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43 Milliarden Dollar hat sich der chinesische Staat die Syngenta-Übernahme kosten lassen. In der Nähe von Shanghai zeigt sich, warum.
Grosse Pläne: China hat nur 9 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche und will damit einen Fünftel der Weltbevölkerung ernähren.
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Glück hat viele Gesichter, für He Mingbing ist es ein frisch geerntetes Reisfeld. Stolz und strahlend steht der Bauer an dem diesigen Morgen vor seinem umgepflügten Acker, am Rande einer Gewerbezone in der Provinz Zhejiang, zwei Autostunden vom geschäftigen Shanghai entfernt. In der Ferne schimmern die Neonlichter von Bürogebäuden durch den Nebel, am Horizont drehen sich müde ein paar Windräder.
Bäuerliche Romantik, wie wir sie in der Schweiz so lieben, sucht man hier vergebens. Dafür stimmt die Kasse. Bauer He Mingbing bewirtschaftet eine Fläche von 250 Hektar – zehnmal mehr als ein Schweizer Bauer. Seine Berufskollegen in den USA oder in Brasilien etwa schaffen ein Vielfaches, aber in China, wo Bauern meist noch immer nur für den eigenen Bedarf produzieren, ist das viel. Seine Erträge steigen, und das bei sinkendem Arbeitsaufwand – auch das zahlt sich aus. Seinen sechs Angestellten kann He Mingbing Löhne zahlen, die deutlich über dem liegen, was ein chinesischer Fabrikarbeiter Ende Monat nach Hause trägt. Er selbst ist mit einem Mercedes unterwegs, das Auto mit dem Stern aus Stuttgart ist in China noch immer das Mass für alle, die es geschafft haben – auch wenn die Regierung die Anschaffung hausgemachter E-Autos mit allen Mitteln forciert.

He Mingbing ist Bauer in der Nähe von Shanghai und glücklicher Besitzer eines Mercedes.
Seraina Gross
He Mingbing ist Bauer in der Nähe von Shanghai und glücklicher Besitzer eines Mercedes.
Seraina GrossMingbings Erfolgsgeschichte aber beginnt in der Schweiz, in den Forschungslabors des Chemiekonzerns Syngenta im aargauischen Stein und in dessen Produktionsanlagen im Wallis. Hier wurden die beiden Produkte entwickelt und hergestellt, dank denen der Grossbauer im 9000 Kilometer entfernten China vor wenigen Tagen 10 Prozent mehr Reis einfahren konnte als noch vor zwei Jahren. Es geht um die Fungizide Adepidyn und Tymirium, letzteres wirkt auch gegen Nematoden, kleine Fadenwürmer, die sich an den Wurzeln der Kulturpflanzen zu schaffen machen und deshalb im Reisanbau besonders gefürchtet sind. Das chemische Multitalent aus der Schweiz ist in hundert Märkten und für sechzig Kulturen zugelassen. 2020 beziehungsweise 2024 wurden die beiden Produkte auf dem chinesischen Markt lanciert, nun werden sie bereits auf 13 Millionen Hektar eingesetzt, das ist dreimal so gross wie die Fläche der Schweiz. Chinesische Agrarwende, made in Switzerland.
Viel wurde darüber spekuliert, warum der chinesische Staat vor acht Jahren 43 Milliarden Dollar für den Kauf des Basler Agrochemiekonzerns bar auf den Tisch legte, die Transaktion gilt noch immer als grösste Cash-Übernahme der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Das Beispiel von He Mingbing und seinen Berufskollegen in China zeigt die Logik hinter dem Megadeal von damals. Es geht um grössere Betriebe, Mechanisierung, um den Einsatz künstlicher Intelligenz und um neue Produkte, die höhere Erträge bringen und dabei Böden und Ressourcen schonen.
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Die Chinesen sind ein Milliardenvolk, das immer mehr Fleisch isst und deshalb immer mehr landwirtschaftliche Produktion braucht. Die Regierung will dank Selbstversorgung von Agrarimporten loskommen. Doch die Bevölkerung stagniert, die Arbeitskräfte werden knapp, auch in der Landwirtschaft. Noch in den 1970er- und 1980er-Jahren waren die Chinesen ein Volk von Bauern, doch das ist passé; heute finden nur noch vierhundert Millionen Menschen ihr Auskommen in der Landwirtschaft, damals waren es sechshundert Millionen.
Die Trade-offs sind gigantisch. Das Riesenland will einen Fünftel der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgen, verfügt aber nur über 9 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche weltweit. Grosse Gebiete wie die Wüste Gobi und die Löss-Hochebene im Norden sind landwirtschaftlich kaum nutzbar, zwei Drittel der Fläche sind hügelig oder gebirgig – ein Anteil so gross wie in der Schweiz. In fruchtbaren Gebieten wie dem Jangtse-Delta oder im tropischen Süden sind viele Böden übernutzt. In den Reisanbaugebieten des Jangtse-Deltas sind die Felder wegen exzessiver Bewässerung übersalzen und deshalb unfruchtbar; die jahrelange Überdüngung hat Äcker alkalisch und damit für die landwirtschaftliche Nutzung auf Jahre hinaus unbrauchbar gemacht. Die Belastung mit Schwermetallen ist ein Problem, vor allem in den alten Bergbaugebieten. Mehr als 40 Prozent des Ackerlandes sind degradiert, die Regierung selbst spricht davon, dass 30 Prozent des Staatsgebiets von Bodenerosion betroffen seien.
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China soll sich selbst versorgen können, so will es die Regierung. Das gilt besonders jetzt, wo sich die Spannungen mit den USA verschärfen. Bei wichtigen Nahrungsmitteln wie Reis, Weizen und Mais liegt der Selbstversorgungsgrad schon bei 90 Prozent und mehr. Sorgenkind ist Soja für die Schweinezucht. Zurzeit kommen rund 20 Prozent des Sojas aus den USA, doch bis 2070 will die chinesische Regierung auch hier die Nahrungsmittelautonomie erreicht haben.
Die Probleme sind enorm, denn wenn es nicht gelingt, das Steuer herumzureissen, braucht China schon Ende dieses Jahrzehnts 70 bis 90 Millionen Hektar Landwirtschaftsland zusätzlich. Das ist dreimal so viel wie die gegenwärtig verfügbare landwirtschaftlich nutzbare Fläche – oder die ganze Fläche Brasiliens, eines der wichtigsten Produzenten landwirtschaftlicher Produkte. Und es wäre ein Desaster für den ökologischen Fussabdruck des Landes. Die CO₂-Emissionen würden um 22 Prozent steigen, der Wasserverbrauch um 70 Prozent, ein No-Go. «Die Lösung liegt in der Innovation und in der Technologie», sagt Fu Su. Er ist Chef von Syngentas China-Geschäft und sitzt in dieser Rolle auch in der Konzernleitung. Er fügt an: «Wir bringen Schweizer Präzision und chinesische Grösse und Geschwindigkeit zusammen.»
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Der Weg dahin führt über landwirtschaftliche Zentren, sogenannte Modern Agriculture Platforms, kurz MAP, sie sind das Flaggschiff der China-Strategie des Unternehmens. Ziel ist, den Bauern nicht nur Produkte zu verkaufen, sondern sie umfassend zu begleiten. Aufbereitete Satellitendaten sagen den Bauern etwa live, wann ein Feld gedüngt, mit Pestiziden behandelt oder gewässert werden muss. Auch Unwetterwarnungen gehören zum Angebot. Bald ausgerollt wird die nächste Generation einer App, die nicht nur die Fragen der Bauern beantwortet, sondern aufgrund des Gesprächsverlaufs auch eruiert, was wohl die nächste Frage sein könnte. Ziel der Initiative ist, die Erträge zu steigern und gleichzeitig die Umweltbelastung zu reduzieren, vor allem den CO₂-Fussabdruck und den Wasserverbrauch.
Die Plattformen wurden 2017 von Hengde Qin lanciert, dem ersten Chef des China-Geschäfts nach der Übernahme, der sich damit für höhere Weihen empfahl und nun als Finanzchef in der Konzernleitung sitzt. Heute gibt es die Plattformen in 26 von 34 chinesischen Provinzen, und hunderttausend Bauern, die insgesamt 2,6 Millionen Hektar Land bewirtschaften, nutzen sie. Die Ertragssteigerungen liegen bei 10 Prozent, der Wasserverbrauch ist um 10 Prozent gesunken, es wurden 15 Prozent weniger Düngemittel eingesetzt, und die CO₂-Emissionen sind um 11 Prozent zurückgegangen.
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Doch auch für die Konzernzentrale im fernen Basel ist die Initiative ein Gewinn. Das Geschäft in der Heimat der neuen Eigentümerschaft brummt, 2024 lagen die Umsätze in China bei 9,6 Milliarden Dollar, das entspricht rund einem Drittel des Gesamtumsatzes.
Reisbauer He Mingbing lächelt derweil freundlich zum Abschied in die Kamera und hebt die Hand zum Gruss. Der eigentliche Star hier ist schliesslich er.
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise.
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