Guten Tag,
Die neue Länderchefin von Nestlé Schweiz, Nelly Wenger, über die Auswirkungen der von ihr organisierten Expo, das Frauendefizit beim Nahrungsmittelmulti und ihren autoritären Führungsstil.
Marc Kowalsky
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Nelly Wenger: Sind Sie verheiratet?
Was ist von Ihrem Hochzeitsfest geblieben?
Voilà, Erinnerungen. Im Fall der Expo sogar hyperkollektive Erinnerungen. Jeder zweite Schweizer hat die Expo besucht.
Nein. Das war auch nie ihre Absicht. Die Expo war ein Ideenlabor, um viele Dinge auszuprobieren. Und sie hat die Potenziale freigelegt, welche die Schweiz hat.
Oh là là, das ist eine Hundert-Franken-Frage (lacht). Ich hoffe es. Wenigstens, was den Zusammenhalt des Landes angeht, dass sich die Leute besser verstehen. Die Expo hat auch die Gastfreundschaft der Schweiz gezeigt. Aber ob das Land wirklich offener geworden ist? Da will ich mich nicht auf die Äste hinauswagen.
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Ich hoffe es nicht. Als Unternehmen sind wir von diesem Aspekt der Bilateralen Verträge nicht direkt betroffen, wir unterstützen allerdings die Öffnung des Landes sehr.
Die Bilateralen Verträge haben grosse Auswirkungen auf unsere Wettbewerbsfähigkeit: Sie öffnen uns einen Markt von 450 Millionen Menschen. Die Abschaffung der Import- und Exportzölle ist für uns sehr wichtig. Wenn durch ein Nein zu Schengen die Bilateralen als Ganzes gefährdet würden, wären die Konsequenzen für uns gewaltig.
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Ich habe überhaupt keine Unzufriedenheit gespürt. Ich habe mit einem Rundgang durch die ganze Gruppe begonnen, und man hat mir einen sehr warmherzigen Empfang bereitet. Die Leute haben mir viel von ihrer Zeit und ihrer Energie gegeben. Richtig ist, dass es einen Überraschungseffekt gab. Das ist aber normal, denn dank ihrem weltweit hervorragenden Netz von kompetenten Leuten kann Nestlé viele Ernennungen und Beförderungen intern lösen. Aber der Konzern weiss auch, dass ein Blick von aussen für ihn ein wertvoller Gewinn ist. Vielleicht war auch der Faktor Frau überraschend.
Warum sollten sie das sein?
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Dies ist eine klassische Diskussion, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Verwaltung oder im universitären Bereich: Wenn eine Stelle mit einer Person besetzt wird, gibt es einen oder mehrere andere, die nicht zum Zug kommen.
Da unterschätzen Sie die Fähigkeit von Nestlé, Leute aufzunehmen und zu integrieren, gewaltig. Wie gesagt, es mag einen Überraschungseffekt gegeben haben. Aber das ist Schnee von gestern.
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- Wenn Nestlé PR machen will, hat das Unternehmen ganz andere Möglichkeiten dazu. Und ein Grossunternehmen spielt nicht mit so wichtigen Positionen. Nestlé stellt Mitarbeiter auf Grund von deren beruflichen Fähigkeiten ein. Ich selber habe in meinen früheren Führungspositionen Frauen nicht immer in dem Mass einstellen können, wie ich es gerne getan hätte, weil es manchmal eben keine passenden Frauen gab. Dies ändert sich allerdings langsam. Wobei ich sagen muss, dass ich mir bei Anstellungen nie die Frage stelle, ob es ein Mann oder eine Frau sein soll. Mich interessieren neben den beruflichen Kompetenzen vor allem Diversität und kosmopolitische Eigenschaften.
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Ich glaube, dies ist in anderen Unternehmen nicht anders. Traditionell gibt es wenig Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen.
Ist es das einzige Unternehmen, bei dem das der Fall ist?
Das dürfte historische Gründe haben. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass Nestlé lange Zeit ein von technischen Aspekten geprägtes und immer auf Innovationen bedachtes Unternehmen war. Technologie ist bekanntlich keine typisch weibliche Domäne. Aber eine echte Erklärung habe ich nicht.
Ich weiss es nicht. Ich bin keine Wahrsagerin.
Diese Frage stellt sich nicht. Ich mache nie Langfristplanung – Gott sei Dank, denn ich wäre jedes Mal falsch gelegen.
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Ja. Ich bin zur Gruppe gestossen, um diese Funktion auszuüben.
Nestlé hat kommuniziert, dass ich zur Gruppe stossen und meine genaue Funktion später angekündigt werde. Was dann auch geschah.
Ich werde Ihnen nicht alles verraten. Natürlich war meine Funktion bei der Expo.02 sehr öffentlich. Man wusste, was ich tat. Ich stand in Kontakt mit Vertretern von Kultur, Wirtschaft und Politik. Das Leben ist doch ein Spiel von Begegnungen und Bestimmungen, ein Zusammenkommen von Bedürfnissen auf der einen und der Verfügbarkeit auf der anderen Seite.
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Im Zusammenhang mit der Expo habe ich Herrn Gut nie getroffen. Es ist richtig, dass er sich von Anfang an sehr für das Projekt engagiert hat. Aber das hat mit meiner Anstellung bei Nestlé nichts zu tun.
Ich habe schon vorher in meinem beruflichen Leben immer wieder entscheidende Wechsel erlebt. Ich sagte mir also: warum nicht etwas ganz Neues tun und dabei meine eben erworbenen neuen Kenntnisse einsetzen? Ich wollte lieber etwas völlig Neues machen als das Gleiche nochmals.
Ich wurde nicht dazu angestellt, um Forschung zu betreiben, sondern um ein Unternehmen zu führen, um Visionen zu haben und zudem die Kraft, diese Visionen auch umzusetzen. Zu lernen, wie man eine neue Welt versteht, erfüllt mich mit Leidenschaft. Ich glaube auch, dies mit Schnelligkeit tun zu können. Meine Grundausbildung vereinfacht die Aufgabe, denn technische Daten erschrecken mich nicht. Kommt hinzu, dass man bei Nestlé auf eine bestehende Struktur bauen kann, auf mehr als 100 Jahre Kompetenz.
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Überhaupt nicht. Wir müssen ständig kreativ sein, einen innovativen Geist beweisen und sehr schnell sein.
Wenn Sie das Gefühl haben, der Tanker fahre von selbst, dann zeigt das bloss, dass die Leute bisher eine gute Arbeit geleistet haben.
Ich habe vor meinem Stellenantritt hier vier Monate bei Nestlé in Frankfurt verbracht. Deutsch ist mir als Sprache inzwischen vertrauter als früher. Hochdeutsch, wohlgemerkt.
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Ich habe ein entspanntes Verhältnis zur Macht. Verantwortung zu haben, heisst handeln. Ich liebe es, handeln zu können und die Mittel dafür zu haben. Ich liebe es, wenn ich etwas bewirken kann. Die äusserlichen Insignien der Macht hingegen bedeuten mir gar nichts.
Ja, aber das war schon vor mir immer das Chefbüro. Was ich sagen wollte: Es gibt ja gewisse Jobs, bei denen man zwar die ganzen Zeichen der Macht erhält, aber dennoch nichts bewirken kann. Solche Funktionen wären nichts für mich.
Nein, das befürchte ich nicht. Ich weiss in der Tat, was ich will. Ich komme zwar aus einer Diskussions- und Dialogkultur und bin gerne von Menschen umgeben – ich bin weder eine Einzelgängerin noch eine Wilde. Aber wenn Entscheide einmal gefällt sind, will ich, dass sie auch umgesetzt werden. Man kann mit einer entschiedenen Haltung Freunde gewinnen, weil man Unklarheiten und Ausflüchte vermeidet. Und positive Ergebnisse strahlen am Ende auf alle ab.
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Das ist schon länger her.
(Lacht.) Ich habe tatsächlich bei einigen Projekten mitgearbeitet, die konfliktträchtig waren. Besonders bei der Expo waren wir damit reichlich gesegnet. Was ich damit sagen wollte: Ich habe gelernt, in schwierigen, unübersichtlichen, instabilen Situationen zu handeln. Aber ich suche die Konflikte nicht. Ich bin zufrieden, hier in einem Umfeld zu sein, in dem ich meine Kraft positiv und aufbauend einsetzen kann.
Wir haben erst vor kurzem einen dreistelligen Millionenbetrag in unsere Kaffeefabrik in Orbe investiert, wo wir Nescafé und die Nespresso-Kapseln produzieren. Der Grossteil davon wird exportiert. Das zeigt, dass die Schweiz als Produktionsstandort wettbewerbsfähig ist. Für Produkte mit hoher Qualität und entsprechend hoher Wertschöpfung hat es immer Platz. Dafür braucht es aber Anstrengungen, und man muss die Effizienz stetig steigern. Es bedingt auch, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Das ist jetzt mit den Bilateralen Verträgen der Fall.
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Die Konzernziele schlagen sich in allen Ländermärkten nieder, wenn auch nicht unbedingt gleichmässig. Aber wie Sie wissen, veröffentlichen wir keine einzelnen Länderzahlen.
Das schon. Aber keine Wachstums- und Gewinnzahlen.
Wir haben einige Ikonen unter unseren Produkten. Von der Cailler-Haselnussschokolade beispielsweise verkaufen wir in der Schweiz pro Einwohner eine Tafel jährlich. Das heisst, wenn man weiterhin wachsen will, muss man Innovationen schaffen. Echte neue Produkte, nicht bloss Variationen. Das versuchen wir mit unserer Vision, dass Nestlé nicht einfach Nahrungsmittel herstellt, sondern Produkte mit Wohlfühl- und starkem Gesundheitsaspekt. Da entwickeln wir sehr viel in Zusammenarbeit mit den Nestlé-Kompetenzzentren, von denen sich einige auch in der Schweiz befinden.
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Ich sah Nestlé früher so wie die meisten Schweizer: als sehr grosses, sehr wichtiges und sehr respektiertes Unternehmen. Am meisten überrascht hat mich wohl, wie die 253 000 Menschen in diesem riesigen globalen Unternehmen in aller Welt miteinander verbunden sind. Das ist beeindruckend. Über die Landesgrenzen hinaus kennt man sich mindestens beim Namen. Ich habe ein Netz von Kompetenz angetroffen. Der Zugang zu einem solchen Netz war neu für mich, selbst wenn ich in meinen bisherigen Tätigkeiten schon mit einer grossen Zahl von Menschen in einem komplexen Umfeld zusammengearbeitet habe.
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(Lacht.) Es ist richtig, dass Langzeitdenken ein Teil unserer Unternehmenskultur ist. Aber alle, die bei Nestlé Karriere machen, bewegen sich. Sie wechseln ihre Tätigkeit, ihre Funktion, das Land, in dem sie arbeiten. Ich habe keineswegs das Gefühl, in einem Kloster zu leben.
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