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Berater

Von Teamplayern und Egoisten

Sie sind Siegertypen und verstehen sich aufs Scheitern: Was Manager von Spitzensportlern lernen können.

Maren Meyer

Tanja-Frieden-Bilanz

Tanja Frieden (43): Die Snowboardcross-Olympiasiegerin lehrt Manager, wie man auf dem Weg zum Ziel mit Niederlagen umgeht und Widerstände überwindet.

Remi Neuhaus für BILANZ

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Sie arbeitet mit der Niederlage. Denn damit kennt sich Tanja Frieden aus. Die frühere Spitzensportlerin erkämpfte sich 2006 den Olympiasieg im Snowboardcross – doch vor und nach den Siegen war auch das Scheitern Teil ihrer Karriere. Frieden kämpfte sich durch, immer mit dem Ziel vor Augen, wieder ganz oben zu stehen. Wie sie das Tal der Tränen durchquerte, gibt sie heute an die Menschen weiter, die wissen, was es heisst, ihr Ziel zu verfehlen: Manager.

Mit ihrer Tätigkeit ist sie nicht allein. So manch ehemaliger Sportler spielt heute in der Liga der Berater mit: Workshops, Ratgeber, Trainings-Camps oder Coaching-Sitzungen für gestresste Manager, Führungskräfte und jeden, der es mit sich selber aufnehmen will. Dass Sportler Manager beraten, findet Daniela Gisler durchaus sinnvoll. Für sie sind Topathleten nämlich ähnlich gefordert wie Unternehmer. «Spitzensportler sind ständig am Optimieren. Ihr Produkt ist ihre Bestleistung, die sie verkaufen müssen», sagt sie.

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Teamplayer und Egoist zugleich

Gisler ist geschäftsführende Partnerin der Samm Group, die Topathleten managt und ihnen eine Rundumbetreuung bietet. Ebenso wie ein Manager müsse ein Sportler das richtige Team um sich scharen, um erfolgreich zu sein, erklärt sie: «Er muss Teamplayer und Egoist zugleich sein – und ohne Time-Management und mentale Stärke geht gar nichts.»

««Spitzensportler sind ständig am Optimieren. Ihr Produkt ist ihre Bestleistung, die sie verkaufen müssen.»»

Daniela Gisler, Partnerin Samm Group

Jeder Sportler bringe andere Eigenschaften und Erfahrungen mit, die er an die Manager weitergeben könne: Ein Topskifahrer etwa habe während seiner aktiven Zeit mehr mediale Aufmerksamkeit und könne in der Vermarktung mehr herausholen als eine Ruderin auf dem gleichen Erfolgslevel. «Damit muss ein Sportler umgehen können – mental und finanziell.»

Zu der Ex-Snowboarderin und dem ausgebildeten Coach Tanja Frieden (43) kommen vor allem Männer und Frauen aus der Wirtschaft: von der Angestellten bis hin zum CEO einer grossen Privatbank. Die Verantwortung, die sie tragen, ist verschieden, ihre Sorgen und Probleme sind aber oft die gleichen: «In der Wirtschaft sind Niederlagen nie eine Option. Und wenn sie doch passieren, redet man am besten nicht darüber.» Das sei ein Problem, findet sie. Und die Niederlage finde sich oft im Kleinen: Gerade hatte sie eine Chefin eines KMU im Coaching, die trotz guter Geschäftszahlen an sich zweifelte.

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Gold medallist Tanja Frieden of Switzerland jumps in the final of the Women's Snowboard Cross competition at the Turin 2006 Winter Olympic Games in Bardonecchia, Italy, Friday, Feb. 17, 2006. Lindsey Jacobellis of the USA, who led for most of the race, crashed in sight of the finish and won the silver medal, Dominique Maltais of Canada took bronze. (KEYSTONE/AP Photo/Lefteris Pitarakis)

Olympia 2006: Tanja Frieden war jahrelang eine der erfolgreichsten Profi-Boarderinnen der Schweiz.

Keystone
Gold medallist Tanja Frieden of Switzerland jumps in the final of the Women's Snowboard Cross competition at the Turin 2006 Winter Olympic Games in Bardonecchia, Italy, Friday, Feb. 17, 2006. Lindsey Jacobellis of the USA, who led for most of the race, crashed in sight of the finish and won the silver medal, Dominique Maltais of Canada took bronze. (KEYSTONE/AP Photo/Lefteris Pitarakis)

Olympia 2006: Tanja Frieden war jahrelang eine der erfolgreichsten Profi-Boarderinnen der Schweiz.

Keystone

Raus in die Natur

Was Frieden in ihrem Büro im Deltapark-Resort in Gwatt BE in ihren Einzel- oder Gruppencoachings lehrt, ist die Auseinandersetzung mit dem «lustvollen Umgang mit Widerständen» auf dem Weg zum Ziel. Dabei bedient sie sich gängiger Coaching- und Beratungsmodelle wie Entspannungstrainings oder Visualisierungen, wobei das Gesagte in irgendeiner Form schriftlich festgehalten wird. Wer das erste Mal zur Sportlerin kommt, geht mit Sicherheit mit ihr hinaus in die Natur. Zwischen See, Wald und Wiese fällt es vielen Managern leichter, sich zu entspannen und sich ihrer Probleme bewusst zu werden. Dabei stellt Frieden Fragen, Fragen und Fragen.

In ihren Coachings setzt die Mentaltrainerin auch auf die Logosynthese. 2005 entwickelte der niederländische Psychologe Willem Lammers das Modell in der Schweiz. Dabei steht neben Körper und Geist der Sinn des Lebens im Zentrum. Das Modell beruht darauf, negative Energie mittels Worten in positive zu wandeln. So sollen eingefahrene Muster durchbrochen werden.

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««Ich musste negative Gefühle innerhalb von 24 Stunden neutralisieren.»»

Tanja Frieden

Frieden vergleicht den Prozess mit ihren Erfahrungen aus 14 Jahren Spitzensport: «Wenn ich nach einem Sprung stürzte und wusste, dass ich am nächsten Tag wieder am Start stehen würde, musste ich diese negativen Gefühle innerhalb von 24 Stunden neutralisieren», erzählt die Sportlerin.

Für ihre Coachings fliegt die ausgebildete Pädagogin schon mal nach Mauritius oder wandert zur Berghütte, wenn der Kunde das wünscht. Dort wird ihm ein Coaching geboten, das ganz auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Diese mehrtägigen intensiven «Deep Dives» kosten 2900 Franken pro Tag. Für Manager, die den Coachingtermin nicht in ihren überfüllten Terminkalender integrieren können, bietet sie Online-Programme.

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Vom Boxring an die Uni

Statt auf der Piste mass sich der ukrainische Schwergewichtsweltmeister Wladimir Klitschko im Boxring mit seinen Konkurrenten. Nach den Kämpfen meldeten sich gern die Kritiker und Zweifler, gegen die er sich auch mental stark machen musste. Die diversen Herausforderungen seines Sports schrieb der 43-Jährige nieder: «Challenge Management» heisst sein Buch. Mit seiner Firma Klitschko Ventures bietet er Workshops und dreitägige Trainings-Camps zu diesem Thema. Kostenpunkt: 3750 Euro. Bis an die Universität St. Gallen hat er es damit geschafft.

Wladimir Klitschko in St.Gallen

Wladimir Klitschko (43): Der frühere Boxweltmeister setzt sich auch an der Uni durch. In St. Gallen unterrichtet er, wie sich Führungskräfte Herausforderungen stellen sollten.

Keystone
Wladimir Klitschko in St.Gallen

Wladimir Klitschko (43): Der frühere Boxweltmeister setzt sich auch an der Uni durch. In St. Gallen unterrichtet er, wie sich Führungskräfte Herausforderungen stellen sollten.

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Seit 2016 wird der von ihm mitentwickelte Studiengang «Change & Innovation Management» vornehmlich von Führungskräften besucht. 75 Alumni gibt es schon, für 2019 haben sich 30 Teilnehmer gemeldet, der Kurs ist ausgebucht. Vom Banker bis zum Unternehmensberater seien jegliche Berufsgruppen vertreten, gibt Studienleiter Christoph Mund Auskunft. 17 Modultage kosten 17 000 Franken. Dafür sollen Mentoren aus verschiedenen Geschäfts- und Sportbereichen die Führungskräfte selbstbestimmtes Leben und Arbeiten lehren.

Vorsicht vor Blendern

Auch wenn die meisten der einstigen Spitzensportler eine Ausbildung zum Coach oder Berater gemacht haben, beobachtet Ronald Schenkel vom Schweizerischen Verband für Weiterbildung doch einen gewissen Wildwuchs im Bereich der Coaches. Denn der Begriff ist nicht geschützt. Entscheidend für ihre Kompetenz sei die Qualifikation. «Ein Bauchgefühl reicht hier nicht aus», sagt er. Für Interessenten gilt also: Nicht nur die Person begutachten, auch ihren Ausbildungsstand und die Referenzen. Denn was nützt der grösste Erfahrungsschatz, wenn ein Coach ihn nicht weitergeben kann?

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««Im Spitzensport ist die Luft dünn, der Druck ist gross.»»

Alain Sutter

Eine Ausbildung zum Coach hat Alain Sutter. Zu seiner aktiven Zeit als Profifussballspieler beim Grasshopper Club Zürich, bei den Young Boys Bern oder dem FC Bayern München lernte er, was es heisst, be- und verurteilt zu werden, und wie einsam das einen machen kann. «Im Spitzensport ist die Luft dünn, der Druck ist gross», sagt Sutter. Auf der Suche nach seiner inneren Balance bildete er sich weiter. «Ich wollte verstehen, wie der Mensch funktioniert», erzählt der 51-Jährige.

Alain Sutter

Der frühere Fussballprofi Alain Sutter (51) hilft Klienten beim Stressmanagement: Jeder komme irgendwo an seine Grenzen. Diese gelte es zu erweitern, so Sutter.

Gerry Nitsch / 13 Photo
Alain Sutter

Der frühere Fussballprofi Alain Sutter (51) hilft Klienten beim Stressmanagement: Jeder komme irgendwo an seine Grenzen. Diese gelte es zu erweitern, so Sutter.

Gerry Nitsch / 13 Photo

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Er machte sich selbständig, um seine Fähigkeiten im Stressmanagement anzuwenden. «Jeder kommt irgendwo an seine Grenzen. Bei meiner Arbeit geht es darum, die Leute zu unterstützen, ihre Grenzen zu erweitern.» Zu seinen Kunden zählen Hausfrauen, Kaderleute, CEOs grosser Unternehmen oder ganze Firmenabteilungen.

Vor jeder Sitzung arbeitet der Ex-Fussballer mit einem HRV-Gerät, das während 24 Stunden die Herzrate misst. «Die Herzratenvariabilität (HRV) bildet ab, wie es dem Körper geht und ob er Stress hat», erklärt er. Nach Auswertung der Daten konzipiert er seine Sitzungen: Weist jemand zum Beispiel ein hohes Stresslevel auf, versucht Sutter, die Gründe dafür herauszufinden. Dann soll sein Kunde selber überlegen, wie sich der Stress reduzieren liesse. Fragen, die er sich dabei stellt, könnten lauten: Wie gesund bin ich, was stresst mich, ernähre ich mich richtig? Sutter will keine Lösungen vorgeben, sondern den Menschen bewusst machen, was viele bereits wüssten: darauf zu hören, was ihnen guttut.

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Reden, essen, Yoga

Heute ist Sutter Sportchef beim FC St. Gallen. Seine Tätigkeit als Coach hat er aber nicht gänzlich an den Nagel gehängt: Zweimal im Jahr begleitet er Gruppen oder Einzelpersonen eine Woche lang als Coach auf Mallorca. In einer Finca wird gemeinsam Yoga gemacht, geredet und Gesundes gegessen. Zwischen 1600 und 1800 Franken kostet die Woche – inklusive Kost und Logis.

MICHAEL GROSS

Michael Gross (55): Der dreifache Schwimm-Olympiasieger berät heute Unternehmen im Change und Talent Management. Sein Motto: Der Weg ist das Ziel.

Bjoern Knetter
MICHAEL GROSS

Michael Gross (55): Der dreifache Schwimm-Olympiasieger berät heute Unternehmen im Change und Talent Management. Sein Motto: Der Weg ist das Ziel.

Bjoern Knetter

Sechsmal gewann Michael Gross olympische Medaillen, entschied Welt- und Europameisterschaften für sich und brachte es in Freistil und Schmetterling in den achtziger Jahren an die Weltspitze. 1991 beendete der deutsche Schwimmer seine Karriere. Heute berät der 55-Jährige mit seiner Firma Gross & Cie Unternehmen im Change und Talent Management. Dabei seien die Herausforderungen grösser, als Bahnen im 100-Meter-Becken zu ziehen, sagt er.

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««Zu sagen, wie es in einem aussieht, wird immer schwerer. Denn augenscheinlich hat man ja Erfolg.»»

Tanja Frieden

Egal ob Sportler oder Manager: Sie müssen über die gesamte Frist Leistung bringen. «Unternehmer denken in Quartalen, beim Sportler ist es die Saison.» Am Ende steht dann der gute Quartalsabschluss oder der gewonnene Wettkampf. Auf dieses Ziel hin arbeitet Gross mit seinen Kunden.

Für Tanja Frieden liegt ein Hauptproblem vieler Manager in der Diskrepanz zwischen der Aussensicht und der inneren Wahrheit ihrer Person. «Zu sagen, wie es wirklich in einem aussieht, wird immer schwerer», sagt sie. «Denn augenscheinlich hat man ja Erfolg.»

Mika Häkkinen

Mika Häkkinen (50): «Auch bei Managern und CEOs geht es um die richtige Balance und Kontrolle im Leben.»

Keystone
Mika Häkkinen

Mika Häkkinen (50): «Auch bei Managern und CEOs geht es um die richtige Balance und Kontrolle im Leben.»

Keystone

«Joggen allein reicht nicht»

Der zweifache Formel-1-Weltmeister Mika Häkkinen über den Umgang mit Druck und die Kunst der Konzentration.

Als Formel-1-Rennfahrer standen Sie während Ihrer aktiven Zeit bis 2001 ständig unter Erfolgsdruck. Wann waren Ihre schwersten Jahre?
1996 und 1997 war eine schwierige Zeit. Ich versuchte das Maximum aus mir herauszuholen und verlor doch seit Jahren Rennen. Ich setzte alles daran, meine mentale und körperliche Verfassung zu verbessern, aber nichts funktionierte.

Was haben Sie getan?
Ein Freund erzählte mir von Aki Hintsa, einem finnischen Traumachirurgen. Ich lernte Aki kennen und erzählte ihm von meinen Problemen. Wie ich mich um meine Familie und Freunde sorgte, wenn ich für die Formel 1 in der ganzen Welt unterwegs war. Dazu kam der Druck, zu gewinnen. Aki versprach, mir zu helfen.

Wie konnte er Ihnen helfen?
Der Druck, der auf einen Formel-1-Fahrer einwirkt, kommt von vielen Seiten: von den Medien, der Öffentlichkeit und dem eigenen Team – alle haben Erwartungen an dich. Dazu kommen die vielen Reisen, Zeitverschiebungen und die Ernährung. Ich musste lernen, damit umzugehen und die Kontrolle über mein Leben nicht zu verlieren. Erst als das möglich war, konnte ich mich auf meine Arbeit, die Formel 1, konzentrieren. Ein Jahr nachdem ich Aki kennengelernt hatte, begann ich zu gewinnen.

Wie funktioniert die Hintsa-Methode?
Es geht um drei Fragen: Weisst du, wer du bist, was du willst, und hast du die Kontrolle über dein Leben? Es geht aber nicht darum, sofort eine Antwort zu wissen. Über die Jahre entwickelte Aki eine Methode, die auf mich zugeschnitten war. So half er mir, mich auf das Fahren zu konzentrieren. Denn auf einer sieben Kilometer langen Strecke zählt jede Millisekunde. Diese Methode lässt sich auch auf Manager anwenden.

Wie?
Auch bei Managern und CEOs geht es um die richtige Balance und Kontrolle im Leben. Sie müssen sich fragen: Wie bringe ich mein Leben und die Aufgabe, ein Unternehmen zu führen, zusammen? Was will ich erreichen? Dazu kommt der Druck, die Unternehmensziele zu erreichen. Das ist für jeden CEO anstrengend. Sie müssen wichtige Entscheidungen treffen, während sie in der Welt herumreisen und sich um ihre Familie sorgen. Das alles in Einklang zu bringen, erfordert viel Reflexion. Joggen alleine reicht nicht.

Ein Rennfahrer muss mental stark sein, den Killerinstinkt haben. Gilt das auch für CEOs?
Es geht nicht darum, das nächste Rennen zu gewinnen, sondern die ganze Saison lang Höchstleistungen zu erbringen. In der Businesswelt ist das genauso. Wir sprechen hier von Menschen, die unter grossem Druck Unternehmensziele erreichen müssen. Für einen CEO ist es wichtig zu wissen, wer er ist und was er erreichen will.

Um ein Rennauto oder ein Unternehmen zu lenken, muss man also ähnliche Fähigkeiten haben – sind Sportler die besseren Unternehmensberater?
Ob das auf jede Sportart zutrifft, kann ich nicht sagen. Aus der Formel 1 lassen sich drei Erkenntnisse auf die Unternehmensführung übertragen: der Fokus, die Belastbarkeit und die physische wie psychische Gesundheit. Das bedeutet, man muss sein Ziel kennen und sein Leben darauf ausrichten. Auch wenn der Erfolg nicht unmittelbar eintritt, muss man dranbleiben.

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Dieser Text erschien in der August-Ausgabe 08/2019 der BILANZ.

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