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Lucerne Festival

«Wir haben immer das Allerbeste gesucht»

Er tritt nach 26 Jahren ab: Intendant Michael Haefliger über Zauber, Neuanfänge – und Klaus Schwab.

Dirk Schütz

Michael Haefliger machte Luzern zur Nummer eins unter den Klassikfestivals.

Michael Haefliger machte Luzern zur Nummer eins unter den Klassikfestivals.

Herbert Zimmermann für BILANZ

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Das Büro des Lucerne Festival an der Hirschmattstrasse in Luzern, 450 Meter vom Kultur- und Kongresszentrum (KKL) entfernt. Intendant Michael Haefliger hat hinter seinem Schreibtisch zwei Plakate aufgehängt: die Ankündigung für das diesjährige Festival, das am 12. August unter dem Motto «Open End» beginnt. Und daneben: das Plakat zum «1. Internationalen Musik-Festival», das er vor 39 Jahren in Davos lancierte. So schliesst sich der Kreis: Es ist das letzte Festival unter Haefligers Ägide. Zeit für eine Bilanz.

Sie erleben nach 26 Jahren Ihren letzten Sommer als Intendant des Lucerne Festival. Was überwiegt: Freude oder Wehmut?

Ich freue mich sehr und bin voll angespannt. Für Wehmut ist noch keine Zeit. Es wird viel passieren in diesem Sommer.

«Open End» nennen Sie Ihr letztes Programm, und am Ende steht eine Premiere: die Ark Nova – zehn Tage Musik unter einem pink-auberginefarbenen Zeltdach.

Ich bin sehr verbunden mit Japan, und nach der Naturkatastrophe 2011 in Fukushima wollten wir mit Musik ein Zeichen gegen die Katastrophe setzten. Es war ein grosser Aufwand, die Sponsoren waren nicht einfach zu finden, aber schliesslich haben wird dort vier Mal eine Konzertreihe in der ersten aufblasbaren Musikhalle der Welt organisiert.

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Und jetzt findet das Projekt erstmals den Weg nach ausserhalb Japans.

Wir werden ab dem 4. September zehn Tage auf der Lidowiese vor dem Verkehrshaus in Luzern in dieser neuen Arche Konzerte organisieren. Wir haben 300 Plätze, der Andrang ist gross. Das Spannende daran: Es wird nicht nur Klassik sein, sondern auch Pop, Rock, Jazz.

Der Bau des KKL legte den Grundstein für den Erfolg des Festivals.
Die aufblasbare Konzerthalle ­Ark Nova komplettiert das diesjährige Festival.
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Der Bau des KKL legte den Grundstein für den Erfolg des Festivals.

Keystone

Eine Ökumene der Musik als Michael Haefligers Vermächtnis?

Es ist eine Öffnung – auch hier passt der Titel «Open End».

Das Lucerne Festival ist unter Ihrer Ägide zum erfolgreichsten Klassikfestival der Welt aufgestiegen. Was war das Erfolgsrezept?

Wir haben immer das Allerbeste gesucht. Als ich 1999 angefangen habe, war die Intendanz noch kein Vollzeitjob, das haben wir geändert. Und dann kam dieser fantastische Saal mit der einmaligen Lage am See – und wir konnten zaubern.

Wie kamen Sie zu dem Posten?

Als ich gelesen habe, dass das KKL bewilligt wurde, habe ich dem damaligen Intendanten sofort gratuliert. Wenige Monate später trat er zurück – und ich rief sofort den damaligen Präsidenten des Stiftungsrats an und signalisierte mein Interesse. Ich hatte vorher schon in Davos ein Kammermusikfestival aufgebaut. Und mit den Stiftungsräten in Luzern pflegte ich den Kontakt und traf sie zuweilen auch zum Essen.

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Wie hat der Präsident reagiert?

«Herr Haefliger, wir starten da einen Prozess», teilte er mir sehr nüchtern mit. Es gab mehrere Kandidaten, das wurde mir auch mitgeteilt. Aber die Aufbauarbeit in Davos war sicher ein Vorteil, da hatte ich sogar Plakate selbst geklebt. Offenbar war meine unternehmerische Energie überzeugend.

Was bot Luzern mehr als Davos?

Die grosse Tradition – die ersten Musikfestspiele fanden 1938 statt. 1985 habe ich als 24-Jähriger mit meinem Bruder hier gespielt, ich als Violinist, er als Pianist. Auch mein Vater ist hier als Sänger aufgetreten. Diese Magie zwischen See und klassischer Musik hat mich enorm fasziniert. Luzern war immer mein Traum.

Sie wurden zum ersten vollamtlichen Intendanten nominiert.

Für mich war es das Paradies. Ich hatte diesen Gründer- und Aufbaugeist aus Davos mitgenommen. Aber jetzt konnte ich auf viel grösserer Bühne gestalten. Wir haben die neue Marke «Lucerne Festival» als Zeichen des Neustarts lanciert. Und ich habe gleich gesagt: Wir haben bisher schon erstklassige Musiker. Aber wir müssen ein eigenständiges Profil entwickeln.

Musiker & Macher

Der Sohn des Tenors Ernst Haefliger begann früh mit dem Geigenspiel und studierte in New York Violine. Anschliessend erwarb er einen MBA in St. Gallen. 1986 gründete er das Musik-Festival Davos. 1999 wurde er zum ersten vollamtlichen Intendanten in Luzern berufen. Er verdoppelte die Einnahmen und führte das Lucerne Festival an die Spitze der Klassikwelt. Nach 26 Ausgaben als Intendant übergibt der 64-Jährige nach dem Sommer an seinen Nachfolger Sebastian Nordmann.

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Der neue Saal, die neue Marke – und zwei Stars mit globalem Renommee: Claudio Abbado als Dirigent des neuen Lucerne Festival Orchestra, der Komponist Pierre Boulez als Leiter der Lucerne Festival Academy.

Dieses Zusammenspiel war der Schlüssel zum Erfolg. Abbado und Boulez waren sofort fasziniert, etwas Einmaliges in der Musikwelt ohne grosse gesellschaftliche oder politische Zwänge aufbauen zu können. In Luzern stand immer die Musik im Vordergrund, auch für das Publikum, es war nie ein Schaulaufen. Das Lucerne Festival hat etwas Intimes, es ist auch deutlich kleiner als Salzburg. Diese Liebe habe ich von Anfang an gespürt, und sie hat sich auf die Schlüsselpersonen übertragen.

Warum waren Sie stets etwas mehr Manager als Künstler?

Ich war als Mensch stets viel glücklicher im Austausch, mit einer Aufgabe, etwas aufzubauen und leiten zu können. Als Einzelgeiger im Übungszimmer fühlte ich mich eingeschlossen und einsam. Für meinen Bruder war es stets ein Glück, allein mit seinem Piano zu sein. Für mich passte das nicht. In der Vorbereitung des Festivals fallen Hunderte von Entscheidungen an. Da fühle ich mich wohl, zusammen mit meinem Team. Meine Mutter war Unternehmerin, mein Vater Opernsänger. Ich habe beide Seiten. Es braucht auch Fachkompetenz in der Unternehmensführung, deswegen habe ich in St. Gallen auch einen MBA erworben. Leider haben wir in der Firmenwelt zu oft erlebt, dass sich die Lenker fachlich nicht auskennen.

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Was war die entscheidende Etappe?

Das erste Konzert im Jahr 2003 mit Abbado und dem neuen Orchester und seinen weltbesten Musikern war unglaublich. Das SRF hat übertragen, die Chinesen, die Japaner – es war eine Sensation, die um die Welt ging. Das war der Durchbruch.

Die Kunst war dann, das hohe Niveau zu halten. Was hat sich geändert?

Was uns gelungen ist: Wenn wir die Stars der globalen Klassikszene anrufen, kommen sie alle. Das ist künstlerisch einmalig. Niemand sagt in Luzern ab. Abbado war schon zu Beginn des Engagements an Krebs erkrankt, aber er hatte bei uns noch mal zehn künstlerisch phänomenale Jahre. Nach seinem Tod im Jahr 2014 haben wir mit Riccardo Chailly eine sehr überzeugende Nachfolgelösung gefunden. Er war mal Abbados Assistent, aber er hat gleich gesagt: Ich werde ihn nicht imitieren. Er hat das Repertoire enorm erweitert, gegen alle Konventionen. Und dann braucht es stets das kommerzielle Gespür. Ich verbringe fast die Hälfte meiner Zeit mit Sponsorenpflege. Das Geschäft ist nicht einfacher geworden, denn die Konkurrenz ist viel grösser. Da muss der Chef persönlich vorstellig werden, das lässt sich nicht delegieren. Das muss man mögen. Ich mag es.

Sind Wirtschaftsführer einfacher zu führen als Starmusiker?

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Es braucht Feingefühl für beide Seiten. Die Einsamkeit und die Perfektionsansprüche eines Konzertmusikers selbst erlebt zu haben, hat mir sicher geholfen. Aber ich kenne mich auch mit Bilanzen und den Nöten von Firmenchefs aus – ich führe ja selbst ein KMU.

Lange war die Credit Suisse eine der Hauptsponsoren. Hat die UBS jetzt übernommen?

Die UBS führt die langjährige Partnerschaft nahtlos weiter. Bereits seit letztem Jahr ist sie am Lucerne Festival präsent.

Michael Haefliger wollte schon früh nach Luzern: «Die Magie zwischen See und klassischer Musik hat mich enorm begeistert.»
<p>Erst mal Pause – und dann gibt es Projekte in China und Japan, die ­Michael Haefliger reizen.</p>
Der neue ­Intendant bei ­seinem Antritt als 37-Jähriger im Jahr 1999.
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Michael Haefliger wollte schon früh nach Luzern: «Die Magie zwischen See und klassischer Musik hat mich enorm begeistert.»

Herbert Zimmermann für BILANZ

Auch Nestlé ist nicht mehr Hauptsponsor, sondern engagiert sich nur noch für einzelne Konzerte.

Ja, dafür haben wir aber die Kühne-Stiftung als Hauptsponsor gewinnen können.

Der langjährige Spender Christoph Müller stornierte einen sechstelligen Betrag, weil er sich an der Mitgliedschaft der Ex-CS-Lenker Urs Rohner und Walter Kielholz im Stiftungsrat störte. Wie stark trifft dies das Festival?

Natürlich verlieren wir ungern unsere Unterstützer, wir bedauern seinen Rückzug sehr: Jedoch war dies für uns finanziell verkraftbar. Wir sind stolz auf eine breite Sponsoren- und Friends-Basis. Es gibt im Verlauf der Zeit immer Ab- und Zugänge.

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Wie finanziell solide ist das Festival?

Es ist sehr solide. Wir halten in unseren Reserven in etwa das Budget eines Jahres.

Das waren letztes Jahr 19  Millionen Franken – 5  Millionen weniger als im Vor-Corona-Rekordjahr 2019.

Damals waren wir mit dem Festival-Orchester mehr auf Reisen. Als ich angefangen habe, lag das Budget noch bei etwa zehn Millionen Franken.

Im letzten Jahr lagen die Sponsorenbeiträge und Spenden bei acht Millionen Franken, genauso hoch wie der Ticketverkauf. Stimmt es, dass die vier Hauptsponsoren davon jeweils mehr als eine halbe Million tragen?

Die Grössenordnung ist korrekt.

Das heisst: gegen sechs Millionen für die anderen Partner?

Wir sind breit verankert. Gerade ist etwa auch die Jörg-G.-Bucherer-Stiftung hinzugekommen. Insgesamt zählen wir in diesem Jahr mehr als 50 Firmen, Stiftungen und Mäzene zu unseren Partnern.

Der Draht zur Wirtschaft ist eng. Der Stiftungsrat besteht aus 17 Personen und versammelt geballte Unternehmensmacht: Zurich-Präsident Michel Liès, Roche-Chef Thomas Schinecker oder Swiss Life-Präsident Rolf Dörig. Von der UBS ist Co-Wealth-Management-Chef Iqbal Khan hinzugestossen. Was bringt er ein?

Für die Gäste der UBS ist das Lucerne Festival immer wieder ein Highlight. Iqbal Khan bringt gute Impulse und setzt sich für den langfristigen Erfolg des Festivals ein.

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Viele Jahre war bei Ihnen auch WEF-Gründer Klaus Schwab Mitglied des Stiftungsrates. Wie beurteilen Sie die Turbulenzen seines Rücktritts?

Ich kenne Klaus Schwab sehr lange: Als ich 1986 das Musik-Festival für Kammermusik in Davos lancierte, war das WEF dort bereits eine sehr erfolgreiche Veranstaltung, und wir tauschen uns seitdem regelmässig aus. Das WEF nahm mich auch in den Kreis der «Young Global Leaders» auf. Ich hatte immer einen sehr grossen Respekt vor Schwabs Aufbauleistung, und auch sein Input für unser Festival war immer sehr wertvoll.

Schwarz oder Weiss, Herr Haefliger?

★ Jazz oder Rock? Jazz – wegen meiner New Yorker Studienzeit.
★ Rot oder Weiss? Lieber einen kühlen Weissen.
★ Abbado oder Karajan? Abbado – mit riesigem Dank.
★ Salzburg oder Bayreuth? Salzburg – es ist breiter aufgestellt.
★ Golf oder Wandern? Seit fünf Jahren Golf – ein Demutsspiel.
★ Tesla oder Ferrari? Tesla – unabhängig von der Politik.
★ Geige oder Klavier? Die Geige war in der Jugend mein Leben.
★ Franken oder Euro? Der Franken ist mir näher.
★ Alpin oder Langlauf? Früher Alpin, heute Langlauf.

Haben Sie die Vorwürfe von vermeintlich ungerechtfertigtem Spesenbezug bis zu angeblichen Ranking-Manipulationen überrascht?

Ja, sehr. Ich habe Klaus Schwab immer als hochinteger erlebt.

Offenbar war beim WEF anders als beim Lucerne Festival das Verhältnis zwischen der Leitfigur und dem Stiftungsrat nicht mehr intakt.

Das kann ich nicht beurteilen. Zentral für den Erfolg von derartigen Organisationen ist eine funktionierende Beziehung zwischen der Leitung und dem Kontrollgremium. Der Stiftungsrat hat die Pflicht, die Reputation zu schützen.

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Das ist beim WEF nicht gelungen: Der öffentliche Schaden ist gross.

Ich hoffe sehr, dass Klaus Schwab rehabilitiert wird und den Abgang bekommt, den er nach dieser grandiosen Gründerleistung verdient. Seine Verdienste für die Welt und die Schweiz sind enorm.

Anders als bei vielen anderen Festivals ist Ihr Anteil an Staatsgeldern gering: Er liegt bei etwa zehn Prozent.

Wir sind privilegiert, mit rund 90 Prozent weist das Festival einen sehr hohen Eigenwirtschaftlichkeitsgrad auf. Doch heute Tickets für 320 Franken zu verkaufen, ist nicht einfacher geworden. Natürlich gibt es die Kaufkraft, vor allem hier in der Schweiz, aber für manche Ausländer ist es schon teuer. Da helfen die Kontakte zur Wirtschaft. Die Sponsoren nehmen auch grosse Kontingente.

Wie wichtig ist das Festival für die Stadt und den Kanton?

Sehr wichtig. Wir haben in einer Wirkungsstudie ermittelt, dass das Festival jährlich einen Wertbeitrag von 45 bis 50 Millionen für die Region generiert und gegen 250 Arbeitsplätze schafft. Ein Festivalbesucher, der in der Region übernachtet, bleibt doppelt so lang wie ein regulärer Tourist.

Sie haben Ihre Nachfolge von langer Hand geplant. Waren Sie in die Auswahl involviert?

Ich habe der vom Stiftungsrat eingesetzten Findungskommission eine Liste mit mehreren Kandidaten geliefert, die mitberücksichtigt wurde. Es gab die ganz Jungen, wie ich bei meinem Start einer war mit meinen 37  Jahren. Doch damals war Aufbauarbeit gefragt. Jetzt geht es um innovative Fortführung. Es gab daher auch erfahrenere Kräfte auf meiner Liste.

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Ihr Nachfolger Sebastian Nordmann passt in dieses Profil: Er ist 54 Jahre alt. Stand er auch auf Ihrer Liste?

Ja, das tat er. Sein Karriereweg ist sehr überzeugend: Sebastian Nordmann hat die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern zu einem der grössten Festivals Deutschlands aufgebaut, er war Intendant des Konzerthauses Berlin und auch Berater bei der Boston Consulting Group. Ein sehr guter Mix.

Waren Sie bei den Rekrutierungsgesprächen dabei?

Nein. Der Stiftungsrat hat mithilfe eines Headhunters ein professionelles Verfahren organisiert und eine sehr gute Lösung gefunden. Ich wurde informiert und war sehr zufrieden.

Wie läuft die Einarbeitung?

Sehr gut. Für das aktuelle Programm trage ich noch die volle Verantwortung, aber mein Nachfolger ist bereits seit Längerem an Bord, ich führe ihn bei den Sponsoren ein, ab Herbst dieses Jahres übernimmt er dann voll. Natürlich wird er eigene Ideen bringen. Das wird guttun.

Und was machen Sie als junger 64-Jähriger?

Ich habe einige Ideen, es gibt einige Projekte, vor allem in Asien – China und Japan. Es inspiriert mich sehr, mich verstärkt in anderen Kulturräumen zu bewegen. Die Neugier ist noch immer da.

Hat das noch etwas mit dem Lucerne Festival zu tun?

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Nein.

Das heisst: Nächsten Sommer haben Sie zum ersten Mal seit 40 Jahren im August frei.

Genau – es wird mein erster freier Ferragosto. Auch darauf freue mich sehr.

Dieser Artikel erschien in der BILANZ 08/2025.

 

BILANZ Cover 8/25
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Über die Autoren
Dirk Schütz

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