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Nur keine Angst vor Inflation

Paul Krugman (46) gehört zur ersten Garde amerikanischer Ökonomen. Er plädiert für einen marktwirtschaftlichen Keynesianismus.

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BILANZ: Ihr neues Buch heisst «The Return of Depression Economics». Warum das?
Paul Krugman:
Ich bin ein marktwirtschaftlicher Keynesianer. Wenn immer möglich, trete ich für freie Märkte ein - aber einen Zusammenbruch wie in den Dreissigerjahren wollen wir uns auch nicht leisten. Vorderhand konnte Alan Greenspan das Nötige tun und die Wirtschaft in Schwung halten. Doch im Frühjahr 1998 befielen mich erste Zweifel.

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Was wären denn die Zeichen einer beginnenden Depression?
Die Probleme liegen auf der Nachfrageseite, nicht in irgendwelchen Schwierigkeiten auf der Produktionsseite. Es wird nicht genug ausgegeben; das könnte man das japanische Syndrom nennen. Als neuer Engpass kamen dann die finanziellen Erschütterungen in Asien und Lateinamerika dazu. Das hat mir eine beängstigendere Sicht der Dinge nahegelegt.

Vorderhand geben aber die Amerikaner mehr aus, als sie einnehmen, ihre Sparrate ist negativ.
Natürlich ist die Depression heute kein amerikanisches Problem. Der laufende Konsum wird durch die aufgeblähten Aktienkurse aufrechterhalten. Wenn diese Stütze einmal entfällt, sieht es anders aus. Die Notenbank wird dann zwar die Zinssätze senken, aber es ist denkbar, dass dies nicht wirkt. Wir sollten uns also auf den Moment vorbereiten, da die Börse einbricht, und wir in eine «liquidity trap» geraten, in eine Falle, wo die Leute auf ihrem Bargeld sitzen bleiben und es nicht ausgeben.

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Und mit welchen Rezepten liesse sich da gegensteuern?
Japan ist der Ausgangspunkt - und bietet sich als ziemlich verworrener Fall dar. Ich habe als mittlerweile berühmtes Rezept eine mässige Inflationierung vorgeschlagen. Eine aggressive Geldpolitik müsste die Geldmenge deutlich vermehren. Für die USA wäre dies allerdings nicht sofort nötig, dort haben wir einen Puffer in Form einer zwar geringen, aber laufenden Inflation von zwei Prozent. Das könnte sich freilich als ungenügend herausstellen. Doch Amerikas Budget liegt im Plus, und auch das gibt Raum für die Schaffung zusätzlicher Kaufkraft. In Japan hingegen fehlte die Nachfrage, und man war nicht willens, dagegen anzukämpfen. Anderswo, besonders in Europa, ist es nicht viel besser. Was geschieht, wenn die amerikanischen Börsen womöglich einbrechen? Vielleicht glaubt die Europäische Zentralbank dann, das habe mit Europa nichts zu tun und handelt nicht.

Aber Japans Probleme sind doch wirklich sehr besonders. Eine schnell alternde Bevölkerung sperrt sich gegen jede Einwanderung.
Tatsächlich hat Japan zwei ganz besondere Fragen zu lösen: Zum einen die demografische Verengung und zum anderen die Spätfolgen der Finanzexzesse, die Anfang der Neunzigerjahre platzten. Aber das ist eben auch ein Grund, uns um uns selber Sorgen zu machen. Der Satz für Tagesgeld liegt in Europa bei 2,5 Prozent. Da gibt es nicht mehr viel zu senken, wenn billiges Geld nötig wird. Und in den USA liegt der Satz bei 4,7 Prozent. Als man Anfang der Achtzigerjahre mit Zinssenkungen ankurbelte, musste man diesen Satz um sechs Prozentpunkte reduzieren, von neun auf drei Prozent.

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Neben dem Deflations-Horrorszenario kann man sich für die USA aber wohl auch eine weiche Landung vorstellen.
Das ist die wahrscheinlichste Variante. «In Greenspan we trust» - Greenspan wird es richten. Ein krasser Fall der Börsenkurse würde mit einer deutlichen Zinssenkung beantwortet, auch am langen Ende. Solch ein Absturz ist nicht auszu-schliessen, ein Modell der Federal Reserve schätzt die heutige Überbewertung der Kurse auf 40 Prozent.

Nach einem Kurszerfall könnte aber die andere amerikanische Schieflage zum Vorschein kommen. Der Dollar könnte fallen. Das Handelsbilanzdefizit würde so zwar behoben - aber die Importe würden eine zunehmende Inflationierung bewirken.
Das würde sicher schmerzen, doch schlägt solches auch auf die fragilen Volkswirtschaften andernorts durch. Beispielsweise wäre ein gegenüber dem Dollar stark aufgewerteter Euro das letzte, was sich Euro-Land wünschte. Der neueste Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigt die verheerende Wirkung solcher Zerreissproben auf, via die sprunghaft vergrösserten Rendite-Unterschiede nationaler Bonds.

Das Handelsbilanzdefizit der USA beträgt nun 300 Milliarden Dollar im Jahr und muss finanziert werden, was ein ehemaliger Fed-Gouverneur öffentlich bezweifelt hat.
Das Defizit ist gross, aber das sind die USA auch. Gemessen am Bruttosozialprodukt macht es weniger als vier Prozent aus. Australien leistete sich während zwanzig Jahren 4,5 Prozent Defizit. Natürlich ist das bei einem kleineren Land leichter zu finanzieren, doch im Moment wird das amerikanische Defizit frohgemut vom Ausland finanziert. Ich sage immer, dieses Defizit gehört nicht einmal zu den zehn Hauptproblemen, die mich beschäftigen. Zwar kommen alle solchen Dinge einmal zu einem Ende, aber ich kann das Handelsbilanzdefizit einfach nicht als Auslöser einer Krise sehen.

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Im Vergleich zum amerikanischen Boom erscheint Europa völlig blockiert und im Abseits.
Die USA betreiben eine Budgetpolitik des 19. Jahrhunderts in Verbindung mit einer Geldpolitik des 21. Jahrhunderts - also öffentliche Sparsamkeit mit privater Geldflüssigkeit. Das schützt vor wirtschaftlicher Sklerose. Europa praktiziert das Gegenteil. Wenn aber diese Politiken immer noch mit den Etiketten von «rechts» und «links» diskutiert werden, macht das ganz einfach keinen Sinn. Es geht vielmehr um Dirigismus oder Pragmatik. Das kann zwar Härten mit sich bringen, aber davor sollte Europa nicht zurückschrecken - etwa was die Lockerung des Arbeitsmarktes angeht. Dieser stellt den Kern des Problems dar, und ich sehe in keinem Land entscheidende Bewegungen. Frankreich hatte einen kleinen Erfolg mit mehr Teilzeitstellen. Deutschland dagegen vernichtet genau diese kleinen Jobs mit der Besteuerung der 630-Mark-Stellen. Und in der Geldpolitik haben sich die anfänglichen Befürchtungen beim Start der Währungsunion leider erfüllt - diese Geldpolitik ist zu konservativ. Ziemlich düster, meine ich.

Hinter dem amerikanischen Boom steht eine steigende Produktivität. Doch bei den Europäern herrscht immer die Angst, eine steigende Produktivität vernichte nur Arbeitsplätze.
Das ist so. Allerdings haben die USA während vieler Jahre auch mit nur geringer Produktivitätszunahme einen Boom erlebt und viele Arbeitsstellen geschaffen. Die rasche Produktivitätssteigerung ist ein relativ neues Phänomen. Und für Europa wiederum wäre auch diese Steigerung an sich nicht das Kernproblem. Es würde vermutlich deshalb zum Problem, weil die Reallöhne sofort entsprechend mitsteigen würden.

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Kriegt Europa die «learning curve» nie wieder? Oder sind diese kulturellen Haltungen unveränderbar?
Dafür bin ich nicht Experte. Aber einst galt das Vereinigte Königreich als hoffnungslos erstarrt: zu mächtige Gewerkschaften, zu sture Klassenunterschiede - und dann kam Margaret Thatcher. Irgendeine solche Thatcher-Lösung bräuchte Europa, obwohl ich sie eigentlich überhaupt nicht mochte.

Warum mochten Sie Frau Thatcher nicht?



Immerhin hat sich Holland umstrukturiert.



Michel Albert schreibt vom «rheinischen Kapitalismus», der durch Konsens so viel leiste wie ein rein kapitalistisches Modell. Gibt es verschiedene Kapitalismen?



Ihr Kollege Paul Romer sieht genügend Arbeit, genügend Nachfrage für einen andauernden Aufschwung.



Schrecken Sie die wachsenden Lohnunterschiede Amerikas nicht?



Gibt es dagegen Marktlösungen?



Sie begrüssen also den «earned income tax credit», die negative Einkommenssteuer für Arbeitende?



Ihre eigene Produktivität steigert sich wie jene der USA …



Haben Sie ein Team, das Ihnen zuarbeitet, haben Sie Forschergruppen zur Hand?



Verstehen Sie ihre Rolle eher als Kommentator oder als Prophet?



Aber Sie haben schon 1994 die tönernen Füsse des asiatischen Booms gezeigt, sie prophezeien heute die Deflation.

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