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BILANZ-Briefing

Sieben Erkenntnisse aus einem turbulenten ersten Halbjahr

Trumps protektionistische Politik belastet die US-Wirtschaft, während Europa überraschend aufblüht. Die Schweiz bleibt ein sicherer Hafen, doch das Banken-Bashing könnte den Finanzplatz gefährden.

Bilanz Briefing Dirk Schütz  Bilanz Briefing

«Dass Trump 2.0 seine bizarre Zolllogik auf Kosten der Wirtschaft vorantreibt, zeigt seine komplette Machtfülle.»

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Natürlich lässt sich für dieses erste Halbjahr 2025 der grosse Zeitenbruch ausrufen: Die Sicherheit, die die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten Institutionen geliefert haben, ist endgültig weg. Jedoch: Als Zeitenbruch galten auch schon die Pandemie oder der Ukraine-Überfall. Und wer weiss, was noch alles passiert im Zeitalter des Don. Wählen wir also für unsere traditionelle Halbjahres-Bilanz etwas kleineres Verbal-Geschütz und versuchen es mit einem der wenigen Erinnerungsfetzen, die uns vom Lichtjahre entfernten Ökonomiestudium geblieben sind: Der statistischen Kenngrösse des Erwartungswerts – er misst bei einer Event-Reihe den erwartbaren Wert. Also: Was kam überraschend in diesem Turbo-Semester? Und was war erwartbar? Eine Annäherung in sieben Punkten:

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Erstens: Trumps wahres Vermächtnis

Eines kann niemand Trump vorwerfen: Dass er seine Ziele nicht klar formuliert hat. Wer sich um Amerika sorgt, sollte nie vergessen: Er setzt um, was er seinen Wählern angekündigt hat, und dafür haben sie ihn gewählt. Ausschaffungen von Immigranten, Angriff auf die Wissenschaft, Schwächung des Rechtstaats: Entspricht voll dem Erwartungswert, inklusive dem unausweichlichen Clash der Monster-Egos mit Musk. Das so nicht erwartbare Chaos entsteht nur durch divergierende Ziele: Der Zollwahn drückt auf Börsenbonanza, Inflationsabbau und Planungssicherheit – alles zusammen geht schlicht nicht. Dass Trump 2.0 seine bizarre Zolllogik auf Kosten der Wirtschaft vorantreibt, zeigt seine komplette Machtfülle. Vor seinem Antritt lag der durchschnittliche US-Zollsatz bei 2,4 Prozent, Ende Juni betrug er 15,6 Prozent – der höchste der westlichen Welt. Und der Wahnsinn steht ja noch vor der entscheidenden Runde. 50 Prozent etwa für Brasilien, obwohl die USA einen Handelsüberschuss hat, nur wegen des Prozesses gegen Ex-Präsident Bolsonaro: Das ist Willkür in grotesker Reinkultur und Gift für jegliche Rechtssicherheit. Reagans Reservat des Freihandels ist zur Trumpschen Trutzburg des Protektionismus mutiert. Das war in dieser Schärfe nicht erwartbar - und bildet aus Wirtschaftssicht das traurige Vermächtnis des ersten Halbjahrs.

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Zweitens: Europa bitte

Auch die Folge davon war zu Jahresbeginn nicht erwartbar: Der Aufschwung Europas. Der grosse amerikanische Aktien-M&A-Boom blieb aus, das Geld der globalen Investorenhorde floss plötzlich auf den lange verhöhnten Kontinent. Und jetzt wird sogar aufgerüstet (wenn auch kaum in der Schweiz). Rechtstaatlichkeit, Verlässlichkeit, Institutionen-Respekt: Plötzlich scheint die Alte Welt heller als zuvor.

Drittens: Leise Schweizer Töne

Was voll dem Erwartungswert entsprach: Die Schweiz als Safe Haven. Der Franken ist inflationsresistent, krisenbegehrt und legte als härteste Währung der Welt in diesen unsicheren Zeiten sogar zu. Wenig erwartbar dagegen, als Folge der überraschenden Europa-Hausse: Wie abgedimmt die Debatte um die EU-Verträge verläuft, die immerhin seit einigen Wochen vorliegen. Natürlich schiesst die SVP reflexhaft-rüde, doch für ihrer Verhältnisse erstaunlich leise. Auch die anderen Parteien halten sich auffällig zurück. Angesichts von Trump, Putin und Xi merken selbst die Briten plötzlich: Am ehesten sind wir doch Europäer (bloss nicht in der EU). Und bei aller berechtigten Brüssel-Abscheu: Heimlich auch die Schweizer.

Viertens: Banken-Bashing zieht

Was dagegen voll erwartbar war: Das harte Durchgreifen gegen die UBS. Politiker hängen an den Wählern, Banker sind toxisch, Sachargumente offenbar auch: Die Grossbank soll die härtesten Kapitalregeln der Welt aufgebrummt bekommen, obwohl sie kernsolide ist und ein risikoarmes Geschäftsmodell betreibt – und selbst eine FDP-Finanzministerin gibt in einer eigens erstellten Studie offen zu, dass sie der Bank einen «signifikanten kompetitiven Nachteil global und im Heimmarkt» aufbürdet. So viel Populismus leistet sich selbst die solid-rationale Schweiz: Banker-Bashing bringt Bonuspunkte an der Urne. Dumm nur, dass die Verantwortlichen damit den Finanzplatz schädigen. Muss man sich leisten können.

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Fünftens: Unnötiger WEF-Meltdown

Nicht erwartbar dagegen: Die Implosion des WEF. Man hätte von erfahrenen Konzernlenkern wie Ex-Nestlé-Grande Brabeck oder Axa-Chef Buberl einen verantwortungsvollen Umgang mit anonymen Anschuldigungen gegen den WEF-Gründers Klaus Schwab erwartet. Stattdessen: Eine Intrige zur Entfernung des Übervaters. Ihre Treuepflicht gegenüber der Organisation hat das Duo mit Füssen getreten. Bleibt nur zu hoffen, dass der Bund angesichts der Bedeutung des WEF eine einvernehmliche Lösung findet. Bundesrat: Bitte übernehmen!

Sechtens: Golden Age 

In dieser Ausprägung eher nicht erwartbar: Das Comeback der Erfahrung. «Den Jugendfimmel kann man in Politik und Unternehmen nur dann halten, wenn alles gut läuft», sagte Altmeister Blocher, 84-jährig, unlängst in einem Interview. Nun mag man das Alter des 79-Jährigen Trump nicht unbedingt mit Weisheit verbinden. Aber es ist auffällig, dass sich Blochers Urteil auch bei den Investoren durchsetzt: Bei der Zürich steuert der 66-Jährige Greco den Konzern so solide, dass sein Abtritt den Kurs schwächen würde. Auch UBS-Vormann Ermotti hat das Pensionsalter erreicht, bleibt aber aus Investorensicht die sichere Hand auf der Brücke. Bei Nestlé will Konzernchef Freixe, 63, noch einige Jahre weitermachen – wenn da bloss nicht der in den letzten Wochen wieder stark taumelnde Kurs wäre. Und die Neuen? Brenna bei Raiffeisen, Bolliger bei Bär, Grieder bei der Post: Alles unbeschriebene Blätter und damit Wetten der Verwaltungsräte auf erfolgreiche CEO-Entfaltung. Aber: Alle über 50. Fast ein Lehrlings-Alter für den Top-Job.

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Siebtens: Hohe Widerstandskraft

Und was angesichts der Turbulenzen kaum erwartbar war: Die Resilienz der Weltwirtschaft und der Schweizer Wirtschaft im Besonderen. Pandemie, Kriege, Attacken auf den Welthandel, der Aufstieg von Populisten, jetzt die neue Weltordnung des Don – und die Wirtschaft gedeiht weiter, und mit ihr der Aktienmarkt. Die Börsen stehen nahe Rekordmarken. Natürlich gibt es sie immer, die grossen Crash-Propheten mit alle ihren Schreckensszenarien, aktuell reichen sie vom Ende der Dollar-Dominanz über den grossen Cyber-Meltdown bis zur Ausrottung durch AI. Und ja, die Hausse von Gold und Krypto signalisieren hohe Nervosität-Pegel. Doch derartige Szenarien gab es immer, nur der Inhalt der Warnungen änderte sich. Sehen wir es positiv: Die Widerstandskraft ist durch all die Schocks gestiegen, und es entspricht dem Erwartungswert, dass sie auch im zweiten Halbjahr halten wird. In diesem Sinne: Geniessen Sie die Ferien. Ich gönne mir eine Tour d’Europe (natürlich). Das nächste Briefing erreicht Sie am 8. August.

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