«Vieles, was sich in der Kunstszene abspielt, ist Anmassung und Heuchelei.»
Der Kunstsammler und Ausstellungsmacher Urs Raussmüller (60) über mangelnde Qualität in der Kunst, die Angepasstheit zeitgenössischer Künstler und deren Vereinnahmung durch den Kommerz.
BILANZ: Welches sind die Merkmale guter Kunst? Urs Raussmüller:
Partner-Inhalte
Folgt man Ihrer Definition, dann wird gegenwärtig kaum mehr qualitativ hoch stehende Kunst geschaffen. Stimmen Sie dem zu?
Mit anderen Worten: Wird die Bezeichnung Künstler allzu oft überstrapaziert?
Im Grunde sind wir doch alle Künstler. Oder nicht?
Definieren Sie uns doch bitte den wahren Künstler.
Entsprechen die 50 Schweizer Künstler auf der BILANZ-Liste diesem Kriterium?
Halten Sie die Namen der momentan beliebtesten Qualitätskünstler der Schweiz in unserer Tabelle wenigstens für indikativ?
Woran mag es liegen, wenn in helvetischen Ateliers kaum mehr Bedeutsames entsteht? Objektiv gesehen, ist der Veränderungsbedarf zu Beginn des 21. Jahrhunderts ja enorm. An möglichen Ansatzpunkten für radikale Positionen fehlt es jedenfalls nicht.
Welche Begebenheiten sprechen Sie an?
Und was war der zweite Umbruch?
Ein tief greifender gesellschaftlicher Umbruch manifestiert sich in der fortschreitenden Digitalisierung unserer Alltagswelt. Videoarbeiten und Computersimulationen haben im Schaffen zeitgenössischer Künstler auf breiter Front Einzug gehalten.
Sie sind kein Fan von Videokunst?
Welche?
Wollen Sie etwa bestreiten, dass es zahlreiche Künstler gibt, die mit ihren Arbeiten über die reine Wahl des Mediums hinausgehen, indem sie versuchen, die Phänomene des Medienzeitalters auf individuelle Weise – durchaus auch kritisch – zu hinterfragen?
Werbung
Ob mit Pinsel, Kettensäge oder Computermaus gearbeitet wird, spielt demnach für die Qualität eines Werks überhaupt keine Rolle?
Trotzdem finden sich auch im zeitgenössischen Bereich immer wieder interessante Positionen. Wo erkennen Sie heute die spannends- ten Ansätze?
Künstler stehen im Ruf, gesellschaftliche Trends und Tendenzen früher wahrzunehmen und zu artikulieren als andere. Ist das Bild von der intellektuellen Avantgarde überzeichnet?
Wenn gute Kunst – wie Sie behaupten – eine Funktion des gesellschaftlichen Wandels ist, sollten wir unter Qualitätsgesichtspunkten womöglich eine Revolution anstreben?
Sehen Sie im militanten Aufbegehren der Globalisierungsgegner Vorboten einer solchen Eruption?
Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass der künstlerische Nachwuchs einen gesellschaftlichen Richtungswechsel begrüssen würde? Viele Gegenwartskünstler scheinen sich mittlerweile prima mit den Gegebenheiten des Kapitalismus zu arrangieren. Bei ihrer Vereinnahmung durch den Markt spielen heute die meisten mehr oder weniger virtuos mit.
Was sagen Sie zum Phänomen, dass sich bald jeder Konzern eine Sammlung mit zeitgenössischer Kunst leistet?
Was hat ein einzelner Künstler dem gnadenlosen Vermarktungsdiktat der Kunstin- dustrie entgegenzusetzen?