Reputationsrisiko? Die Antwort ist hierzulande so komplex wie die Liebe selbst.
Im Gegensatz zu den USA, wo die Arbeitgeber in ihren Richtlinien festschreiben können, dass sie über Beziehungen informiert werden müssen, fällt die Liebe in der Schweiz in die Privatsphäre. Als Grundlage kommt ein altehrwürdiger Artikel zur Anwendung: die Treuepflicht nach Artikel 321 des Obligationenrechts.
Nur: Der Gesetzestext, oft auch «Liebesparagraf» genannt, lässt viel Interpretationsspielraum zu. Darauf weist auch Rechtsanwältin Susanne Raess hin. So seien romantische Beziehungen grundsätzlich Privatsache. «Das sind sie aber nur, solange die Interessen des Arbeitgebers nicht betroffen sind.» Wann das der Fall ist, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Vier Kriterien entscheiden darüber, ob die Büroromanze zur Kündigung führt.
Je höher die Hierarchiestufe, desto dünner wird das Eis. Die Stellung in der Firma ist massgeblich – und bei Führungskräften steigen die Anforderungen massiv an. Denn sie sind die Aushängeschilder eines Unternehmens, ihr Verhalten strahlt nach innen und nach aussen.
Nicht nur die Höhe, sondern auch die Hierarchie der beiden Liebenden beeinflusst, ob eine Beziehung am Arbeitsplatz möglich ist oder nicht. Gehören zwei zusammen, die zwar im selben Unternehmen, aber in unterschiedlichen Bereichen mit wenig Austausch und Abhängigkeit arbeiten, passiert meist nichts. Ist jedoch ein Partner der oder die Vorgesetzte des anderen, besteht eine direkte Abhängigkeit, die mitunter das Urteilsvermögen der Führungsperson beeinflussen kann. In diesem Verhältnis stand auch der Nestlé-CEO Freixe. Seine Geliebte war ihm direkt unterstellt. Der Inhaber des Topjobs liebt eine direkt Unterstellte, das ist ein doppeltes No-Go.
Darren Hutson Der CEO der Plattform Booking.com war verheiratet, hatte aber im Jahr 2016 auch eine Affäre im Unternehmen. Die Betroffene war zwar keine ihm direkt Unterstellte, trotzdem war das Verhalten nicht mit den Unternehmensrichtlinien vereinbar. Hutson bereute sein Verhalten und trat zurück.
Steve Easterbrook Im November 2019 entliess McDonald’s seinen CEO und Präsidenten wegen einer einvernehmlichen Beziehung mit einer Mitarbeiterin. Er erhielt eine millionenschwere Abfindung. Als herauskam, dass er in seiner Amtszeit weitere Beziehungen mit Angestellten geführt hatte, musste er 105 Millionen Dollar zurückzahlen.
Andy Byron Es war der grosse Sommeraufschrei. Der CEO von Astronomer besuchte im Juli ein Coldplay-Konzert. Das tat er aber nicht mit seiner Frau, sondern mit seiner Personalchefin Kristin Cabot. Eng umschlungen wurden die beiden beim Konzert gefilmt. Der Anfang vom Ende, beide traten von ihren Positionen zurück.
Der Verwaltungsrat von Nestlé berief sich in seinem Entscheid auf den Verhaltenskodex. Solche Firmenrichtlinien sind bei Grosskonzernen Standard, bei Nestlé besagen die Regeln, dass Interessenskonflikte offengelegt werden müssen. Und eine Liebesbeziehung kann einen Interessenskonflikt auslösen.
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Der Code of Business Conduct von Nestlé fordert die Mitarbeitenden deshalb auf, sich selber mögliche Fragen zu stellen. Darunter: Bringt diese Situation mir, meinen Familienangehörigen oder nahestehenden Personen einen unverdienten Vorteil oder eine ungerechtfertigte Begünstigung? Könnte es für jemand anderen wie ein Interessenskonflikt aussehen? Könnte diese Situation meine Urteilsfähigkeit in irgendeiner Weise beeinflussen? Ähnlich wie bei einem Fragebogen beim Arzt reicht es, wenn die Antwort schon nur bei einer Frage Ja lautet. Im Falle Freixe müssten wohl alle drei Fragen mit Ja beantwortet werden. Er holte seine Geliebte zu sich ins Team, wo sie eine ungewöhnlich schnelle Karriere hinlegte.
Transparenz, wie im Kodex gefordert, hätte ihn retten können: Werden Beziehungen offen kommuniziert, können Arbeitgeber Massnahmen ergreifen wie Auflösungsvereinbarungen oder Versetzungen. So behält der Arbeitgeber die Kontrolle über die Situation, und das Paar hält sich an die Regeln. Doch viele scheuen diese Offenheit – aus Scham, Angst oder schlicht Naivität. Ein fataler Fehler, wie der Nestlé-Fall zeigt.
Bei kleineren Firmen und KMU fallen Beziehungen am Arbeitsplatz weniger ins Gewicht. Oftmals sind sie sogar gang und gäbe, wie beispielsweise in Schweizer KMU, wo oft beide Partner und weitere Familienmitglieder im Geschäft arbeiten. Bei staatlichen, stark regulierten oder börsenkotierten Unternehmen ist die Ausgangslage oft komplexer. Hier entscheidet die Branche darüber, ob eine Beziehung kritisch gesehen wird. Staatliche Anstellungen haben oft wesentlich strengere Regeln, in regulierten Branchen wie Banken oder Versicherungen sind Liebesbeziehungen mit Abhängigkeiten ein Tabu.
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Dazu kommen unterschiedliche Geheimhaltungsvorschriften. Je mehr Vertraulichkeit gefordert ist, desto höher ist das Risiko für Liebende.
Um das Risiko abzuschätzen, lautet der wichtigste Rat von Rechtsanwältin Raess, zu überlegen, was passieren würde, wenn die Beziehung morgen in der Zeitung publik würde. Dieser Zeitungstest entscheidet oft über das weitere Vorgehen. Interessiert es niemanden, gibt es meist kein Problem. Könnte es aber die Öffentlichkeit interessieren, dann empfiehlt die Expertin, die Beziehung dem Arbeitgeber zu melden.
Denn das Arbeitgeberinteresse ist immer dann tangiert, wenn die Öffentlichkeit reagieren würde. Droht ein Reputationsschaden oder können Betroffene ihre Entscheidungen nicht mehr frei fällen, wird es brenzlig. Der Ruf ist das Wichtigste einer Firma. Das weiss auch Nestlé und schreibt gesondert im hauseigenen Kodex: «Selbst das Auftreten eines Konflikts kann den Ruf von Nestlé schädigen und das Vertrauen anderer in unser Unternehmen beeinträchtigen.» Etwas, das Freixe massiv unterschätzt hat.
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