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Vorsorge

Rente oder Kapital? Die weniger bekannten Aspekte beim Bezug der Vorsorgegelder

Diese Wahl prägt nicht nur die eigene Lebensqualität und die Finanzen im Alter, sondern ist ebenso bedeutsam für die Nachkommen.

Luca_Niederkofler

Wer sich früh um die Vorsorge kümmert, hat weniger Überraschungen im Alter.

Wer sich früh um die Vorsorge kümmert, hat weniger Überraschungen im Alter.

imago images/Panthermedia

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Die Wahl zwischen Kapital- oder Rentenbezug bei der Pensionierung zählt zu den wichtigsten finanziellen Entscheidungen im letzten Lebensabschnitt. Sie prägt nicht nur die eigene Lebenssituation, sondern auch jene der Nachkommen.

Sie sollte deshalb nicht leichtfertig getroffen werden. Hier weniger bekannte Aspekte rund um Sicherheit, Lebenserwartung und Erbschaft beim Bezug der Vorsorgegelder.

1) Sicherheit vs. Flexibilität

Die Wahl zwischen Kapitalbezug, Rente oder Mischform ist keine Schwarz-Weiss-Entscheidung. Vielfach wird die Rente mit Sicherheit - und der Kapitalbezug mit Flexibilität gleichgestellt. Dies stimmt nur bedingt.

Auch im Kapitalbezug lässt sich Sicherheit schaffen: Man kann das vorhandene Vermögen in einen Einkommens- und in einen Risikotopf aufteilen. Das Einkommen (vergleichbar mit der Rente) wird dann aus dem Einkommenstopf bezogen. Der Pensionär bezahlt sich dann quasi selbst. Der Risikotopf dagegen - Risikokapital genannt - wird investiert.

«Der Vermögensverzehr und die monatliche Selbstzahlung sind für viele Rentner ein neues Gefühl, aber ein ganz normaler Prozess», sagt Andreas Lichtensteiger, Geschäftsführer des Vorsorgeexperten VermögensPartner, zum System des Einkommenstopfes. Der Einkommenstopf sollte jährlich rollend für die nächsten zehn Jahre überprüft und angepasst werden. 

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Nähert sich der Rentner dann der statischen Lebenserwartung - bei Frauen ist dies laut Bundesamt für Statistik 87,8 Jahre, bei Männern 85,3 Jahre - sollte der Einkommenstopf gegen null sinken. Wird die Lebenserwartung überschritten, muss der Risikotopf dann die Einkommensdefizite übernehmen.

Umgekehrt enthält auch die Rente ein gewisses Mass an Flexibilität. Zwar ist das monatliche Einkommen bis ans Lebensende fixiert, doch besonders bei einem sehr langen Lebensabend dürfte es beim Kapitalbezug knapp werden. In diesem Szenario fährt man mit der Rente besser, denn wenn kein Geld mehr vorhanden ist, ist die Flexibilität auch weg.

2) Massive Selbstüberschätzung

Die Entscheidung ob Rente oder Kapital gleicht - etwas sarkastisch ausgedrückt - einer Wette auf den eigenen Todeszeitpunkt. Dabei hängt vieles von der statistischen Lebenserwartung ab. Stirbt man vorher, ist der Kapitalbezug attraktiver, bei einem langen Leben ist man wiederum mit der Rente im Vorteil.

Roman von Ah, Geschäftsführer beim Vermögensverwalter Swiss Rock, warnt diesbezüglich vor Illusionen punkto Selbstfinanzierung beim Kapitalbezug. Besonders bei Männern ist die Selbstüberschätzung rund um die Erwirtschaftung der benötigten Erträge ausgeprägt. Eine hohe Risikobereitschaft der Männer stellt auch Lichtensteiger von VermögensPartner fest.

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Eine Studie von Swisscanto gelangte kürzlich zu einem vergleichbaren Schluss: 42 Prozent der Neupensionierten aus der Finanzbranche entscheiden sich ausschliesslich fürs Kapital. Bei Neurentnern aus anderen Industrien entscheiden sich dagegen weniger als ein Drittel für den reinen Kapitalbezug.

«Der hohe Anteil der Kapitalbezüge in der Finanzbranche lässt die Vermutung zu, dass die Wahl auch von der Finanzkompetenz der einzelnen Versicherten abhängig ist», so ein ZKB-Experte (mehr dazu hier). Ob diese Kompetenzen auch zu den nötigen Überrenditen führen, ist dagegen nicht so sicher.

3) Teures Langleberisiko

Ein Beispiel für die hohen Hürden, im Alter eine genügend hohe Rendite zu erzielen, ist das Langleberisiko: Für Vorsorgeeinrichtungen ist der Kapitalbezug die attraktivere Variante, stellen sowohl von Ah wie auch Lichtensteiger fest. Einerseits ist das Absichern des Langleberisikos teuer, andererseits sind die Pensionskassen mit einem hohen Rentneranteil stark eingeschränkt in der Wahl der Anlagen. Im Niedrigzinsumfeld werfen sichere Anlagen quasi eine Nullrendite ab.

Mit dem Kapitalbezug übertragen sie das Risiko einer potenziellen Finanzierungslücke aufgrund der Langlebigkeit an die Rentner. Für die Vorsorgeeinrichtung ist der Kapitalbezug zudem mit keinen Kosten verbunden. Ein kostenloses Abwälzen eines Risiko ist für einen rationalen Finanzmarktakteur immer attraktiv.

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Wie teuer dieses Risiko ist, zeigt der Rentenaufschub: Arbeitstätige können mit der Pensionierung bis zum 70. Lebensjahr warten und erhalten dafür eine rund 30 Prozent höhere Rente. Der Aufschub gilt nicht nur für die AHV, sondern auch für die zweite Säule.

30 Prozent in fünf Jahren entsprechen einer Mehrrendite von rund 5,4 Prozent. Mit sicheren Anlagen wie Staatsobligationen ist dies nicht zu erzielen, höchstens mit Aktien.

Den meisten Rentnern fehlt indes die Risikotoleranz, ihr Kapital vollständig in renditestarke Anlagen zu investieren. Verluste während Marktcrashes zwischen 40 bis 60 Prozent lassen sich im hohen Alter nicht mehr ausgleichen.

4) Ungleiche Kostenstrukturen

Auch die Kosten sprechen in den meisten Fällen gegen einen Kapitalbezug. Für Privatanleger ist es unmöglich, die Kostenstrukturen einer Pensionskasse nachzuahmen. Auf das Vermögen hat dies einen bedeutenden Einfluss.

Laut der jüngsten Swisscanto Pensionskassenstudie verursachten Vorsorgeeinrichtungen in 2024 Verwaltungskosten im Umfang von 0,4 Prozent der Vermögenswerte. Finanzdienstleister, die mit der Bewirtschaftung der Vorsorgegelder beauftragt werden, haben 4 bis 6 Mal höhere Kosten, so von Ah. Ein Gebührenunterschied von jährlich 0,9 Prozentpunkten mindert nach 30 Jahren den Gesamtertrag beispielsweise um rund einen Drittel.

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Beispiel: Der «European Growth Fonds» des Vermögensverwalters Jupiter kostet für Privatanleger 2,02 Prozent pro Jahr. Für Investments ab 500’000 Euro sinkt die Gebühr auf 0,95 Prozent pro Jahr - für institutionelle Anleger ab einem Betrag von 1 Million Euro auf 0,91 Prozent. Einen Ausgabeaufschlag gibt es nur für Privatanleger (5 Prozent). Zu diesen Kosten kommen noch Depotgebühren der Bank und Kommissionen dazu - sie sind ebenfalls tiefer für Vorsorgeeinrichtungen.

Jupiter ist keineswegs eine Ausnahme oder ein extremes Beispiel: Die UBS verlangt beispielsweise für den «UBS Tech Opportunity Equity» von Privatanlegern 2,1 Prozent. Die «Q»-Klasse desselben Fonds kostet dagegen 1 Prozent. In der Finanzindustrie sind Skaleneffekte König - und gegen das Volumen einer Pensionskasse kommen die meisten Privatanleger nicht an.

5) Erbe und Steuern

Als Gründe für den Kapitalbezug werden dagegen oftmals Steuern und Erbe genannt. Das gesparte Vermögen will man beim Todesfall nicht verlieren. Doch auch bei diesen beiden Punkten spricht nichts eindeutig für die eine oder andere Variante. Ausnahme sind vor der Pensionierung stark erkrankte Personen.

Zwar wird die Rente zu 100 Prozent als Einkommen versteuert, doch erst nach etwa 20 Jahren ist ein Kapitalbezug steuerlich attraktiver, so Lichtensteiger. Denn das gesamte Kapital wird einmalig zum Zeitpunkt des Bezugs besteuert. Der «Break Even» liegt somit je nach Vermögens- und Einkommensverhältnis knapp über der statistischen Lebenserwartung.

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Auch beim Thema Erbschaft ist das Bild gemischt. Zwar ist die Ehegattenrente tiefer als diejenige des oder der Verstorbenen. Bei Ehepartnern mit einem Altersunterschied von über zehn Jahren wird sie bei einigen Pensionskassen zusätzlich gekürzt. Doch bei hohem Alter des überlebenden Partners kann sie sich auszahlen.

Dies hängt jedoch stark vom verfügbaren Vorsorgekapital, der individuellen Lebenserwartung und dem Altersunterschied der betroffenen Personen ab. Aufgrund der Komplexität dieser Thematik sollte für die Beurteilung eine Fachperson beigezogen werden, so Lichtensteiger.

Von Ah von Swiss Rock warnt hingegen vor überhöhten Erwartungen an das vererbbare Kapital. Die Fortführung der gewohnten Lebenshaltung nach der Pensionierung ist seiner Ansicht «ohnehin eine Mär». 

Da die reale Inflation über der offiziell ausgewiesenen liegt, dürfte bis zum Todeszeitpunkt weniger Vermögen vorhanden sein als ursprünglich angenommen. Besonders ältere Personen dürfte dies treffen: Die Gesundheitskosten, ein grosser Kostenblock dieser Bevölkerungsgruppe, werden in der offiziellen Inflationsberechnung nicht berücksichtigt. Sie steigen seit über 20 Jahren jährlich um rund 3 Prozent.

Doch das individuelle Sterbealter lässt sich ohnehin nicht vorhersagen, so von Ah. Wer konservativ planen will, sollte deshalb von einem merkbar höheren Alter als der statistischen Lebenserwartung ausgehen. So bleibt im hohen Alter ausreichend Liquidität - und allenfalls auch noch etwas für die Nachkommen.
 

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Über die Autoren
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Luca Niederkofler

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