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Das Ende des Konsums

Einkaufen verändert sich. Produkte werden digitalisiert, traditionelle Händler verlieren an Bedeutung. Wie sieht das Shopping der Zukunft aus?

Bastian Heiniger

Die Gaenge der Shopping Mall of Switzerland in Ebikon am Mittwoch 12. September 2018. (KEYSTONE/Urs Flueeler)

Düstere Zukunft: Im digitalen Zeitalter werden klassische Einkaufstempel einen schweren Stand haben. Sie müssen sich deshalb zu Orten für Erlebnisse wandeln.

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Bald gehen die Lichter aus. Noch spürt man nichts davon im Manor an der Zürcher Bahnhofstrasse. Hektisch drängen sich dick bemantelte Kunden zwischen Regalen voller Flakons, Make-up und Beauty-Geschenksets, alle auf der Jagd nach den letzten Weihnachtsgeschenken. Parfümwolken hängen im Raum, plärrende Popmusik dröhnt aus den Lautsprechern, an den Kassen bilden sich Schlangen. Ein typischer vorweihnachtlicher Mittwochabend im traditionsreichen Warenhaus – es ist wie ein Besuch in einer fast schon vergangenen Zeit.

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Warenhäuser, wie wir sie kennen, sie haben ausgedient. Und wenn Ende Januar nach 35 Jahren Manors Flaggschiff endgültig die Segel streicht, werden die Kunden diesem wohl nicht lange nachtrauern. Einkaufen wird sich radikal ändern. Tausende Arbeitsplätze sind in Gefahr.

Es ist nicht so, dass der Onlinehandel linear wächst und ihm deshalb konventionelle Läden zum Opfer fallen. Es ist vielmehr so, dass das Internet of Things, künstliche Intelligenz, Neurotechnologie, Mixed Reality und die Macht der Daten eine totale Umwälzung bringen. So sieht es zumindest das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI). In einer aktuellen Studie heisst es: «Im Raum stehen Entwicklungen, die den Handel pulverisieren werden.»

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Konsolidierung schreitet voran

Das klingt ganz schön dramatisch. Jedoch: Wer hätte vor Kurzem gedacht, dass das Möbelhaus Pfister verkauft würde, dass die Marke Interio verschwindet, dass Migros die Globus-Kette mit Warenhäusern und Modegeschäften in der ganzen Schweiz loswerden will und dass wohl mit einem neuen Besitzer das Filialnetz halbiert wird. Fast schon vergessen sind heute aus den Einkaufsstrassen gefegte Ketten und Brands wie OVS, Charles Vögele, Schild, Yendi, Switcher oder Bernie’s. Ist das alles also nur ein leichtes Vorbeben?

Das Gottlieb Duttweiler Institut ist der letzte grosse Wurf des gleichnamigen Migros-Gründers. In seinem Todesjahr 1962 legte «Dutti» oberhalb von Rüschlikon ZH den Grundstein dazu. Heute ist das Institut eine unabhängige Denkfabrik, die vom Migro-Kulturprozent mitgetragen wird, sie ist gewissermassen der intellektuelle Arm des orangen Riesen. Und ausgerechnet vom GDI wird nun «das Ende des Konsums» ausgerufen. So heisst nämlich besagte Studie, die, gemeinsam mit der Beratungsfirma KPMG erarbeitet und in Deutschland vorgestellt, in der Schweiz aber ausserhalb der Retailszene bisher nicht wahrgenommen wurde.

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Das Warenhaus Manor, aufgenommen am Montag, 23. September 2019, an der Bahnhofstrasse in Zuerich. Manor verlaesst den Standort Ende Januar 2020. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Manor: Nach 35 Jahren schliesst die Filiale in Zürich. Der Gebäudebesitzer verlangte eine höhere Miete, die sich für Manor nicht rentiert hätte.

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Das Warenhaus Manor, aufgenommen am Montag, 23. September 2019, an der Bahnhofstrasse in Zuerich. Manor verlaesst den Standort Ende Januar 2020. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Manor: Nach 35 Jahren schliesst die Filiale in Zürich. Der Gebäudebesitzer verlangte eine höhere Miete, die sich für Manor nicht rentiert hätte.

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Mit leichter Verspätung trifft GDI-Chef David Bosshart im Sitzungszimmer des Instituts ein und gesellt sich zu Co-Autorin Karin Frick. Später wird Bosshart nach Berlin fliegen, an ein Treffen mit den wichtigsten Köpfen aus der Retailbranche. Wann immer er ihnen seine Thesen vorträgt, sind die Reaktionen ähnlich: «Hoffentlich ist das noch weit weg!»

««Es wird für viele Händler sehr unangenehm werden.» »

David Bosshart, Gottlieb Duttweiler Institut

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Die Konsolidierung aber schreitet voran. Doch der klassische Handel sei noch in altem Denken gefangen, sagt Bosshart. «Es wird für viele Händler sehr unangenehm werden.» Schuld daran sind mehrere parallel laufende Entwicklungen. Bis Mitte des 21. Jahrhunderts soll von dem, was wir heute als Produkte und Handel kennen, nicht mehr viel übrig sein.

In welche Richtung es geht, lässt sich am Beispiel der Musikindustrie illustrieren: Früher kostete eine CD mit 60 Minuten Musik rund 30 Franken. Heute stehen dank Spotify und Apple Music mehr als 100 Millionen Minuten Musik unbegrenzt vielen Nutzern offen. Musik braucht längst keine Tonträger mehr, sie hat sich «immaterialisiert». So auch die Fotografie. Im Jahr 2000 wurden laut Studie weltweit rund 80 Milliarden Fotos gemacht. Sie trugen 40 Milliarden Dollar zum globalen BIP bei – mit Kamera, Film, Entwicklung, Druck, Vertrieb und Fotoalben. Fünf Jahre später gab es bereits 1600 Milliarden Fotos, nur wurden sie nicht mehr verkauft, sie werden geteilt. Und der Handel geht leer aus.

«Viele Gegenstände, die in der Wohnung herumstehen, haben wir noch aus Nostalgie», sagt Frick. Nur: Wer braucht noch einen physischen Wecker, eine Stoppuhr, Landkarten oder Briefpapier? Wer braucht künftig noch Küchengeräte, wenn Essen zunehmend geliefert wird? Wer braucht Computerbildschirme und Fernseher, wenn die smarte Brille einem alles jederzeit ins Blickfeld projiziert? Die für jeden Anlass passende Mode wird es ebenso im Abo geben wie eine auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Mobilität. Wenn überall ein Fortbewegungsmittel steht, vom Scooter über das Fahrrad bis zum autonomen Auto, verkommt das einstige Statussymbol zur blossen Infrastruktur. Es ist das Ende des klassischen Konsums, gefragt sind zunehmend Dienstleistungen.

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«Statt selber Waren über traditionelle Handelsformate zu kaufen, werden immer mehr Konsumenten wie im Hotel leben wollen», vermutet die Studie – «Life as a Service» heisst das dann. Es findet ein Shift statt von materiell zu virtuell, von Besitz zu Nutzung. Und noch schlimmer für den klassischen Handel: Selbst Artikel, die es noch physisch geben wird, drohen ihm abhandenzukommen. Ein weiterer Megatrend ist die Personalisierung. «Je individualisierter Produkte sind, desto weniger braucht es einen Händler dazwischen», sagt Frick. Der Kunde interagiere mehr und mehr direkt mit Herstellern.

Personalisierte Produkte

Im August hat die Gesundheitssparte von Nestlé die amerikanische Firma Persona gekauft. Sie liefert den Kunden auf Algorithmen basierend massgeschneiderte Nahrungsergänzungsmittel. Der Kosmetikhersteller L’Oréal wiederum hat den neuen Brand «Color&Co» lanciert und verkauft Frauen und Männern persönlich angepasste Haarfärbemittel. In einer Live-Videoberatung wird der perfekte Haarton gefunden, das individuell gemischte Mittel landet schliesslich beim Kunden im Briefkasten – auf Wunsch gleich im Abo. Auch im Modehandel nimmt die Personalisierung zu, Sneakers von Nike oder Vans lassen sich online längst nach Belieben zusammenbauen.

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Grösser denkt das britische Modesoftware-Start-up Unmade. Es sieht die Modebranche am Anfang einer Revolution: des Übergangs von Massenproduktion zu On-Demand-Lösungen. Unmade will Brands eine Plattform bieten, auf der Kunden die Markenprodukte ihren Wünschen anpassen können. Die Informationen gehen an die Fabrik, das Produkt direkt zum Kunden. Im Oktober hat Unmade eine Zusammenarbeit mit dem Sportartikelhersteller New Balance verkündet.

Die grösste Umwälzung jedoch bringt die steigende Datenflut. Dank 5G werden sich Technologien wie 3-D-Druck auch im Haushalt verbreiten. Der Konsument wird zum Produzenten, der sich Güter ausdenkt, sie herstellt und womöglich verkauft. Vor allem aber verschränkt sich die analoge Welt zunehmend mit der virtuellen. Dereinst sollen Technologien mit unseren Sinnen interagieren: Bilder, Geschmackseindrücke oder der Tastsinn werden ins Gehirn übertragen und können mit anderen Menschen geteilt werden – Mixed Reality nennt die Studie diesen Zustand. Es ist eine Welt, in der vernetzte Produkte, Dienstleistungen und Infrastruktur stets miteinander kommunizieren.

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«Künftig kennen Algorithmen die Bedürfnisse, noch bevor sich der Konsument deren bewusst ist.»

Das ist keine allzu ferne Zukunft. Schon jetzt lassen sich mit Bilderkennungsapps wie Google Lens auf der Strasse Schuhe, Taschen oder Kleider fotografieren und direkt beim günstigsten Anbieter bestellen. Konzerne wie Alibaba oder Amazon kennen die Kunden immer besser – und setzen das Wissen auch stationär ein. Auf Diensten von Amazon lassen sich Serien, Filme, Musik und Hörbücher streamen, E-Books lesen, und der Sprachassistent Alexa hört im Wohnzimmer mit und sammelt wertvolle Informationen. Wearables verraten sogar, wie man sich fühlt. Algorithmen werden die Bedürfnisse kennen, noch bevor sich der Konsument deren bewusst ist. Sie werden passende Angebote vorschlagen und sie dem Kunden dorthin liefern lassen, wo er sich gerade aufhält.

Sorgenfalten bereitet Bosshart, dass die USA und China davonziehen: «Während wir in Europa warten, entwickeln die Chinesen die Infrastruktur, und die Amerikaner schaffen die nötigen Gesetze und bauen ihre Erfahrung aus.» Laut Bosshart erwarten uns im neuen Ökosystem des Konsums ungeahnte Kooperationen und komplexe Partnerschaften. «Wenn sich beispielsweise Aldi Nord und Süd und Lidl zusammentäten, hätten sie die Kapitalkraft für eine marktdominante europäische Food-Delivery-Plattform.» So schliesst er künftig selbst eine sehr enge Zusammenarbeit der Rivalen Coop und Migros nicht aus. «Es ist nur eine Frage der Generation. Zwang und Druck zur Effizienz werden zum nächsten Schritt führen.»

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Klar, eine solche Kooperation ist derzeit undenkbar. Aber dass man handeln muss, ist in der Migros-Zentrale angekommen. Vor zwei Jahren gründete der Konzern deshalb eine eigene Innovationsfabrik: Sparrow Ventures. Angesiedelt ist sie nicht im Zürcher Migros-Turm, sondern im drei Kilometer entfernten Hürlimann-Areal. Das Sitzungszimmer heisst «Jedi Temple», eine Reverenz an «Star Wars», es gibt Bücher, Brettspiele und einen grossen Flatscreen mit Gamekonsole, an der Wand hängen Plakate mit Sprüchen wie «Keep calm and innovate» oder «Fail fast & break things», Silicon-Valley-Groove statt biederer Büromief. Vom Fenster aus sieht man das Google-Logo am Nachbargebäude. Die geografische Nähe zum US-Konzern ist zwar zufällig, aber nicht minder sinnbildlich: Wer als Detailhändler bestehen will, muss zum Techunternehmen werden.

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Migros der Zukunft

«Wir bauen an der Migros der Zukunft mit», sagt CEO Felix Brunner, der früher im Migros-Handelsdepartement als Digitalchef amtete. Mittlerweile 60 Mitarbeiter suchen und entwickeln neue Geschäftsfelder, die zum Kerngeschäft der Migros passen. Wie viel Geld der Konzern dafür bereitstellt, will Brunner nicht preisgeben. Man habe einen Plan für zehn Jahre vereinbart, sagt er.

Konkret «monitoren» die Mitarbeiter weltweit 30 000 Start-ups und erstellen laufend Shortlists mit möglichen Ideen. Die vielversprechendsten werden bis zu einem halben Jahr getestet. Dann fällt der Entscheid: ausgründen und mit einem Management ausstatten – oder das Team stürzt sich auf eine neue Idee. Fallen gelassen wurde so etwa das in Deutschland getestete Smoothie-Abo «Froze Dose». Es fand zu wenig Anklang am Markt.

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Felix Brunner

Felix Brunner: Mit Sparrow Ventures baut er an der Zukunft der Migros. 60 Mitarbeiter suchen stets nach neuen Geschäftsmodellen.

Simon Habegger
Felix Brunner

Felix Brunner: Mit Sparrow Ventures baut er an der Zukunft der Migros. 60 Mitarbeiter suchen stets nach neuen Geschäftsmodellen.

Simon Habegger

Die Testphase überstanden haben der in Bern expandierende Lebensmittellieferdienst Miacar und der Anbieter von Büroverpflegung Snäx. «Unsere Geschäfte müssen nachhaltige Businessmodelle sein, die den Kunden den Alltag vereinfachen und preislich attraktiv sind», sagt Brunner. Bei Miacar ist die Herausforderung etwa, einen möglichst effizienten Liefer-Algorithmus zu bauen: Welche Kunden werden in welcher Abfolge auf welcher Route beliefert, damit die Bestellung zur gewünschten Zeit an der Tür ankommt? Es ist die 2.0-Version der von Dutti eingeführten Verkaufswagen, die 1925 den Start der Migros begründeten.

Auch mit Snäx will Migros direkt zu den Kunden. Derzeit entwickelt Sparrow Ventures einen smarten Kühlschrank, der in Büros stehen wird, wo es keine Mensa gibt. Nimmt jemand ein Menü heraus, wird der Betrag via App abgebucht. Laut Brunner ist in der Schweiz der Markt für Büroverpflegung zwei Milliarden Franken gross und noch kaum abgedeckt.

Ein anderes Projekt testet Migros neu in Deutschland. Sparrow Ventures hat mit Kindish.de einen Bestellservice für ausgewogene Kindermahlzeiten entwickelt. «Das Angebot auf dem Markt für Kinderverpflegung ist mehrheitlich ungesund: Pizza, Pommes, Chicken Nuggets», sagt Brunner. Zielgruppe sind Eltern mit wenig Zeit, die trotzdem gesundes Essen servieren wollen. Ausgeliefert wird in ganz Deutschland. «Wir haben bewusst den deutschen Markt gewählt, weil er kompetitiver ist.» Funktioniere es dort, gehe es auch in der Schweiz. Der DACH-Raum sei dann schnell erschlossen.

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Lieferdienst Miacar

Lieferdienste: Kommen die Kunden nicht mehr in den Laden, kommt der Laden halt zu den Kunden. Migros liefert in Bern mit Miacar an die Haustür. Dereinst wird man sich um den täglichen Bedarf nicht mehr kümmern müssen. Das werden Algorithmen erledigen.

DANIEL WINKLER FOTOGRAFIE
Lieferdienst Miacar

Lieferdienste: Kommen die Kunden nicht mehr in den Laden, kommt der Laden halt zu den Kunden. Migros liefert in Bern mit Miacar an die Haustür. Dereinst wird man sich um den täglichen Bedarf nicht mehr kümmern müssen. Das werden Algorithmen erledigen.

DANIEL WINKLER FOTOGRAFIE

Lieferservice, smarter Kühlschrank, Kindermahlzeiten – reicht das aus, um die Migros ins digitale Zeitalter zu führen? «Niemand weiss, wie der Retail der Zukunft aussieht. Wir müssen Thesen entwickeln, experimentieren, Daten sammeln, von den Kunden lernen und versuchen, uns immer wieder anzupassen.»

Sucht man nach grossen Innovationen im klassischen Detailhandel, wird man in der Schweiz kaum fündig. «Das Sterben der Modegeschäfte in den Innenstädten ist nicht erstaunlich», sagt Michael Grund, Leiter des Center for Marketing & Sales der Hochschule für Wirtschaft HWZ. «Läden, in denen gelangweilte Mitarbeitende herumstehen und nichts anderes machen, als Waren zu geben und zurückzuhängen, bringen keinen Mehrwert.» Die Frage lautet: Was kann man bieten, das online nicht geht? Das sei aber noch nicht bei allen Unternehmen angekommen. «Will ein stationärer Händler bestehen, muss er die neuen Technologien nutzen, um den bestmöglichen Service zu bieten.» Und er muss sich der Onlinewelt öffnen.

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Kooperation mit Amazon

Die in Deutschland grosse Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof mit insgesamt 243 Standorten arbeitet zunehmend mit Onlinehändlern. In den Filialen werden derzeit Schliessfächer von Amazon ausgerollt, in denen Kunden ihre Bestellungen abholen können. In Berlin lassen sich Amazon-Produkte sogar am Schalter in der Karstadt-Filiale beziehen und aufgeben. Wenn man den Feind nicht bekämpfen könne, müsse man ihn umarmen, sagt Jens Diekmann, Omni-Channel-Chef bei Galeria Karstadt Kaufhof. Hauptsache, die Frequenzen steigen wieder.

Seit einem halben Jahr besteht sogar eine Zusammenarbeit mit Digitalrivale Zalando. Findet der Kunde dort ein bestimmtes Kleidungsstück nicht, greift das Zalando-System auf den Bestand von Galeria zu, der Käufer erhält sein Produkt direkt vom Warenhaus zugeschickt. Beide würden profitieren, sagt Diekmann. Das Warenhaus bekommt den Umsatz, und Zalando behält seine Kunden auf der Plattform.

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Amazon überall

Plattformen wie Amazon haben ein immer grösseres Ökosystem mit verschiedenen Diensten in immer mehr Bereichen. Mit ihren Angeboten decken sie die reale wie die virtuelle Welt ab und sammeln in beiden unentwegt Daten, um die Angebote noch besser auf den einzelnen Nutzer abzustimmen.

Amazon überall

Amazon Ökosystem: Plattformen wie Amazon haben ein immer grösseres Ökosystem mit verschiedenen Diensten in immer mehr Bereichen.
Gottlieb Duttweiler Institut/ BILANZ-Grafik
Amazon Ökosystem: Plattformen wie Amazon haben ein immer grösseres Ökosystem mit verschiedenen Diensten in immer mehr Bereichen.
Gottlieb Duttweiler Institut/ BILANZ-Grafik

Um digital aufzurüsten, arbeiten viele Detailhändler mit IT-Unternehmen wie Microsoft, IBM oder SAP an neuen Konzepten. Achim Schneider leitet bei SAP die Business Unit Retail. Er sagt: «Heute dreht sich im Einzelhandel alles um die Frage: Wie kann ich den einzelnen Kunden personalisieren?» Wie macht man sich dank Daten ein Bild vom Kunden, um, noch bevor er im Laden ist, zu wissen, wofür er sich interessieren wird? «Dazu müssen Händler offen sein für neue Geschäftsmodelle.»

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Die US-Drogerie- und Apothekenkette CVS mit rund 10 000 Geschäften hat vor einem Jahr für 69 Milliarden Franken den Krankenversicherer Aetna gekauft – und bietet nun Medikamente, Versicherungen und Erstversorgung aus einer Hand an. Vor allem aber gewinnt der Konzern neue Informationen. «Dank Datenanalyse kann CVS in den Läden die Kunden nun direkter ansprechen und das Sortiment jeweils am neuesten Gesundheitstrend ausrichten», sagt Schneider.

Auch Microsoft hilft stationären Händlern beim Aufbau von Datensätzen. Der Reisedetailhändler Dufry etwa testet nun einen smarten Bildschirm, der künftig an den Flughafenshops stehen wird. «Es ist eine Erweiterung des Ladens, um das Online-Sortiment auch stationär anbieten zu können», sagt Lukas Eberle, Retailexperte bei Microsoft. Der Kunde kann nun seinen Boardingpass scannen, sieht, wie viel Zeit noch bleibt, wie weit es zum Gate ist, und er wird über das Wetter an der Destination informiert. Scannen lassen sich auch Produkte, um mehr Informationen zu erhalten. Ferner ist etwa ein sprachgesteuerter Whisky Advisor eingebaut, der einem je nach Geschmack die passende Flasche vorschlägt. «Dufry lernt so die Kunden immer besser kennen.»

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Zudem wird Dufry 2020 einen Self-Check-out testen. Via Web-App lassen sich im Laden die Produkte mit dem Smartphone einlesen, an der Kasse muss man nur noch den Boardingpass zeigen. «Früher ging viel Umsatz verloren, weil Reisende wegen des Zeitdrucks ihren Einkaufskorb liegen liessen.»

««Der traditionelle Händler hat mit Omni-Channel vielleicht noch drei, vier Jahre eine Chance.»»

Chef eines Detailhändlers

Dass stationäre Händler ihr Geschäft mit «Online» verknüpfen, ist zwar nötig, wird aber die Verschiebung ins Virtuelle nicht stoppen. Der Laden verliert an Bedeutung. Er wird degradiert zu einem Kanal unter vielen: Showroom, Onlineshop, Newsletter, YouTube- und Instagram-Channel sind dann gleichwertig. «Die Zukunft bringt vielleicht nicht das Ende des Konsums. Aber das Ende des produktgetriebenen Konsums», sagt der Chef eines Detailhändlers, der anonym bleiben will. Ein reines Omni-Channel-Konzept sei deshalb zu kurz gedacht. «Damit hat der traditionelle Händler vielleicht noch drei, vier Jahre eine Chance.» Auf längere Sicht müsse er völlig neu denken.

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Das Ende des Warenhauses?

Was bedeutet das etwa für ein Warenhaus wie Manor? Es müsse sich perfekt in das Ökosystem einer Stadt integrieren – mit einem auf den Standort hin massgeschneiderten Angebot. Gibt es bereits viele Uhrenläden, macht eine Uhrenabteilung wenig Sinn. Das Warenhaus muss zu einem urbanen Begegnungscenter werden, mit Coworking Spaces, Gastroangeboten und Workshops, es muss Erlebnis bieten, Emotionen wecken und seinen zentralen Standort ausspielen. Für Onlinehändler könnte es die Last-Mile-Delivery übernehmen und das Parkhaus nachts als Ladestation für Sharing Mobility und als Logistikdrehscheibe für die Nahverteilung nutzen. Warum nicht eine digitale Styleberatung und Schneiderei anbieten?, sagt Eberle von Microsoft. «Der Kunde könnte zu Hause seine Kleider fotografieren und bekäme Vorschläge, welche neuen Stücke zu welchem Outfit passen – abgestimmt auf die neuesten Trends aus Social Media.» Im Laden passt ein Schneider dann Hemden, Hosen und Vestons an.

Detailhändlern bleibt also nur eines: der Wandel vom Verkäufer zum Dienstleister. Die Kunden werden davon profitieren.

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Dieser Artikel erschien in der Januar-Ausgabe 01/2020 der BILANZ.

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