Sie sind der grösste industrielle Arbeitgeber der Schweiz. Wegen des starken Frankens haben Sie 150 Stellen ins Ausland verlagert. Welche Zukunft hat der Standort Schweiz?
Die Gebäudetechnik mit Sitz in Zug ist eine der Erfolgsgeschichten von Siemens. Wir haben lange gebraucht, bis wir ihr Potenzial realisieren konnten. Gebäudetechnik ist eine der Branchen, die am stärksten von der Digitalisierung profitieren. Und die Schweiz hat eine der besten Kombinationen an Ressourcen und Talenten, die es überhaupt gibt. Von daher hat der Standort eine grosse Zukunft.
Siemens ist traditionell ein Mischkonzern. Sie haben verschiedene Sparten verselbständigt, etwa Windkraft oder Gesundheitstechnologie. Wiegen die Vorteile der Selbständigkeit heute mehr als die Skaleneffekte durch Zentralisierung?
Ich bin davon überzeugt, dass wir unseren Mitarbeitern und Geschäften mehr Freiheiten geben und als Zentrale loslassen müssen. Weniger Regeln, mehr Eigenverantwortung. Das macht uns schneller in einem sich ständig und mit extrem hoher Geschwindigkeit verändernden Wettbewerbsumfeld.
Also ist die Zeit der Konglomerate vorbei?
Konglomerate alter Prägung werden nicht sonderlich viel Chancen haben, sich zu behaupten, weil sie zu breit, zu langsam und zu prozessgetrieben sind. Sie müssen ja nur deren Aktienkursentwicklungen anschauen, dann wissen Sie, was die Welt davon hält!
Bei Ihrem Rivalen ABB fordert der aktivistische Investor Cevian ebenfalls eine Verselbständigung der Division Stromnetze.
ABB ist ein starker Wettbewerber in diesem Bereich. Aber die müssen selber wissen, was sie behalten und was sie verkaufen wollen.
Wären Sie interessiert, sollte die Sparte auf den Markt kommen?
Die Frage stellt sich doch aktuell nicht. Fragen Sie mich wieder, falls die Sparte auf den Markt kommt.
Ist Siemens als Holding ein Fernziel?
Ich glaube nicht, dass eine reine Finanzholding einen Wertbeitrag leistet.
Sind Sie auf Peter Löscher, heutiger Sulzer-Präsident und Ihr Vorgänger bei Siemens, eigentlich noch sauer?
Nein, war ich nie. Warum sollte ich?
Weil er Sie im Bieterwettbewerb dazu gebracht hat, für Dresser-Rand 7,8 Milliarden Dollar zu zahlen.
Ich wurde ja nicht gezwungen, das zu machen. Natürlich haben wir die Firma aus heutiger Sicht auf dem Peak des Ölpreises gekauft.
Also ein Fehlkauf.
Der strategische Grund für den Kauf hat trotz der Widrigkeiten immer noch seine Gültigkeit: Die Öl- und Gasindustrie ist noch weitgehend analog. Siemens kann dabei helfen, diese Branche zu automatisieren und zu digitalisieren. Da steckt enormes Potenzial drin. Dresser-Rand ist eine anerkannte Premiummarke in diesem Sektor, und wir nutzen ihren starken Marktzugang. Was wir zur Kenntnis nehmen müssen, ist: Die Branche ist erzkonservativ. Für die Umsetzung unserer auch von den Kunden als richtig erkannten Idee brauchen wir einen längeren Atem, als wir ursprünglich dachten.
* Joe Kaeser (60) aus dem niederbayrischen Arnbruck ist seit August 2013 Chef von Siemens. Mit 350 000 Mitarbeitern und 80 Milliarden Euro Umsatz ist Siemens fast dreimal so gross wie Rivale ABB. Joe Kaeser (eigentlich Josef Käser) verbrachte nach dem BWL-Studium in Regensburg seine ganze Karriere beim Elektrokonzern. Bevor er den CEOJob vom jetzigen Sulzer-Präsidenten Peter Löscher übernahm, amtete er zwei Jahre als Strategie- und sieben Jahre als Finanzchef von Siemens. Kaeser sitzt zudem in den Boards von Daimler, der Allianz und der niederländischen NXP Semiconductors.
Dieser Artikel erschien in der November-Ausgabe (11/2017) der «Bilanz».