John Kenneth Galbraith ist einer der grossen alten Ökonomen der USA und hat frühzeitig vor dem Börsencrash gewarnt. Doch die Gefahren gehen aus seiner Sicht viel weiter.
BILANZ: Professor Galbraith, hat Sie der jüngste Kursrutsch an der Nasdaq überrascht? John Kenneth Galbraith:
Warum hat niemand auf Sie gehört?
So ein Kapitalismus zum Mitmachen müsste Ihnen doch sympathisch sein.
Der Massenmensch, der im Winde treibt, schrieb José Ortega y Gasset schon im Börsencrash-Jahr 1929 …
Sie haben das Verhalten von Spekulanten in einer Phase kräftig steigender Kurse schon früher als Massenflucht aus der Wirklichkeit bezeichnet.
Warum werden finanzielle Pleiten so schnell vergessen?
Haben Sie in der jüngsten Krise frühere Crashs wiedererkannt?
Plötzlich reichen traditionelle Bewertungskriterien nicht mehr aus?
Ist Amerikas Hang zur masslosen Übertreibung aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht dennoch ein Segen?
… wobei die Infrastruktur für den Nachkriegsboom geschaffen wurde …
Der Venture-Capitalist Roger McNamee fordert zum Dank an all jene auf, die im Januar 2000 eingestiegen sind. Deren Geld mag sich in Luft aufgelöst haben – die auf diese Weise finanzierten Internetrouter aber nicht.
Hätte der Staat eingreifen müssen, um diese Kleinanleger zu retten?
Das klingt Ihrerseits zynisch!
Experten fürchten dennoch, das angeschlagene Vertrauen der amerikanischen Verbraucher könnte eine Rezession auslösen, die eine Weltwirtschaftskrise nach sich zöge.
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Letztere haben schon von der Partylaune der letzten zehn Jahre kaum profitiert.
Können die Ärmsten auf Unterstützung seitens der neuen Bush-Regierung hoffen?
Dieses Geschäft auf Gegenseitigkeit hat bisher noch jeder Präsident nach seinem Amtsantritt betrieben.
Was ist falsch am Argument, dass Steuerdollars bei den Bürgern besser aufgehoben seien als bei den Bürokraten in Washington?
Ihr Kollege Paul Krugman spricht bereits von einer Art neuem Klassenkampf «derer da oben» gegen «die da unten».
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Wundert es Sie, dass inzwischen selbst ein Erzkapitalist wie George Soros behauptet, der Laissez-faire-Kapitalismus könne die Zivilisation zerstören?
Ihr Landsmann John Saul findet die Marktideologie so absolutistisch wie Faschismus oder Marxismus: Alle drei würden von elitären Interessengruppen getrieben.
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Die Kapitalisten selbst verlieren immer mehr Einfluss, weil das wichtigste Produktionsmittel gar nicht mehr ihnen gehört, sondern ihren hoch qualifizierten Mitarbeitern oder jungen Selbstständigen. Was hat das noch mit dem Kapitalismus von Karl Marx zu tun?
Der Klassenkampf ist ad acta gelegt?
Was heisst das konkret?
Sie braucht die Talente und zahlt dafür horrende Preise.
Auf Unternehmerseite wird in diesem Zusammenhang gerne das Bild vom emanzipierten Mitarbeiter und vom partnerschaftlichen Verhältnis bemüht.
Intel-Chef Andrew Grove beschreibt die wichtigsten Motivationskräfte so: Angst vor dem Wettbewerb, Angst vor einem Bankrott, Angst, einen Fehler zu machen, und Angst zu verlieren.
Lange gaben sich die Kritiker des Kapitalismus progressiv. Heute bewahren die Kritiker das Alte: eine stabile Arbeitswelt, den Sozialstaat, die alte Einkommensverteilung. Sind Sie heute der eigentlich Konservative?
Und als Realist sind Sie davon überzeugt, dass sich ein entfesselter Kapitalismus selbst zerstört?
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