Guten Tag,
Dank unserer Forschung sind Ärzte heute bei der Diagnose nicht mehr auf das Aussehen oder den Geruch der Organe angewiesen. Ein Grund, in der Forschung zu sparen?
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Rudolf Virchow, der Begründer der modernen Pathologie, beschrieb 1891 die Lunge eines an Tuberkulose gestorbenen Berliner Fabrikarbeiters so: «Die Lunge sah frisch aus wie ein Stück einer sehr reichlich mit Speck durchsetzten Blutwurst.» Er und seine Kollegen schienen generell Freude an deftigen Wurstwaren und Culinaria zu haben: Die von Knoten durchsetzten Milzen von Patienten mit M. Hodgkin und anderen Lymphknotenkrebs-Erkrankungen charakterisierten sie als Bauernwurstmilzen, eigenartig geformte Organe als Kuchenmilz oder die wegen Herzschwäche geschädigte Leber als Muskatnussleber. Krankhafte Eiweissablagerungen in der Darmwand wurden in Farbe und Konsistenz mit Sagokörnern verglichen.
Die meisten dieser Köstlichkeiten kamen erst unter dem Autopsiemesser des Pathologen ans Tageslicht, die diagnostischen Instrumente der Ärzte waren hausbacken und beschränkten sich auf Anamneseerhebung, Inspektion, Geruchssinn, Stethoskop und Betastung. Dafür aber wurden diese Künste besser gepflegt, und besonders der Geruchssinn erschien höher entwickelt als heute. So finde ich noch in einem Lehrbuch aus der Mitte des 20. Jahrhunderts folgende Hinweise für Studenten der Medizin: «Leberkranke verströmen den Geruch von Rettich, Nierenleidende jenen von Urin, und schwer Tuberkulosekranke sondern einen säuerlich-schweissigen Geruch ab. Diabeteskranke riechen nach Aceton, also nach Äpfeln, und der Besuch in einem solchen Krankenzimmer erinnert an die Luft in einem Obstkeller.» Schliesslich ist der «aashaft widerlich-süssliche Gestank» bei eitrigem Lungenzerfall schon an der Tür des Krankenzimmers feststellbar, während der Geruch von blondem Frauenhaar, welchen Typhuskranke verströmen sollen, doch feinere Qualitäten des Riechorgans erfordert.
Trotz hoch entwickelter inquisitorischer Befragung und feinen Sinnen blieb solche Diagnostik aber ungenau und das meiste unter der Körperoberfläche verborgen. Dies war für die Patienten nicht weiter tragisch, weil es ja für die allermeisten schweren Krankheiten sowieso keine wirksame Behandlung oder gar Heilung gab.
Heute können wir unseren Studenten kaum mehr Bauernwurstmilzen oder Blutwurstlungen demonstrieren, der Lymphknotenkrebs wird in der Mehrzahl der Fälle geheilt, und die Tuberkulose, obwohl wieder auf dem Vormarsch, wird mittels Röntgen, Computertomografie und mikrobiologischen Nachweises der Tuberkelbakterien schnell erkannt und wirkungsvoll behandelt. Dies dank einer Forschung, die mit Mäusen, Meerschweinchen, Kaninchen und Ratten begann und heute mittels Zellkulturen, Gentechnologie und Stammzellen die vielen Rätsel um die verbleibenden tödlichen Krankheiten Schritt für Schritt aufzuklären versucht.
Eine unheilige Allianz aus Bundesrat und Parlament sowie realitätsfremden Fundamentalisten versucht nun auf gänzlich verschiedenartigen, aber doch komplementären Ebenen diesen Fortschritt zu bremsen oder gar aufzuhalten. So sollen bei der Forschungsförderung, also beim Schweizerischen Nationalfonds, 230 Millionen gespart werden, obwohl dessen Budget seit Anfang der Neunzigerjahre stagniert, real also abgenommen hat, während vergleichbare Institutionen in anderen Ländern ihre Forschungsförderung verdoppelt bis vervierfacht haben. Die Schweiz will offensichtlich ihre grauen Zellen, den einzigen Rohstoff, von dem an sich noch genug vorhanden wäre, nicht mehr wirkungsvoll bewirtschaften. Und darum hat unser Forschungsstandort schon seit den Neunzigern unaufhaltsam an Terrain eingebüsst, Tendenz weiterhin sinkend.
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Auf anderer Ebene haben sich rechte Fundamentalisten, die möglicherweise wie US-Abtreibungsgegner noch an die Erschaffung der Welt in sieben Tagen glauben, mit linken Träumern zusammengetan und das Referendum gegen das Stammzellenforschungs-Gesetz ergriffen. Überschussmaterial künstlicher Zeugung, also Zellhaufen, die maximal sieben Tage alt sind, sollen vernichtet oder ad infinitum eingefroren statt zum Wohle der jetzt jungen sowie künftiger Generationen eingesetzt werden. Fundamentalisten schalten eben nicht nur das Gehirn, sondern auch das Mitgefühl und die Solidarität aus.
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