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Produktivität allein garantiert noch keinen übergeordneten Nutzen. So gibt es keinen Grund, die Finanzindustrie zu Lasten weniger wertschöpfungsintensiver Branchen zu hätscheln.
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Es gibt Thesen, die klingen gut und rütteln wach. Ob sie deshalb auch stimmen? Zu behaupten, die Eidgenossen seien faul geworden, ist eine wohlfeile Aussage, die als Denkanstoss durchaus nützlich sein mag. Wer allerdings ernsthaft die Meinung vertritt, die Wachstumsschwäche der Schweiz liesse sich mit einem Nachlassen des allgemeinen Arbeitseifers begründen, befindet sich auf dem Holzweg.
Unbestritten ist so viel: Der Wohlstand einer Nation hängt langfristig von der Produktivität ihrer Bürger ab. Kein Wunder, reden derzeit alle davon, obschon die vielstimmig diskutierte Arbeitseffizienz statistisch gesehen ein Phantom ist. Zahlenmässig lässt sie sich jedenfalls kaum festmachen, geschweige denn grenzüberschreitend vergleichen. Definiert man Produktivität – wie das mangels detaillierter Arbeitsmarktzahlen häufig geschieht – als Output pro erwerbstätige Person, dann lässt sich damit fast alles beweisen. Betriebsschliessungen und Arbeitsplatzverluste etwa münden unter dieser Voraussetzung unweigerlich in eine gesamtwirtschaftliche Effizienzsteigerung, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei den freigesetzten Arbeitskräften um die Mitarbeiter einer Pizzabäckerei oder die Angestellten einer Grossbank handelt. In Bezug auf den rechnerischen Produktivitätsfortschritt spielt die jeweilige Branchenzugehörigkeit keine Rolle, was den Nonsens solch kruder Methoden zur Genüge belegt.
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Wenn schon mit Produktivitätszahlen hantiert wird, dann sollte man tunlichst differenzieren. Die Unterschiede zwischen Binnenmarkt und Exportsektor sind diesbezüglich gerade in der Schweiz eklatant. So bringen es die chemische Industrie und die Finanzbranche pro Mitarbeiter auf eine jährliche Wertschöpfung von deutlich über 200 000 Franken, während der entsprechende Durchschnittswert in der Landwirtschaft und im Gastgewerbe bei maximal
50 000 Franken, also weniger als einem Viertel, liegt.
Angesichts solcher Niveaudifferenzen sollte man nicht vergessen, dass eine hohe Produktivität grundsätzlich zwei verschiedene Dinge signalisieren kann: eine hohe Wertschöpfung oder die Fähigkeit der betreffenden Firma oder Branche, am Markt hohe Verkaufspreise durchzusetzen. Die gängige Behauptung, die binnenorientierten Branchen der Schweiz arbeiteten mangels Wettbewerb weniger effizient, entpuppt sich unter diesem Blickwinkel als ein wenig durchdachtes Pauschalurteil.
Das Gleiche gilt auch für die vermeintlich effizienteren Branchen. Manche von ihnen scheinen nur deshalb so produktiv, weil sie besonders kapitalintensiv produzieren, von vorteilhaften Rahmenbedingungen profitieren oder weil im betreffenden Wirtschaftszweig zu wenig Wettbewerb herrscht. Diese Diagnose trifft auch auf den helvetischen Finanzsektor zu, der mit dem Franken als international begehrter Fluchtwährung und dem Bankkundengeheimnis über zwei entscheidende Wettbewerbsvorteile verfügt, für die er selber nichts kann. Allein der pompöse Techno-Chic in der Schalterhalle einer Bank oder das Sicherheitsglas am Eingangsportal garantieren noch keinen erhöhten ökonomischen Nutzen. Auf Grund ihrer komfortablen Ausgangslage, liesse sich argumentieren, haben es die Schweizer Finanzinstitute während Jahrzehnten versäumt, ihre Produktivität aus eigener Kraft zu erhöhen.
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Kommt hinzu, dass hochproduktive Wirtschaftssektoren zuweilen die unangenehme Tendenz aufweisen, sich, gemessen an ihrer Beschäftigtenzahl, eher unterdurchschnittlich oder gar rückläufig zu entwickeln. Diese Wirtschaftssektoren mittels gezielter Förderungsmassnahmen aufblähen zu wollen, ergäbe unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten keinerlei Sinn. Kurz: Es gibt keinen vernünftigen, mehrheitsfähigen Grund, die gehätschelten Finanzdienstleister und Assekuranzkonzerne zu Lasten weniger wertschöpfungsintensiver Branchen zu fördern oder politisch gar bevorzugen zu wollen.
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