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Spekulation, Nachhaltigkeit, Trends

Whisky – eine Branche im Umbruch

Nach Jahren des Booms ist die Blase in der Whiskybranche geplatzt. Wohin geht die Reise jetzt?

Peter Jauch

Peter Jauch

<p>Hakushu Distillers Japan</p>

Whisky aus Japan ist sehr beliebt – das wachsende Angebot kann mit der Nachfrage nicht mithalten.

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Wer Glenturret, die älteste schottische Destillerie, betritt, begegnet nicht nur einer Produktionsstätte, sondern einem Stück gelebter Geschichte. Seit mehr als 300 Jahren wird hier Whisky gebrannt. Der Duft von frisch gemälzter Gerste, feuchtem Eichenholz und einem Hauch Torfrauch liegen wie ein unsichtbares Archiv in der Luft. In der Nähe hört man einen Fluss; frisches, reines Süsswasser ist eine entscheidende Zutat in der Whiskyherstellung. Die rauen Hügel von Crieff, das Plätschern des Turret im Perthshire-Gebiet der Highlands und das leise Pulsieren der Pot Stills im Innern strahlen Beständigkeit aus. Hier sieht und spürt man, dass Whisky mehr ist als nur ein Getränk: Er ist Kulturgut, Prestigeobjekt und Genussmittel. In diesem Jahr steht die Branche vor einer Zäsur: Nach Jahren des Booms stehen die Hersteller unter Druck.

Jahrelang hatten passionierte Sammler und eine wachsende Klientel in Asien Nachfrage und Preise in die Höhe getrieben. Doch nun flaut die Euphorie ab. Inflation, geopolitische Spannungen und ein verändertes Konsumverhalten belasten das Whiskybusiness. Produzenten müssen neue Chancen ergreifen: neue Märkte in Indien, Afrika und Südamerika erschliessen und auf Innovationen und nachhaltige Produktionsmethoden setzen. BILANZ begibt sich auf Erkundung, um die Transformation der Welt des Whiskys zu ergründen.

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Glenturret Whiskey

John Laurie, Managing Director der Glenturret-Brennerei.

ZVG
Glenturret Whiskey

John Laurie, Managing Director der Glenturret-Brennerei.

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Kaum jemand kennt den Markt so gut wie John Laurie, der Geschäftsführer der Glenturret Distillery, der ältesten noch produzierende Brennerei Schottlands. Er sieht die zunehmende Vielfalt der weltweiten Whiskyproduktion gelassen. Australien, Neuseeland, Indien, Brasilien oder sogar China – überall entstehen neue Destillerien. Doch für ihn ist klar: «Wenn Menschen an all diesen Orten beginnen, braune Spirituosen zu lieben, dann ist das für Scotch langfristig positiv. Denn sie steigen oft über lokale Produkte ein, doch enden bei den besten. Und Scotch ist für mich wie Champagner: unangefochten an der Spitze.» Laurie vergleicht die aktuelle Transformation im Whiskybusiness mit der Welt der Schaumweine: «Champagner wird auch nicht von Prosecco abgelöst. Das geografische Herkunftssiegel, die Tradition und die Spitzenqualität bleiben.» Auch wenn in China inzwischen zahlreiche Whiskyprojekte aufgebaut werden – Diageo und Pernod Ricard haben weit über 200 Millionen Dollar in neue Destillerien investiert –, bleibe Scotch das Mass der Dinge. «Der traditionelle chinesische Schnaps Baijiu macht im Reich der Mitte 98 Prozent des Spirituosenkonsums aus. Wenn die restlichen zwei Prozent nur schon auf vier steigen, ist das für unsere Branche revolutionär.»

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Die Blase ist geplatzt

Ein Connaisseur, der den Markt ebenfalls aus nächster Nähe kennt, ist Claudio Bernasconi. Der Schweizer Whiskyexperte ist Keeper of the Quaich, was die höchste Auszeichnung im Whiskygame ist, und Inhaber von Worldofwhisky.ch. Vor 30 Jahren gründete er die grösste Whiskybar der Welt, den «Devil’s Place» im Hotel Waldhaus am See in St. Moritz. Seither hat Bernasconi eine riesige Auswahl von über 2500 verschiedenen Whiskysorten aufgebaut. Die Bar gilt als Mekka für Liebhaber aus ganz Europa. Die Euphorie und die Ernüchterung der letzten Jahrzehnte hat Bernasconi direkt miterlebt. «20 Jahre lang sind die Preise jährlich um 10 bis 15 Prozent gestiegen. Jetzt stagnieren oder fallen sie sogar. Das ist gesund. Whisky muss wieder zum Genussmittel werden, weg vom Spekulationsobjekt.» Er erinnert daran, dass der Sammlermarkt zeitweise aus dem Ruder gelaufen war: «Wenn eine Flasche nur gekauft wird, um sie später für das Doppelte wieder zu verkaufen, verliert das Produkt seine Seele.» Mit Blick auf Auktionen stellt er klar: «Das ist keine Krise, sondern eine Korrektur.» Bernasconi sieht aber auch Chancen: «Wenn die Preise realistischer werden, können wieder mehr Menschen Whisky geniessen. Das ist am Ende für alle besser – für Produzenten, Händler und Konsumenten.»

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<p>Glenturret Distillery: In der ältesten Brennerei Schottlands kann man das traditionelle Handwerk sehen und spüren.</p>
<p>Glen Grant: Der Whisky ist so lieblich wie die malerische Landschaft der schottischen ­Speyside-Region.</p>
<p>Glenturret: Die älteste noch aktive Whiskybrennerei Schottlands wurde offiziell 1775 ­gegründet, wobei bereits seit 1717 am selben Ort illegal Whisky gebrannt worden sein soll.</p>
<p>In der Destillerie Glen Grant wird auf die Reifung in ehemaligen Bourbon- und Sherry-Fässern gesetzt.</p>
<p>Wild Turkey Distillery: Die Brennerei wurde von den Brüdern Ripy auf einem Hügel in Lawrenceburg, Kentucky, gegründet, der heute als «Wild Turkey Hill» bekannt ist.</p>
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Glenturret Distillery: In der ältesten Brennerei Schottlands kann man das traditionelle Handwerk sehen und spüren.

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Die USA waren einst die treibende Kraft für Bourbon und Rye. Heute sieht man jenseits des Atlantiks eine gemischte Entwicklung. Das Volumen stagniert, und bei den günstigen Preissegmenten gibt die Nachfrage nach. Bei Premium-Whiskys ist sie hingegen stabil. 2023 wurden in den USA mehr als 31 Millionen Neun-Liter-Kisten verkauft, mehr als doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Doch jetzt bremst die Inflation den Absatz. John Laurie warnt: «Wenn Bourbon durch Zölle oder Absatzprobleme plötzlich billiger auf dem Heimatmarkt verfügbar ist, könnte das auch Scotch unter Druck setzen.»

Japan wiederum bleibt ein Sonderfall: Whiskys aus dem Land der aufgehenden Sonne sind weltweit begehrt, die Bestände sind aber weiterhin knapp. Obwohl in den vergangenen Jahren mehr als zehn neue Brennereien eröffnet haben, übersteigt die Nachfrage nach wie vor das Angebot. NAS-Abfüllungen (No Age Statement) und kreative Fassreifungen helfen, die Lücke zu schliessen. Gleichzeitig erlebt der heimische Markt durch den Boom von Highball-Cocktails, die traditionell aus Whisky und einem kohlensäurehaltigen Mixer bestehen, eine Renaissance.

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Mehr Frauen trinken Whisky

Der Gesamtwert der Scotch-Whisky-Exporte lag im vergangenen Jahr bei 5,4 Milliarden Pfund – das ist ein Rückgang von 3,7 Prozent im Vergleich zu 2023. Mit 192 Millionen Flaschen wurde der grösste Teil nach Indien ausgeführt – damit haben die Inder erstmals Frankreich als grössten Importeur schottischen Whiskys überholt. Selbst die hohen Importzölle von 150 Prozent haben die wachsende Nachfrage nicht gebremst. «Die wachsende Mittelschicht in Indien wird für Premium-Produkte empfänglich. Scotch passt perfekt in dieses Narrativ», sagt Laurie.

Auch in Afrika gibt es immer mehr Whiskyliebhaber. Allen voran in Nigeria, Südafrika und Kenia, die sich zu wichtigen Wachstumsmärkten gemausert haben. «Man darf den Kontinent nicht unterschätzen. Eine junge Bevölkerung und steigende Einkommen schaffen ein enormes Potenzial», so Laurie. In Lateinamerika wächst insbesondere Brasilien zweistellig – Whisky gilt dort als Statussymbol. Claudio Bernasconi betont: «Whisky ist ein globales Produkt geworden. Seine Geschichten verbinden Menschen in São Paulo, Johannesburg und Zürich gleichermassen.»

Typische Whiskygeniesser sind heute nicht mehr nur ältere Männer. «Früher waren 95 Prozent unserer Kundschaft Männer. Heute sind es rund 15 Prozent Frauen. Und die Hauptzielgruppe ist zwischen 25 und 45 Jahre alt», sagt Bernasconi. Laurie ergänzt: «Junge Menschen trinken weniger, aber besser. Früher haben wir in unseren Zwanzigern Billigwein oder Lagerbier getrunken. Heute greifen junge Erwachsene früher zu hochwertigen Spirituosen – mit echtem Interesse.» Dieser Trend hin zu höherer Qualität verändert die gesamte Branche. Whisky wird weniger oft, dafür bewusster konsumiert – in Cocktails, als Highball oder pur. Marken reagieren mit Bildungsinitiativen, Masterclasses und gezieltem Storytelling. «Wir sehen ein enormes Bedürfnis nach Bildung», sagt Laurie. «Konsumenten wollen wissen, woher der Whisky kommt, wie er gereift ist, wer ihn gemacht hat. Das ist eine Chance, tiefer in den Dialog zu gehen.»

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Tipps vom Whiskyexperten Claudio Bernasconi

<p>... und Claudio Bernasconi, Gründer von «Devil’s Place».</p>
PR / zVg
<p>... und Claudio Bernasconi, Gründer von «Devil’s Place».</p>
PR / zVg
  • «Da die Preise sinken, kann man aktuell so günstig wie seit Jahren nicht mehr ältere Abfüllungen auch von grossen Marken einkaufen. Jeder Whiskyfan, der ein paar Franken übrighat, sollte jetzt zuschlagen.»
  • «Vorsicht ist geboten: Marken und ihre Qualität – NAS- und Standard-Abfüllungen – gut prüfen. Es gibt Produzenten, die als Einsteiger-Marken bekannt sind und sich nun mit Produkten im gehobenen Preislevel zu positionieren versuchen. Da gilt es, die Finger davon zu lassen.»
  • «Wer nicht gezwungen ist, etwas zu verkaufen, sollte es aktuell auch nicht tun.»
  • «Am besten schmeckt Whisky aus einem Glencair-Whiskyglas. Das gilt auch für ältere Abfüllungen. Tumbler sind für Whisky-Cola reserviert.»

Der internationale Reisehandel, lange ein Motor des Absatzes, kehrt nach der Pandemie zurück. Der globale Duty-free-Markt für Alkohol wird dieses Jahr auf etwa 9,92 Milliarden Dollar geschätzt und soll bis 2033 auf 21,4 Milliarden Dollar wachsen. Whisky dominiert den Duty-free-Alkoholmarkt mit einem Anteil von etwa 52 Prozent. Exklusive Travel-Retail-Abfüllungen boomen, Flughäfen werden zu Schaufenstern für Prestigeprodukte. Grosse Marken investieren in spektakuläre Boutiquen und Lounges, um kaufkräftige Kunden anzuziehen. «Travel Retail ist für unsere Branche eine Bühne. Dort treffen wir Menschen aus aller Welt, die offen sind für neue Erfahrungen», sagt Laurie.

Schattenseiten des Sammelns

Whisky war laut dem Knight Frank Luxury Index das Luxusinvestment mit der höchsten Rendite des vergangenen Jahrzehnts : Innerhalb von zehn Jahren sind die Preise seltener Flaschen um mehr als 580 Prozent gestiegen. John Laurie dazu: «Seltene Whiskys sind für viele Anleger attraktiver geworden als Kunst oder Oldtimer. Aber wir müssen aufpassen, dass es nicht nur ums Geld geht.» Macallan-Flaschen oder Ardbeg-Fässer erzielten bei Auktionen Millionenbeträge. Ardbeg verkaufte 2022 ein einziges Fass für 16 Millionen Pfund. «Wenn Whisky nicht mehr geöffnet, sondern nur noch gehandelt wird, verlieren wir den Kern des Produkts», mahnt Claudio Bernasconi. Laurie pflichtet ihm bei: «Alte und seltene Whiskys sollen teuer sein – aber so, dass man sie zu besonderen Anlässen öffnet.» Seit zwei Jahren zeigen sich nun Korrekturen: Auktionspreise stagnieren oder sinken, und auch Whiskysammlungen haben einiges an Wert verloren. Experten werten dies als Normalisierung des Marktes. An die Stelle von Spekulation rücken wieder Genuss und Authentizität. «Das Wichtigste ist, dass Whisky getrunken wird», sagt Bernasconi. «Sonst verliert er seine Seele.» Die Praxis, seltene Fässer direkt an Sammler zu verkaufen, bringt Rekorderlöse. «Das zeigt die Faszination, aber auch die Absurdität dieser Entwicklung», kommentiert Bernasconi. «Ein Whisky gehört ins Glas.» Doch trotz abnehmender Dynamik boomen Auktionen weiter. Laurie erklärt: «Einige Hypes kühlen ab. Das ist gesund. Am Ende gewinnen die Produkte, die Substanz haben.»

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Ein weiterer Treiber der letzten Jahre war der Boom von Craft-Destillerien. In den USA ist die Zahl kleiner Produzenten auf über 2300 gestiegen. In Schottland sind in den vergangenen 15 Jahren 60 neue Brennereien entstanden, auch in Irland sind in dieser Zeit viele neue Destillerien eröffnet worden – 37 der inzwischen 40. In Australien, Deutschland, der Schweiz und Skandinavien – überall entstehen neue Brennereien. Diese Vielfalt bringt neue Geschmacksprofile, Terroir-Gedanken und Innovationsfreude. Aber nicht jede Destillerie überlebt. «Viele kleine Produzenten haben fantastische Ideen, doch wirtschaftlich ist es schwer», sagt Claudio Bernasconi. Konsolidierungen und Übernahmen durch grosse Konzerne nehmen zu.

Innovation und Nachhaltigkeit

Nicht nur der Markt, auch die Produktionsmethoden wandeln sich. Nachhaltigkeit steht im Zentrum: CO2-neutrale Brennereien, Biomasse-Energie, recycelbare Verpackungen. «Moderne Brennereien können heute CO2-neutral produzieren, ohne die Tradition zu verraten. Das ist der richtige Weg», sagt Laurie. Bernasconi sieht darin die Chance, neue Generationen zu überzeugen: «Nachhaltigkeit ist längst mehr als ein Schlagwort. Sie entscheidet über die Zukunftsfähigkeit.» Technologisch wird experimentiert – mit KI im Blending, Blockchain zur Echtheitsprüfung oder alternativen Fassarten. Doch John Laurie warnt: «Das hat bei Scotch nichts zu suchen, wenn es die Authentizität gefährdet. Die geschützte Herkunft und die Handwerkskunst sind unser Kapital.»

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Geforscht wird auch bei der Reifung. Neue Methoden mit Druck oder Ultraschall bleiben umstritten, kreative Finishes in Rum-, Wein- oder Bierfässern sind etabliert. «Innovation darf nicht Selbstzweck sein. Sie muss die Geschichte und Qualität von Scotch stützen», betont Laurie.
Whisky steht heute nicht mehr allein im Premiumregal. In den USA holt Tequila auf – 2023 lagen die Umsätze fast gleichauf. Prominente Ultra-Premium-Tequilas bedienen dieselbe Klientel. Rum erlebt mit gereiften Premiumqualitäten einen Aufschwung, und Gin hat sich in Europa fest etabliert. «Konkurrenz belebt», sagt Bernasconi. «Doch Whisky hat die Tiefe und Geschichte, die ihn unersetzlich machen.» Laurie: «Wir beobachten, was andere Kategorien machen. Aber wir definieren uns über unsere Werte – Reifung, Herkunft, Handwerk. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.»

Geopolitik und Unsicherheit

Handelskonflikte bleiben ein Risiko. Laurie erinnert: «Trumps Zölle haben bereits einmal Schaden angerichtet. Dieses Mal sind die Tarife geringer, doch die Auswirkungen spürt vor allem der amerikanische Bourbon-Sektor.» Auch die Teuerung und hohe Energiekosten belasten die Branche. Dennoch bleibt Bernasconi gelassen: «Die Whiskyindustrie hat Weltkriege, die Prohibition und Finanzkrisen überlebt. Sie wird auch diese Phase meistern.»

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Am Ende zeigt sich: Whisky bleibt stark, aber die Regeln haben sich geändert. Die Zukunft liegt in einer Balance aus Tradition und Innovation, Genuss und Ehrlichkeit. John Laurie fasst zusammen: «Wenn weltweit nur ein Prozent der Alkohol trinkenden Menschen Whisky trinken würden, verdoppelte sich unser Markt bereits. Das ist der wahre Hebel: mehr Menschen für Whisky zu begeistern.» Claudio Bernasconi ergänzt: «Whisky ist ein ehrliches Produkt. Kein Marketinghype, sondern ein Handwerk mit Geschichte. Und genau das macht ihn zeitlos.»

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