Abo
Ölkrise 2.0?

Die überraschende Ruhe am Ölmarkt

Der Krieg zwischen Israel und Iran liess einen Ölpreisschock wie in den 1970 befürchten. Warum es bisher nicht dazu kam – in fünf Punkten.

Markus Diem Meier

Markus Diem Meier

<p>Velofahrer auf der Autobahn: Während der Ölkrise im Jahr 1973 erliess der Bundesrat ein Autofahrverbot für drei Sonntage und eine Kontingentierung des Treibstoffs. </p>

Velofahrer auf der Autobahn: Während der Ölkrise im Jahr 1973 erliess der Bundesrat ein Autofahrverbot für drei Sonntage und eine Kontingentierung des Treibstoffs. 

Keystone

Werbung

Der Krieg zwischen Israel und dem Iran hat alte Ängste vor einem erneut explodierenden Ölpreis wie in den 1970er-Jahren geweckt. Der Preisanstieg ging auch damals von Entwicklungen in den beiden Ländern aus.

Partner-Inhalte

Die Folge war eine massive, weltweit ansteigende Inflation und ein Wirtschaftseinbruch. In der aktuellen Krise ist der Ölpreis anfänglich ebenfalls um mehr als 10 Prozent angestiegen, womit er aber noch immer unter den Höchstwerten des laufenden Jahres geblieben ist.

Nachdem die USA durch Bomben auf den Iran in den Krieg eingegriffen haben, ist der Ölpreis sogar wieder auf einen Wert wie vor dem Konflikt gesunken. Wieso das?

1. Der Ölschock der 1970er-Jahre – und wie sich die Ausgangslage seither verändert hat

Der massive Anstieg der Ölpreise in den 1970er-Jahren ging ebenfalls auf einen Konflikt im Nahen Osten zurück. Weil der Westen nach dem Angriff von Ägypten und Syrien auf Israel im Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 Israel unterstützte, reagierten die Mitglieder der Organisation Erdöl produzierender Länder (Opec) – hauptsächlich arabische Länder – mit einem Ölembargo gegenüber dem Westen. Innert rund drei Monaten führte die Angebotsverknappung zu einer Vervierfachung des Ölpreises.

Werbung

Im Vergleich zu damals hat die Opec inzwischen aber an Bedeutung verloren: In den 1970er-Jahren kontrollierte sie noch mehr als die Hälfte der weltweiten Ölproduktion, seither ist ihr Anteil auf rund 40 Prozent gesunken. Wichtiger ist, dass der Anteil des Erdöls an der Wirtschaftsleistung gleichzeitig um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist. Das liegt einerseits an massiven Effizienzgewinnen bei der Erdölnutzung und andrerseits daran, dass andere Energiequellen im Verhältnis zum Erdöl stark zugelegt haben. Dennoch bleibt Erdöl auch heute noch der wichtigste Energieträger.

2. Warum Ölpreise nicht die ganze Geschichte erzählen

Der Preisschock beim Erdöl wird oft als Ursache für die massive Zunahme der Teuerung in den Siebzigerjahren in den Industrieländern genannt. In der Schweiz stieg die Inflationsrate auf bis zu 10 Prozent an, in den USA sogar auf noch höhere Werte.

Werbung

Der Preisaufschlag des Öls war die wichtigste Ursache. Eine fast gleich grosse Bedeutung hatte aber die Geldpolitik jener Zeit: Ebenfalls zu Beginn der Siebzigerjahre brach das System der (Dollar-)fixierten Wechselkurse zusammen, an dem sich die Notenbanken bis dahin ausgerichtet hatten. Sie waren deshalb damals nicht in der Lage, der steigenden Teuerung Einhalt zu gebieten.

So kam es zu Zweitrundeneffekten: Die anfänglich kostengetriebenen Preiserhöhungen führten dazu, dass die Beschäftigten entsprechend höhere Löhne forderten – und auch durchsetzen konnten. Darauf erhöhten wiederum die Unternehmen ihre Absatzpreise. Die Folgen waren eine Lohn-Preis-Spirale und die Erwartung einer hoch bleibenden oder sogar weiter steigenden Inflation.

3. Die Macht des Erdölkartells Opec schrumpft weiter

Die Organisation Erdöl produzierender Länder hat die Funktion eines Oligopols. Das heisst, die Mitgliedsländer schliessen sich zusammen, um gemeinsam Marktmacht auszuüben. Das funktioniert aber nur, wenn sich alle Mitglieder strikt an die Vereinbarungen halten – etwa bei einem Ölembargo oder bei Preisfixierungen. Doch der Anreiz, auszuscheren, ist für jedes Mitglied gross. Denn wenn es alleine trotz Embargo liefert oder den vereinbarten Preis unterbietet, kann es das Geschäft alleine oder zumindest mit grösseren Volumen machen.

Werbung

Tatsächlich hat seit den Siebzigerjahren die Disziplin innerhalb der Opec immer mehr abgenommen. Das liegt auch daran, dass der Zusammenhalt der arabischen Länder gegenüber Israel in den Siebzigern deutlich stärker war als heute. Aber auch daran, dass das Gewicht von nichtarabischen Ländern (wie Russland in der sogenannten Opec+) inzwischen zugenommen hat. Des Weiteren ist der Anteil des Kartells am internationalen Ölmarkt seit den Siebzigern deutlich zurückgegangen.

4. Die Geografie der Ölproduktion und die Bedeutung des Mittleren Ostens

Im Vergleich zu den Siebzigerjahren hat der Mittlere Osten als Ölproduzent im Verhältnis zu anderen Anbietern an Bedeutung verloren. Vor allem die Fracking-Revolution in den USA hat dazu geführt, dass diese nicht mehr nur der grösste Ölverbraucher, sondern auch der grösste Ölproduzent der Welt geworden sind.

Werbung

Der Anteil des iranischen Öls ist mit rund 3 Prozent an der Weltproduktion relativ gering. Die Sorgen drehen sich denn auch mehr darum, ob der Iran die Schifffahrt durch die Strasse von Hormus – die Meerenge zwischen der Arabischen Halbinsel und dem Iran – blockieren oder Ölfelder in den benachbarten arabischen Ländern bombardieren wird. Dann wären 30 Prozent der weltweiten Ölversorgung gefährdet.

Ein solcher Angebotsausfall würde sich stark auf den Ölpreis auswirken. Gemäss Prognosen würde der Preis pro Fass in diesem Fall auf über 100 bis zu 150 Dollar ansteigen, was trotz der gesunkenen Bedeutung des Erdöls einen veritablen Kostenschock für die Weltwirtschaft darstellen würde.

5. Die Rolle von Erdöl in der Geopolitik

Seit der Erfindung des Verbrennungsmotors ist Erdöl ein entscheidender Macht- und Wirtschaftsfaktor. Trotz der geringeren Bedeutung des Öls im Energiemix ist der Rohstoff weiterhin die wichtigste Energiequelle der Welt. Im Ersten Weltkrieg wurde die Bedeutung des Erdöls für die Machtpolitik der Länder erstmals besonders deutlich.

Werbung

Deshalb tat die damalige Grossmacht Grossbritannien alles, um den Nahen Osten unter ihre Kontrolle zu bringen. Die arabischen Länder verdanken ihren enormen Reichtum und ihre anhaltende geopolitische Bedeutung allein dem Erdöl, das sich dort verhältnismässig einfach gewinnen lässt.

Die Abhängigkeit westlicher Länder von diesem Energieträger hat dazu geführt, dass sie den Zugang zum Öl bis heute durch militärische Massnahmen absichern. In den Kriegen der Region wie in den beiden Irak-Kriegen 1990 und 2003 hat diese Absicherung eine wesentliche Rolle gespielt. Es waren auch vor allem die Länder dieser Region, die im Jahr 1960 die Opec schufen.

Fazit

Ein Ölpreisschock wie in den Siebzigerjahren mit ähnlichen weltweiten Folgen ist höchst unwahrscheinlich. Das liegt nicht nur an den strukturellen Änderungen im Ölmarkt wie dem geringeren Anteil des Öls am Energiemix, der grösseren Produktivität der Ölnutzung und neuen Produzenten – insbesondere den USA.

Werbung

Dass es damals zu einer massiven Inflation und einer Wirtschaftskrise kam, lag nicht am Anstieg des Ölpreises allein, sondern auch an der Unfähigkeit der Notenbanken, für eine stabile Inflation zu sorgen. Seither sind sie sehr erfolgreich im Verankern stabiler Inflationserwartungen.

Eine erneute Ausweitung des Kriegs auch auf arabische Staaten oder eine Verhinderung der Öltransporte durch die Strasse von Hormus bleiben allerdings Risiken, auch wenn das nicht im Interesse des Irans wäre. Problematisch wäre ein ölbedingter Kostenanstieg vor allem vor dem Hintergrund der übrigen globalen Unsicherheiten – wie etwa des anhaltenden Zollkriegs.

Werbung

Auch interessant

Werbung