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Interview

«Die Zukunft ist nachhaltig – oder es gibt keine Zukunft»

André Hoffmann, langjähriger Umweltaktivist und Unternehmer, plädiert für einen verantwortungsvollen Kapitalismus, der Mensch und Natur dient.

Jasmine Alig

<p>«Wir können nicht weiter so mit der Natur umgehen, <br />als wäre sie unerschöpflich», betont André Hoffmann.</p>

«Wir können nicht weiter so mit der Natur umgehen, als wäre sie unerschöpflich», betont André Hoffmann.

©Mark Henley/Panos Pictures

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Seit mehr als fünfzig Jahren engagieren Sie sich für Umweltthemen. Was treibt Sie persönlich an?

Mein Engagement entspringt einem tiefen Respekt vor der Natur und der Überzeugung, dass unser Wohlergehen und unsere Gesundheit untrennbar mit der Gesundheit unseres Planeten verbunden sind. Aufgewachsen in der Camargue (dem Delta der Rhône), umgeben von natürlicher Schönheit und geschützten Ökosystemen, entwickelte ich schon früh ein Bewusstsein für Verantwortung. Im Laufe der Jahre habe ich Umweltschutz nicht nur als moralische Verpflichtung, sondern auch als strategische Notwendigkeit für langfristigen Wohlstand erkannt.

Sie sind sowohl als Unternehmer bei Roche als auch als Umweltaktivist beim WWF bekannt. Wie beeinflussen sich diese beiden Welten gegenseitig in Ihrem Denken und Handeln?

Es handelt sich nicht um gegensätzliche Welten, sondern um komplementäre. Die Wirtschaft verfügt über die Ressourcen und die Reichweite, um systemische Veränderungen voranzutreiben, während der Aktivismus für Dringlichkeit sorgt. Bei Roche habe ich mich dafür eingesetzt, dass Nachhaltigkeit nicht als Kostenfaktor, sondern als Quelle für Innovation und Widerstandsfähigkeit betrachtet wird. Durch meine Arbeit beim WWF habe ich den grösseren ökologischen Kontext erkannt, in dem Unternehmen agieren.

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Gab es Momente, in denen diese Rollen in Konflikt gerieten?

Natürlich. Es gibt Zeiten, in denen kurzfristige geschäftliche Zwänge mit langfristigen Umweltzielen kollidieren. Aber ich sehe diese Spannungen als Chance, Annahmen infrage zu stellen und bessere Lösungen voranzutreiben. Der Schlüssel liegt darin, an Werten festzuhalten und den Dialog zwischen den Sektoren zu fördern.

Der Titel Ihres Buches «Die neue Natur des Wirtschaftens» suggeriert einen grundlegenden Wandel. Was ist das Wichtigste, das sich ändern muss, damit Wirtschaften wieder «natürlich» wird?

Wir müssen den Begriff «Wert» neu definieren. Unternehmen müssen über die Gewinnmaximierung hinausgehen und sich für Sinnhaftigkeit, Regeneration und Inklusivität einsetzen. Das bedeutet, dass Erfolg nicht nur in finanzieller Hinsicht gemessen wird, sondern auch anhand der sozialen und ökologischen Auswirkungen. Nur dann können Unternehmen sich an den Rhythmen und Bedürfnissen der Natur ausrichten.

Sehen Sie die Unternehmen als die entscheidenden Akteure für die Lösung der globalen Herausforderungen, oder ist dies eine Aufgabe der Politik?

Beide spielen eine entscheidende Rolle, aber Unternehmen sind in einer einzigartigen Position, um schnell zu handeln und Lösungen zu skalieren. Politiker legen den Rahmen fest, aber Unternehmen sorgen innerhalb dieses Rahmens für Innovationen. Die Zusammenarbeit zwischen beiden ist unerlässlich. Auch die Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle, indem sie beide Seiten in einer echten öffentlich-privaten Partnerschaft zur Rechenschaft zieht. Zusammenarbeit ist ein effizienteres Instrument als Dominanz und systematische Opposition.

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Welche Rolle spielen Innovationen und neue Technologien – insbesondere in der Pharmabranche – bei der Schaffung einer nachhaltigeren Zukunft? 

Innovation ist von zentraler Bedeutung. In der Pharmabranche ermöglicht sie präzisere, personalisierte und effizientere Behandlungen, wodurch Verschwendung reduziert und Ergebnisse verbessert werden. Bei Roche haben wir gesehen, wie digitale Tools und Daten die Gesundheitsversorgung verändern können. Technologie muss jedoch von ethischen Grundsätzen und Nachhaltigkeitszielen geleitet werden. Die Zukunft ist nachhaltig – oder es gibt keine Zukunft.

Zur Person

André Hoffmann ist ein Schweizer Unternehmer, Milliardär, Umweltschützer und Philanthrop. Er ist der Urenkel von Fritz Hoffmann-La Roche, dem Gründer des Pharmaunternehmens Roche Holding. Seit 1996 ist er Mitglied des Verwaltungsrats von Roche und seit 2006 dessen Vizepräsident. Er studierte an der Universität St. Gallen und schloss 1990 sein MBA-Studium am Insead ab.

Hoffmann setzt sich für nachhaltiges Wirtschaften und den Umweltschutz ein. Er war unter anderem beim WWF International im Vorstand und ist Gründer des Hoffmann Institute am Insead, das Führungskräfte im Bereich nachhaltiger und integrativer Wohlstand ausbildet. In seinem 2024 erschienenen Buch «Die neue Natur des Wirtschaftens», das er zusammen mit Peter Vanham verfasst hat, legt er seine Vision für eine Wirtschaft dar, die einen Mehrwert für alle schafft und die Umwelt nicht schädigt.

Sie sprechen in Ihrem Buch über eine «verantwortungsvolle Kapitalismus-Vision». Viele Kritiker sehen in einem nachhaltigen Kapitalismus einen Widerspruch in sich. Was entgegnen Sie diesen Stimmen? 

Ich verstehe die Skepsis. Aber der Kapitalismus ist ein Werkzeug, er spiegelt die Werte wider, die wir ihm einprägen. Verantwortungsvoller Kapitalismus bedeutet, das System neu auszurichten, damit es den Menschen und dem Planeten dient, nicht nur den Aktionären. Das ist kein Widerspruch, sondern eine Weiterentwicklung. Es ist auch eine Notwendigkeit für das Überleben des Kapitalismus: Eine Philosophie, die um jeden Preis auf Profit ausgerichtet ist, wird durch die Grenzen unseres Planeten infrage gestellt. Wir können einfach nicht weiter so mit der Natur umgehen, als wäre sie unerschöpflich. 

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Das Konzept des «Purpose» – also eines höheren Unternehmenszwecks – gewinnt an Bedeutung. Wie kann ein Unternehmen seinen Purpose definieren, ohne dass dies zu einer reinen PR-Übung verkommt?

Der Zweck muss authentisch sein, in die Strategie eingebettet und sich in den täglichen Entscheidungen widerspiegeln. Er ist kein Slogan, sondern ein Kompass. Unternehmen sollten ihre Stakeholder in die Definition des Zwecks einbeziehen und ihre Fortschritte transparent machen. Verantwortlichkeit ist entscheidend, und wir müssen auch Wirkungsberichte in unsere Managementtools einführen. Wie wirkt sich unser Handeln auf die drei grossen Kapitalarten (menschliches, soziales und natürliches Kapital) aus, und wie können wir diese Massnahmen nutzen, um unsere Unternehmen besser zu führen?

Was ist der erste Schritt, den ein Unternehmen heute gehen sollte, um den Weg der «neuen Natur des Wirtschaftens» zu beschreiten?

Beginnen Sie mit Selbstreflexion. Verstehen Sie Ihre Auswirkungen, hören Sie den Interessengruppen zu und identifizieren Sie, wo Sie einen sinnvollen Beitrag leisten können. Verpflichten Sie sich dann öffentlich und intern zu einem Nachhaltigkeitsfahrplan. Kulturwandel beginnt mit Führung und klaren Absichten.

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Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welchen einen Hebel würden Sie in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft umlegen, um den Übergang zu einem nachhaltigeren Wirtschaftssystem zu beschleunigen?

Ich würde ökologische und soziale Kosten in jede wirtschaftliche Entscheidung einbeziehen. Wenn wir externe Effekte korrekt bewerten würden, würden sich die Märkte ganz natürlich in Richtung Nachhaltigkeit bewegen. Dies erfordert mutige Politik, aufgeklärte Unternehmensführung und informierte Bürger. Der Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft ist kein fernes Ideal, sondern eine gegenwärtige Notwendigkeit. Ich lade Unternehmensführer, politische Entscheidungsträger und Bürger gleichermassen ein, über die Werte nachzudenken, die ihre Entscheidungen leiten, und mit Mut und Dringlichkeit zu handeln. Lasst uns eine Wirtschaft aufbauen, die allen Lebewesen dient, nicht nur dem Gewinn.

 

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